Kapitel 3
Es gab zwei Möglichkeiten.
Entweder jemand hatte sich einen äußert unpassenden, von der Durchführung her auch äußerst umfangreichen Plan überlegt, sich mit ihm einen Scherz zu erlauben, oder...
Er schaute auf, sein Blick wanderte von Herrn Doktor Asbeck zu den beiden Frauenzimmern, die noch immer stillschweigend im hinteren Teil des Raumes standen und dann wieder zurück.
Oder...
Er schluckte.
Oder sowohl das hysterische Blondchen, als auch den Doktor, hatte es bereits beide um den Verstand gebracht.
„Herr Professor Nietzsche...", begann der Doktor dann plötzlich von neuem, hob beim Sprechen sogar die Hände, als wollte er Nietzsche suggerieren sich jetzt bitte bloß nicht nicht aufzuregen, „Herr Nietzsche, ich kann verstehen, dass das gerade alles sehr viel für Sie sein muss. Finden Sie erstmal etwas zu sich, werden Sie richtig wach und vielleicht fällt Ihnen dann ja auch wieder ein, wohin Sie des Weges waren und gegebenenfalls auch was passiert sein könn..."
„Hören Sie, ich bin wach genug um sicher sein zu können, nicht zu träumen und wenn ich Ihnen doch sage, dass ich mich zuletzt in Turin befunden habe und meinen morgendlichen Rundgang durch die Stadt getätigt habe, der gewohnheitsmäßig beim Piazzo San Carlo endet!"
Der Doktor nickte, ehe er weitere vielsagende Blicke mit den Schwestern tauschte, verschränkte dann jedoch die Arme vor der Brust, bevor er weiter sprach.
Nietzsche missfiel diese Haltung.
Man musste kein geneigter Analytiker sein um aus solchen Armposen lesen zu können, selbst er als Misanthrop par excellence war dafür noch Menschenkenner genug.
Doch weshalb schienen sowohl Doktor, als auch Schwestern ihm gegenüber so misstrauisch?
Doch Nietzsches Gedankenkarussell stoppte abrupt, sowie der Doktor erneut zum Sprechen anhob:"Herr Nietzsche, ich glaube Ihnen, dass Sie uns nicht anlügen, genau so lügen wir Sie nicht an. Aktuell befinden Sie sich allerdings in Berlin."
Und er deutete mit einem Kopfrucken gen Fenster, als würde der Ausblick den triftigen Beweis liefern.
Nietzsche überlegte, schob dann jedoch die Füße erneut vom Bett und schwang sich, wenn auch recht unbeholfen, zurück auf die Beine.
Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie die beiden Schwestern merklich zusammenzuckten und das selten lästige Blondchen bereits einschreiten wollte, der Doktor Asbeck - als Retter in der Not - hob schweigend die Hand, worauf sich beide Weibchen wieder beruhigten.
Wenn auch sich alles in ihm dagegen sträubte, so kämpfte er sich seinen Weg bis hin zum Fenstersims, klammerte sich beinah krampfhaft am Rahmen des großen Ausgucks feste und lugte durch das dicke Glas hindurch, nach draußen.
Für einen kurzen Moment starrte er einfach nur vor sich hin, ehe die Eindrücke, welche seine Vision erfassten bis hin zu seinem bewussten Ich vordrangen.
Und ruckartig wich er zurück.
„He-he!"
Um ein Haar hätte er das Gleichgewicht verloren und mit einem Mal fiel ihm wieder ein, wie furchtbar übel und schwindelig es ihm war.
Er keuchte, klammerte sich dann reflexartig am Arm des Doktors feste, welcher ihn im rechtzeitigen Moment zu packen bekommen hatte und ihn somit vor einem Sturz bewahrt.
Wohl an, er war offenbar noch nicht ganz Herr über seinen Körper im Moment, doch selbst das schien im justamenten Augenblicke zweitrangig.
Nietzsche atmete heftig, ließ sich dann, ohne auch nur ein Wort des Wiederstandes, zurück zum Bett führen und sich mit schnell pochenden Herzen auf den Rand der Matratze sinken.
„Frau Andres, wären Sie so freundlich mir etwas zur Beruhigung zu bringen, für Herrn Nietzsche?", wand sich dann Doktor Asbeck an das Blondchen, doch noch immer war der Philosoph dermaßen verwirrt, dass er der Unterhaltung der Zwein kaum folgen konnte.
Das was er da gesehen hatte... das war nicht Turin.
