11. Kapitel ~Alte Bekannte~ ✔️
Lied: Hugo Helmig - Please don't lie
,,Verdammt!", fluche ich laut und spanne meine Schultern an. Seit einer geschlagenen halben Stunde stehe ich in meinem roten Abendkleid vor dem großen Spiegel in meinem Zimmer und überprüfe, ob auch wirklich alles sitzt.
,,Ist alles in Ordnung mein Schatz? Wir müssen jetzt los, dein Dad wartet bestimmt schon auf uns", die liebevolle Stimme meiner Mom reißt mich aus meinen Gedanken. Seufzend drehe ich mich zu ihr um und recke das Kinn in die Luft: ,,Wieso nochmal muss ich mit auf diese Feier?", frage ich verzweifelt und lege mir einen schwarzen Bolero um.
,,Weil dein Vater der Stellvertreter von Dean Hewitt ist und du nun mal auch zur Familie gehörst."
Mir wird speiübel. Ich kann diesen Namen nicht mehr hören. Dass mich dieser Typ nach meinem Übergriff vergangene Woche Freitag nicht fristlos gekündigt hat, ist alles. Sofort schießen mir wieder die ganzen Bilder in den Kopf. Die Situation durchlebe ich in nur jeder freien Minute der letzten Tage. Immer und immer wieder. Meine ganz persönliche Hölle auf Erden.
Ich habe Mr. Hewitt nicht nur - auf gut deutsch gesagt - sexuell belästigt, sondern bin zu allem Übel meinem Freund Matt in den Rücken gefallen. Selbst Zoey hat es nicht geschafft, mich nach meinem Ausrutscher zu beruhigen.
Ich halte die Luft an und folge meiner Mom nach unten zu einem schwarzen Van, der uns Hollywood-like zum Festsaal fährt. Der Ort, in dem Dean heute offiziell zum Leiter der Firma ernannt wird. Seit Tagen versuche ich insbesondere meinen Dad davon zu überzeugen, dass meine Anwesenheit auf dieser Veranstaltung absolut nicht notwendig ist, aber er musste natürlich unbedingt darauf bestehen.
,,Madame", begrüßt mich ein um die Mitte zwanzig jähriger Mann und hält mir die Autotür auf, nachdem wir vor dem prunkvollen Gebäude halten. Unübersehbar angebracht an der Außenfassade das circa 10x20 Meter große Plakat von einem lächelnden Dean Hewitt. Mittlerweile bin ich so in meiner Scham gefangen, dass ich gar kein Zeitgefühl mehr habe. So makaber es auch klingen mag, hätte ich mich nach dem Kuss letzte Woche am liebsten ohne Umschweife mit in das Grab meiner Oma gelegt, und wäre freiwillig dort unten verrottet.
Dass die Arme Frau mich noch nicht heimgesucht hat, ist alles.
,,Miss, ist Ihnen nicht wohl?", fragt der junge Mann an mich gewandt, der mir immer noch seine Hand entgegen streckt. ,,Bitte entschuldigen Sie."
Völlig überrumpelt von Deans' perfektem Aussehen, ignoriere ich ganz die Begrüßung des netten Typen und stapfe an ihm vorbei an den Fuß einer großen Treppe, die nach oben in das Haus führt. Auf ihr tummeln sich bereits einige Paparazzi und andere bekannte Gesichter, die in ihren festlichen Abendgarderoben glänzen.
,,Mom, ich will wieder nach Hause", seufze ich, nachdem ich die Kameras erblicke. Dass die Feier so groß aufgezogen wird, damit habe ich nicht gerechnet.
,,Frag' mich mal mein Schatz, aber da müssen wir jetzt durch", entgegnet sie ein wenig nervös und streift noch einmal ihr schwarzes Kleid glatt. Für uns sind solche Partys nicht gerade alltäglich. Zwar hatte mein Dad uns schon darauf vorbereitet, dass wir eventuell mit einigen Kameras zu rechnen haben, aber dass es doch so viele sind, macht einen ziemlich unruhig.
Schweigend und mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen folge ich meiner Mutter in das Gebäude rein und ignoriere gekonnt die ganzen Paparazzi. Währenddessen hoffe ich inständig darauf, nicht über den Saum meines Kleides zu stolpern, was mir zu meinem Überraschen gut gelingt.
