Brandanschlag
Laute Stimmen waren zu vernehmen, die allem Anschein nach aus der Richtung des Dorfplatzes kamen. Sie klangen aufgeregt und übertönten das kräftige Gezwitscher der Vögel, das sich über das Dorf gelegt hatte. Der stille Wind versuchte die zwei Gestalten zu beruhigen, doch jegliche Mühe war vergebens. Die Zwei lieferten sich einen Streit, den niemand so leicht bändigen konnte.
Zwei junge Frauen standen mitten auf dem Platz und erweckten wohl mit ihrer Diskussion, die wahrlich nicht leise von statten ging, die gesamten Bewohner, die noch seelenruhig träumen mussten. Die eine Frau, sie trug feuerrotes Haar, hatte gerade ihrem Gegenüber eine heftige Unterstellung an den Kopf geworfen.
„Ich weiß, dass du es bist, Sophia. Niemand außer dir hat eine so lange Narbe an der Wange", zischte sie und baute sich vor der Anderen auf. Ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt und ihre grünen Augen funkelten vor Wut. Niemals hätte sie erwartet in ihrem Leben jemals so aus der Haut zu fahren wie jetzt, doch ihren Ärger konnte sie nicht mehr bändigen. Viel zu viel war ihr der Druck und ihre Vermutungen geworden. Sie wollte nur den Schuldigen finden, bestrafen und die unzähligen Tode rächen.
Die blonde Frau hingegen war bis zu diesem Zeitpunkt noch ruhig geblieben, aber jetzt, wo sie hörte was Sophie wirklich über sie dachte, war auch Sophia einem Wutausbruch nahe und meinte mit zusammengebissenen Zähnen: „Wie du nur so etwas über mich denken kannst." Abgrundtiefer Hass beherrschte ihre Stimme und ließ Sophie zurückfahren.
Dann richtete sich Sophia auf und erklärte schon fast sachlich: „Meine Narbe habe ich von meinen unzähligen Trainingsstunden. Ich trainiere, damit ich mich im Falle eines Angriffes verteidigen kann." Unbedingt wollte sie den Verdacht der Waisen loswerden. Sie wusste, dass man Sophie glauben schenken würde und nicht ihr, vor allem jetzt nicht mehr, wo der scheinbar unwiderlegbare Beweis der Narbe bestand.
Sophie musterte die Jüngere ausgiebig und schien nach einer passenden Antwort zu suchen, doch dann wurde sie stutzig und antwortete gespielt nachdenklich: „Eine solche Narbe entsteht nicht innerhalb von drei Tagen. Und vorher wusste niemand von den Werwölfen." Sophie schien sich sicher, dass sie die Verdächtige nun in die Enge getrieben hatte und sie ihre Taten endlich zugeben würde. Doch sie war zu naiv um glauben, dass jemand einen Mord zugeben würde.
„Ich komme von weit her, meine Liebe. Und dort, wo ich einst lebte, wimmelte es nur so von Werwölfen." So unwahrscheinlich ihr Argument war, so sagte sie die Wahrheit und hoffte wieder, die nervige Waise von sich abzubringen. Doch nicht wie sie geglaubt hatte, dass sie von sich ablenken würde, trat ein, nein. Sophie schien noch mehr bestätigt worden sein.
Sie stieß ein ersticktes Lachen aus: „Und das soll ich dir glauben? Es klingt wie die dämlichste Ausrede aller Zeiten!" Sophia war erstaunt und verärgert zu gleich. Wie konnte diese Göre es nur wagen auf ihrer Vergangenheit herumzureiten, wo sie doch selbst ihre Eltern und alles was sie liebte verloren hatte?
„Ich posaune es nicht laut herum. Ich mag diese Fragen nicht, die mir jeder stellen wird, wenn sie es wissen." Kurz flammte in Sophies Augen Verständnis auf und Sophia wusste, dass sie einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. „Weißt du was, Sophie? Ich klage dich ebenfalls an. Jeder von uns hat eine dunkle Seite und jeder soll wissen, welche deine ist", knurrte sie mit zu Schlitzen verengten Augen, „Du willst von dir ablenken."
Doch mit ihren Worten wich alles Mitgefühl aus der Älteren und sie trat einen Schritt näher. Ihr Atem ging schnell und ließ einzelne Haare auf der Haut Sophias aufstellen. „Ich habe eine dunkle Seite, aber ich habe es mir nicht ausgesucht Waise zu sein." Ihre Stimme klang kalt, als wäre sie aus hauchdünnem Eis, das einzelne Splitter an seine Umgebung abgab. „Aber wie sollte ich jemals die Leute umbringen, die mich aufgenommen und aufgezogen haben, sich um mich kümmerten, als ich es am meisten brauchte. Wie sollte ich jemals meine Familie umbringen können?" Plötzlich fragte sich Sophia, ob es eine gute Idee war, sich mit dem beliebtesten Mädchen des Dorfes anzulegen, denn sie wusste, niemand würde ihr Glauben schenken.
