
20.
Auf dem Boden unter mir niedergelassen, ziehe ich die Beine an meinen Oberkörper heran und umschließe sie mit meinen Armen. Ich lasse meinen Blick umherschweifen. Sonderlich spannend ist am Warten definitiv nichts, dennoch bin ich in diesem Moment der festen Überzeugung, dass es sich lohnen wird meine Zeit hier abzusitzen bis Chat Noir wieder zu mir zurückkommt. Bis dahin könnte ich mir alles nochmal zurecht legen, was ich ihm gerne sagen würde. Oder aber ich lasse mich von meinen Gefühlen leiten und gehe die Sache spontan an. Am Ende kann man doch ohnehin nichts wirklich planen und einstudieren, zumindest was solche intensiven Gespräche angeht und ich vermute stark, dass es auf ein solches zwischen und hinauslaufen wird.
"Hey", höre ich unerwartet eine dunklere Stimme sagen und wende mich dieser aufgeschreckt zu.
Ich sehe einen Jungen mit blauen Haaren und einem eher rockigen Kleidungsstil, der auf mich zukommt und leicht lächelt. Zwar tue ich mich allgemein hin und wieder schwer mir Gesichter und Namen zu merken, doch ich weiß sofort, dass ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. Jedoch wirkt er auf angenehme Art und Weise vertraut auf mich, als hätte ich eine ähnliche Person schonmal getroffen.
"Hallo ... ?"
Er schmunzelt leicht. "Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe nur im Vorbeigehen gesehen, dass du hier unten sitzt und bei all dem Trubel, der sich gerade ein paar Straßen weiter abspielt, wollte ich fragen ob alles okay bei dir ist?"
Ich nicke und bin angenehm überrascht von seiner ruhigen und freundlichen Art.
"Schon in Ordnung", entgegne ich und lächle zurück. "Es ist alles okay, ich warte hier nur bis ..."
Ich stocke unweigerlich. Bis Chat Noir zurück ist, kann ich ja wohl kaum ehrlich sagen. "... Der Trubel dahinten vorbei ist", ergänze ich und bin ihm heimlich dankbar für die kleine Vorlage, die er mir geboten hat. Ich war noch nie besonders gut darin mir spontane Ausreden einfallen zu lassen.
Er zeigt auf den freien Platz auf dem Boden neben mir und hebt die Augenbrauen an. Einverstanden mit seiner Idee nicke ich erneut und er lässt sich neben mir herab.
"Dann können wir ja gemeinsam warten?", schlägt er vor und hält mir anschließend die Hand hin. "Mein Name ist Luka. Luka Couffaine."
Couffaine ... ?
Der Name kommt mir tatsächlich bekannt vor. Vielleicht ist es aber auch kein seltener Nachname in Frankreich.
"Freut mich dich kennenzulernen, Luka. Ich bin [dein Name]."
"[Dein Name]? Der Name gefällt mir."
"Danke", murmle ich verlegen zurück. Bisher habe ich noch nicht häufig Komplimente für meinen Namen erhalten und er wirkt so aufrichtig, dass es mich schmeichelt. Erst jetzt bemerke ich auch, dass seine Augen in einem himmlischen blau strahlen. Ich dachte die meiste Zeit über, dass blaue Augen manchmal eher kühl wirken aber diese Meinung verwerfe ich ab dieser Sekunde für den Rest meines Lebens. Diese hier verströmen eine derartige Wärme, dass ich gar nicht anders kann als mich über diese unvorhergesehene neue Bekanntschaft ein wenig zu freuen.
"Nicht dafür."
"Ich habe dich noch nie zuvor gesehen, auf welche Schule gehst du?", frage ich.
"Oh, ich gehe nicht auf das Collège Françoise Dupont. Ich vermute an dieser Stelle einfach mal, dass das die Schule ist auf die du gehst."
"Das ist korrekt", lache ich. "Gut geraten!"
"Meine Schwester geht auch dorthin", erklärt er. "Und nebenbei ist es immer noch die meistbesuchte Schule Paris'. Meine befindet sich eher am Stadtrand, sie wird dir vermutlich nichts sagen."
"Das kann gut sein. Ich für meinen Teil wohne auch noch nicht allzu lange hier." Während ich spreche fällt mir auf, dass er für keine Sekunde seine Augen von mir abwendet und ich bekomme den Eindruck, dass er diese neue Bekanntschaft mit mir auch als angenehm erachtet. Ansonsten wäre er bestimmt schon längst wieder über alle Berge, da ich ihm ja ohne großes Drumherum zu verstehen gegeben habe wie alles in Ordnung bei mir ist.
"Wo hast du denn vorher gelebt?", hakt er nach.
"In [dein Heimatland]."
Er schaut mich für einen Augenblick besorgt an. "Es war bestimmt schwer für dich deine Heimat und all deine Freunde und Familie hinter dir zu lassen, oder?"
