Ein bisschen Leben erleben
Das Wasser, dass über meine Kopfhaut perlt tut richtig gut. Ich liebe dieses Gefühl. Als würde man sich von allem Schmutz der Welt reinigen und es ist die totale Entspannung. Deshalb fällt mein Duschen meist etwas länger aus. So wie heute. Egal, es ist Wochenende und ich möchte mir einen schönen Tag machen. Das Wasser muss ich dann aber doch irgendwann abstellen. So verschwenderisch bin ich jetzt auch nicht. Ich wickele meinen Körper in das warme weiche Handtuch und schlüpfe in meine Hausschuhe. Dann bürste ich meine Haare glatt und verlasse das Bad. Mein Schlafzimmer ist nur drei Zimmer weiter. Damit ich niemanden wecke, versuche ich leise zu sein. Meine Brüder kamen gestern erst spät nach Hause und schlafen sicher zu dieser frühen Stunde noch. Oma Alondra ist sicher schon wach und steht in der Küche um einen Kaffee aufzusetzen. Ohne den geht bei ihr Garnichts.
In meinem Zimmer streife ich mir eine luftige Bluse über und ziehe eine Jeans an. Es ist unglaublich warm hier in El Salvador. Ich wohne mit meiner Familie in San Salvador an der Grenze zu La Libertad. Die Trockenzeit fängt gerade an und es ist unglaublich warm. Trotzdem laufe ich immer lieber etwas bedeckter herum. Hier in El Salvador haben wir eine ziemlich hohe Kriminellen Rate und da sollte man als Frau aufpassen, wenn man alleine aus dem Haus geht. Auch wenn meine eigene Familie kriminell ist. Aber was soll ich sagen?! Man hat keine andere Wahl wenn man überleben möchte. Und das soll jetzt keine Ausrede oder Beschönigung sein.
Wie erwartet saß meine Oma Alondra in der Küche und trank ihren ersten oder zweiten Kaffee. Natürlich setzte ich mich zu ihr. Sie ist zwar schon etwas älter hat aber noch immer diesen wachen und wissenden Blick. Jeder der in diesem Haushalt Probleme hat, geht zu ihr. Selbst mein Vater geht zu seiner Schwiegermutter. Mein Vater ist ein sehr ruhiger Mann geworden. Er überlässt jetzt den größten Teil seiner Geschäfte meinen Brüdern. Sie sind alle schon mit ihrer Schulausbildung fertig und ich als Küken und einzige Schwester werde zu Hause unterrichtet. Ich konnte meinen Vater davon überzeugen, mich wenigstens zum studieren auf eine Öffentliche Schule gehen zu lassen. Am liebsten würde er mich zu Hause einsperren. Ein Grund wären die in letzter Zeit zunehmenden Rivalitäten mit einer anderen Bande. Da ich jedoch schon siebzehn bin und mich durchsetzen kann, lasse ich mir nicht alles vorschreiben. Gefahr hin oder her. Lieber sterbe ich jung und habe etwas erlebt, als das ich einsam und gelangweilt in meinem Zimmer eingehe und nichts vom Leben mitgenommen habe.