„Aber als Werwolf hast du keine Kontrolle über dich. Du kannst dir nicht aussuchen, wen du ermorden wirst." Sophia bebte, doch ihre Stimme war ganz ruhig. Keine Wut der Welt würde ihr den Sieg bescheren, nur Gelassenheit war in diesem Augenblick nicht leicht beizubehalten.
„Sehr interessant, dass du das weißt", murmelte Sophie und biss sich auf die Lippe, bei dem Gedanken, einen echten Werwolf vor sich zu sehen. „Hast du es denn selbst schon einmal erlebt?" Sie klang sarkastisch und siegessicher, doch die Blonde hatte auch hier eine der von Sophie genannten Ausreden parat: „Wie ich bereits gesagt habe, lebte ich in einem Dorf voller Werwölfe und ich habe mich zu dieser Zeit besonders mit den Tieren beschäftigt. Ich habe Bücher aus Sichten der Werwölfe gelesen, doch diese wurden nach der Entlarvung dieser mit ihnen verbrannt."
Zu ihrer Aussage wollte Sophie anscheinend nichts sagen, denn sie sprach nun ein ganz anderes Argument an: „Ein Mädchen, welches wie eine Schwester für mich war, wurde ermordet und du weist offensichtlich die gleichen Merkmale auf, wie einer der Werwölfe. Ich möchte mich rächen für die Taten, die du begangen und vertuscht hast." Die Stimme des Mädchens wurde immer schriller und hysterischer, bis sie wohl auch die letzten Schlafenden aus ihrem Bett geschrien hatte.
„Ich könnte niemanden töten, Sophie. Ich sehe meine Mutter anstelle der Toten und würde es nie im Leben über mich bringen, jemanden so leiden zu sehen, wie ich es damals musste. Ich weiß nicht, wie du es mit deinem Gewissen vereinbaren kannst mir so eine Schandtat zu unterstellen, aber sei dir sicher, dass ich niemanden den Tod wünsche."
Plötzlich wurde das Gezanke durch ein dunkles Schnaufen unterbrochen und die Beiden drehten sich in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien. Ein mittelgroßes Mädchen mit langen, braunen Haaren eilte auf Sophie und Sophia zu und kam kurz vor den Zweien zum Stehen. Ihre Wimpern, an denen kleine glänzende Tropfen Wassers klebten, waren ungewöhnlich lang, doch ihre Schönheit wurde von dem kräftigen Schluchzen durchbrochen, das das Mädchen schüttelte. Sie wischte sich schnell über die verweinten Augen, bevor sie mit zitternder Stimme zu sprechen begann.
Keines der drei Wörter kam ihr leicht über die Lippen und sie betonte jedes ausführlich: „Miley ist tot." Betretenes Schweigen trat ein und ließ die Anwesenden für kurze Zeit ihren Streit vergessen. Als Sophie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, wurde sie jedoch von einem unheimlichen Knurren davon abgehalten. Die neu Hinzugekommene blickte sich erschrocken um und auch den zwei Streithähnen schien nicht wohl in ihrer Haut zu sein. Doch dann erblickten alle drei gleichzeitig drei Männer, die auf die Frauen zueilten.
„Seid ihr noch ganz bei Trost?", knurrte der Älteste von ihnen und schnaufte wild ein und aus, „Was macht ihr bei dieser herrgottsfrühe für einen Krach?" Er war aufgebracht, aber die Tatsache, dass fast Mittag war, ließ er völlig außer Kraft. Der Mann wollte zu einer Strafpredigt ansetzen, doch als er in die besorgten Gesichter der Mädchen blickte, verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck. Ohne auf eine Aufforderung der Männer zu warten, informierte Sophia mit wutverzerrter Stimme sie über den Tod von Miley.
Diesmal aber trat keine Schweigeminute mehr ein, denn Sophie äußerte nun ihren Verdacht: „Sophia war es, die nun schon drei unserer Familie umgebracht hat."
„Nein", murmelte der einzig Blonde der Männer völlig fassungslos. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht und seine Hände fingen an zu zittern, das in ein unkontrolliertes Wanken ausartete.
„Beruhige dich, Nathaniel!", flüsterte der Muskulöseste, aber wohl auch der Älteste beruhigend, doch auch seine Stimme war nicht mehr als ein dünnes Lüftchen.
Der Dritte aber schwieg für etliche Sekunden, bevor er sich räusperte, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: „Neon." Er holte noch einmal tief Luft, bevor er sich der Klage anschloss: „Neon, bitte glaube ihr. Ich weiß was ich gesehen habe, als der Tod keinen Zentimeter von mir entfernt war. Eine Narbe, eine solche, die sie mit ihr trägt, schimmerte auf der Wange eines Werwolfes, der für Cathlairs und Kiras Tod verantwortlich war. Nur sie kommt für mich infrage." Wieder trat Stille ein uns Sophia schluckte hart. Charles' Beitrat hatte das Ruder herumgerissen und ihr wurde schlagartig klar, dass niemand ihr bei ihren Verteidigungsversuchen beipflichten würde. Sie wusste plötzlich, dass sie so elend enden würde, wie die Werwölfe ihres Heimatdorfes. Bilder aus Flammen, Fell und Schreien zogen an ihr vorbei und trieben ihr eine Gänsehaut auf. Ihre Arme wurden von kräftigen Händen gepackt und ein rothaariges Mädchen, das wohl durch ihre Diskussion geweckt worden war, brachte ein raues Seil, mit dem man sie fesselte.
