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Als ich mich nach der Schule über mein Fahrrad beugte um das Schloss zu lösen, fiel ein Schatten auf mich. Ich blickte hoch und sah in Wes Augen. „Ich wollte dich fragen, ob ich dich nach Hause bringen soll.", er deutete auf seinen schwarzen Audi. Ich schüttelte den Kopf und hielt ihm mein Fahrradschloss, dass so eben aufgesprungen war, unter die Nase. Das ich mit dem Fahrrad da war, erübrigte alle weiteren Erklärungen. Er musste ja nicht wissen, dass mein Vater mir die Hölle heiß machen würde, wenn ich bei einem Fremden im Auto mitfahren würde. Noch dazu bei jemandem, der vor wenigen Tagen einen Strafzettel erhalten hatte. „Junge Menschen in deinem Alter sollten noch nicht alleine fahren dürfen. Wenn es nach mir ginge, müsstet ihr alle mindestens drei Jahre in Begleitung eines Erwachsenen fahren.", brummte Dad immer, wenn ich das Thema Führerschein anschnitt. Er nickte nachdenklich und musterte mein Fahrrad. „Kannst du es schieben?", fragte er.
Ich blickte ihn verwirrt an: „Natürlich, aber wieso sollte ich?".
„Ich begleite dich nach Hause.", sagte er sachlich. Mir wich alle Farbe aus dem Gesicht. Wenn uns jemand sah, wurde sicher über mich geredet. „Das musst du nicht.", stellte ich trocken fest.
„Ich weiß, aber ich würde gerne. Sophie.", er betonte meinen Namen nachdrücklich.
Ich zog die Brauen zusammen und überlegte. „Und dein Auto?", fragte ich.
„Hol ich später.".
„Das sind aber 25 Minuten zu Fuß pro Strecke!", setzte ich nach.
Wes seufzte: „Ich würde dich gerne einfach nur ein Stück begleiten, wieso wehrst du dich denn so?".
Ich seufzte lauter als er und zuckte mit den Schultern. „Na gut, aber nur ein Stück.".
Er wollte das Fahrrad für mich schieben, aber ich wehrte ab. Er grinste verkniffen und schlenderte neben mir her.
„Also Sophie.", begann er nachdem wir das Schulgelände verlassen hatten: „Wieso warst du gestern allein im Kino?". Er fiel also gleich mit der Tür ins Haus.
„Wieso warst du allein im Kino!", schoss ich zurück. Er zuckte zusammen und sah mich mit eingezogenem Kopf und hochgezogenen Augenbrauen an wie eine Schildkröte. Ich musste lachen.
„Was ist?", fragte er sichtlich nervös.
„Nichts, du erinnerst mich bloß an jemandem.", japste ich.
„Du bist ein seltsames Mädchen Sophie.", stellte Wes fest. Normalerweise wäre ich jetzt rot angelaufen und hätte mich furchtbar bestätigt gefühlt, aber irgendetwas an der Art und Weise wie er es sagte klang nett, also zuckte ich bloß mit den Schultern und beantwortete seine Frage.
„Dritte Reihe Platz 16 also.", wiederholte er bedächtig, ich nickte bloß.
„Fandest du den Film wirklich traurig?", ich konnte meine Neugier nicht länger zügeln, ich musste wissen wieso er alleine war und geweint hatte.
Wes Miene verdüsterte sich merklich und er schüttelte zaghaft den Kopf. „Immer wenn es mir mal nicht so gut geht, ist dieses Kino mein Lieblingsort.", sagte er leise, „Keiner den ich kenne sieht sich Freitagabend alte Klassiker an und deswegen kann ich dort in Ruhe meinen Gedanken nachhängen, ohne gestört zu werden.".
„Wieso bleibst du nicht einfach zu Hause?", hakte ich nach.
Wes Mundwinkel sanken noch tiefer als ich schon für möglich gehalten hatte, er sah wirklich traurig aus, fast so, als würde er gleich wieder weinen. „Weil ich meistens von zu Hause meine Ruhe brauche.", er flüsterte fast und ich lehnte mich mehr in seine Richtung um ihn zu verstehen.
Mitleid kam in mir auf. War dieser augenscheinliche Überflieger etwa gar nicht so supercool und perfekt wie alle dachten?
„Willst du mir erzählen warum nicht?", fragte ich sanft, er musterte mich stumm.
„Irgendwie hab' ich das Gefühl, dass ich dir das erzählen könnte.", murmelte er, „Aber andererseits kenne ich dich gar nicht. Ich hab dir schon mehr erzählt als ich hätte tun sollen. Ich hoffe du behältst das für dich, das wäre...", er zögerte kurz, "wirklich sehr nett von dir."
So neugierig ich auch war, ich konnte mich in seine Situation versetzen, es gab Dinge, über die sprach man nicht gerne und das gehörte absolut respektiert. Also nickte ich bloß verständnisvoll und beteuerte: „Keine Sorge, meine Lippen sind versiegelt.".
Er lächelte mich breit an: „Danke.".
Wir waren bei der Brücke vor meinem Haus angekommen und ich blieb abrupt stehen. „Du solltest dich jetzt auf den Weg zu deinem Auto machen.", sagte ich und umklammerte unbehaglich die Griffe meines Fahrrads. Wes nickte bloß und bemerkte meine plötzliche Anspannung anscheinend nicht.
„Bis morgen, Sophie.", er lächelte.
„Bis morgen, Wes.", ich lächelte zurück und schwang mich für die letzten paar Meter bis nach Hause aufs Fahrrad.
Paps war wie immer nicht zu Hause und ich wärmte mir die Reste von unserem Curry aus dem Kühlschrank auf. Ich nahm den Teller mit hoch auf mein Zimmer und begann mit meinen Hausaufgaben. Als ich alle erledigt hatte, beschloss ich noch eine Zusammenfassung über den bisherigen Stoff in Geschichte zu schreiben und sie Tristan zu geben, damit ich meine Ruhe von seinen nervigen Fragen hatte. Als ich sie ausdruckte und in eine Mappe steckte, beschloss ich kurzerhand noch eine zweite Mappe anzulegen, falls Wes auch eine haben wollte. Es war bloß eine nette Geste als Mitschülerin, weil er mich heute nach Hause begleitet hatte und sich sehr freundlich verhalten hatte, sagte ich mir, als ich die beiden Mappen in meine Tasche für morgen steckte.
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