So sah Turin nicht aus, so sah überhaupt keine Stadt aus, die er bislang je gesehen hatte und er durfte wohl von sich behaupten bereits einige Städte bereist zu haben.
In Berlin war er selbst zwar nie gewesen, doch er hatte Zeichnungen gesehen, auf Postkarten.
Doch so hatte er die Abbilder nicht in Erinnerung.
So etwas hatte er noch nie gesehen.
Seinen Lebtag war er nie um Worte verlegen gewesen, das Schreiben, das Artikulieren hatte ihm bereits als Schüler keine Probleme bereitet, doch jetzt, in diesem Moment, ganz plötzlich, gingen ihm die Bezeichnungen für die Dinge, die seine Wahrnehmung ihm hergab, aus, obgleich er sich nie als Erkenntnistheoretiker verstanden hatte - im entferntesten Sinne vielleicht, ja - aber das...
Was waren das für Häuser? Nicht aus Stein, eher aus Metall schienen sie, manche Fronten waren komplett gläsernd und dann die Straßen...
Spiegelglattgrau und mit weißen Zeichen, wie die amerikanischen Ureinwohner sich zu bemalen pflegten, als Columbus mit seinem Schiff vor der Küster Amerikas ankerte.
Die Menschen... allesamt seltsam gekleidet, noch sonderbarer als diese Krankenschwestertracht es war..., ach was dachte er da, viel sonderbarer!
Eine Dame (er glaubte zumindest es wäre eine Dame gewesen, bei Dionysus, seine Augen waren nun einmal nicht die Besten) hatte sie pink getragen! Pink?
Wie um alles in der Welt schaffte Frau es ihre Haare pink zu bekommen?
Aber das Seltsamste aller Dinge, die sich dort unten vor dem Gemäuer in welchem er selbst sich verborgen hielt zutrug, das waren diese Fahrzeuge.
Er glaube zumindest, es wären Fahrzeuge, zumindest hatte er Menschen in dessem Inneren hocken gesehen, wie er sonst in Kutschen zu sitzen pflegte.
Er kannte Hippomobile und Dampfmaschinen, aber sowas hatte er noch nie gesehen und es war nicht nur Eines gewesen, nein, es waren Hunderte!
Sie fuhren rasend schnell, zugegeben, war er nie ein begnadeter Mathematikkenner gewesen und ein Gauß oder Leibniz waren an ihm mit Sicherheit nicht verloren gegangen (obgleich er der Astronomie, sowie der Physiklehre sehr zugetan war), doch er schätzte ihre Geschwindigkeit auf mindestens 30 Stunden Kilometer, wenn nicht schneller!
Sie waren in allen möglichen Farben bepinselt, blau, rot, silber, schwarz oder manche sogar gelb!
Nietzsche schüttelte es urplötzlich und mit einem Mal befand er sich zurück in der Wirklichkeit, hatte gar nicht gemerkt, wie stark er zu zittern begonnen hatte.
„Bromazepan würde ich vorziehen, fragen Sie Oberschwester Schülte bitte."
„Bromazepan? Noch immer Benzos? Sollten wir diese nicht langsam absetzten?"
„Ich denke es macht keinen Unterschied, ob wir nun einmal mehr oder weniger geben. Bringen sie auch gleich eine Penicilin-Infusion, bitte."
Erst, als das Blondchen die Tür hinter sich hatte ins Schloss fallen lassen, fand Nietzsche wieder zu sich, noch immer nicht fähig, sich zu rühren.
„Und Sie, Frau Mori, wären Sie so lieb und rufen Sie in der Radiologie an für mich?"
„Für einen MRT-Termin?"
Nietzsche wandte leicht den Kopf zur Seite, konnte erkennen, wie Doktor Asbeck aufgestanden war, und nun mit dem Rücken zu ihm, der kleinen Schwarzhaarigen zugedreht stand.
„Einmal Mammographie des Kopfes, sowie eine neurofunktionelle Bildgebung würde ich mir wünschen. Sagen Sie, der Patient ist verwirrt, sowie äußerst orientierungslos..."
Nietzsche hob leicht den Kopf, schaute dann allerdings direkt wieder zu Boden, in der Hoffnung weitere Gesprächsfetzen auffangen zu können.
Offenbar schienen sowohl Arzt, wie auch Schwester der Auffassung, er würde der Unterhaltung nicht folgen.
