Kapitel 5 - Streching
~Sicht Lea~
Ich war gerade auf dem Weg zum Balletttraining, als ich mich wieder beobachtet und verfolgt fühlte. Prompt drehte ich mich um und sah vielleicht vier Meter von mir entfernt Matthias und Jonas.
Haben die Jungs keine Hobbys oder warum rennen die beiden mir permanent hinterher? Langsam kriege ich die Krise.
Ich drehte mich wieder um und stampfte schlecht gelaunt die Treppen in die Ballettschule hinein. Da Tamara bei allen Mädchen zuhause angerufen hat, dass wir ein Paar Socken und eine enganliegende Hose anziehen sollen, da wir uns die nächsten Wochen ausschließlich mit Streching beschäftigen werden und "lockere Hosen, die diese große Ungelenkigkeit der Mädchen verdecken können, gehen ja gar nicht", hatte Tamara Sandra nachgeäfft.
In der Halle saßen schon ein paar Mädchen, aber es fehlten noch einige.
„So Mädchen. Da mir in den letzten Wochen aufgefallen ist, dass keine von euch einen anständigen Spagat kann und genauso wenig irgendeine von euch eine anständige Flexibilität in den Beinen und im Rücken hat, werden wir jeden Dienstag und Donnerstag von 17 bis 19:30 Uhr eure Muskulatur stärken.", erklärte die alte Furie namens Sandra, „Und jetzt alle in einen Spagat!", sie klatschte mehrmals in die Hände.
Wir gingen alle in den üblichen Spagat, wo ein Bein nach vorne und das andere nach hinten gerichtet ist. Sandra ging an uns allen vorbei und verrückte einem entweder das Bein oder drückte uns auf die Schultern, da manche mit den Hintern in der Luft hingen.
„Und jetzt in den anderen Spagat! Los Mädchen! Wir sind hier nicht im Seniorenheim!"
Aber Sie bald, Sie alte Hexe., dachte ich mir murrend, machte aber den Spagat, bei dem man die Beine links und rechts vom Körper streckt. Und da ging die Prozedur von vorne los. Sie kontrollierte und ausgerechnet bei unseren Kleinen hatte sie mehr als nur kleine Verbesserungen.
„So, du Mädchen kommst mit an die Spiegelwand und eine von euch mit.", befahl Sandra.
Emilys Freundin Stacy war das Opfer der Hexe. Stacy sollte sich hinsetzen und die Furie und Maike (sie war mit Abstand der Liebling der Furie) drückten gegen die Beine von Stacy, damit sie in einen perfekten Spagat geht. Dabei kreischte und flehte das arme Mädchen, dass sie aufhören. Schon nach dem dritten schmerzerfüllten Schrei von Stacy wurde es mir zu viel und ich musste raus aus diesem Raum.
So schnell ich konnte, rappelte ich mich auf und flüchtete in den Vorraum, von wo man zwar in den Raum gucken konnte, aber von den Geräuschen abgeschirmt war. Ich lehnte mich gegen die Wand und ließ mich an ihr heruntergleiten. Ich zog meine Beine an, steckte meinen Kopf zwischen sie und schloss die Augen. Da ich schon aus einem Augenwinkel meine zwei Stalker gesehen habe, wusste ich direkt, dass sie um mich herumstanden.
„Was ist los?", fragte Jonas, während er seine Hand auf meine Schulter legte.
„Es ist nichts. Es sind nur die Schreie von Stacy."
„Wer ist Stacy?"
„Das Mädchen, das von der Furie von Tanzlehrerin gequält wird, nur, weil sie keinen anständigen Spagat kann. Dabei ist sie gerade erstmal 7 Jahre alt.", flüsterte ich.
„Ist das normal, dass man das so macht? War das bei dir auch so?", fragte Matthias.
„Jedes Mädchen, das Ballett tanzt, muss dadurch. Und nicht nur das."
„Was noch?"
„Guckt doch einfach weiter, was die Hexe da treibt.", murrte ich.
„Wieso nennst du deine Tanzlehrerin eigentlich Hexe oder Furie?"
„Weil sie eine ist. Und sie ist nur auf Zeit meine Tanzlehrerin, weil Tamaras Fuß immer noch nicht geheilt ist."
Bevor einer der beiden Jungs antworten konnte, ging die Tür auf. Ich sah auf und sah in die strenge Fratze von der Furie.
„Mädchen! Was machst du hier draußen?!", fauchte sie.
„Nur, weil Sie das arme Mädchen vor den Augen aller quälen, heißt das noch lange nicht, dass alle damit klar kommen! Lea hat die Schreie nicht mehr ausgehalten!", verteidigte mich Matthias.
