22.
Chat Noir zu küssen ist rein rational betrachtet falsch.
Ich bin innerhalb der letzten wenigen Minuten um keine einzige Information über ihn reicher geworden. Er könnte unter dieser Maske jemand sein, der überhaupt nicht demjenigen vor mir gleicht oder gar ähnelt. Vor ihm wäre mir im Traum nichtmal so eine absurde Situation, in die ich mich hier reingeritten habe, eingefallen.
Aber Himmel, er küsst so unglaublich gut!
Das alles könnte mich gerade nicht weniger interessieren, denn alles worauf sich ich in diesem Augenblick mein Fokus ausrichtet, ist das Gefühl das er in mir auslöst. Es ist als sei ich das kostbarste und begehrenswerteste Wesen, das er jemals in seinen Armen hielt.
Wie ist es überhaupt möglich mich so sanft zu halten und gleichzeitig derart besitzergreifend und leidenschaftlich zu küssen?
Seine Lippen sind warm und weich und finden ohne weiteres in einen perfekten Rhythmus mit den meinen. Ohne unseren Kuss zu unterbrechen, schiebt er mich sachte zurück und ich weiß unterbewusst, dass er mich näher in Richtung Balkontür und die daran angrenzende Backsteinwand schiebt. Ich keuche kurz leicht auf, als mein Rücken auf besagte Wand trifft und merke, wie Chat Noir sich vor mir anspannt. Nur millimeterweise trennt er sich für einen Moment von meinen Lippen, schaut mich jedoch nicht an. „[Dein Name]", flüstert er leise gegen meine Lippen.
Ich bemühe mich nicht laut nach Luft zu schnappen, muss jedoch erstmal wieder in einen gleichmäßigen Puls zurückfinden. Mein Kopf besteht nur noch aus Watte, vergessen sind all meine Bedenken und Gedanken, die ich ihm gegenüber unbedingt aussprechen wollte.
„Was machst du nur mit mir?" Meine Stimme ist ebenfalls nicht mehr als ein sanftes Hauchen und wenn wir nicht gerade in unserer eigenen, kleinen Blase feststecken würden, würde meine Frage komplett im laufenden Pariser Straßenverkehr unter uns verschwinden.
Er schnaubt belustigt. „Das sollte ich eher dich fragen."
„Chat Noir ... Kannst du mich anschauen?"
Zögerlich entfernt er sich ein paar Zentimeter weiter von meinem Gesicht und ehe ich mich versehe, sind seine grünen Katzenaugen direkt auf meine [deine Augenfarbe] Augen ausgerichtet. Seine Augen leuchten förmlich, ich frage mich ob meine gerade genauso für ihn aussehen.
„Ich weiß nicht", beginne ich sanft, „ob ich jemals wieder zurückkehren kann."
„Wovon sprichst du?" Seine Stirn legt sich leicht in Falten, soweit man diese durch seine Maske erkennen kann.
„Naja ... Wie soll ich dich jemals wieder durch andere Augen sehen?"
Er lächelt, antwortet aber nicht direkt. Seine Augen schließen sich für einige Sekunden, ehe er sie wieder öffnet und mir eine Haarsträhne vorsichtig hinter mein Ohr streicht. „Ich weiß es nicht", gibt er schließlich zurück. „Ich kann dir nur zwei Dinge verraten, [dein Name]. Erstens: Ich kann und darf dir niemals sagen wer ich in Wahrheit bin. Und zweitens: Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich verrückt nach dir bin. Ich habe nicht den blassesten Schimmer wann und wie das genau passiert ist aber ich habe das Gefühl in deiner Anwesenheit den Verstand zu verlieren und erwische mich in Gedanken immer wieder dabei, wie ich kurz davor bin die erste Regel zu brechen." Sanft lehnt er seine Stirn an meine, während ich versuche zu verarbeiten, was er mir gerade gesagt hat.
„Ich würde es niemandem verraten", verspreche ich. „Kannst du da nicht eine Ausnahme machen?"
Er schüttelt mit dem Kopf. „Es gibt keine Ausnahmen."
Plötzlich werden wir durch das laute Geräusch der sich öffnenden Balkontür unterbrochen und ich sehe nur noch im Augenwinkel, wie Chat Noir über mir verschwindet. „[Dein Name]?", höre ich meine Mutter fragen und in der nächsten Sekunde erblicke ich auch schon ihr überraschtes Gesicht.
Na toll, was ein Timing.
„Hallo Mama", begrüße ich sie mit einem schiefen Lächeln. „Du bist ja schon wieder zuhause!"
„Äh ... Ja, ich habe dir aber doch auch heute Morgen vor Schulbeginn noch gesagt, wann ich wieder da sein werde?"
Irritiert blicke ich auf meine Armbanduhr. Ich habe nur eine vage Erinnerung an ein derartiges Gespräch von heute früh.
„Ich dachte ich hätte hier Stimmen gehört aber ... Du bist alleine?" Meine Mutter sieht sich unschlüssig auf dem Balkon um, ehe sie mich wieder anschaut.
„Ach nein", lache ich halbwegs überzeugend, „ich muss bloß ein Gedicht für die nächste Deutschstunde auswendig lernen und das klappt am besten, indem ich ... ähm, es immer wieder rauf und runter sage!"