,,Puh, das wäre geschafft", höre ich sie erleichtert seufzen und über ihr angespanntes Gesicht breitet sich sofort ein Strahlen aus, nachdem sie ihren Mann am Eingang zum Festsaal stehen sieht. Unweigerlich fange ich an zu grinsen, was allerdings in der nächsten Sekunde verstirbt, als plötzlich Dean Hewitt neben ihm auftaucht.
Ich widerstehe dem inneren Drang so schnell wie möglich den nächsten Kameramann anzuspringen, um mich hinter ihm in Luft auflösen zu können und klammere mich an meine kleine Clutch, die mir in diesem Moment den einzigen Halt bietet. Zunächst scheint er mich nicht zu bemerken, auch als wir schon beinahe unmittelbar vor ihnen stehen, bis er die Gäste vor uns begrüßt und seine Aufmerksamkeit danach ganz uns widmet.
Wie angewurzelt stehe ich neben meiner Mom, kann nicht anders, als Dean anzusehen, der in seinem schwarzen, maßgeschneiderten Anzug -vermutlich von irgendeinem teuren Designer -genau gegenüber von mir steht und seine dunklen Augen über meinen Körper wandern lässt.
,,Ihr beide seht unfassbar schön aus", sagt mein Vater begeistert und drückt seiner Frau einen Kuss auf die Wange, ehe er sich mir zuwendet und stolz lächelt. Sofort hefte ich meinen Blick von Dean los, der sich unauffällig räuspert und ebenfalls ein Grinsen aufsetzt. ,,Was habe ich nur für eine wundervolle Tochter. Sieht sie nicht traumhaft aus Dean?".
Mir bleibt beinahe die Spucke im Halse stecken. Mein Puls schießt in die Höhe, während mein Herz kurz davor ist aus meiner Brust zu springen. Dieses Aufeinandertreffen wäre weitaus angenehmer, wäre ich Deans' Versuchen mit mir zu reden in den letzten Tagen nicht vehement ausgewichen.
,,Daad, bitte..", erwidere ich peinlich berührt und schüttele den Kopf. ,,Was denn?", tut er völlig unwissend und zuckt mit den Schultern. Ich boxe ihm leicht gegen den Oberarm und strecke dann gezwungenermaßen Dean Hewitt die Hand aus, um ihn zu begrüßen: ,,Ähm.. Herzlichen Glückwunsch."
Angestrengt beiße ich mir auf die Unterlippe. Der griechische Gott vor mir hält meinen Blick für einen Moment gefangen und greift schließlich nach meiner Hand. Erneut geht ein Stromstoß mit dieser Berührung einher, der meine Körpertemperatur sofort um einige Grade ansteigen lässt.
,,Danke, Leah", entgegnet er freundlich, jedoch bemerke ich an seinem Gesichtsausdruck, dass ihn noch etwas beschäftigt. Natürlich weiß ich, was das ist. Aber wir können gerade jetzt und besonders nicht hier darüber sprechen. Ja, eine Erklärung bin ich ihm schuldig, allerdings wird die wohl oder übel noch auf sich warten lassen.
,,Ihr solltet euch schonmal setzen, wir kommen auch gleich. Tisch 1 ganz vorne", weist mein Dad uns an und widmet sich den Gästen in der Schlange hinter uns. Ein allerletztes Mal wage ich es Dean anzugucken, bevor ich an ihm vorbei in den Festsaal stapfe in dem überall runde Tische, an denen circa acht Personen Platz finden, aufgestellt wurden.
,,Alles in Ordnung?", fragt mich Mom und mustert mich besorgt von der Seite. Ich ziehe scharf die Luft ein und fasse mir an die erhitzten Wangen. ,,Warum sollte es nicht?", stelle ich die Gegenfrage und schaue mich in dem Saal um. ,,Leah, da bist du ja!", ertönt es kurz darauf neben mir. Allmählich wird das Gemurmel um mich herum lauter. Zumindest kommt es mir so vor.
