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(18/3) Die Hand Gottes

Crispino wartete, bis Dasio und Leone verschwunden waren und sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Er zog den Verletzten vorsichtig zu sich herüber und rollte ihn auf den Bauch. Er half ihm bei seinen Bemühungen, ihn wieder auf die Decke zurück zu bringen. Der Mohn schien die Schmerzen bereits auf ein erträgliches Maß reduziert zu haben. Er hätte brüllen müssen, als er ihn auf die Rippen hinüber drehte, aber er lag da auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gewendet, und sein Atem wurde schon ruhiger. Noch war er ansprechbar...

Als er sicher war, dass der Wächter sich von der Tür entfernt hatte, nahm er die hölzerne Schale und kippte das blutige Wasser gegen die hintere Wand aus. Dann kam er eilig zurück, zog dem Gefangenen die Decke bis auf die Beine hinunter und goss aus dem Krug heißes Wasser und Essig zueinander. Einen Augenblick zögerte er. Er atmete tief ein und wieder aus, bekreuzigte sich. "Das wird... kein Spaziergang", warnte er schließlich und begann mit dem Lappen das aufgeplatzte Fleisch zu beträufeln. "Ich muss die Krusten lösen, der Dreck muss heraus", erklärte er und wusste, es diente auch seiner Entschuldigung. "Du wirst Geduld haben müssen." Mut meinte er. Nicht Geduld. Aber er sagte es nicht.

Er stopfte jetzt saugfähige Tücher an die Seiten und drückte das Essigwasser über den Wunden aus, nahm die sauer riechende Flüssigkeit wieder auf, wischte und tupfte vorsichtig und bald auch beherzter und tränkte den Lappen immer wieder neu. Während er sich von den Schultern bis zum Kreuz herunter arbeitete, biss er selbst die Zähne zusammen. Bei dem, was er hier tun musste, schmerzte sein eigener Rücken, als würde man ihm die Haut in Streifen herunter ziehen.

 Das Licht der Fackel leuchtete nicht genug zu ihnen herüber, um den Zustand der einzelnen Risse genauer anzusehen. Und die Öllampe stand auf dem Boden und reichte höchstens eine Handbreit in die Höhe. Ihr Licht kam von unten her und ließ den Rücken eher im Dunkeln, als dass es ihn zu beleuchten half. Er befürchtete, er würde mehr Schaden anrichten als Gutes bewirken bei diesen schlechten Bedingungen. Er musste die Wunden gründlich reinigen. Wenn er nicht sorgfältig arbeitete, war die ganze Mühe umsonst. Jetzt hätte er seinen Helfer gebraucht, dass er die Lampe hielt... aber es war gut, dass der strenggläubige Junge gerade nicht da war. Er musste versuchen den Mann noch ein wenig länger wach zu halten, so sehr er ihm die starke Betäubung auch gönnte. Das Licht war ein Problem - und ein gutes Argument den Gefangenen jetzt erneut anzusprechen, um ihn aus seinem beginnenden Dämmerzustand zu reißen.

"Hm... das ist schwierig. Ich kann nicht viel sehen auf deinem Rücken... Kann ich die Lampe hier bei dir...?"

Als er nicht reagierte, packte Crispino die welligen Haare, drehte sie umeinander und legte sie ihm an die Halsseite, so dass sie nicht in die Flamme gerieten. Absichtlich hielt er sie dabei kräftig fest, zog auch einmal daran, um ihn wach zu halten. Dann stellte er die Öllampe vorsichtig auf dem Schulterblatt ab. "... Valerio?" Nicht, dass er jetzt vom Boden hoch kam! Licht war rar hier unten. "Rühr dich nicht", mahnte er und drückte zur Bekräftigung seinen Unterarm. "Bleib so."

Was sich im Schein der Flamme nun so viel deutlicher zeigte, ließ den Heiler einmal mehr den Atem anhalten. Wie unmenschlich musste man sein, dass man einem jungen Kerl derartige Verletzungen zufügte. Davon würde er sein Leben lang gezeichnet sein; die Narben würden ihm bis ins Alter hinein Schwierigkeiten machen. Wenn er es überlebte und nicht an Wundbrand starb. Seine Eltern weinten sich wegen ihm wahrscheinlich die Augen aus. Vielleicht sollte er ihn später fragen, ob es eine Nachricht zu übermitteln gab... Er konnte den stummen Muzio losschicken, der war sehr zuverlässig.

Die Peitschenhiebe, die den unteren Rücken getroffen hatten, mussten unvorstellbar schmerzhaft gewesen sein. Es war pure Willkür dahinter, die Schläge so tief anzusetzen. Die Stelle war viel empfindlicher als der obere Rücken, und sie war mit einer solchen Wucht getroffen, dass das Fleisch dort tief und über mehr als die Länge einer Männerhand hinweg aufgeplatzt war. Fünf klaffende Risse zählte Crispino, während er bewunderte, dass Valerio ihm nicht unter den Händen weg flüchtete, sondern still hielt, als holte man ihm nur einen Bienenstachel aus der Haut. Der Mönch wusste, dass er wach genug war und dass ihm diese Prozedur Schmerzen verursachte; er bemerkte es an der Atmung, die jedes Mal tiefer und schnaufend wurde, wenn das Essigwasser in die Wunden eindrang. Dennoch kam ihm kein einziger Laut über die Lippen. Es war, als wollte er seinen Feinden nicht die Genugtuung gönnen sein Leiden anzuhören.

Crispino lief es eiskalt den Rücken herunter, als er sich vorstellte, wie er unter der Folter womöglich denselben Stolz gezeigt haben mochte. Dieser Mann war eigenartig. So entkräftet und verletzt er hier auch vor ihm lag - er hatte eine Stärke an sich, die irgendwo in dieser Haltung lag, in der Art, wie er sein Schicksal trug. Um ihn wob sich ein Geheimnis, das konnte er deutlich spüren.

