6. Kapitel - Erlösung
Das Licht des anbrechenden Tages schien heute ein Nachzügler zu sein und nicht wie gewöhnlich das Erste, das die Bewohner der Stadt Kaadi zu Gesicht bekamen. Die Kutschen auf den holprigen und ausbesserungsbedürftigen Straßen außerhalb der Stadt schienen ebenso die nahende Spannung und Angst zu spüren, wie die Tiere im angrenzenden Wald. Der Wind fuhr, wie als würde er seine Zustimmung ausdrücken wollen, durch die Nadeln und Blätter der Bäume und schien sich kaum beruhigen zu wollen.
Der Großteil der Anwohner schien noch zu schlafen, auch wenn die Bauern schon längst auf ihren Feldern die Arbeit aufgenommen hatten. Doch von diesen möchte ich nun nicht erzählen.
Denn die Menschen, oder welches Wesen sie in die Nacht ausübten, eines bestimmten Viertels, hatten sich zusammen auf die Straße getraut. Kutschen wichen den Fußgängern nur widerwillig aus, doch auch wenn sie es nicht taten, die Bewohner hatten sich zu einer Horde wütender Wölfe zusammengerafft, die niemand aufhalten konnte. Mädchen und Jungen, Frauen sowie Männer waren gekommen und hatten sich der Prozession angeschlossen. Einige hielten sich im Hintergrund, als wären sie noch nicht so ganz davon überzeugt, dass dieser Auflauf nötig war, doch auffallen wollten sie ebenso wenig. Manch andere hielten sich stärkend an den Händen, riefen Kutschen zur Seite oder liefen voraus, um den Anfang der Gruppe zu bilden. Alle schienen ein gemeinsames Ziel zu verfolgen und genau zu wissen, wo sich dieses aufhielt.
Dann, für jeden hier hatte es in voller Erwartung eine Ewigkeit gedauert, stoppte die Menge, als wäre ein Schlusssignal ertönt. Vor den Bewohnern erhob sich ein Haus, kaum höher als einen Stock musste es sein, doch alle starrten, beängstigt oder siegessicher, auf die Haustür. Jeder wusste seit Kindesbeinen an, wer in dieser Hütte wohnte. Schaurige Geschichten wurden über den Mann erzählt, der dort hausen sollte und doch war schon jeder einmal im Inneren gewesen. Freiwillig und ohne Zwang hatte man Uhren reparieren lassen, sich über die fremde und seltsame Gestalt gewundert und ab und an schräge Witze über ihn erzählt. Kinder machten einen großen Bogen um das Haus, auch wenn in diesem Augenblick niemand Zuhause war und fürchteten sich vor dem Hausherr.
Ein Mädchen, kaum älter als 16 Jahre, löste sich zögernd aus der Prozession und trat an die Tür. Der Wind umspielte ihre braunen Haare sowie ihre dünne Gestalt, während ihre schwarze Lederjacke sich sträubte, in das Spiel miteinzustimmen. Einen letzten Blick warf sie mit ihren goldenen Augen über die Schulter. Dann hob sie ihr Haupt und klopfte drei Mal gegen die hölzerne Tür.
Von Drinnen hörte man ein leises Aufschrecken, dann ein seltsames Poltern und schließlich wurde die Tür, die quietschend in den Angeln hing, aufgeschoben.
Düsteres Licht fiel auf die Straße und während die Tür noch weiter aufgeschoben wurde, kam nach und nach eine dürre Gestalt zum Vorschein. Ihre Kleidung hielt sich in dunkleren Tönen. Auf dem Haupte trug der Mann einen Zylinder, der seine zurückgebundenen Haare unter sich begrub, die Hände umhüllten Handschuhe, die ebenfalls der Farbe der Nacht glichen. Eine Kette zierte seinen Hals, die mit Zahnrädern und Federn bestückt war.
Der Mann hob eine seiner Augenbrauen, als er den Auflauf bemerkte, der sich vor ihm auftat. Seine grünen Augen weiteten sich verwirrt, wodurch sein seltsames Lächeln verstärkt wurde.
Die Frau, die an die Tür geklopft hatte, wich einen Schritt zurück und strich ihre Kleidung zurecht. Dann hob sie erneut den Kopf und sprach mit zitternder Stimme: „Zacharias Zyraikus..." Schnell räusperte sie sich und fuhr deutlich selbstbewusster fort: „Wir fordernd dich auf, uns zu folgen. Wir alle sind uns einer Meinung: Du musst ein Werwolf sein. Bitte leiste keinen Widerstand, denn dieser ist zwecklos."
Der Uhrenmacher schien erst jetzt zu begreifen, wollte protestieren und öffnete seinen Mund. Doch dann trat ein seltsamer Ausdruck in seine Augen und leise meinte er: „Wie du meinst, Mia." Wortlos trat er an dem Mädchen vorbei und stürzte sich in die Menge, die sich wie ein stiller Kreis um den Verdächtigen schloss. Sofort setzte sie sich in Bewegung und Mia mischte sich wieder unter die Menschen ihres Viertels.
Nach einigen Minuten, es schien nicht lange gedauert zu haben, hatten sie den Rand von Kaadi erreicht. Vor den Anwohnern tat sich eine seltsame Konstruktion auf, die ganz und gar aus Holz bestand. Eine Ausnahme war die Klinge, die sich über einem Podest in die Luft erhob und nur mit seinem dünnen Seil befestigt, an dieser Stelle verharrte. Ein blonder Mann, Erik hieß er und die Wahrsagerin Yuna traten zu Zacharias und fixierten ihn an beiden Flanken, sodass eine Flucht unmöglich wurde. Die Menschen teilten sich, während die Drei zum Podest gingen. Ein weiteres Mädchen kam herbei und fesselte Zacharias' Arme. Yuna und Erik jedoch hielten nicht inne und führten den Angeklagten zur Schlachtbank. Seinen Kopf drückten sich auf die Stelle, die sich unter der Klinge befand und traten dann zurück.