Perplex drehe ich mich nach der Stimme um und starre geradewegs in die leuchtenden blauen Augen von Cole und -
,,Roisín!?", mir fällt beinahe die Kinnlade herunter, als ich beobachte, wie meine Cousine schnell ihre Hand aus Coles' zieht und mindestens genauso überrascht wirkt mich hier anzutreffen, wie ich sie. Mal ganz zu schweigen von meiner Mom, die ihr einen vielsagenden Blick zuwirft und anerkennenden ihre Mundwinkel verzieht. ,,Ich werde uns etwas zu trinken holen, bin gleich wieder da", sagt sie grinsend und verschwindet zwischen den Menschenmassen.
Meine Cousine steht wie erstarrt vor mir. Ihre Wangen gehen beinahe in Flammen auf. ,,Das glaub ich nicht! Du bist Coles' Freundin?". Abwartend verschränke ich die Arme vor der Brust und hebe eine Braue an. Besagter kratzt sich verlegen am Hinterkopf: ,,Ihr kennt euch?", stellt er ganz verdattert fest.
,,Leah.. könnte ich dich ganz kurz alleine sprechen? Es dauert nicht lange Cole", wimmelt sie ihn ab, packt mein Handgelenk und zerrt mich ohne Umschweife Richtung Toilette, wo sie vor einem großen Spiegel anhält. Wir beide waren früher unzertrennlich, haben uns durch den Prüfungsstress vor circa eineinhalb Jahren jedoch ganz aus den Augen verloren und kaum mehr miteinander geredet. Was für ein Zufall, dass ausgerechnet Cole Anderson nun ihr fester Freund ist.
,,Wow, also das nenne ich mal eine Überraschung", äußere ich breit grinsend und ziehe sie in eine feste Umarmung. ,,Oh ja", lacht sie und fährt sich aufgeregt über ihre Hochsteckfrisur. ,,Cole spricht in den höchsten Tönen von dir, ihn hat es echt ziemlich erwischt", necke ich sie und kann förmlich mit ansehen, wie sie immer roter wird.
,,Leah, hör' auf! Erzähl mir lieber, wie es dir so ergangen ist. Wie läuft es mit Matt? Und was suchst du eigentlich hier?". Die grünen Augen von Roisín durchbohren mich neugierig. Ich schlucke schwer. Matt ist in den letzten zwei Wochen ein wunder Punkt für mich geworden. Er fehlt mir wahnsinnig, aber ihm scheint es auf Neuseeland gut zu gehen. Er kommt bestens ohne mich klar. Zu allem Übel habe ich meinen Boss geküsst, den ich heute den ganzen Abend über sehen muss.
,,Mein Dad ist der neue Stellvertreter von Dean und ich wurde praktisch gezwungen zu diesem Event zu kommen", gebe ich zu. Ihre andere Frage über den Beziehungsstatus zu Matt ignoriere ich. ,,Dean?", bohrt sie nach und legt fragend den Kopf schief.
,,Mr. Hewitt. Ich meine natürlich Mr. Hewitt", stammele ich etwas überfordert und weiche Roisíns' intensivem Blick aus.
Skeptisch spannt sie ihren Kiefer an und verengt ihre Augen zu Schlitzen: ,,Vielleicht reden wir später in Ruhe, die Begrüßung fängt gleich an."
Ohne weiter darauf einzugehen harkt sie sich bei mir unter und gemeinsam laufen wir zurück zu den Tischen. Ich an den ersten unmittelbar vor der Bühne und sie zu Cole an den dritten. ,,Da bist du ja endlich", flüstert mein Dad und sieht sich in der Runde um. Wir sitzen gemeinsam mit Dean Hewitt und einem älteren Herren sowie einer Dame an dem Tisch, die mich beide herzlich begrüßen.
,,Du musst Leah sein. Dein Vater hat uns viel über dich erzählt. Ich bin Beth und das ist mein Mann Harry. Philip, deine Tochter ist ja noch viel bezaubernder, als du sie uns beschrieben hast."
Völlig überrumpelt bleibt mir der Mund offen stehen. Mit Komplimenten von Fremden konnte ich nie wirklich gut umgehen. Hilfesuchend schaue ich meinen Dad an, der nur wissend nickt. ,,Unser Sohn hat uns gesagt, dass er bei der Auswahl des Plakates Hilfe hatte. Dafür müssen wir dir wohl danken, wir waren von Anfang an für das Bild von ihm, konnten ihn aber nicht davon überzeugen", plappert die Dame drauf los. Das sind also Deans' Eltern. Wow. Das gute Aussehen liegt definitiv in der Familie.