„Ich tippe auf eine dissoziative Amnesie, aber möchte dennoch somatische Ursachen ausschließen. Überprüfen Sie auch bitte nochmal später die Blutwerte, die letzten Leberwerte waren mehr als miserabel, und die Blutgasanalyse ergab einen bemerkenswerten Anteil an Trichlorethylin."
„Trichlorethylin? Ist..."
„Ist der Metabolit von Chloralhydrat, ich schließe also auch Drogenmissbrauch nicht aus, daher die Gabe der Benzos um einen kalten Entzug noch soweit abzufangen, bis er sich mental stabilisiert hat."
„Ich verstehe... und bis dahin?"
„Bis dahin spielen wir mit, es bringt nicht den Patienten unnötig aufzuregen, dafür sind die Laborwerte zu schlecht, das wäre fahrlässig, wenn er glaubt, er befände sich im 19. Jahrhundert und er wäre Friedrich Nietzsche, dann müssen wir das erst einmal so hinnehmen. Vielleicht finden wir über Verwandte etwas raus, die wir ausfindig machen können."
„Naja..." Konnte Nietzsche die kleine Schwarzhaarige mit einem Mal glucksen hören, „Ein wenig Ähnlichkeit hat er ja schon, muss ich sagen."
„Ich finde sogar ein wenig mehr, aber auch dazu fehlen uns nähere Informationen."
„Ich werd' unten anrufen und dann komme ich später für die Blutabnahme.", versprach Fräulein Mori schließlich, huschte dann ebenfalls, dem Blondchen nach, aus dem Zimmer hinaus auf den Flur und Nietzsche selbst hob schließlich den Kopf, sowie Doktor Asbeck sich wieder ihm zuwendete, wobei ein freundliches Lächeln dessen Lippen zierte.
Gerade in dem Moment, in dem der Doktor zu Sprechen ansetzten wollte, da wurde die Tür erneut geöffnet und die Hysterie-Patientin kehrte zurück, reichte dem Doktor stumm einen durchsichtigen Infusionsbeutel, sowie ein kleines schmales Döschen, in welchem Nietzsche weitere Medikamente vermutete.
„Was geben Sie mir da, wenn die Frage erlaubt ist?", leitete der Philosoph ein, noch bevor sich Doktor Asbeck an dem Katheter, an seinem Arm, zu Schaffen machen konnte.
Nietzsche war sich sicher, seine Haut rund um die Gelenkkapsel von Ulna, Radius und der Humerus war inzwischen taktiert genug, das Hämatom welches sich bereits jetzt schon abzeichnete, dessen Schatten würde er noch in zwei Wochen sehen, wenn nicht sogar spüren können.
Saftladen.
Da hatte er ja in der Provinz Naumburgs bessere Ärzte gekannt.
„Einmal etwas zur Beruhigung und damit Sie nachher auch gut schlafen können. Das können Sie mit einem Glas Wasser zusammen einnehmen, wenn Sie möchten.", erklärte Doktor Asbeck freundlich, stellte das Döschen dann auf dem Nachttisch ab, von wo es von Nietzsche scharfäugig gemustert wurde.
„Die Antibotika-Therapie haben wir direkt kurz nach ihrer Einlieferung begonnen. Sie hatten einen CRP-Wert von 16 und genauere Untersuchungen ergaben eine Syphilis-Infektion, wussten Sie davon?"
Nietzsche nickte und kurz hielt der Arzt inne, warf ihm einen beinah erschrockenen Blick zu, fing sich dann jedoch wieder.
„Und Sie haben sich noch keiner Behandlung unterzogen?"
„Ich bin seit je her in ärztlicher Behandlung, meines Kopfleidens wegen, aber doch nicht wegen der Syphilis.". erklärte Nietzsche, die Verwunderung Doktor Asbecks doch nicht ganz teilen könnend.
Was sollten seine behandelten Ärzte schon groß unternehmen?
Syphilis war nach aktuell-medizinischem Stand nicht behandelbar, davon abgesehen, dass er bis dato ja auch noch gar keine weiteren Probleme deswegen gehabt hatte.
„Wir haben auf jeden Fall mit einer Antibiotikum-Therapie begonnen.", erklärte Doktor Asbeck weiter.
„Antibiotikum?", wiederholte Nietzsche und langsam machte sich in seiner Magengegend ein recht ungutes Gefühl breit.
Und das war keine migränebegleitende Übelkeit.
„Anti" von „gegen" und „biotikum"... Bioteia... bios... Gegen das Leben?!