Sie blickt nochmal skeptisch drein, ehe sie anerkennend nickt und mir auf die Schulter klopft. „Du bist immer so fleißig, mein Schatz. Ich bin stolz auf dich. Aber komm doch lieber wieder mir rein? Es zieht allmählich zu." Sie richtet ihren Zeigefinger in Richtung Himmel aus und ich folge mit meinem Blick dorthin. Sie hat recht. Doch eigentlich interessiert es mich gar nicht, inwiefern es einen Wetterumschwung gibt. Das Einzige woran ich gerade wirklich Interesse habe ist, wohin Chat Noir nun wieder verschwunden ist.
Am nächsten Morgen fühle ich mich, als hätte mich in der Nacht nicht nur ein Lastwagen überrollt, sondern als wäre auch noch eine komplette Marching Band über mich getrampelt. Nur mit Mühe schaffe ich es, dass mir im Unterricht nicht die Augen zu fallen. Und dank Nathanaël, der mich zwischendurch immer mal wieder sanft mit seinem Ellenbogen anstupst, wenn er mich dabei erwischt wie meine Augenlider beginnen zu flattern.
Sport ist allerdings der Gipfel des Ganzen. Wir sollen Badminton spielen und dabei immer wieder die Partner wechseln. Ich spiele gerade mit Marinette, die sich zwar auch nicht besonders geschickt anstellt aber immer noch bei weitem mehr in Form ist als ich gerade.
„Alles klar, Partnerwechsel", ruft unser Sportlehrer durch die Halle und ich stöhne kurz auf. Ich habe wirklich keine Lust mehr!
„Hey", höre ich im nächsten Moment Adriens sanfte Stimme mich begrüßen. Ich sehe zu ihm und er lächelt mich schüchtern an. „Sieht so aus, als ob wir beide nun zusammen spielen."
Ich nicke und merke dabei, wie sich ein kleines Kribbeln in meinem Bauch anbahnt. Er muss wirklich aufhören mich so ... anzuschauen. Irgendwas macht dieses schöne Gesicht mit den lieblichen Zügen mit mir.
Wir begeben uns auf unsere Positionen und ich setze zum Aufschlag an. Um mich von diesem seltsamen Gefühl von eben abzulenken, versuche ich mich mehr auf meine Technik zu konzentrieren. Tatsächlich funktioniert es und Adrien reagiert gar nicht erst schnell genug. Irritiert schaut er dem Ball nach, ehe er mich wieder ansieht. „Wow, darauf war ich nicht vorbereitet", lacht er und hebt den Ball anschließend vom Boden auf.
Nach ein paar Minuten habe ich mich allmählich wiedergefunden und fange an Spaß am Spiel zu haben. Ohne dass er es bewusst gemacht hat, hat er mich dazu animiert bei der Sache zu sein. Um ehrlich zu sein fühlt sich das auch gerade einfach besser an, als müde vor mich weiter hin zu vegetieren oder schlimmer noch, an jemanden zu denken an den ich nicht denken sollte.
Erst als unserer Lehrer die Stunde beendet, merke ich wie außer Puste ich bin. „[Dein Name]", setzt er noch an, bevor ich mich in Richtung des Umkleideraumes begebe, „und Adrien, räumt ihr bitte die Netze noch ab?"
Adrien und ich nicken brav und beginnen beim nächsten Netz in unserer Nähe.
„Also ...", beginnt er ein Gespräch währenddessen. „Hast du nach der Schule schon was vor?"
Erstaunt über seine Frage, blicke ich ihn an. „Ähm, bloß meine Hausaufgaben erledigen ... Nichts weiter. Warum fragst du?"
Ich sehe wie er leicht errötet und frage mich, ob das nun durch mich oder unsere Arbeit hier kommt. Höchstwahrscheinlich letzteres, weil ich nichts gesagt habe, was in in irgendeiner Form in Verlegenheit bringen könnte. Ich habe schließlich nur seine Frage beantwortet.
„Naja, ich hätte normalerweise Fechten aber ich habe weder meinem Chaffeur noch meinem Vater darüber Bescheid gegeben und da dachte ich ..."
Wir rollen das Netz gemeinsam auf, während wir aufeinander zugehen und ich warte darauf, dass er weiter spricht, doch er weicht meinem Blick stattdessen aus und zuckt mit den Schultern. „Ach, nicht so wichtig", beendet er seinen angefangenen Satz.
Ich halte in meiner Bewegung inne, merke allerdings zu spät, dass ich bereits unmittelbar vor ihm zum Stehen gekommen bin. Leicht sehe ich zu ihm auf und neige den Kopf zur Seite. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?", frage ich entrüstet.
„Wie?"
„Du kannst doch nicht mitten im Satz aufhören zu reden", lache ich leicht und stupse ihn an seiner Brust an.
Nun lächelt er doch verlegen und sieht erst zu Boden, dann wieder mir in die Augen. „Du hast recht. Tut mir leid, [dein Name]. Ich hätte wissen müssen, dass du mir das nicht durchgehen lassen wirst."
„Also?"
„Naja, magst du vielleicht mit mir noch etwas hier bleiben? Vielleicht ... Ich weiß auch nicht, in die Bibliothek und die Hausaufgaben gemeinsam erledigen? Oder in den Park hinter der Schule gehen?"
Bei seinem Lächeln, während er mir die Frage stellt, merke ich wie ich schon wieder schwach werde. Es ist eine andere Form von Schwäche als bei Chat Noir aber irgendwie nicht weniger intensiv. Ich tue so, als müsste ich erst ausführlich darüber nachdenken, doch letztlich nicke ich und lächle ihn breit an.
„Sehr gerne."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro