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Am Samstag als ich die Küche betrat, lag da bloß ein Zettel neben einer Packung Toast. „Musste aufs Revier, bin zum Abendessen wieder da."
Seufzend öffnete ich den Kühlschrank und seufzte gleich noch lauter. Er war leer. Ich beschloss nicht bloß trockenen Toast zu essen, sondern zu Tante Maja ins Cafe zu fahren um ausgiebig zu frühstücken.
Tante Maja sah genau so aus, wie meine Mutter, auf den Fotos, die mein Vater wie seinen Augapfel in den alten Alben hütete. Sie war die jüngste der drei Geschwister gewesen und sah jetzt so aus, wie meine Mutter es vor 10 Jahren getan hatte und wie ich es wahrscheinlich in 20 tun würde.
Langes dichtes dunkles Haar, mandelförmige stahlgraue Augen, umrandet von Lachfältchen, klein und zierlich und immer mit etwas Mehl auf den roten Wangen. Sie strahlte mir entgegen, als sie sich rasch die Hände an ihrer Schürze abwischte. „Sophie, hast du Hunger? Ich habe gerade ein Blech voller Zimtschnecken im Rohr, die demnächst fertig werden!".
Als Antwort knurrte mein Magen zustimmend. Zimtschnecken und ein heißer Milchkaffee bei einem guten Buch an Majas Tresen waren mein Lieblingsfrühstück. Als ich meinen Löffel genüsslich in das hohe Glas mit Milchschaum eintauchte, hörte ich lautes Gelächter aus der Ecke des Cafes und sah automatisch in Richtung des Lärms. Beinahe hätte ich das heiße Getränk verschüttet, denn ich zuckte instinktiv zusammen, als ich in Wes Gesicht blickte, der mit zwei anderen Jungs und einem Mädchen an einem der gemütlichen Sofas im hinteren Eck des Cafes saß. Er sah locker und entspannt aus, wie er da saß und sich ausgiebig auf die Schenkel klopfte, während er mit seinen Freunden lachte, nicht so verstört und traurig wie gestern. Obwohl er auch verstört und traurig ein faszinierender Anblick war. Mitten in seinem Lachanfall kreuzten sich unsere Blicke und er verschluckte sich und begann heftig zu husten, während er mich mit aufgerissenen Augen ansah.
So schnell war die Ausgelassenheit verschwunden, sein Kumpel neben ihm klopfte ihm auf den Rücken und sagte etwas zu ihm, doch wie gestern, starrte Wes bloß mich an. Der Blick des Mädchens neben ihm folgte seinem als erstes, sie musterte mich und sagte etwas zu ihm, was sein paralysiertes Starren von mir löste und die anderen beiden dazu veranlasste mich ebenfalls anzustarren.
Ich bemerkte wie sich eine Hitze über meine Wangen ausbreitete und sah peinlich berührt auf mein Buch, das aufgeschlagen vor mir lag.
Was erzählte er ihnen wohl, wer ich war? Es hatte einen Grund gegeben, wieso er gestern allein in diesem Kino gesessen hatte und ich zweifelte fest daran, dass ein Junge wie Wes seinen Freunden davon erzählte. Vielleicht behauptete er ja ich sei eine Stalkerin, irgendeine Verrückte die ihn anhimmelte. Ich ließ die schlimmsten Szenarien durch meinen Kopf huschen und starrte verkrampft auf die Buchseite, die ich bereits seit fünf Minuten aufgeschlagen hatte.
Ich wollte nicht auffallen. Ich wollte weder dass irgendjemand wie Wes gut oder schlecht von mir sprach, noch dass mich seine Freunde kannte. Ich war gerne für mich, ich genoss es einen kleinen Freundeskreis zu besitzen, der mich akzeptierte wie ich war und weder mich noch meine Familie in Frage stellte und aus Erfahrung wusste ich, dass so etwas passierte, wenn man mit Typen wie Wes in Verbindung gebracht wurde.
Als Tante Maja die Zimtschnecke vor mir hinstellte, sah sie mich fragend an, sie bemerkte es sofort, wenn etwas mit mir nicht stimmte, doch ich schüttelte bloß leicht den Kopf und biss in das warme Germgebäck. Sofort beruhigten sich meine Nerven, denn die Mischung aus Wärme, Zucker, Zimt und Honig waren mein Kryptonit. Als Paps und ich hierhergezogen waren, hatte Tante Maja uns beinahe täglich Zimtschnecken vorbeigebrach bis wir uns an unser neues Leben einigermaßen gewöhnt hatten. Ich hatte es gerade geschafft meine Minipanikattacke zu bewältigen, als ich diese raue Stimme hörte.
„Wir hätten gerne noch vier Eistee an unserem Tisch.", sagte Wes gerade zu meiner Tante am anderen Ende des Trese, als er mir einen Seitenblick zuwarf, „und das Frühstück des Mädchens da drüben bezahle ich.". Bevor ich reagieren konnte, lachte meine Tante leise.
„Das ist ja sehr nett von dir, aber meine Nichte frühstückt in meinem Café immer umsonst."
