(18/6) Leben
Crispino öffnete den Deckel und ein herrlicher Duft nach Karotten, Bärwurz, Lauch und Kohl drang Valerio in die Nase. Wenn er sich nicht täuschte, musste sogar Fleisch darin sein...
"Aber wie... wie kannst du sicher sein, dass ich dich nicht verrate, wenn sie mich... das nächste Mal holen?"
Der Mönch drückte Valerio den Löffel in die linke Hand. "Punkt eins: Der Plan ist, dass sie dich nicht mehr holen." Er sah ihm scharf in die Augen. "Irgendwie wird uns das gelingen", erklärte er schlicht. "Punkt zwei: Ich glaube, dass du auch bisher standhaft genug warst. Du bist ein zäher Kerl. Du hast niemanden verraten. Sonst hätten sie dich nicht so ausgiebig in die Zange genommen. Und Punkt drei...", er tätschelte Valerio die Wange, dann wies er auf den Topf, "ich sehe deinen Blick. Ich habe Suppe. Mit Fleisch." Mit dem Daumen wies er zur Decke hinauf. "Und das Beste, mein Sohn: Ich sitze an der Quelle." Sein Zwinkern verriet, wie sehr auch er selbst wohl einen gut gefüllten Teller mit warmem Essen schätzte. "Es gibt noch mehr da oben. Wir kochen jeden Tag." Er schüttelte entschieden den Kopf. "Nein. Niemand beißt die Hand, die ihn so gut füttert. Ich vertraue dir."
Auffordernd nickte Crispino zu dem Löffel hinunter, den Valerio immer noch in der Hand hielt. "Aber iss nun erst einmal. Ich komme heute Abend mit Bruder Stefano wieder. Bis dahin schlaf. Du wirst ausgeruht sein müssen, wenn wir uns deine Hand vornehmen." Mit der flachen Hand klopfte er die Decke über Valerios Bein, dann seufzte er. "Du bist Heiler. Dir ist nichts vorzumachen. Also, was soll ich lange um den Brei reden. Du weißt, warum ich eben nichts mehr drauf geschmiert habe. Es lohnt nicht, die guten Mittel können wir uns sparen. Und es würde dir nur unnötige Schmerzen einbringen, wenn das wieder herunter müsste... Wir müssen die Hand ja zu packen bekommen."
Er raffte sich mühsam vom Boden hoch und richtete die Kordel, die er um den Bauch trug. "Wir... machen das ganz ordentlich, du wirst sehen. Mit einer verlorenen Hand ist das Leben nicht gleich zuende. Es ist nur anders, also Kopf hoch! Wenn du den nämlich verlieren würdest, das wäre weitaus schlimmer. Außerdem denke ich, es wird leichter sein, den Eifer des Kardinals erst einmal auszubremsen, wenn dir die Hand fehlt. Das muss man ganz praktisch sehen. Rippen heilen relativ schnell, Prellungen und Platzwunden noch schneller. So ein Armstumpf jedoch ist eine große Wunde, da ist die Sache klar. Keine Folter mehr, bis das einigermaßen verheilt ist. Und wir werden sagen, du hättest außerdem ordentlich Blut verloren."
Die Hitze des Topfes drang durch die Decke hindurch. Einen größeren Kontrast als den, der zwischen dieser wohltuenden Wärme und den schockierenden Worten des Mönchs bestand, konnte es kaum geben. Tränen brannten salzig an Valerios aufgesprungenen Lippen. Er spürte den fragenden Blick, den der Mönch auf ihn gerichtet hielt. Crispino wollte sein Einverständnis, doch Valerio konnte nichts sagen. Seine linke Hand umklammerte den Löffel. Er nickte nur, starrte in die Suppe ohne aufzusehen.
"Ich weiß, das ist jetzt hart, mein Sohn. Das Leben scheint oft ungerecht. Bete, das wird dir helfen. Und mach dir keine Sorgen. Bruder Stefano und ich haben das schon oft gemacht. Noch nie ist uns jemand dabei gestorben." Sein Blick streifte die mit Zeichen übersäten Wände des Kerkers. "Sieh dir das an, all diese Zeichen hier. Verzweifelte Rufe an eine Welt, die blind und taub ist. Ich denke nicht, dass viele hier unten waren, die lebend wieder ans Tageslicht kamen. Könnte man sie heute fragen... Ich bin sicher, jeder einzelne würde mit Freude seine Hand geben, wenn er sich damit aus seiner Hölle freikaufen könnte. Geschenkt wurde diese Gnade noch niemandem. Du, mein Sohn, bist ein Glückspilz."