,,Du kannst dich geehrt fühlen Schätzchen", fügt sich noch hinten dran und tätschelt mir vorsichtig den Handrücken. Meine Augen huschen automatisch zu Dean, dem man kaum ansieht, wie unangenehm ihm das hier im Moment sein muss.
,,Beachte meine Frau gar nicht, sie redet wie ein Wasserfall, sobald sie einmal anfängt", wendet nun Mr. Hewitt Senior ein und richtet sich wenig später auf. Sofort verstummen die Stimmen im Saal. Alle Augen sind auf ihn gerichtet, während die Lichter allmählich dunkler werden und er auf die Bühne vor ein Mikro tritt.
,,Guten Abend meine Damen und Herren und Herzlich Willkommen. Wir sind heute alle aus einem ganz bestimmten Grund hier, nämlich um meinen Sohn Dean offiziell als neuen Chef der Firma Hewitts' International Media Produtions' zu begrüßen."
Er macht eine kurze Pause, gefolgt von lautem Beifall und einigen Pfiffen. Ich beobachte Dean, wie er sich kurz in dem Saal umschaut und vereinzelten Personen ein warmes Lächeln schenkt. Wie gebannt kann ich meinen Blick nicht von ihm abwenden. Man mag es kaum für möglich halten, aber an ihm ist einfach alles schön. Selbst seine Ängste, die ihn nur noch sympathischer machen.
,,Seit ich vor zwölf Jahren praktisch aus dem nichts diese Firma aufgebaut habe, stand fest, dass mein Sohn sie eines Tages übernehmen würde. Jetzt, wo es Zeit für mich wird, sich etwas zurückzuziehen, um mit meiner wundervollen Frau das Leben zu genießen, ist der Moment gekommen. Ich gebe die Zügel weiter. Dean, würdest du bitte zu mir hoch kommen."
Erneut ertönt großer Beifall, bis er schließlich auf der Bühne steht und von seinem Vater mit einer herzlichen Umarmung empfangen wird. Im selben Moment vibriert mein Handy in der Tasche. Hektisch krame ich es raus und sehe auf dem Display 4 verpasste Anrufe und fünf Nachrichten. Alle von Matt.
,,Leah, packst du das bitte weg", zischt meine Mutter warnend. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, als ich gegen ihre Bitte die Nachrichten öffne und mir im selben Moment wünsche, es nicht getan zu haben.
Leah? //6:57 p.m
Könntest du bitte an dein Handy gehen?? //7:10 p.m
Leah, es ist wichtig. //7:21 p.m
Ruf mich bitte zurück, sobald du das liest //7:22 p.m
Ich muss mit dir reden.//7:23 p.m
Mit rasendem Puls starre ich völlig schockiert auf das Display und klimpere mehrmals mit den Wimpern.
Ein dicker Klos bildet sich in meinem Hals. Wie gerne würde ich jetzt nach Hause fahren und mich in meinem Zimmer verkriechen. Auf Biegen und Brechen hin und Zoeys langem und ausführlichen Vortrag am Telefon über absoluter Ehrlichkeit in einer Beziehung, habe ich Matt schweren Herzens meinen Ausrutscher gebeichtet.
Wenn dir wirklich etwas an ihm liegt, dann redest du mit ihm, waren ihre Worte.
Ich habe fest damit gerechnet, dass er ausrastet oder zumindest ansatzweise die Fassung verliert, jedoch ist nichts der gleichen passiert. Es herrschte kurze Stille während unseres FaceTime Anrufes, bevor er mit den Worten: ,,Ich muss darüber in Ruhe nachdenken" einfach aufgelegt hat.
Das ist mittlerweile drei Tage her. Drei Tage, in denen ich mich selbst verachtend nach der Arbeit in meinem Zimmer eingeschlossen und mir die Seele aus dem Leib geheult habe.
Und in jeder einzelnen Sekunde, habe ich diesen verdammten Kuss bereut.
___________
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro