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Wer uns einst liebte
von Joules
Es war im Dezember ihres letzten Jahres an der Hogwartsschule, als Hermine aus dem hohen, schmiedeeisernen Tor des Schlosses trat, hinaus in den eisigen Winternachmittag. Sie hielt die Hand ihres Freundes, in dessen rotem Haar sich helle Kristalle verfingen und gemeinsam verließen sie die behaglichen, warmen Mauern von Hogwarts. Der Schnee, in all seiner Fülle und Schönheit, war über Nacht gekommen, als erster dieses Jahres, und so hielten die beiden Gryffindors unisono den Atem an, als sich die blütenweiße Landschaft wie Zuckerguss vor ihnen erstreckte. Zarte Flocken wirbelten durch die klare Luft und verfingen sich in den Nadeln der Tannenspitzen und der dunkel am Horizont aufragenden Bäume. Die Sonne schien: Wie leise goldene Fäden des Glücks flossen ihre Strahlen Hermines Wangen hinab und hinterließen ein Kribbeln auf ihrer Haut. Sie streckte die Hand aus, in das Treiben der kleinen Flocken und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als das kühle Nass ihre nackten Finger berührte und die kristallenen Blütenblätter der Flocke im Angesicht ihres warmen Atems verschmolzen.
Der Schnee war weich unter den dicken Sohlen ihrer Stiefel und die eisige Kälte des Winterwindes durchfraß den Stoff von Hermines Kleidung in Windeseile und betäubte die nackte Haut ihres Gesichtes und ihrer Hände, doch beides hätte Hermine kaum gleichgültiger sein können. Sie schloss nur die Augen, spürte die Kälte und die Stille des verschneiten Waldes, während ihr Atem wie Wolken zum Himmel emporstieg. Und als sie ihre Lider wieder hob, schlich sich ein liebliches Lächeln auf ihre Lippen, als sie direkt in das Gesicht ihren Freundes blickte, der sie leise musterte. Ron hatte sich zu ihr hinunter gebeugt und beim Anblick der Röte auf seinen Wangen, dem plötzlichen Gefühl seiner wärmenden Nähe, schlug Hermines Herz augenblicklich schneller. Sie konnte seinen Atem auf ihren Lippen spüren, als er näher kam, nur noch Millimeter von seiner wohltuenden Berührung entfernt.
„Wen haben wir denn da? Das Schlammblut und sein Wiesel!" Beim Klang der schnarrenden Stimme, die über die Ländereien bis hinüber zum verlassenen Wald hallte, zuckte Ron zusammen und fuhr ruckartig herum. Hermine dagegen seufzte bloß leise, bevor auch sie sich umdrehte, sich noch etwas enger an Ron presste, der seinen Arm schützend um die Taille seiner Freundin legte.
Vor ihnen stand Draco Malfoy, blass und hager wie eh und je, links und rechts flankiert von Crabbe und Goyle. Alle drei trugen sie lange schwarze Mäntel mit dunklen Kapuzen, die Hermine schaudernd an die Todessergewänder aus dem letzten Krieg erinnerten. Dracos Miene war zu einem gehässigen Grinsen verzogen, als er das junge Paar musterte und sein Blick an Rons Hand an Hermines Hüfte hängen blieb. „Na, da haben sich ja zwei gefunden. Wie überaus... rührend."
Hermine stöhnte innerlich. Ein Mal, ein einziges Mal, einen einzigen Samstag hatte sie mit Ron verbringen wollen. Zum ersten Mal in diesem Jahr hatte es geschneit, was konnte da schöner sein, als mit ihrem Freund durch die hellen Schneewehen zu tanzen und gemeinsam die Kälte und die Stille des Winters zu spüren? Warum, bei Merlin und Morgana, war ihr dies nicht vergönnt?
