ERINNERUNGEN
Lily PoV:
~Flashback 1~
"Nein! Lieber sterben wir, als das wir das machen!", schreit mein Vater durch das Telefon und legt kurze Zeit später auch schon auf.
Er hat gerade mit irgendjemandem geredet, während ich mit meinem Müsli am Küchentisch sitze. Ich muss gleich zur Schule und das, obwohl ich heute Geburtstag habe. Ja, das Leben ist fies.
Heute, der 07.07., mein vierzehnter Geburtstag, ist einfach nur stressig hoch zehn. Meine Eltern telefonieren schon den ganzen Tag über und planen meine spätrige, kleine Feier.
Es wird wieder nichts Besonderes, nur mit der Familie eben. Oder mit der, die noch übrig ist.
Das wird mein erster Geburtstag ohne Nick und das ist schon wirklich etwas Neues. Ungewohntes...
Bisher haben wir jedes Jahr eine kleine Party hinter'm Haus geschmissen, wo wir dann den ganzen Tag über Musik gehört haben. Den kleinen Käsekuchen, den meine Mutter immer macht, haben wir dabei auch immer gegessen, doch dieses Jahr ist einfach Alles anders.
Meine Eltern sind total beschäftigt, ich habe nicht wirklich Lust darauf, etwas zu machen und außerdem muss ich, wie schon gesagt, in die Schule. Juhu.
Was soll an meinem Geburtstag denn schon toll sein, wenn mein Bruder, der letzte Woche sechzehn geworden wäre, nicht dabei ist?
Wir waren schließlich immer ein Herz und eine Seele und nun ist er weg. Tot. Für immer und ewig weg und ich kann nichts dagegen machen.
Und da eine Feier schmeißen ist doch total lächerlich, oder?
Das finde zumindest ich. Meine Eltern keineswegs und deswegen auch diese Party.
"Daddy? Wann soll ich heute da sein?"; frage ich meinen Vater und schaue satt von meiner Müslischale auf.
"So gegen vier, hätte ich gesagt. Frag da mal lieber deine Mutter, die weiß da mehr, als ich", antwortet er und lächelt mich etwas müde an.
"Ist gut", erwidere ich und stehe von meinem Stuhl auf.
Schnell tapse ich nach Oben in unser Badezimmer, wo sich meine Mutter für ihre Arbeit fertig macht. Sie ist schlicht die schönste Frau auf Erden.
Sie hat, wie ich, blonde, lange Haare und grüne Augen. Meinen blassen Teint habe ich allerdings von meinem Vater und nicht von ihr. Sie hat nämlich wunderbar, leicht gebräunte Haut. Sie ist etwas größer als ich und das auch ohne ihre dunklen High Heels, die sie an hat.
Außerdem trägt sie heute wieder eines ihrer dunkelblauen Kostüme, die sie immer auf der Arbeit anhaben muss. Sie arbeitet nämlich mit meinem Dad in einem Unternehmen, wo sie die ganzen organisatorischen Sachen erledigt.
"Na, Schatz?", begrüßt sie mich und lächelt mir durch den Spiegel an, indem sie sich gerade noch schminkt.
"Mum? Dad sagt, ich soll dich fragen, wann ich heute nach Hause kommen soll. Also?", frage ich und lehne mich gegen den Türrahmen.
"So um vier. Dann hast du keinen Zeitdruck, wenn du von der Schule kommst. Und außerdem haben wir erst um halb drei Schluss heute, also haben wir noch genug Zeit, alles vorzubereiten", antwortet sie und steckt sich eine lockere Haarsträhne zu Recht.
"Okay, dann weiß ich Bescheid.", nicke ich und trete zu ihr hinter den Spiegel, wodurch ich sie gebannt mustere.
"Ist was, Lil?", fragt sie und stellt sich hinter mich, damit sie mir meine Haare etwas ordentlicher machen kann.
"Nein. Es ist nur anders. Ohne ihn", antworte ich und sie stockt in ihrer Bewegung.
"Ja, ist es auf jeden Fall... Aber du kennst doch deinen Bruder. Er hätte nicht gewollt, dass du heute bedrückt bist, oder?", will sie wissen und ich nicke. Das stimmt allerdings. Wenn Nick eins nicht mochte, dann, dass ich an meinem Geburtstag traurig bin. Da bin ich mir sicher...