>>Tschüss, Oma.<< Mit einem Kuss auf die Schläfe verabschiede ich mich. Meine Armkettchen klirren aneinander, als ich ihr zusätzlich winke. Meine Oma hat mindestens genau so viele, wenn nicht sogar mehr Armbänder. >>Tschüss Ava. Pass auf dich auf, Liebes.<<
Ohne ein Ziel laufe ich einfach los. Manchmal schleiche ich mich ins Gebiet der Nachbargang um dort in meinem Lieblingsgeschäft einkaufen zu gehen. Sie haben dort wunderschöne Tücher und Schmuck. Mein Glück ist, dass mich die wenigsten Leute kennen und eher selten einer Bande oder Gang zuordnen können. Es sei denn sie würden meinen Nachnamen Navarrete hören. Da hatte mein behütetes Aufwachsen doch auch Vorteile. Denn meine Brüder führen ziemlich erfolgreich eine Bande in San Salvador. Die Navarrete Familia. Unsere Familia. Es ist ein ständiger Krieg gegen die verfeindete Cuartero Familia aus La Libertad. Auch aus unserem Nachbarland Honduras gibt es immer mehr Übergriffe. Ich passe also auf, als ich jetzt durch La Libertad laufe, Cuartero Gebiet. Ich möchte gerne an den Strand und vielleicht ein bisschen Zeichnen. Einfach entspannen. Unbeschadet komme ich an und finde einen schönen Felsen ein bisschen Abseits von den vielen Besuchern. Ich schiebe mir meine Sonnenbrille auf die Nase, schiebe mir meine Sandalen von den Füßen und hole Stift und Block aus meiner Umhängetasche.
Eine gute Viertelstunde muss ich hier sitzen, als es am Strand unruhig wird. Männer versammeln sich um irgendetwas und ich bekomme ein ungutes Gefühl. Diese Männer, man sieht ihnen von hier hinten an, dass sie Dreck am stecken haben. Da erkenne ich auch schon Mitglieder der Cuartero Familia. Ich bekomme nicht oft welche zu sehen, dafür sorgen meine Brüder. Die Cuarteros wissen nicht einmal das zu den bekannten Navarrete Brüdern eine Schwester gehört. Dafür weiß ich umso mehr über sie. Wenn mich also nicht alles täuscht steht da hinten der engste Kreis der Familia zusammen. Ich kann beobachten, wie sie sich einen Mann schnappen und ihn abseits der Menge führen. In meine Richtung! Verdammt! Einfach ganz ruhig bleiben und unauffällig verhalten. Das ist mein Plan. Kein besonders guter, aber immerhin. Ich bin mit solchen Männern aufgewachsen. Ich werde keine Angst vor ihnen haben. Sie kommen näher und ich höre wie sie auf den Mann einreden. Scheinbar hat er sich mit den Falschen angelegt. Dummer Fehler. >>Bitte, ich werde es euch zurückzahlen. Ich kann auch für euch arbeiten.<< Flehte er. Es gibt einen Moment, ab dem der Mensch nur noch versucht sein Leben zu sichern. Hier wird mir gerade dieser Moment vorgeführt. >>Das hättest du dir früher überlegen sollen.<< Spuckt ihm einer der Cuarteros entgegen. Er ist groß und breit und voller Tätowierungen. Man sieht ihm die Aggressivität an und er zückt gleich zur Waffe, die in seiner Hose steckt. Scheiße. Die können doch hier niemanden vor meinen Augen umbringen. Der Mann kniete mittlerweile und nuschelte irgendetwas vor sich hin. >>Lass mich das machen, Rico.