Gefrustet trat sie einen Schritt nach vorne und zischte durch ihre Zähne: „Was ist dein Problem, Malfoy?" Das gehässige Grinsen verschwand augenblicklich aus Dracos Gesicht und wich einer ausdruckslosen Maske. Auch er trat näher an Hermine heran, als er erwiderte: „Was mein Problem ist? Was mein Problem ist?! Mein Problem..." Erneut machte er einen Schritt nach vorne und kam Hermine näher, so nah, dass sich ihre Nasenspitzen beinah berührten, als er boshaft flüsterte: „..ist, dass sie Dreck, wie dich noch immer diese Schule besuchen lassen. An einer Zaubererschule haben armselige Schlammblüter wie du nichts zu suchen!" Die letzten Worte spie er beinahe, winzige Spuckefetzen stoben durch die eisige Luft, doch das beachtete Hermine gar nicht. Ein bitteres Lachen brach aus ihr heraus. „Armselig? Du nennst mich armselig? Weißt du, was armselig ist, Malfoy?" Sie stieß ihn an der rechten Schulter zurück, sodass Draco taumelte, sich jedoch gerade noch auf den Beinen halten konnte. Ihre Augen glühten vor Zorn und dem Hass, dem sie dem eiskalten Slytherin entgegenbrachte. „Es ist armselig, dass du immer noch glaubst, mehr wert zu sein, nur weil deine Eltern Zauberer waren und meine nicht. Es ist armselig, dass du an den längst überholten Werten der verdammt veralteten Reinblüterfamilien noch immer festhältst, obwohl Voldemort schon lange tot ist."
Mit jedem ihrer Worte stieg Hermines Wut weiter ins Unermessliche. Sie biss die knirschenden Zähne fest aufeinander und ihre Nasenflügel bebten. Ron, dessen Wangen einen undefinierbaren Rotton angenommen hatten, und der das Geschehen aus einigen Metern Entfernung besorgt beobachtete, schien Hermine gar nicht mehr wahrzunehmen. „Aber am armseligsten ist, dass du so großen Wert auf Herkunft und Elternhaus legst und selbst nie auch nur einen Fünkchen Liebe von deinen Eltern erfahren hast! Das, Malfoy," Sie ging ein paar Schritte zurück und griff nach Rons Hand. Ihre Miene war höhnisch und eine Spur überheblich, als sie sprach: „Das ist armselig."
Und mit diesen Worten zog sie Ron von den verschneiten Weiten fort, schritt diesen hinter sich herziehend und erhobenen Hauptes den weißgepuderten Weg zum Schloss zurück und ließ einen völlig sprachlosen, konsterniert blickenden Draco Malfoy zurück.
Nur wenige Stunden, aber einen stolzen Report von Ron gegenüber den anderen Gryffindors, zustimmendem Klatschen und Schulterklopfen, und mehreren bescheidenen Lächeln von Hermine später, war sie auf dem Weg in die Bibliothek. Es war früher Abend. Den ganzen restlichen Nachmittag hatte sie mit ihren Freunden verbracht, die, nachdem Ron vor allen die Geschehnisse auf den blütenweißen Ländereien noch einmal wiederholt und hier und da etwas ausgeschmückt hatte, in belustigtes Gelächter über Malfoy ausgebrochen waren und Hermine anerkennende Blicke zugeworfen hatten. Hermine war das mehr als minder unangenehm gewesen: Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt, erst Recht nicht für Worte, die eigentlich gänzlich ihren eigenen Werten wiedersprachen: Malfoy war ein Narr, ein Idiot ganz klar, doch sie bereute es sichtlich, sich mit ihrem kleinen Ausraster auf sein Niveau herab begeben zu haben. Während ihre Freunde also lachend und trunken vor Belustigung die Treppen in die Große Halle hinabgestiegen waren, hatte Hermine sich in die Bibliothek aufgemacht, um vor dem baldigen Abendessen noch etwas Ruhe und Zeit für sich selbst zu erlangen.
Doch gerade wollte sie den dunklen Korridor entlang, auf die große schwere Bibliothekstür zusteuern, als sie im Augenwinkel eine Bewegung bemerkte. Im Schatten einer in die Wand eingelassenen Nische stand Jemand, ein Schüler, der Statur nach zu urteilen. Instinktiv griff Hermine nach ihrem Zauberstab und mit einem leisen „Lumos" erhellte sich das Gesicht ihres Gegenübers. Vor ihr stand Malfoy, das Gesicht zu einer gehässigen Fratze verzogen. „Angst, im Dunklen, Granger?" Hermine ärgerte über sich selbst, dass sie aus der alten Gewohnheit heraus, sofort zum Zauberstab gegriffen hatte. „Definitiv nicht!" antwortete sie bissig und ein wenig kindlich trotzig, wollte sich abwenden, als ihr Dracos Gesicht genauer ins Auge fiel.