Warum ich", fragte Valerio und wischte sich mit dem Handrücken über das Kinn. "Warum tust du das für mich?"
Crispino war bereits auf dem Weg zur Tür; er wandte sich um, kam die wenigen Schritte zurück. Er flüsterte jetzt. "Weil die Inquisition meine Schwester geholt hat. Sie... war Hebamme. Kinder sterben bei der Geburt. Frauen sterben im Kindsbett. Der Mensch ist nicht mächtig das zu verhindern, wenn der Herr es so fügt. Sie... war ein guter Mensch. Eine kluge Frau, eine gute Hebamme. Sie hat viel Gutes bewirkt und die Leute mochten sie. Man vertraute ihr. Über Kräuter und Mittel wusste sie mehr als ich, möchte ich meinen. Sie hat mir einmal mein Bein gerettet mit ihren gottgesegneten Händen und ihrem weisen Verstand." Er sammelte sich einen Augenblick, dann sprach er weiter: "Vor Jahren war ich nicht sicher, was ich von der Inquisition halten sollte. Ich ging davon aus, dass die hohen Herren schon wissen, was sie da tun. Wir Dominikaner sind sehr konsequent im Glauben, wenn du weißt, was ich meine. Und es gibt viel von Menschen bewirktes Übel in der Welt, auch gegen Gott und die Kirche, das ist bekannt... Und unsereins hat sich um andere Dinge zu kümmern, irgendjemand muss die Arbeit also machen. Aber seit sie jenseits der Stadtmauer gerichtet wurde - weil ihr eine Kindsmutter gestorben war und der Mann in seiner Trauer unbedingt einen Sündenbock brauchte, den er ins Feuer stoßen konnte - lässt mich der unheimliche Geist der Inquisition nicht mehr in Ruhe."
Valerio verstand nicht ganz. Was hatte diese Geschichte mit ihm, einem Fremden im Kerker, zu tun? "Aber wie führt das ausgerechnet zu mir", fragte er. "Du kennst mich nicht."
Abwehrend schüttelte Crispino den Kopf. "Ich habe bei Gott geschworen, zumindest einen der verlorenen Menschen aus diesem Keller zu holen, sollte es mir eines Tages möglich sein. Wenigstens einen. Für das Leben meiner Schwester. Bisher war es mir nicht erlaubt, hier hinunter zu gehen. Salomone war der einzige Heiler, der das Verlies betreten und mit den Gefangenen reden durfte. Aber jetzt....", er breitete die Arme aus, "jetzt scheint meine Zeit gekommen. Gott gibt mir Gelegenheit mein Versprechen einzulösen. Ein Brief hat uns erreicht, Salomone und der Abt sind noch ein paar Tage länger fort. Der Abt muss ausruhen, bevor er die Heimreise antreten kann. Sie bleiben in einem Kloster vor Rom und mir sieht hier nun niemand auf die Hände. Das ist ein Gotteszeichen."
Einen Augenblick war es still. Valerio wusste nicht, was er sagen sollte. "Der Tod deiner Schwester tut mir leid", brachte er schließlich heraus. "Sie... war unschuldig. Wie alle diese Frauen und Männer. Auch meine Mutter hat ihre drei Töchter verloren. Bevor sie zwei Jahre alt wurden, ihr starb ein Kind nach dem anderen... Eine Nachbarin sagte, es läge ein Fluch auf ihr. Bis sie mich, einen Jungen, bekam und ich vor der Nase der abergläubigen Frau überlebte und heran wuchs. Aber die Menschen finden immer etwas, was einen verdächtig macht... Dann nämlich hieß es, meine Mutter habe einen unguten Zauber bewirkt, damit ihr Sohn lebt." Er sah zu dem Mönch auf. "Wenn man einmal beschuldigt wird, trägt man von diesem Augenblick an eine unsichtbare Schlinge um den Hals. Es ist eine Frage der Zeit, wann sich diese zuzieht. Irgendjemand wird kommen und es tun."
