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Am Montagmorgen waren die Ereignisse von Freitag beinahe vergessen. Kai wartete mit Linda vor der Schule auf mich mit Smoothies in der Hand die ihre Mutter ihm immer für uns mitgab.
„Löwenzahn, Gojibeere.", murmelte er, als er seinen naserümpfend in den nächsten Mülleimer goss.
„Wow.", lachte ich, als ich an meiner Flasche roch.
„Mein Dad musste ihn heute tatsächlich trinken, er hat dummerweise gesagt, dass er ein bisschen später in die Arbeit fährt.", mitleidig schüttelten wir die Köpfe.
„Dieser Smoothiemaker war das wohl dümmste Muttertagsgeschenk, das du ihr hättest machen können!", schimpfte Linda und sah ihren Halbbruder finster an, „Hättest du mal lieber auf mich gehört und wir hätten ihr die Ohrringe geschenkt!".
Die beiden zankten sich bis wir uns trennten um zu unseren Spinten zu gelangen. Meiner war etwas abgelegen, fast neben den Projekträumen, wo fast nie jemand war. Die Schule hatte sie damals in der Hoffnung gebaut, Schüler würden die Eigeninitiative ergreifen und AGs und Clubs für Außerschulische Aktivitäten gründen. Doch wer tat so etwas in unserem Alter? Die Räume wurden gerüchteweise von Leuten genutzt, die heimlich rummachten, oder Schulstunden schwänzten und ich gehörte definitiv weder zu Sorte a) noch war ich dumm genug, um innerhalb des Schulgebäudes, wie Sorte b), zu schwänzen.
Ich kramte nach meinem Geschichtebuch und hängte meine Jacke an den Haken und schlug enthusiastisch die Tür zu, Geschichte war eines meiner Lieblingsfächer, denn zu jedem historischen Ereignis gab es entweder ein gutes Buch oder einen spannenden Film, den ich mir zu Hause ansehen konnte. Egal ob es die Wirtschaftskrise in den frühen 20er Jahren war, Marie Antoinettes Enthauptung, oder die Erfindung der Glühbirne.
Als ich die Klasse betreten wollte, stutze ich. Da waren Menschen, die normalerweise nicht in meinem Unterricht saßen. Alle Tische waren bereits belegt, teilweise von meinen Klassenkollegen, teilweise von Schülern aus der Parallelklasse.
Ich suchte panisch nach Linda, oder Kai und fand sie ganz hinten in der Ecke stehen und mit einem von Kais Freunden aus der Theater AG plaudern. Ich hasste es alleine durch volle Klassenräume zu gehen. Jeder Blick klebte an einem, das Getuschel, bei dem man sich nie sicher sein konnte, ob es nicht über einen selbst war. Ich unterdrückte den Drang nachzusehen, ob ich Klopapier an meinem Schuh kleben hatte, oder mein T-Shirt verkehrt angezogen hatte. Diese Selbstzweifel hasste ich an mir, meine Mutter war früher immer so selbstbewusst durchs Leben gegangen, ich hatte sie immer bewundert, wenn sie lächelnd durch die Menge tanzte und Kunden frischen Kaffee nachschenkte, oder Gebäck servierte. Sogar mein Vater war selbstbewusst, sobald er in seiner Uniform steckte. Er strahlte Autorität aus und wirkte wie ein unbezwingbarer Berg. Nur ich hasste es, sobald sich die Aufmerksamkeit von mehr als einer Person auf mich richtete, irgendwo hatte ich immer das Gefühl, dass irgendwas mit mir nicht stimmte und alle anderen das bemerkten.
Ich stand im Türrahmen und blickte verzweifelt zu Linda, als ich bemerkte, wie sich langsam die Blicke auf mich richteten, meine Nackenhaare stellten sich auf, ich musste hier weg, ich musste unsichtbar werden, sofort. Hastig machte ich einen Schritt nach vor und stolperte über meine eigenen Füße. Ich taumelte und kippte nach vor, als zwei Arme sich um meine Taille schlangen und mich vor dem Schlimmsten bewahrten.
Meine Wangen glühten als ich mich umdrehte um zu sehen, wer mich gerettet hatte und plötzlich fühlte sich mein ganzer Kopf an, als würde er brennen.
„Hoppla.", raunte Wes mir lachend zu, „da freut sich aber jemand auf den Unterricht!".
Ich gaffte ihn bloß an und brachte kein Wort heraus, er wirkte plötzlich so selbstsicher, ganz anders als am Wochenende.
„Danke.", hauchte ich, als ich bemerkte, dass ich bloß dumm vor mich hinstarrte.
Er ließ mich los und lächelte breit: „Jederzeit.", sagt er bloß und schlenderte an mir vorbei zu seinen Freunden.
Als ich mich aufmachte um zu Linda und Kai zu gelangen, starrten beide mich verdutzt an.
„Was ist denn mit dir los?", fragte Kai ungläubig, „Seit wann wirfst du dich denn heißen Typen an den Hals?". Ich boxte ihn bloß in die Schulter und verdrehte die Augen.
„Ich bin gestolpert.", murmelte ich verlegen, „und was ist hier eigentlich los? Was macht die Parallelklasse hier bei uns?".
„Der Klassenlehrer hatte einen Autounfall und liegt im Krankenhaus. Bis es einen Ersatzlehrer gibt, haben wir gemeinsam Unterricht.", seufzte er, „Was heißt dass wir das halbe Schwimmteam für locker zwei Wochen in der Klasse sitzen haben und ich den halben Unterricht verpasse, weil ich im heiße Jungs Himmel schwebe.".
Wir lachten und blickten zu der Gruppe Jungs rüber, in der auch Wes stand, als mir klar wurde, was das hieß. Seit vier Tagen wirkte es so, als würde das Schicksal mich und diesen Jungen auf gewaltsame Weise zusammenzwingen.
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