„Wir therapieren aktuell mit Penicillin, wir haben es jetzt während Sie komatös waren als Infusion verabreicht, aber wenn Ihnen das lieber ist, dann kann ich die Schwestern auch bitten es Ihnen direkt zu spritzen."
„Mir wäre lieber, Sie brächten mir etwas gegen meine Migräne, anstatt sich an der Syphilis aufzuhalten.", bemerkte Nietzsche, worauf Doktor Asbeck bloß nickte.
„Das was Frau Andres uns freundlicherweise geholt hat wird seinen Dienst tun, vertragen Sie Tavor, wissen Sie das?"
Nietzsche hingegen zuckte bloß mit den Schultern, inzwischen fühlte er sich beinah schon hinreichend betäubt, von den Informationsfluten, die in sekündlichen Abständen über ihn hinein brachen.
Er musste erst einmal selektieren und sich dann sammeln, zumindest war das sein momentaner Plan, denn noch immer geisterten die rädernden Metallmonster vor seinem inneren Auge umher und das Bild Utopias jenseits des Fensterglases.
„Für gewöhnlich greife ich auf Morphin, oder Chloralhydrat zurück, um Anfälle anzufangen und für meine Insomnia. Je nach Intensität.", erklärte er dem Doktor dann dennoch und kam nicht umhin zu bemerken, wie dessen Augen sich kurz erschrocken weiteten und für einen Moment schien es, als wüsste Herr Asbeck wirklich nicht, was er nun als nächstes sagen sollte.
Vermutlich wäre Nietzsche unter anderen Umständen über diese konfusen Reaktionen mehr als irritiert gewesen, hätte sich womöglich über die nicht vorhandenen Professionalität mehr als empört, doch im Augenblick beschäftigte ihn ganz andere Dinge.
„Und das Chloraldurat nehmen Sie unter Rücksprache Ihres Arztes zu sich?"
Nietzsche nickte: „Selbstverständlich sind meine Ärzte über die Einnahme unterrichtet."
„Beim Morphin das Gleiche?"
„Wie gesagt."
Herr Asbeck seufzte einmal gedehnt, ehe er kurz nickte.
„Na, das ist ja schonmal was. Herr Professor, die Blutuntersuchungen ergaben allerdings einen besorgniserregenden Leberwert, ihr Eiweiß-Anteil im Blut sollte dementsprechend beobachtet werden. Herr Nietzsche, ich möchte Ihnen ungern zu nahe treten und bitte erinnern Sie sich, dass ich zusätzlich unter der Schweigepflicht stehe, aber könnte es sein, dass Ihre Amnesie gegebenenfalls etwas mit einer Überdosis zu tun haben könnte?"
Nietzsche schwieg, musterte Doktor Asbeck dann genau, wie er ihn selbst schwach lächelnd beobachtete, das krause, dünne Haar und die freundlichen Fältchen rund um die Augen.
Er schätzte ihn um die 60, oder Ende 50.
Vielleicht etwas jünger, aber auf jeden Fall älter als ihn selbst.
„Wenn ich Ihnen das sagen könnte, dann würde ich das tun. Allerdings muss ich erneut deutlich machen, dass ich Ihnen alles gesagt habe, woran ich mich erinnern kann." , erklärte Nietzsche dann, immerhin war er soweit auch schon selbst gekommen, dafür brauchte es keinen Arzt.
Kurz überlegte er.
Es war vorgekommen, in den vergangenen Jahren, dass er bei starken Anfällen, oder auch sonst in schwachen Momenten, mehr genommen hatte, als die Maschine auf Dauer wohl aushalten würde, aber meist war er ohne große Nachwirkungen davon gekommen, ein paar Tage instabilen Kreislauf mal ausgenommen.
Aber eine komplette Amnesie, dazu dann das Erwachen in einer solche bizarren Lage... sowas hatte er auf seinen Lebtag noch nicht erlebt, nicht in 44 Jahren.
„Ich bezweifle es.", fügte er dann an, hatte er doch den Eindruck die vorherige Aussage alleine hätte den Doktor bislang nicht zufrieden gestellt.
Herr Asbeck nickte, erhob sich dann schließlich, schien kurz in eigene Gedanken versunken, ehe er Nietzsche kurz zunickte.
„Gibt es jemanden, den wir für Sie anrufen könnten, Sie trugen nichts bei sich.", brummte der Doktor dann, wandte sich dabei zum Gehen und tatsächlich fühlte sich Nietzsche mehr als erleichtert, hofft bloß einen Moment für sich gewährt zu bekommen, um sich hinreichend sortieren zu können.