Er war blass, noch blasser als vorhin und dunkle Ringe zogen sich unter seinen Augen entlang. Sein Gesicht war eingefallen und leer, auch das hatte sie zuvor am Rande des Verbotenen Waldes nicht bemerkt. Seine Haut war dünn und zerknittert, wie abgenutztes Pergament, rau und rissig wie alter Marmor. Doch war es weder sein Hautton, noch die dunklen Schatten in seinem Ausdruck, die sie innehalten ließen: Es war der Schmerz in seinem Blick. Die Qual, die in seinen grauen Augen lag. Die Fakten sprachen für sich: Draco Malfoy leidete, das war kaum leugbar. Sie musterte ihn, doch diesmal nicht höhnisch und spöttisch, sondern beinahe besorgt.
„Was ist los, Malfoy?" Hermine zog die Stirn kraus und konnte nicht verbergen, dass eine Spur fürsorgliche Neugierde darin lag. Ein Draco Malfoy leidete nicht! Ein Draco Malfoy war gehässig, arrogant und gemein! Oder etwa nicht?
Draco lachte und es war ein kaltes bitteres Lachen, das seine Augen nicht im mindesten erreichte. „Ich wüsste nicht, dass mein Befinden dich etwas angeht, Schlammblut!"
Hermine seufzte. „Ernsthaft? Hatten wir das nicht schon? Jetzt hör mir mal ganz genau zu, Malfoy!" Die Besorgnis in ihrer Stimme war schlagartig gewichen und sie kam bedrohlich nah, so nah dass Draco unbewusst einen Schritt nach hinten machte und mit dem Rücken gegen die Wand stieß. „Es interessiert mich nicht im Geringsten, ob du mich Schlammblut nennst oder nicht. Und es interessiert mich erst Recht nicht, ob du findest, dass du mehr wert bist als andere, denn das bist du nicht. Ganz und gar nicht. Aber wenn ich eines weiß, Malfoy" Es kostete Hermine Einiges an Überwindung, diese Worte auszusprechen. „...dann, dass ich mich geirrt habe. Du hast Liebe von deinen Eltern erfahren."
Wie sie erwartet hatte, entglitten Draco sämtliche Gesichtszüge und seine Augen weiteten sich überrascht, als er ihre Worte vernahm. „Dein Vater hat dich geliebt, nur deshalb ist er wieder zum Todesser geworden, nachdem Voldemort wiederauferstand. Nur, damit du verschont bliebst. Und deine Mutter, Merlin und Morgana, auch sie hat dich wirklich und wahrhaftig geliebt, sie hat den dunklen Lord belogen und Harry das Leben gerettet, nur weil sie sich um dein Wohlergehen gesorgt hat."
Draco keuchte fassungslos auf. „Granger, warum..." Doch Hermine ließ ihn nicht aussprechen. „Doch ist die Liebe" -An dieser Stelle konnte sie sich ein Andeuten von Anführungszeichen mit ihren Fingern nicht verkneifen.- „... die du von deinen Eltern erfahren hast, alles andere als beneidenswert." Sie konnte nicht verhindern, dass sich eine Spur Triumph in ihre Stimme mischte und das zuvor herrschende Mitgefühl überdeckte. „Die Mühen deines Vaters waren umsonst, er hat dich dennoch zu einem Todesser gemacht." Leise und ein wenig spöttisch schnaubte sie. „Und deine Mutter. Schlussendlich hat sie sich gegen dich und für deinen Vater entschieden und ist mit ihm nach Askaban gegangen. Wie... nobel."
Hermine konnte nicht anders, als das goldene Gefühl des Triumphes zu genießen, Draco Malfoy auch nur ein einziges Mal fühlen zu lassen, wie es ihr all die Jahre unter seiner Schikane ergangen war. „Du bist nicht armselig. Wer nicht lernt zu lieben, keine wahre Liebe empfängt, ist nicht armselig. Er ist bedauernswert." Ein trotziges, selbstgefälliges Grinsen zuckte in ihrem Mundwinkel und sie ignorierte die leise Stimme in ihr, dass sie abermals an diesem Tag gänzlich entgegen ihrer eigenen Werte handelte.
Und dann wandte sie sich zum Gehen um und wollte gerade durch die eröffnete Bibliothekstür schreiten, als sie seine Stimme vernahm. Leise und traurig. Und ihr Atem stockte, denn es war nicht nur, das, was er sagte, sondern auch sein Ton, der sie aufhorchen ließ. Ausgelaugt, mutlos, beinahe melancholisch und so leise wie der zarte Regen an einem Herbsttag im Oktober.
„Meine Eltern sind alle beide gestern Nacht in Askaban gestorben. Sie haben sich gegenseitig das Leben genommen."
Und dann ging Draco Malfoy und Hermine konnte hören, dass er weinte. Und sie bereute.
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