Dankbar sah ich ihn an. Selbst wenn ich heute ein wenig provokativ (ich glaube, das färbt von Jonas und Matthias ab) war, sobald die Hexe vor mir steht, werde ich nichts machen, weil sie bestimmt zu den Leuten gehört, die Misshandlungen als Erziehungsmethoden ansieht.
„Du hast hier nichts zu Kamellen! Mädchen, du kommst sofort wieder rein! Wir setzten die Übungen fort!", keifte die Schrulle.
Widerwillig und ängstlich stand ich auf und folgte Sandra in den Tanzraum.
Sandra klatschte in die Hände: „So und jetzt alle in den ersten Spagat und so weit nach hinten und nach vorne beugen, wie nur möglich!"
Alle taten, was uns befohlen wurde.
***
Fix und fertig und nass geschwitzt, wurden wir um 21 Uhr entlassen. Einzig und allein bei mir und Johanna hatte die alte Hexe nichts auszusetzten. Bei mir lag es daran, dass ich jeden zweiten Tag meine Flexibilität mit meiner Mutter trainierte. Da Mama wieder als Notärztin arbeitete (sie hatte sonst nur in den Ferien als Ärztin gearbeitet, damit sie Zeit für mich hat), wusste sie auch, was das Maximum war, bis wohin ich gehen kann, ohne bleibende Schäden davon zu tragen. Mama hatte mir erzählt, dass sie mal eine Patientin hatte, dessen Mutter und Tanzlehrerin sie viel zu schnell zu verschiedenen Übungen gedrängt haben und dadurch konnten sich ihre Bänder und auch Sehnen sowie Muskeln nicht ausreichend dehnen und sind gerissen. In einer sofort angesetzten OP konnte alles wieder zusammengeflickt werden und das Mädchen war erst einmal ein paar Monate verschont.
Als ich aus der Umkleide kam, sah ich Matthias an die Wand gelehnt, doch Jonas war weg.
„Und ich habe gehofft, euch zwei ist langweilig geworden und seid gegangen.", murrte ich, als ich an ihm vorbeiging.
„Jonas ist nur weg, weil in seiner Familie was passiert ist. Und ich dachte mir, dass ich dich einfach nach Hause fahre.", antwortete Matthias.
„Lieber nicht. Bei dem Fahrtwind erkälte ich mich sicher."
„Ich kann dir meine Jacke geben.", schlug er vor.
„Lass mal. Ich fahr sowieso lieber mit der Bahn."
„Wieso das denn?"
„Weil Motorräder gefährlich sind und ich nicht zu den Dutzenden von Leuten gehören möchte, die aufgrund eines Motorradunfalls sterben."
„Aber sicher willst du auch einfach nicht mit mir fahren, weil ich nicht glaube, dass Melanie dich schlägt. Ich hab meine Meinung geändert. In der Sporthalle habe ich gesehen, was dieser Drei-Käse-Hoch mit dir gemacht hätte, wenn die Lehrer nicht eingeschritten wären.", erklärte Matthias, „Und außerdem geht's mit mir viel schneller.", er grinste mich breit an.
Ich schenkte ihm nur ein minimales Lächeln, weil in meinem Kopf noch immer die Schreie von Stacy hallten.
„Hab ich überhaupt eine andere Wahl?", seufzte ich.
„Nicht einmal ansatzweise.", lachte Matthias.
„Na schön."
***
In den folgenden Wochen freundete ich mich immer mehr mit Jonas und Matthias an. Ich hatte sogar Geburtstag, aber das habe ich denen nicht gesagt, denn so wie ich die beiden kennengelernt habe, hätten sie eine riesige Geburtstagsparty geschmissen. Die Pausen verbrachten wir zusammen und ich blieb verschont von Melanies Schlägen. Jedes Mal, wenn Melanie auch nur schräg zu uns rüber sah, verfinsterten sich die Blicke der Jungs und starrten sie regelrecht nieder. Und deswegen hat Melanie vermutlich Angst, mir auch nur zu nah zu kommen, weil Matthias und Jonas vor einer kleinen (hin und wieder auch größeren) Schlägerei nicht zurückschrecken.
Aber gerade konnten mir beide nicht helfen. Wir hatten einen Vertretungslehrer, den es nicht interessierte, was wir taten, und somit hatte Melanie sozusagen den Freifahrtsschein, um alles mit mir zu tun, was sie wollte.
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So meine Lieben!
Ja, es hat mal wieder lange gedauert, bis etwas kommt, ich weiß. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen und über Rückmeldungen jeglicher Art würde ich mich wahnsinnig freuen. ;)
Eure Kristin
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