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Die erste Woche bis zum Unibeginn verging so unglaublich schnell. Ich hatte inzwischen einen neuen Vertrag und fast jeden Tag mit meiner Familie geskypet. Stolz hatte ich ihnen meine beiden neuen Freunde vorgestellt und auch wenn ihr Englisch holprig war, hatten sie sich gut mit ihnen unterhalten. Besonders Pietro verstand sich gut mit ihnen, Wanda war eher sachlich ruhig.
Ich hatte inzwischen den ersten Unitag hinter mir und musste zugeben, dass es mir anfangs doch sehr schwer fiel, das schnelle russisch mit Dialekt des Professors zu verstehen. Piet hatte mir jedoch geholfen, wenn ich seine Hilfe gebraucht hatte, und dafür war ich ihm mehr als nur dankbar gewesen. Nun waren wir auf dem Heimweg von der Uni.
"Dieser Tag war so anstrengend. Klar, kann ich russisch. Aber wohl nicht gut genug, um auch noch dialekt zu verstehen." brummte ich und kickte einen Stein zur Seite, der vor mir auf dem Gehweg lag.
"Ach das kriegst du schon hin. Ich meine, man könnte meinen, du bist hier aufgewachsen, so gut sprichst du russisch. Da wird das doch ein Kinderspiel für dich."
Betrübt schüttelte ich den Kopf.
"Glaub ich nicht. Du hast mir heute fast alles nochmal sagen müssen. Das beste wäre doch, wenn ich zurück nach New York gehe..."
Er hielt an und drehte sich zu mir, bevor er mich an den Schultern packte und mich schüttelte.
"Wo ist die Sina Flynn, die ich vor einer Woche kennengelernt habe? Die sich von nichts aufhalten lässt, die perfekt russisch spricht? Du wirst doch wohl jetzt nicht wegen einem Professor aufgeben!"
"Dieser Professor ist mein Linguistikprofessor und das ist mein Hauptfach." seufzte ich und lehnte mich an seine Brust. "Was ist, wenn ich das alles nicht schaffe?"
Er legte seine Arme um mich und drückte mich an sich.
"Das wirst du. Ganz sicher. Weil ich dir helfen werde. Wir lernen zusammen, das kriegen wir hin."
Dankbar legte ich meine Arme um ihn und sog seinen Geruch ein. Es beruhigte mich, dass er sich so für mich sorgte, und doch kam er mir so vertraut vor. Als wäre es nicht das erste Mal, dass wir uns so nah waren, doch ich kannte ihn erst eine Woche und ich konnte mich an keine Situation erinnern, in der wir uns jemals so nah gewesen waren. Also blieb es bei diesem Déjà Vu als wir uns lösten und sofort kam mir nichts mehr bekannt vor. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und folgte Piet, der schon vorausgegangen war.
Daheim angekommen kam uns ein unglaublicher Duft entgegen. Es roch nach Fleisch und Soße und es trieb mir die Spucke in den Mund.
"Wanda macht Beef Stroganoff. Wie ich es liebe!"
Verwirrt schaute ich ihn an. Nicht nur, weil ich nicht wusste, was es war, sondern auch weil er es anhand des Geruches erkannte. Natürlich erkannte ich viele Dinge schon am Geruch, aber dieser war nur eine Geruchsexplosion an verschiedenen Komponenten und Gewürzen gewesen.
"Was ist Beef Stroganoff?"
"Du wirst es lieben, komm mit!"
Er nahm meine Hand und zog mich in die Küche, wo ich Wanda sah, wie sie gerade den Reis abschüttete.
"Gut, ihr seid pünktlich. Deckt ihr noch schnell den Tisch?"
"Klar, machen wir." antwortete ich ihr fröhlich und ging zum Schrank, wo ich drei Teller rausholte und ins Esszimmer brachte. Dort deckte ich ein und machte mich grad auf den Weg in die Küche, als ich fast mit Piet zusammen stieß. "Sag mal, wir laufen uns auch ständig im Weg rum!" rief ich und lachte.
"Jaja, das ist alles Absicht von dir!" antwortete er grinsend.
"Von mir? Warum denn von mir?" sagte ich gespielt empört und boxte ihn. "Das halte ich für eine dreiste Lüge!"
"Glaubst du wirklich, ich könnte Lügen?"
Wieder grinste er über beide Ohren und ließ seine Schwester vorbei, die den Kopf schüttelte.
"Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Ihr seid schlimmer als Kindergartenkinder! Setzt euch, es gibt essen."
Mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich das Essen betrachtete. Piet schöpfte nacheinander uns allen, bevor er sich selbst schöpfte und beendete seine Tätigkeit mit einem "Guten Appetit miteinander." Freudig machten wir uns über das Essen her und - verdammt - es schmeckte so unglaublich gut.
"Wanda, du bist so eine begnadede Köchin! Warum studierst du das nicht?"
"Weil wir hier in Russland sind! Raumfahrten sind hier an der Tagesordnung. Kochen bleibt eben ein Hobby."
"Ich kann übrigens demnächst auch mal kochen, das müsst nicht immer ihr machen. Außerdem kann ich euch dann mal was Amerikanisches kochen." meinte ich lächelnd, während ich mir die nächste Gabel mit Reis und Fleisch in den Mund schob.
"Klar, gerne. Ich geh dann mit dir Einkaufen!" rief Pietro und ich sah, wie Wanda ihn unsicher musterte, hatte aber keinen blassen Schimmer, warum. Doch sie klärte es auch nicht im nächsten Satz auf und so blieb ich verwirrt da sitzen.
"Das wäre super." erwiderte ich in die Stille rein, eigentlich viel zu spät, doch es war definitv zu ruhig gewesen. Und diese Stille war keine Fütterungsstille gewesen, die glich eher einer peinlichen Berührtheit. Doch die Stille verging nicht.
Nach dem Essen verschwand ich mit den Unisachen in mein Zimmer, als ich ein Gespräch zwischen Wanda und Piet hörte.
"Gewöhn dich bitte nicht allzu sehr an sie. In einem Jahr ist sie weg, und ich weiß, wie es dir geht, wenn du dich emotional von ihr abhängig machst."
"Ich mache mich doch gar nicht emotional abhängig! Wanda, was redest du da? Ich habe sie einfach nur gern."
"Bruderherz, ich kenne dich."
"Anscheinend kennst du mich nicht gut."
Ich hörte schnelle Schritte in meine Richtung und wie Piets Tür ins Schloss fiel. Warum sollte sich Piet von mir emotional abhängig machen? Was meinte Wanda damit? Mir ließ das keine Ruhe. Ich konnte mich einfach nicht auf den Text über einen russischen Linguistiker konzentrieren, die kyrllischen Buchstaben verschwammen vor meinen Augen und obwohl ich das kyrillische Alphabet vorwärts, rückwärts und im Schlaf auswendig beten konnte, war es, als hätte mein Gehirn von jetzt auf gleich russisch verlernt. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und legte den Text beiseite, bevor ich zu meinem Laptop griff und meinen täglichen Blogeintrag schrieb. Doch die Worte wollten mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Also nahm ich mir vor, die beiden in den nächsten Tagen darauf anzusprechen.
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