Ich winke ab. "Es hätte mich schlimmer treffen können und ein Teil meiner Familie lebt auch hier. Außerdem habe ich relativ schnell neuen Anschluss gefunden. Ich würde behaupten, dass ich ganz gut zurecht komme."
Nun lächelt er wieder und nickt verständnisvoll. "Daran habe ich keinen Zweifel. Du strahlst etwas sehr herzliches aus."
Erneut verlegen lächle ich ihn an. "Danke. Nun aber nochmal zurück zu dir: Wer ist denn deine Schwester? Vielleicht kenne ich sie ja."
"Das kann gut sein", grinst er. "Juleka heißt sie."
"Ach was! Das ist ja ein lustiger Zufall! Sie ist bei mir in der Klasse. Ich habe zwar noch nicht sehr viel mit ihr geredet aber wenn es mal dazu gekommen ist, war sie stets sehr lieb zu mir und hilfsbereit."
Er lächelt breit. "Sie ist auch wirklich toll - achja, und meine Zwillingsschwester!"
"Wow, ich habe tatsächlich letztens noch daran gedacht wie cool es bestimmt wäre einen Zwilling zu haben!"
Gemeinsam lachen wir im selben Moment los.
Daraufhin folgt eine noch größere hin und her abwechselnde Fragerunde und wir lernen uns Stück für Stück näher kennen. Die Zeit rast auch nur so davon und mit einem Mal vergesse ich sogar, warum ich überhaupt in erster Linie hier sitze. Bis plötzlich ein Schatten in meinem Augenwinkel erscheint, was dazu führt dass ich mich automatisch schreckhaft etwas weiter zu Luka rüber lehne, der auch schon seinen Arm schützend vor mich gesetzt hat. Schnell begreife ich aber, dass es sich bei dem Schatten um keine Bedrohung sondern um Chat Noir handelt.
"Oh ...", höre ich den schwarzangekleideten Superhelden nur murmeln.
Ich entferne mich wieder von Luka und richte mich auf. "Ich habe mich erschrocken", lache ich leicht."
"Das habe ich gesehen", antwortet Chat Noir ernst. "Keine Sorge, ich wollte euren Moment nicht zerstören."
"Alles cool", sagt Luka und ich bin ihm dankbar dafür, dass er nicht nervös ist so wie ich es gerade bin. "Wir haben uns bloß durch Zufall hier kennengelernt und unterhalten."
"Achja?" Chat Noir sieht mich durch seine grünen Katzenaugen argwöhnisch an.
Ich nicke bloß, da ich nichts weiteres zu ergänzen habe. Entsteht hier gerade ein völlig falscher Eindruck auf mich oder ist Chat Noir sauer? Zumindest wirkt er so, als hätte er schon bessere Tage gehabt. Dabei schien er deutlich besser gelaunt zu sein, bevor er mich hier zurückgelassen hat um seine Pflicht gegenüber den Bürgern von Paris zu erfüllen.
"Ist alles okay?", frage ich zögerlich.
Chat Noir schweigt zunächst und schaut zur Seite, bevor er trocken antwortet: "Klar, was soll schon sein?"
"Ich wollte sowieso langsam nach Hause gehen", beginnt Luka zu sprechen und legt dabei eine Hand auf meiner linken Schulter ab. "Wir werden uns bestimmt nochmal über den Weg laufen. Es war nett dich kennenzulernen, [dein Name]." Mit diesen Worten verabschiedet er sich und kehrt Chat Noir und mir den Rücken zu. Chat Noir schaut ihm noch eine Weile hinterher, ehe er ein paar Schritte auf mich zukommt und leicht energisch fragt: "Ich dachte du bleibst hier und wartest auf mich?!"
"Ähm ... Hallo?!", antworte ich nun auch etwas zickiger als gewollt. "Das habe ich. Wie du siehst, bin ich immer noch hier."
"Schon klar aber ich habe nicht damit gerechnet, dass du hier nicht alleine bist."
Verwirrt runzle ich die Stirn. "Moment mal ... Ich verstehe gerade nicht das Problem."
Chat Noir verschränkt die Arme vor der Brust und dreht sich um. Ich höre ein lautes Ausatmen seinerseits, woraufhin er mich seitlich über seine Schulter hinweg ansieht.
"Schon gut", sagt er. Nun mit einer eher traurigeren als wütenderen Stimmlage. "Lass uns lieber wann anders nochmal miteinander reden, [dein Name]. Es war heute ein ... anstrengender Tag. Tut mir leid."
Bevor er mich noch irgendwas dazu sagen lässt, zieht er auch schon wieder mithilfe seines Stabs ab und ist schneller verschwunden als ich ihm überhaupt hinterher sehen kann. Frustriert über dieses abrupte Ende unseres Gesprächs, bevor es überhaupt erst richtig anfangen konnte, sacke ich erneut zu Boden und kann meine Tränen nicht länger aufhalten.
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