Nun wurde eine weitere Frau sichtbar, die ihren Platz mit dem dünnen Seil in der Hand an Zacharias' Kopf fand. Ihr Aussehen glich dem eines Jägers und diesen Beruf schien sie tatsächlich auszuüben. Zum letzten Mal ließ Zacharias seinen Blick über die Anwesenden gleiten.
Emily, eine Medizinstudentin, schien unruhig zu sein. Ihre braunen Augen huschten wie wild auf der Lichtung umher und ab und zu tat sie einen Schritt auf Zacharias zu. Ihre Hände spielten mit der Kette ihrer Mutter, die sie um den Hals trug.
Dahlia, die Bibliothekarin des Ortes, blickte unsicher auf die Guillotine und runzelte die Stirn. Sie schien einfach zu hoffen, dass der Seher die Wahrheit gesprochen hatte und der Uhrenmacher tatsächlich ein Werwolf war.
Nicky dagegen schien kalt gegenüber der anstehenden Hinrichtung zu sein und hielt das dünne Seil stur in der Hand. Kaum ein Zittern durchfuhr ihren Körper, während sie auf den Mann herabblickte, der dem Tod näher war als dem Leben.
Auch Livia war gekommen, das Mädchen, das ihre Eltern im Feuer verloren hatte. Man sah sie oft auf den Straßen des anwesenden Viertels, obwohl sie dort nicht zu leben schien. Ausdruckslos starrte sie auf den Boden.
Louise und Valerie, die beiden Schwestern, hatten sich an den Händen gefasst. Louise hatte die Augen geschlossen und sich ein wenig auf die Seite gedreht, damit sie den Mord nicht sehen musste. Valerie dagegen umfasste eine Kette, die einen Anhänger trug, dessen Symbol wohl ein Adler war. Kühn starrte sie auf Zacharias.
Mira hatte sich neben Yuna, die Wahrsagerin, niedergelassen. Beide schienen sich nicht sicher zu sein, was sie von dieser Verurteilung zu halten hatten, doch niemand wagte es, den Blick abzuwenden.
Leos und Mias Körpersprache dagegen zeugte von Siegen und Erfolg und so wusste jeder, was diese beiden Mädchen von der Verurteilung hielten.
Luna, die auf einem Bauernhof lebte, hatte sich hinter ihre Mentorin gestellt und kaute unruhig auf ihren Lippen. Sie schien aufgeregt, doch nicht angeekelt zu sein.
Neko baute sich gerade am Rande der Gruppe auf, um wirklich alles sehen zu können. Vielleicht war die Schriftstellerin auf der Suche nach einer realistischen Schreibweise einer Hinrichtung, vielleicht hatte sie Zacharias aber auch nie wirklich gemocht.
Emma und Elyria grinsten ebenso siegessicher, als würden sie ziemlich sicher wissen, dass der Mann auf dem Podest ein Werwolf war. Keiner der Beiden schien sich wirklich zu ekeln.
Und Erik, der letzte Mann in der Truppe, sah, gegen einen Baum gelehnt, eher gelangweilt aus, als betroffen.
Und dann, dann wurde auf Zacharias' dunklem Gesicht ein Lächeln gemalt. Sein Kater war gekommen. Sein Noctur.
Zacharias schloss die Augen, um die Klinge nicht sehen zu müssen, die seinen Tod bedeutete. Er schuckte und atmete tief die frische Luft ein. Wie würde es sein ohne Kopf? Sicherlich ein seltsames Gefühl, würde man es spüren, doch er wusste, er würde es nicht mehr fühlen. Er hörte die Klinge rauschen, wie sie auf ihm zuschoss, ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Hals, doch die Schwärze ließ ihn noch für einen kurzen Moment in Ruhe.
Etwas unvorhergesehenes war geschehen, das wusste er, als ein Raunen durch die Menge zog. Dann wurde vor seinem inneren Auge alles schwarz und sein Puls setzte aus.
„Emily!", schrie ein Mann und kämpfte sich durch die erstarrten Menschen.
Das Mädchen war im letzten Moment auf das Podest gesprungen, als die Klinge auf Zacharias zusauste. Tränen hatten ihre Kleidung durchnässt und sie war nicht mehr zu halten gewesen. Emily hatte sich ebenfalls unter das Messer geworfen, doch sie war zu langsam gewesen, als dass sie vom Tod geholt werden konnte.
Der Mann, der augenscheinlich ihr Vater war, stürmte auf die Verletzt zu, während Nicky die Klinge wieder an ihren ursprünglichen Platz zog.
Der Vater strich seiner Tochter sanft über den Kopf und seine Augen wurden glasig. „Was hast du dir dabei nur gedacht?", flüsterte er verzweifelt und versuchte die Blutung zu stoppen, die ihre Wunde bildete.
Doch Emily schüttelte nur schwach ihren Kopf. „Ich habe Nico geliebt. Ich kann ohne ihn nicht leben." Schnell hob der Mann sie hoch, doch Emily schrie verzweifelt: „Lass mich runter! Ich will nicht mehr..." Weiter kam sie nicht, denn er legte ihr einen Finger auf ihre Lippen.
„Ich will zu Mama."
„Werwolf"
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Dieses Kapitel ist irgendwie seltsam geworden xD Habt ihr Tipps?
Zacharias war übrigens ein Werwolf.
Der Amor hatte Emily und Nico verliebt und da Nico starb, musste Emily nun auch Selbstmord begehen. Da sie aber der harte Bursche ist, stirbt sie nur beinahe.
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