„Oh.", war alles was Wes von sich gab, ich hörte wie sich seine Schritte langsam vom Tresen wegbewegten und spürte erneut diese Hitze auf meinen Wangen. Maja begann fröhlich vor sich hin zu summen und warf mir einen belustigten Blick zu, ersparte mir jedoch weitere Erklärungen.
Ich hob meinen Kopf erst wieder, als mir jemand auf die Schulter tippte. Ein Adrenalinstoß durchfuhr mich und ich erwartete Wes, doch es war Linda, meine beste Freundin.
„Was ist denn mit dir los du verschrecktes Reh?", fragte sie lachend auf meine Reaktion, „hast du jemand anderes erwartet?".
Ich lachte nervös und warf einen Seitenblick zur Sitzecke wo Wes und seine Freunde vorhin noch gesessen hatten. Doch anscheinend waren sie bereits gegangen.
„Hallo? Erde an Sophie?", Linda fuchtelte vor meinem Gesicht herum, „Was ist denn los mit dir?".
Kurz überlegte ich, Linda von Wes zu erzählen, doch ich behielt es für mich. Was war denn auch wirklich passiert? Ich hatte seine Geldbörse gefunden und sie ihm zurückgegeben, als Dank wollte er mir mein Frühstück spendieren. Das war nichts was es Wert war um erzählt zu werden.
Ich hielt ihr mein Buch unter die Nase: „Ist einfach so fesselnd!", log ich, doch sie kaufte mir die Lüge ab und setzte sich zu mir.
„Hast du eigentlich schon Pläne für Halloween?", fragte sie eindringlich. Ich stöhnte genervt auf. Diese Frage stellten Kai und Linda mir abwechselnd mindestens einmal pro Tag seit Anfang des Monats.
„Ich weigere mich an eurem Horror-binge-watching-Abend teilzunehmen, das weißt du und Kai weiß das auch! Ich werde das Haus hüten und verhindern dass unser Garten wieder mit Klopapier verunstaltet wird.", antwortete ich entschieden.
Als Polizistentochter hatte man es nicht leicht an Tagen wie Halloween. Man hatte es allgemein nicht leicht, wenn Leute herausfanden, dass der eigene Vater Gesetzeshüter war. Letztes Jahr hatte jemand ACAB auf unseren Briefkasten gesprüht und auf Parties, auf die Kai mich manchmal mitschleppte, sahen mich die Leute immer ein bisschen skeptisch an und hörten auf über lustige Dinge zu reden, wenn jemand fallen ließ, dass ich die Tochter des Kriminalbeamten war.
Mein Paps würde an Halloween arbeiten, das tat er immer. „Nur weil die Menschen maskiert sind, denken sie, dass sie sich wie eine Horde Höhlenmenschen benehmen dürfen und gefährden andere mit ihrem Verhalten.", hörte ich ihn mit seiner tiefen brummigen Stimme sagen.
Als ich am späten Nachmittag zu Hause ankam, war Paps zu meiner Überraschung schon da. Es roch nach Curry und zu meiner Freude stand er, als ich die Küche betrat, am Herd und rührte in einem der großen Töpfe. Das bedeutete meist dass er indisch kochte. Er liebte es fremde Gerichte aus fernen Ländern zu probieren und zu kochen Da wir nie verreisten, war dies unsere Art von Urlaub. An Curryabenden hörten wir zum Beispiel indische Musik, oder sahen uns einen Bollywoodstreifen an.
„Warst du bei Maja?", fragte Paps, als ich mich auf die Arbeitsplatte hochzog um dort zu sitzen.
„Jap.", antwortet ich und zupfte an dem Büschel Koriander herum, das in einem Glas stand.
„Und gestern?", fragte er.
Ich zögerte, hatte mich einer seiner Kollegen erkannt?
„Was ist mit gestern?", fragte ich zurück.
„Wie war es im Kino?"
Erleichtert erzählte ich ihm von dem Film und was mir besonders gefallen hatte.
„Zu Schade dass er damals keinen Oscar bekommen hat. Hugo Cabret ist wirklich ein Meisterwerk.", beendete ich meine Schwärmerei und lächelte ihn an. Da bemerkte ich, wie er mich musterte. Er hatte doch etwas gehört.
„Was ist?", fragte ich und legte den Kopf schief.
„Warst du alleine im Kino Sophie?".
„Ich bin alleine hingegangen, hab mir den Film alleine angesehen und habe das Kino allein verlassen.". antwortete ich wahrheitsgetreu.
„Und wieso erzählen mir meine Kollegen dann heute, dass meine Tochter gestern in einen Fall mit einem Raser verwickelt war?".
Ich schluckte. „Da war nichts. Er geht auf meine Schule und hat sein Portemonnaie verloren und ich habe es gefunden und bin am Heimweg vorbeigekommen als er aufgehalten wurde. Ich wollte es ihm in der Schule zurückgeben.", ich spürte wie meine Wangen brannten, als das Bild von Wes, der mich im nebligen Licht auf der Brücke mit seinen traurigen Augen angestarrt hatte.
Paps musterte mich eingehend von oben bis unten, dann nickte er kaum merklich. Das Verhör war beendet, er glaubte mir.
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