~Flashback 1 Ende~
~Flashback 2~
"Na, Miststück?", ruft diese Victoria hinter mir her und ich ziehe meine Arme vor die Brust. Doch direkt danach spüre ich einen harten Schlag im Rücken und ich sinke zu Boden.
Schallendes Gelächter erklingt in dem kahlen Flur des Waisenhauses, indem ich seit einem Tag bin.
Nachdem ich gestern meine Eltern vorgefunden habe... Ich bekomme dieses schreckliche Bild einfach nicht mehr aus meinem Kopf. Wie sie da liegen. Blut überströmt und mit offenen Augen, die mich ansehen...
Miss Rosewood, die Leiterin dieses Heims hier hat leider keine Ahnung, wie schlimm diese Victoria ist. Seitdem ich hier bin hat sie mich schon gefühlte hundert Mal geschlagen und getreten.
Meine Sachen sind auch auf wundersame Weise verschwunden und ich habe nur noch das, was ich gerade trage. Das Schlimmste ist aber, dass Nicks Pulli weg ist. Mein wohlmöglich kostbarster Besitz überhaupt, und er ist weg. Ich bin mir sicher, dass ihn Victoria hat.
"Na? Noch nicht genug?", fragt sie hämisch lachend und ich spüre weitere Tritte von ihr.
"Hey, du aufgeblasene Schlampe!", ruft plötzlich eine Jungenstimme und die Tritte hören endlich auf.
Victoria dreht sich, genauso wie ich, zu dem Ursprung der Stimme und sichtet einen brünetten Jungen am Ende des Flurs.
Er ist deutlich größer als ich und auch größer als Victoria, die, als sie ihn sieht, genervt aufstöhnt und ein paar Schritte von mir weg macht.
"Was willst du denn schon wieder, Smith?", fragt sie gelangweilt und ich rappele mich langsam auf.
"Lass sie in Ruhe", antwortet er mit Nachdruck und klingt dabei extrem gefährlich. Das muss ich zugeben.
"Ach ja? Und warum sollte ich?", fragt sie wieder und ich stelle mich nun auf meine Beine, die immer noch etwas schwach sind.
"Ich kann dir auch gerne zeigen, wie es ist, wenn man in den Rücken getreten wird und dann sehen wir ja, warum ich aufhören soll", antwortet er und sie zuckt etwas zusammen.
"Drohst du mir etwa?", will sie klar stellen und macht ein paar Schritte auf ihn zu.
"Ja, das tu ich und wenn du mir nicht sofort aus den Augen gehst, dann mache ich diese Drohung zur Realität, glaub mir.", sagt er und das scheint sie eingeschüchtert zu haben, da sie augenblicklich aus seinem und meinem Blickfeld verschwindet.
"D- Danke", murmele ich und schaue schüchtern zu ihm hoch.
"Ach, kein Problem. Victoria muss man direkt in die Schranken weisen, sonst ist man verloren.", entgegnet er, "Wie geht's deinem Rücken? Alles noch dran?"
"Ja, ich- ich denke schon"; antworte ich und schaue wieder zu Boden.
"Ich bin übrigens Jayden, aber so werde ich nur von Erwachsenen genannt. Also nenn mich doch bitte einfach nur Jay.", stellt er sich vor und ich schaue wieder leicht lächelnd zu ihm hoch.
"Ich heiße Lily. Lily Gleeson", erwidere ich und er lächelt zurück.
~Flashback 2 Ende~
~Flashback 3~
"Ach komm schon! Ich hab dir auch was vorgesungen. Das heißt, dass du jetzt dran bist", argumentiert Jay und ich seufze tief. Er hat ja eigentlich Recht. Das wäre sonst ziemlich unfair.
"Na gut... Was soll ich denn singen?", frage ich schießlich und wir beide überlegen kurz.
"Wie wär's mit 'People Help The People'?", schlägt er vor und ich nicke einverstanden.