Nachdenklich ruhten die Augen des Mönchs auf ihm. "Das sind weise Worte für einen so jungen Mann", sagte er leise. "Ich sehe... wir verstehen uns. Ich bin froh, dass du es bist, den mir der Herr so unverhofft vor die Füße gelegt hat. Er muss dich sehr lieben. Ich werde sehen, was ich für dich tun kann. Nun iss aber deine Suppe, lass sie nicht kalt werden. Und beeil dich, damit man dich hier nicht so putzmunter sitzen sieht. Leg dich wieder hin, wenn du fertig bist, und rede mit niemandem. Stell dich schlafend oder schlaf. Aber rühr dich nicht, bis ich wiederkomme. Ich möchte, dass du schwach und dem Tod nahe wirkst. Das gehört zum Plan." Er beugte sich zu den Körben hinunter. "Die bleiben erstmal hier; sie werden es nicht wagen, sich daran zu vergreifen. Aber... hier ist etwas, das sie suchen könnten, beinahe hätte ich es vergessen... Ich stelle dir diesen Krug neben dein Lager. Und den Becher dazu. Trink aber nicht zu viel. Damit dein Blut nachher nicht zu flüssig ist. Wegen der Hand, du weißt schon."
Crispino stellte ihm Krug und Becher auf Armlänge hin. "Aber jetzt muss ich mich beeilen, sonst komme ich noch in Verdacht. Ich war schon viel zu lange hier", flüsterte er. Dann wandte er sich eilig ab und ging zur Tür. Auf sein Klopfen hörten sie Schritte, der Riegel kreischte in der Führung, dann der zweite. Die schwere Tür öffnete sich ächzend.
"Na, ich dachte schon, du hast es dir da drinnen wohnlich eingerichtet", polterte Dasio. Neugierig reckte er den Hals, um über die Schulter des Mönchs einen Blick auf den Gefangenen zu erhaschen. Valerio duckte sich über seinen Suppentopf und nahm einen großen Löffel voll. Im Schein von Laterne und Fackel, die Crispino ihm gelassen hatte, fühlte er sich in diesem Moment viel zu sichtbar. Er war froh, als er unter dem Vorhang seiner Haare beobachten konnte, wie der Mönch den Wächter aus der Tür hinaus schob und sie hinter sich zudrückte.
Der Krug. Es war ihm bereits in die Nase gestiegen, als Crispino ihn auf dem Boden abgestellt hatte. Und es hatte ihm unsägliche Qual bereitet, das große bauchige Gefäß dort stehen zu sehen und an seinem Platz zu bleiben, bis der Mönch verschwunden war.
Umständlich, einhändig schälte er sich jetzt aus den Decken, stütze sich am Boden ab, kam endlich mühsam auf die wackeligen Beine, ging zwei, drei Schritte... und sank vor dem Krug auf den kalten Boden nieder.
Als das Tier markerschütternd aufbrüllte, schüttelte ihn heftiges Weinen wie nur ein einziges Mal davor in all den Jahren. Er wandte sich nicht um, achtete nicht auf das nervenzerfetzende Geräusch, als die Klauen sich hinter ihm in den Boden gruben, ihn aufrissen und Blutgeruch den Raum füllte. Es wollte ihn nur einschüchtern, verhindern, dass er sich in die graue Zone zurück und von da aus weiter fort bewegte. Valerio ignorierte seine furchteinflößenden Drohgebärden, so gut er konnte.
Er nahm sich nicht die Zeit den Becher zu füllen. Er packte den Krug mit der linken Hand, stützte ihn mit seinem rechten Unterarm, setzte ihn an und ließ die herbe, dunkle Flüssigkeit in seinen Mund laufen. Er gab sich Mühe nicht allzu viel zu verschütten. Einmal, zweimal musste er absetzen, weil er so sehr weinen musste und sein Hals sich verkrampfte, aber dann trank er weiter und weiter, als sei alles nur ein Traum und man würde ihn jeden Moment aufwecken.
