
Kapitel 8 - Sternenfänger
Peter sah die dunklen Wellen der Neverseas und wie die Sterne sich in ihre Oberfläche bohrten. Sie fielen wie leuchtender Regen, doch ihr Schein ermattete, sobald sie den Grund berührten – ganz gleich, ob Meer oder Erde. Die leisen Stimmen der jungen, kleinen Sterne verstummt, ihr Flüstern erstorben. Sie gruben Krater in Strände und in Ebenen, prasselten auf den Berg und die Wälder nieder.
Peter aber hatte nur den Blick für einen Stern.
Den Zwillingsstern.
Seinen Stern.
Immer wenn er nach London flog, um neue Jungen zu holen, dann flüsterte er ihnen Geschichten zu und erzählte von seinen Abenteuern. Und sie hörten zu, lachten und kicherten, blinzelten und erleuchteten die Dunkelheit der Nacht. Doch keiner hatte je so hell gestrahlt wie die Zwillingssterne. Der zweite Stern von rechts war es, der ihm stets den Weg gewiesen hatte und ihn nach Hause zurückführte: nach Neverland.
War das der Preis seiner Selbstsucht? Seiner Rache an Hook? Für seinen Sieg? Sollte er nun alles verlieren? Seine Verlorenen Jungen, seine Jugend, seinen Stern UND Neverland?
Das durfte nicht geschehen. Er konnte es einfach nicht zulassen!
Peter fasste den kleinen, flüsternden und blinzelnden Himmelskörper in seinen Händen fester. Er musste das alles wiedergutmachen. Er musste es in Ordnung bringen!
„Bitte... bitte erfülle meinen Wunsch!", flehte er von ganzem Herzen und kniff die Augen zusammen.
Der Stern in seinen Händen strahlte hell und erkaltete dann zwischen seinen Fingern. Kein Flüstern und Blinzeln, wie es all die kleinen Sterne die vielen Jahre über getan hatten. Nur Stille und kalter Stein.
Obwohl er die Augen geschlossen hatte, sah er das helle Leuchten durch die geschlossenen Augenlider. Ein Licht so hell und so klar, dass es alles und jeden verschlang und Peter die Arme vor das Gesicht ziehen musste. Hatte es funktioniert?
Kein Stern und keine Königin der Feen flüstere ihm die Antwort zu. Als Peter die Augen blinzelte, zog er gerade noch rechtzeitig die Luft tief und zischend in seine Lungen – dann schlug sein Körper in freiem Fall auf die Oberfläche der Neverseas. Peter spürte den Aufprall, Schmerz explodierte in seinem Körper. Dann schlug die eisige Wasseroberfläche über seinem Kopf zusammen und verschlang ihn mit tosenden Wellen.
☆
Glühend und hell zog sich der leuchtende Schweif durch den Nachthimmel, schien ihn zu zerschneiden und in fallender Macht die Dunkelheit zu verbannen, wie ein Fels eine Welle zurückzudrängen vermochte. Schneller und schneller stürzte das pulsierende Licht herab, zog eine brennende, gewaltige Schneise durch Never-Dschungel und schließlich den Waldboden. Der Aufprall ließ die Erde erzittern, drückte und schleuderte Bäume beiseite, während Feuer und Licht alles verschlang und nicht mehr zurückließ, als qualmendes Holz und glühendes Gestein.
Es war nicht schwer, den Spuren des Sterns zu folgen. Die Bäume bogen sich zur Seite, waren umgefallen und die geschwärzten Stellen glühten noch, als Peter an ihnen vorüber huschte. Peter trudelte. Das dritte Mal musste er landen. Sorge... dieses Gefühl war neu und er verabscheute es! Früher hatte er sich nie gesorgt. Jetzt plagten ihn schwere Gedanken.
Vorwürfe, die ihm seine eigene Stimme innerlich entgegen zischte, so sie vor der Abmachung mit der verdammten Fee nur von Abenteuern geflüstert hatte!
Was war schiefgelaufen? Hatte er zu stark zugeschlagen? Weil er diesen verdammten Körper und seine Kraft nicht einzuschätzen vermochte? Warum ging plötzlich alles schief? Wie sollte er nun die anderen Verlorenen zurückholen? Was geschah mit Neverland, wo einer der Zwillingssterne gefallen war? Konnte er Neverland nun überhaupt noch verlassen? Würde er seine Jugend irgendwie zurückgewinnen? Oder musste er... in diesem verdammten, ekelhaft erwachsenen Körper bleiben?!
All diese Fragen legten ihm unsichtbare Steine in die Seele. Er schaffte es kaum über die Baumkronen, zwar zweimal beinahe abgestürzt und Tink war nirgends zu sehen. Verzweifelt griff Peter sich in die wilden blonden Locken und starrte finster in die Richtung, in welcher der Stern abgestürzt war. Konnte es noch schlimmer kommen?
Nun, Neverland war immerhin nicht auseinandergebrochen. Das konnte Peter jedoch nur teilweise beruhigen. Über ihren Köpfen offenbarte sich der Himmel Neverlands in einer einschüchternden Schwärze. Kaum noch kleine Sterne blinzelten von oben herunter, ganz Neverland wirkte in Schatten gehüllt und allein der fahle Schein der drei Monde, wie Sicheln und einer in zunehmendem Gewand, strahlten noch neben dem einen, einsamen Stern am Himmel, der seinen bedeutenden Zwilling verloren hatte.