Kurz überlegte er und für den Bruchteil einer Sekunde flackerte das Bild seiner Mutter und Lizbeths vor seinem inneren Auge auf, doch dann schüttelte er den Kopf.
Er würde ihnen selber schreiben, Lama regte sich ohnehin so schnell auf und aus Paraguay würde sie ihm so oder so keine große Hilfe sein können.
Und seine Mutter?
Die arme Franziska Nietzsche war in ihrem Leben bereits genug gestraft worden unter der strengen Fuchtel der Schwiegermutter und dem viel zu frühen Witwendasein, da musste er nicht auch noch diese sonderbare Versammlung von Medizinern auf sie loslassen.
Außerdem fühlte er sich bereits wieder gesellschaftsfähig, es würde wohl nicht mehr lange dauern und er würde entlassen werden, dann würde er sich direkt in den nächsten Zug nach Weimar setzten und von dort nach Naumburg weiter reisen.
„Okay, dann lassen wir Sie nun etwas zur Ruhe kommen und ich besuche Sie dann später nochmal, sobald die Laborergebnisse da sind. Frau Mori wird sie dann später zum MRT abholen und in diesem Zuge auch direkt etwas Blut abnehmen. Bis dahin können Sie sich etwas ausruhen, hier wird sich um sie gekümmert."
Und mit diesen Worten wand sich Doktor Asbeck zum Gehen, Nietzsche war sich nicht sicher, ob sein gemurrtes „Danke" beim Arzt wirklich angekommen war, aber was spielte das auch schon für eine Rolle?
„Herr Professor, Ihr Wasser."
Er nickte dem Blondchen zum Dank kurz zu, als dieses ein randvolles Glas befüllt mit klarer Flüssigkeit nächst seines Bettes, auf dem Nachttisch platzierte, damit er seine Tabletten einnehmen konnte.
„Ihre Sachen haben wir in den Schrank gehängt, wenn Sie etwas brauchen, dann müssen Sie nur den roten Knopf hier drücken, auf der kleinen Fernbedinung, ich würde Sie bitten uns zu rufen, da das Tavor auf den Kreislauf schlagen kann."
Stumm nickte Nietzsche.
In seinem Kopf drehte sich ohnehin schon alles.
Berlin, Turin, 2019, 1889, die Kutsche, das Pferd, die sonderlichen Hippomobile und Dampfmaschinen (sie hatten zwar nichts mit den Abbildungen gemein, die er bislang zu Gesicht bekommen hatte, doch eine bessere Bezeichnung mochte ihm, bei Dionysus, nicht in den Sinn kommen) ...
Das alles beanspruchte ihn und noch immer dröhnte und schmetterte der Sturm in seinem Kopf, auch wenn er es der ganzen Aufregung und Konfusion wegen vorerst hatte beiseite schieben können, so merkte er es doch nun, wo er langsam zur Ruhe fand, um so gewaltsamer.
Stumm seufzte er, als die Schwester schließlich den Raum verließ, ehe er ohne groß nachzudenken nach der kleinen Kapsel in dem Döschen auf seinem Nachttisch griff, diese mit ein paar großen Schlucken Wasser hinunterspülte.
Doch recht kurz war der Zeitraum, bis er merkte, dass er ruhiger wurde, das Gedankenkarussell endlich stoppte, zur rechten Zeit, wie er fand, denn langsam wurde ihm wirklich schwindelig.
Oder war das diese ominöse Tavor, welches nun seine Wirkung entfaltete?
Das hysterische Blondchen hatte ihn gewarnt, doch tatsächlich störte ihn das eher wenig.
Eher empfand er das leichte Schunkeln, ob nun der Realität entsprechend, oder bloß in seinem Kopf existierend, als angenehm.
Andererseits hatte Schopenhauer auch gesagt, dass die ganze Welt der Wahrnehmung bloß Imagination war und das Einzige a priori welches galt, der Satz vom zureichenden Grund ist.
Doch welche Ursache hatte ihn wohl in diese bizarre Situation gebracht...?
Erneut seufzte der Professor, denn ihm war klar, dass das Grübeln über die Kausalitäten seiner Erfahrungen sinnlos war, solange er sich nicht an die notwendigen Details erinnerte.
Außerdem war er kein Logiker, kein ordinärer Idealist...
Nietzsche schnaubte.
Was um alles in der Welt... war passiert...?
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