Dieser Wein war Leben. Er spürte, wie es ihn durchdrang, ihn wärmte und belebte, sein Herz schlug schon ruhiger, die Schmerzen wurden schwächer und er fühlte sich plötzlich ausgeruht und stark - beinahe jedenfalls, denn es würde eine Weile brauchen, bis es vollständig wirkte. Als er den Krug wieder abstellte, atemlos, zitternd mit der Hand über seine Brust rieb, um das gute Untergewand zu trocknen, konnte er noch kaum glauben, was ihm geschah. Er... hatte auf einmal so viel Hoffnung. So viel, dass es ihm beinahe das Herz sprengte. Er besah seine verletzte Hand, umfasste sie mit der gesunden, drückte sie vorsichtig an seine Brust. Er wiegte sich vor und zurück, weinte und lachte zugleich in sich hinein. Bei allem, was er durchgemacht hatte, kam er erst jetzt dem Wahnsinn nahe, beinahe wollte er schreien und rufen, er wollte singen und laut lachen, aber dann würde man darauf aufmerksam, was hier geschah...
Er beruhigte sich wieder, kam zu sich. Strich sich die Haare aus dem tränennassen Gesicht, bemerkte zum ersten Mal, dass Kinn und Wangen bis auf eine Schicht sehr kurzer weicher Stoppeln glatt waren; der Bart der vergangenen zwei Wochen war verschwunden. Liebe und Dankbarkeit durchströmten ihn bei dem Gedanken, was dieser kleine Mönch in den letzten Tagen für ihn getan haben musste.
Plötzlich fiel ihm ein, was er zu Magnus gesagt hatte. Im Baderaum. Als sie im heißen Wasser lagen und über Vertrauen sprachen. Was kannst du mir schon tun, hatte er zu ihm gesagt. Ich bin sicherer in Händen, die sich für mich begeistern als in den Händen von Leuten, denen ich nichts bedeute.
Oh, er war in Hände geraten, denen er nichts bedeutete! Ein besseres Beispiel als... Folter... gab es nicht für völliges Ausgeliefertsein. Die furchtbarste Hölle, die Menschen erleben konnten, war eine Welt ohne Liebe und Mitgefühl. Wenn man in jedem Augenblick wusste: buchstäblich alles konnte passieren, es gab keine Grenze, nichts, absolut nichts war sicher und jede geringste Hoffnung aussichtslos. Wenn es keinen Boden mehr unter den nackten Füßen gab, keinen tröstenden Himmel, keine menschliche Reaktion auf unermessliches Leiden, keine Hoffnung auf ein Morgen. Und dann - ein Crispino. Eine menschliche Stimme in der Stille. Ein Licht in der Dunkelheit.
Auch ihm war er vollständig ausgeliefert gewesen in den drei Tagen seiner Bewusstlosigkeit. Er hätte ihn aufgeben, sich abwenden können. Er lachte jetzt beinahe, strich sich erneut über den feinen Bartansatz. Der Mönch musste eine sehr scharfe Klinge an seinem Hals gehabt haben. Und nichts war ihm geschehen. Er hatte ihm Wasser eingeflößt, ihn gewaschen, seine Wunden versorgt. Ihn gewärmt, Licht in seine Hölle gebracht und sich für ihn eingesetzt. Er hatte freundlich und beruhigend mit ihm gesprochen, auch wenn er nie wusste, ob Valerio ihn überhaupt hörte. Es gab Menschen, die waren die Hölle für andere. Und es gab einige wenige, die waren Engel, wenn alles ins Dunkel stürzte. Es war so einfach, die Menschen zu lieben, die einen ebenfalls liebten - Menschen, die dem eigenen Blut und Herzen nahe waren. Liebe, dieses ganz große Wunder, begann erst da, wo jemand ein Fremder und nicht leicht zu lieben war. Ein Andersdenkender, ein Verlorener. Einer, der in seinem eigenen Dreck und Blut lag. Ein Feind.
Aber jetzt... stand ihm die Welt offen wie niemals zuvor. Es war, als würde er gerade neu geboren, in diesem Augenblick. Vorsichtig tastete er seine Rippen unter dem Hemd ab, drehte den Oberkörper probeweise, dehnte den Brustkorb, spannte die Bauchmuskeln an, dann den Rücken, hob die Arme... Es war beinahe schon gut. Auch die Schmerzen in der Hand waren auszuhalten. Und langsam spürte er ein erstes Ziehen und Zucken in einem der Finger; ein feines Stechen war es, das Heilung versprach.