Sophia wehrte sich nicht, denn sie wusste, dass sie gegen drei Männer, deren Kräfte sie nicht einschätzen konnte, keine Chance hatte. Wortlos und grob wurde sie durch die Gassen geführt, hinaus aus dem Dorf und hinein in den dunklen Wald, der für immer ihr Grab werden würde. Einige Minuten lang wurde sie um die Bäume gezerrt, bis sich plötzlich der Wald lichtete und ein Teich zum Vorschein kam.
Die Mittagssonne spiegelte sich wellenförmig im aufgewühlten Wasser. Ein ekelhafter Dampf legte sich auf ihre Haut und wurde leicht befeuchtet. Doch dann entdeckte Sophia das, was sie gehofft hatte, sich ersparen zu können. Unzählige Stapel an Holz waren zu einem so umwerfenden Hügel geschichtet worden, dass sie sich fragte, wie es die Bewohner angestellt hatten in ihn so kurzer Zeit aufzustellen. Auf der Spitze war ein hölzerner Pfahl angebracht worden und Sophia wurde nach anfänglichem Zögern dorthin geführt und festgebunden. Erstaunlicherweise hatte man von hier aus einen wunderbaren Ausblick. Knapp konnte sie die Spitzen der Dächer sehen, die sich mit denen der Bäume wunderbar vermischten. Doch das Mädchen wusste, dass sich keiner mehr im Dorf aufhalten würde, denn alle waren zu ihrer Verurteilung gekommen. Sophie, mit der sie sich soeben noch gestritten hatte, lehnte siegessicher an eine der Fichten und beobachtete sie gehässt, als wüsste sie, wie sich das Sterben anfühlen würde. Neben ihr stand Lilli, das Mädchen, das sie gefesselt hatte und unterhielt sich anscheinend mit Sophie, die nur mit halbem Ohr zuhörte. Dann sah Sophia noch Valerie, die ihren Bogen um die Schultern gehängt hatte und wahrscheinlich nur darauf wartete, ihr in den Kopf schießen zu können. Und auch Ginny, die lebensfrohe Rothaarige und Luna, die ihre schwarzen Haare über die Schultern fallen ließ, waren gekommen. Doch direkt vor dem Scheiterhaufen knieten Leo, Louise mit den schönen Wimpern und Lisbeth, in deren Augen Sophie nur Hass erkennen konnte. Natürlich waren auch Nathaniel, Neon und Charles da. Charles fiel ihr besonders ins Auge, mit all seinen Schrammen und Wunden, die er trotz seiner Rettung davongetragen hatte. Aber nicht nur Lebende waren gekommen. Sophia spürte die Anwesenheit Cathlairs, Kiras und Mileys Geist.
Die leichte Melodie des Windes schien so fein und leicht wie das Lied, das Cathlair vor ihrem Tod gespielt hatte. Kira ließ Blätter um Sophias Gesicht flattern und berührte ihre Haut, als würde sie gleich in Rauch aufgehen. Und Miley, der fröhliche Junge, zog an ihren Kleidern, als wolle er sie in den Tod ziehen
Plötzlich flammte helles Licht vor den Augen der Gefesselten auf. Louise hatte das Feuer entzündet, das sich quälend langsam an den einzelnen Holzscheiten hinauf zu ihr wandte. Langsam lechzte es an ihr und setzte ihre Kleidung in Brand. Ungeheure Hitze schlug ihr entgegen und der Ruß färbte ihr Gesicht schwarz. Dann legte sich Finsternis über das Mädchen und eine kalte Hand umfasste ihr Herz, die es zu zerdrücken schien. Sie stieß einen Schrei aus, voller Wut und Angst. Sophia wusste genau, wie ihr geschah, als sich ihre blonden Haare aufrichteten. Fell schoss ihr an den ungewöhnlichsten Stellen aus der Haut und ihre stumpfen Menschenzähne wuchsen, bis sie das Ausmaß eines Dolches erreicht hatten. Ihr Rücken krümmte sich und ihre Fessel zersprangen. Sie hätte fliehen können, doch es war bereits zu spät. Ihr Körper flammte auf, reckte sich in den Himmel und ging in Rauch auf.
„Werwolf"
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Ich muss sagen, das Kapitel ist lang geworden und es hat mir ungeheuren Spaß gemacht Sophias Tod zu beschreiben xD
Habt ihr Tipps?
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