'Ich muss ihn finden', dachte Peter und obwohl es ihm mit jeder Faser widerstrebte, eilte er angetrieben von diesem Gedanken zu Fuß über den Waldboden. Er spürte Zweige, die an seiner Kleidung zupften, kleine spitze Steine in den Fußsohlen und die Hitze, die ihm unangenehm auf der Haut stach. Der Geruch von Asche und verbranntem Holz brannte in den Augen und ließ ihn gegen Rauch und Qualm blinzeln.
Doch schließlich kam endlich die Auftürmung der Absturzstelle Sicht. Peter kämpfte sich die bröckelige Erde empor, rutschte zweimal aus und vollzog einige große Sprünge, wo er früher mit Leichtigkeit darüber hinweggeflogen wäre. Dann erreichte er endlich den Rand und starrte auf das Bild herunter, das sich ihm bot und Peters Mund klappte auf, als er einige Sekunden dort stand und starrte.
Inmitten des Kraters, zwischen geschmolzenem Gestein und geschwärzter Erde, stach das glimmende Etwas, der erste Funke der Existenz am schwarzen Firmament hervor. Stoff, nicht von dieser Welt und so schimmernd wie aus flüssigem Quecksilber, ergoss sich über den schlanken Leib einer zarten, humanoiden Gestalt. Dunkelblaues Haar von der Farbe des frühen Nachthimmels fiel wie der Abendschleier über den Tag triumphiert in weichen Wellen über ihren Rücken. In den langen Strähnen schienen kleine, leuchtende Funken wie winzige Sterne am Himmel zu glimmen und sich daran festzuklammern, als wollten sie sich ihr Leben an dem Stern erhalten.
„Peter Pan", erklang sein Name von den Lippen des Sterns, als sie sich ihm zuwandte. Das Wesen und seine Bewegungen wirkten so fragil und zerbrechlich wie zartes Glas. Augen aus einem viel zu leuchtenden Gold, als dass sie denen der Menschen hätten gehören können und viel zu tief, um eine nur so junge Seele zu besitzen, wandten ihre Aufmerksamkeit von dem den finsteren Nachthimmel dem Neuankömmling zu. Peter hatte Wendy gesehen, ein hübsches Mädchen aus London. Tigerlily in ihrer wilden Schönheit der Natur. Tinkerbell oder andere Feenwesen, welche Herzen der törichten, erwachsenen Männer allein durch ein Lächeln stahlen. Und doch war es das erste Mal in seinem vergleichsweise langen Leben, dass ihm nur ein einziges Wort zu dem Wesen einfiel: Schön.
Er betrachtete den gefallenen Stern mit der Faszination eines Entdeckers, dem Herzen des Abenteurers, der er war. Wie einen selbst für Neverland exotischen Vogel mit besonders hübschem Gefieder. Das war er... sein Stern?
Er hätte alles sein können. Vor allem ein Klumpen aus leuchtendem Gestein. Aber ... es war eine Sie. Ein Mädchen. Peters Herz machte einen seltsamen Satz. Etwas zwischen stechendem Schmerz und Verzückung. Peter mochte Mädchen. Besonders fasziniert war Peter von der geballten Kraft, die eine Frau freisetzen konnte, wenn sie wirklich, wirklich wütend war. Tod und Verderben für jeden, der es wagte, sich dem lodernden Zorn einer Frau entgegenzustellen.
Oh, ein Mädchen war mindestens zwanzig Jungs wert. Es gab nur ein grobes Problem mit ihnen – jeder mochte sie, deshalb wollten die meisten Jungs sie für sich gewinnen. Und Peter mochte es nicht, wenn etwas anderes mehr Aufmerksamkeit bekam, als ER. Er teilte schlichtweg nicht gern. Auch wenn es ihm stets gefallen hatte, wie die Mädchen nur IHN ansahen und seine Aufmerksamkeit für sich wollten. Mädchen brachten Ärger. Diese Lektion hatte er gelernt.
„Peter Pan", wiederholte die zarte Gestalt am Kratergrund, „Komm zu mir!"
Erst jetzt bemerkte Peter, dass ihr Tonfall nicht weich und zärtlich klang. Es war nicht das kichernde, sanfte Flüstern, das Raunen oder sternenhafte Murmeln, das von ihren Lippen zu ihm sprang und ihn verlocken wollte, ihr noch mehr Geschichten zu erzählen.
Peter blinzelte, machte einen Schritt voran und glitt halb schwebend, halb rutschend, in die Senke herunter. Hier war der Boden noch immer warm unter seinen blanken Fußsohlen, als er dem Stern entgegenlief. Wie wundersam... wie seltsam. Peters Herz schlug Purzelbäume vor Freude, dass es dem Stern gut ging.
Doch als er nahe genug war, erkannte er, dass in ihren Zügen wirklich keine Faszination lag. Kein warmer Blick für ihn, keine Bewunderung, die unter den goldenen Augen mit kleinen Funken zu erkennen war, wie Bienen in einem Stock umher summten. Stattdessen lag etwas anderes in ihrem Blick und Peter erkannte es in dem Moment, als der glimmende, leuchtende und schöne Stern ihm mit den zarten Fingern vor die Brust stieß: Ärger.
„Peter Pan!", wiederholte die scharfe Stimme aus geschliffenem Glas nachdrücklicher und voller bebender, unausgesprochener Vorwürfe, die jedoch auf seltsame Weise in jeder Tonnuance seines Namens zu hören waren. „WAS hast du getan?!"
Der Stern war wütend.
Auf IHN.
Oh-oh.
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