"God knows what is hiding in that weak and drunken heart. I guess you kissed the girls and made them cry. Those hardfaced Queens of misadventure. God knows what is hiding in those weak and sunken eyes. A Fiery throng of muted angels. Giving love and getting nothing back, oh. People help the people. And if your homesick, give me your hand and I'll hold it. People help the people. And nothing will drag you down. Oh and if I had a brain. Oh and if I had a brain. I'd be cold as a stone and rich as the fool. That turned, all those good hearts away...", singe ich und als ich ende, schaue ich Jay erwartungsvoll an. Er schaut mich einfach nur an.
"So schlimm?", frage ich panisch und er schüttelt nur verneinend den Kopf.
"Das war voll gut. Weißt du was? Ich finde, wir sollten eine Band gründen. Nur du und ich", sagt er und ich schaue ihn stutzig an.
"Wäre das dann nicht ein Duo? Ich meine, wenn nur du und ich dabei sind...", frage ich und er nickt langsam.
"Ich finde, wir sollten ein Duo gründen. Nur du und ich", verbessert er sich und ich lache automatisch los.
Selbst nach erst einem Jahr hier sind Jay und ich uns so nah wie Geschwister. Na klar, keiner kann Nick ersetzen und keiner wird es auch so können, wie er, aber Jay ist schon nah dran. Und ich würde sogar sagen, dass wir beste Freunde sind. Da kann ich mir nämlich sicher sein.
"Also ich wäre auf jeden Fall dabei", sage ich zu und lächele ihn breit grinsend an.
~Flashback 3 Ende~
Plötzlich durchströmt mich schmerzhaftes Kribbeln.
Und wieder...
Und wieder...
Und plötzlich ist alles weg und löst sich in dunklen Rauch auf. Wenig später hat sich jedoch eine andere Gestalt gebildet.
Nämlich ein Mann. Hellhäutig und mit Militärfrisur. Sein Gesicht ist spitz und sehr knochig, was seine sowieso schon blasse Haut nur noch weißer aussehen lässt.
Sein Grinsen, dass er mir zuwirft, macht mir verdammt große Angst und lässt einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen.
"Wer- Wer sind Sie?", frage ich eingeschüchtert und weiche ein paar Schritte nach Hinten.
"Erkennst du mich nicht, Lily? Das enttäuscht mich aber jetzt wirklich. Du solltest dich eigentlich an mich erinnern können...", säuselt er und seine Stimme kommt mir so merkwürdig bekannt vor. Er im Ganzen ist mir so seltsam bekannt.
"Ich bin's! ..."; sagt er, doch seinen Namen bekomme ich nicht mit. Es scheint, als würde er sich entfernen. Weit weg sein und auch er verschwimmt und mit ihm die ganze Umgebung. Alles um mich herum verschwimmt.
"Was? Nein! Ich muss wissen, wer Sie sind!", rufe ich noch, doch alles scheint sich zu entfernen und wieder bildet sich etwas Neues.
Ich bin wieder in meinem alten Zuhause. Damals, als noch alles gut war.
Ich schaue mich schnell um und plötzlich knackt die Tür hinter mir. Ich drehe mich dahin und sehe Mich. Oder besser gesagt, mein vierzehnjähriges Ich, welches nichtsahnend in den kleinen Flur tritt.
"Verschwinde hier", raune ich ihr zu. Schließlich weiß ich, was jetzt kommt. Doch hingegen meiner Warnung, ruft mein damaliges Ich nach meinen Eltern und geht schließlich nach Oben, wohin ich ihr folge.
"Glaub mir, du willst das nicht sehen", sage ich zittrig und laufe ihr nach. Sie jedoch weiter und bleibt kurz vor der Schlafzimmertür meiner Eltern halt.
"Geh da nicht rein, Lil", bitte ich sie ein letztes Mal.
Allerdings hört sie mich immer noch nicht. Und genau das ist auch der Grund, warum sie die Tür aufschwingen lässt und zu dem mir in mein Hirn gebranntes Bild sieht. Meine Eltern, mit ihrem Blut überströmt und mit den allzeit offenen Augen, die mein Ich nun ansehen. Direkt.
Die vierzehnjährige Lily fängt an lauthals los zu schreien und unbeholfen nach hinten zu taumeln. Und bei dieser Erinnerung schmerzt mein Herz.
Dieses Bild wird sie nämlich nie wieder vergessen...
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