<< Sagt ein mindestens genau so großer Kerl, der sogar noch einen Ticken breiter ist als der erste. Schwarze dunkle Haare rahmen ein ansehbares Gesicht ein. Er sieht sogar gut aus, muss ich gestehen. Dann sehe ich das Tattoo auf seinem linken Unterarm. Eine gewundene Kobra. Ich weiß mit einem Schlag, wer da steht. Dieses Tattoo gibt es hier nur ein einziges Mal. Dafür hat er gesorgt. Niemand anderes würde es wagen, es sich stechen zu lassen. Vor allem nicht auf den Unterarm. Vor mir steht der Anführer der Cuartero Familia. Tyler Cuartero. Man sagt ihm nach, das er vor einem Kampf beinahe tödlich ruhig wird und wenn das geschieht, hat man keine Chance. Deshalb wird er auch Kobra genannt. Er wartet wie die Kobra auf den richtigen Moment um zuzuschnappen und dann gibt er nicht mehr auf. Bei dem Gedanken, was jetzt geschieht bekomme ich eine Gänsehaut. Tyler Cuartero nimmt seine eigene Waffe und richtet sie auf den Mann. Den Blick völlig ausdruckslos, ohne jeden Zweifel. >>Nein.<< Schreie ich, bevor ich mir die Hand vor den Mund schlagen kann. Alle Augenpaare richten sich überrascht auf mich. Was habe ich getan?! Niemand wagt so etwas. Es sei denn, er ist todesmüde. Ich stecke in Ernsthaften Schwierigkeiten. Überrascht sehe ich mit an, wie die Waffe gesenkt wird. Schweiß tritt mir auf die Stirn und die Panik muss in meinen Augen zu erkennen sein. Tyler Cuarteros Tiefe Stimme ertönt. >>Wir wollen doch nicht, dass eine Dame mit ansehen muss, wie du Schleimsack draufgehst. Du hast Glück gehabt und jetzt verschwinde. Wir sehen uns morgen wieder.<< Er verschränkt die Arme vor der Brust und sieht dem Mann zu, wie er sich vor ihm verbeugt und bedankt. >>Bedank dich mal lieber bei der Dame. Außerdem sehen wir morgen weiter.<< Der Mann nuschelte etwas unverständliches und bezeichnet mich als gesandten Engel des Herrn, dann verschwand er. Tja, Ava. Jetzt bist du allein. Mit den falschen Leuten. Immer reite ich mich in die Scheiße.
>>Wie heißt du?<< Fragt mich der Anführer. Es klingt jedoch eher wie ein Befehl. Ich sollte mich einfach entschuldigen und abhauen. Gute Idee. >>Es tut mir Leid, ich hätte mich nicht einmischen sollen.<< Stammele ich eher und werde tatsächlich rot. Die Männer stehen nun ziemlich nah und beobachten mich neugierig. Wahrscheinlich denken die sich, was ein so kleines und eher zierliches Mädchen glaubt anrichten zu können. >>Deinen Namen.<< Das war definitiv eine Befehl. Mist, was soll ich tun? Mit meinem Vornamen können sie ja nicht viel anfangen. >>Ava.<< Selbst ich verstand mich kaum. Die Kobra scheinbar schon. >>Also gut, Ava. Ich bin Tyler.<< Mei Ach ne hätte ich mal darauf besser für mich behalten. Doch er schmunzelt nur. >>Von wo kommst du?<< Heikle Frage. Nervös reibe ich meine Fingerkuppen aneinander. Eine blöde Angewohnheit von mir. >>Aus El Salvador.<< Das ist nicht mal gelogen. Plaudere ich hier wirklich gerade einfach so mit dem Tyler? Er sieht mich nun etwas merkwürdig an. >>Du bist ja nicht sehr gesprächig.<< Das war definitiv keine Frage. Vielmehr eine Feststellung. Es ist kurz ruhig. Alle starren mich an und ich senke meinen Blick auf den Boden. Verdammt. Was, wenn mich doch jemand erkennt. Jede Minute länger stellt ein Risiko dar. Kleinlaut melde ich mich zu Wort. >>Ich muss dann auch gehen. War schön, euch kennen zu lernen.<< Noch dummer ging es wohl nicht, Ava. Verkrampft halte ich meine Tasche und stehe unsicher von meinem Felsen auf. Jetzt müssen die Männer erst recht nach unten gucken, weil ich so klein bin. >>Können wir dich mitnehmen?<< Sein Ernst? Schockiert sehe ich Tyler an. >>Ähm... Nein, Danke. Ich möchte Euch keine Unannehmlichkeiten bereiten und es ist nicht sehr weit.<< Ich gebe zu, das ich den Strand eher Fluchtartig verlasse. Die Cuarternos sehen mir nach, aber sie lassen mich tatsächlich gehen. Ich kann es kaum glauben und mir ist unfassbar schlecht vor Erleichterung.
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