Zum ersten Mal, seit er Magnus verlassen hatte, war er glücklich und voller Hoffnung. Er musste jetzt essen. Und dann schlafen, bis Crispino und Stefano kamen. Er brauchte Ruhe, damit sein System sich erholen, einen sicheren und stabilen Zustand erreichen konnte. Er war ein Wanderer. Er würde niemals etwas anderes sein. Er war der Bezwinger des Tieres, der einzige, der ihm nicht seine Seele überließ für ein paar nützliche Eigenschaften und dieses Bisschen Unsterblichkeit. Er war vollkommen unbestechlich und frei, Heiler, Sänger, Musicus. Und liebender Freund eines wunderbaren Mannes, den er retten und zu seiner wahren Natur erwecken würde... Er hatte noch so viel Leben vor sich. Und er würde Magnus nicht länger warten lassen.
Valerio... weißt du, was eine Dramaqueen ist? Warum musst du so hart durch alles hindurch? Du bist so ein Dickkopf. Eine wahre Zehn der Schwerter. Aber es steht dir.
Ich würde mich eher als eine Neun der Stäbe bezeichnen. In Kombination mit der Nummer Dreizehn, dem Tod.
Heldentum und Transformation, wirklich? Ihr helles Lachen perlte gegen die Wände. Wie wäre es mit dem Ritter der Schwerter und der Schwerter-Acht? Hin und her gerissen zwischen dramatischem Gejammere und wildem Drauflosstürmen, das passt wohl eher, findest du nicht?
Lena... halte bitte den Mund.
Ihre Stimme klang silbern in seinem Bewusstsein. Jemand kommt. Verdirb es jetzt nicht. Beherrsche dich, du bist noch nicht soweit.
Draußen im Gang näherten sich Schritte. Jemand schrie und schimpfte, eine jammernde Stimme, ein Aufschrei, ein Gitter wurde aufgeschlossen, einige Augenblicke später schlug es wieder zu. Das war die Zelle, in die man zunächst auch ihn gesteckt hatte. Vincenzo Grassi hatte ihm dort eröffnet, dass er seinen wahren Namen wusste... Nun schien es also einen weiteren Gefangenen zu geben.
In seinem Kopf rauschte es, die Gedanken gingen durcheinander. Er wusste nicht, woran er zuerst denken sollte. Daran, dass er wieder nach Hause kommen konnte oder... an Vincenzo Grassi. Er würde ihm das Herz heraus reißen, mit der bloßen Hand. Und die Männer, die Wächter - auch Dasio war einmal mit dabei gewesen. Er hatte die Idee mit den Stricken gehabt. Dasio war so gut wie tot, jetzt bereits. Aber nicht wegen des Leids, das er und seine Freunde Valerio zugefügt hatten. In fünfhundert Jahren war es nicht das erste Mal gewesen. Zu allen Zeiten kamen Männer auf solche Gedanken. Wenn sie wüssten, dass sie noch gute fünfhundert Jahre später genau dasselbe tun würden, jeden einzelnen Tag und in jedem Land der Welt, ihnen würde vor sich selbst und ihren Geschlechtsgenossen übel werden. Nicht seinetwegen also. Sondern, weil sie es weiter und weiter mit allen tun würden, die ihnen ausgeliefert waren, wenn niemand es beendete.
Seine Zeit würde nun kommen. Das Leiden war vorbei. Die Schritte verklangen im Gang, dann war es still. Schnell schlich er zurück zu seinem Lager, griff nach dem Topf und setzte sich unter die Decken, um zu essen. Einen Rest ließ er in dem bauchigen Gefäß, schob es Richtung Korb weg und rollte sich in die Decken ein. Wenn alles gut verlief, musste er in zwei bis drei Stunden zumindest einige seiner Kräfte und Sinne zurück gewonnen haben.
Er schloss die Augen und hörte noch, wie von oben die Glocke zum Gebet rief. Fein und leise durchdrang sie den Stein der gewölbten Decke. Crispino musste jetzt dort oben bei den anderen sein. Und so wie er den guten Mann einschätzte, würde er gleich für ihn und seine Rettung beten. Noch im Einschlafen kam ihm der Gedanke... Crispino würde sich nicht fassen können vor Glück - zu sehen, welche Wunder seine Gebete bewirken konnten. Leise bewegte Valerio unter der Decke die Finger seiner rechten Hand, fühlte in das Ziehen und Stechen hinein. Die zerfetzten Nervenenden suchten einander bereits, sendeten Impulse aus. Er lächelte bei dem Gedanken, dass er wieder Violine spielen würde. Und Zwiebeln schneiden. Weil Magnus nicht gut kochen konnte.
Ende Teil 168
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