"Du... hast medizinische Kenntnisse", begann er vorsichtig. "Und die lateinischen Namen der Pflanzen liegen dir so selbstverständlich auf der Zunge, wie es mir selbst nicht eingefallen wäre... Nicht in einem solchen Zustand und mit einem Becher Mohntrunk im Bauch. Woher hast du solches Wissen?"

Er rechnete damit, sich beim Alter des Gefangenen tatsächlich verschätzt zu haben. Sein Körper wirkte ganz und gar nicht mehr knabenhaft... aber dennoch jung genug, um ihm nicht unbedingt ein abgeschlossenes Studium der Heilpflanzen zuzutrauen. Crispino maß die Proportionen der Schultern, des Brustkorbs, sah, wie tief die Peitsche in das Muskelfleich eingedrungen war. Er konnte sein Wissen auch anders erworben haben, er ging wahrscheinlich doch eher einer körperlichen Tätigkeit nach. Und das wahrscheinlich nicht erst seit wenigen Jahren... Mit dieser Muskulatur und dem Körperbau konnte er auch gut Land beackern oder die Arbeit eines Zimmermanns tun, er schien jedenfalls keiner zu sein, der nur mit dem Kopf arbeitete. Crispino konnte nicht genau sagen, was es war, aber etwas an dem Mann irritierte ihn. "Ist dein Vater ein Medicus", schlug er vor, auch, um ihn im Gespräch zu halten und ihn am Einschlafen zu hindern.

Valerio hob den Kopf ein wenig an, wandte ihn in Richtung der Utensilien, die neben dem Mönch auf dem Boden standen. Es war, als wollte er sehen, welche Kräuter und Mittel er zur Wundbehandlung anwendete. Als Crispino bemerkte, dass er die Augen offenbar ein wenig öffnen konnte, schob er die Dosen und Tiegel vorsichtshalber aus seinem Blickfeld hinaus. Er wollte sich nicht kontrollieren lassen, das ging gegen seinen Stolz. Ein Lächeln huschte über das geschwollene Gesicht und der junge Mann legte den Kopf wieder auf der Decke ab. Er schloss die Augen und man konnte nicht genau sagen, ob er nun schlief oder weiter verfolgte, was mit ihm geschah.

Crispino vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Er ist neugierig, dachte er. Und aufmerksam. Er schien einen wachen Geist zu besitzen. Womöglich hatte er tatsächlich studiert. Aber er sprach nicht mit ihm, wollte wohl nichts über sich preisgeben. Als Crispino schon dachte, der junge Mann sei eingeschlafen, kam überraschend die leise Antwort auf seine erste Frage.

"Studiert. In... Assisi."

Verblüfft sah der Mönch auf ihn hinunter. "In Assisi", wiederholte er nachdenklich und stellte die Schale beiseite, um seinen steif gewordenen Beinen ein wenig Platz zu machen. "Dann bist du aus dem Norden." Er nahm eine Spandose aus dem Korb und schüttete daraus fein geriebenen Thymian in eine große Schale. Dann mischte er das Kraut mit Eichenrindenpulver aus dem dunklen Beutel. Der trockene und scharfe Geruch hüllte sie beide ein. Als Valerio kräftig die Luft durch die Nase sog, wusste Crispino, er schätzte die gute Pflege, die er ihm zukommen ließ. Jetzt lächelte auch er. Ja - er wollte sich an alles halten, was der junge Mann vorgeschlagen hatte, auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, es vor ihm nicht zugeben zu müssen. Die Wahrheit war: Besser hätte er selbst die Mittel nicht zusammenstellen können. Das Wissen, das sie hatten, begann eine Brücke zwischen ihnen zu bauen. Vielleicht war es möglich, dass sie noch mehr Wissen teilten. Crispino hielt es für unerlässlich, wenn er ihm helfen wollte.

Plötzlich ging ihm ein Licht auf. "Du hast die Heilpflanzen studiert... Dann halten sie dich für einen Kräuterhexer? Was ist schief gelaufen? Ist ein Kranker gestorben, als du ihn gepflegt hast?" Er schnaufte. "Oder zu schnell gesund geworden? Das kann unsereins ja ebenfalls in Schwierigkeiten bringen in diesen schlimmen Zeiten..." Er streckte die Beine neben Valerio aus, platzierte die hochwandige Schale in der Mulde, die seine Kutte zwischen seinen Oberschenkeln bildete und griff nach dem Krug mit dem heißen Wasser. "Glaub mir... ich bin froh im Kloster zu praktizieren. Da ist man einigermaßen geschützt, uns nimmt man wenigstens das Heilen im Namen des Herrn ab. Ihr da draußen seid in diesen Zeiten stets mit einem Bein im Kerker. Bist du gut, hast du deine Kräfte vom Teufel. Und ist die Krankheit stärker als du, unterstellt man dir, dass du den Tod für den Kranken gewollt und ihn womöglich noch eigens bewirkt hast. Und die Weiber, von denen man sagt, dass sie weniger klug als wir Mannsbilder und dazu auch verführbarer durch das Böse sind, haben es noch schwerer als unsereins. Da hat es schon manchem Kind die heilkundige Mutter weggerissen. Und eine Wehenmutter möchte man vor der Inquisition schon gar nicht sein."

Bevor er es verhindern konnte, hatten ihn seine gedanklichen Ausschweifungen wieder einmal in die Nähe der altbekannten Wut und Trauer gebracht. Er wollte jetzt nicht sentimental werden, er musste sich konzentrieren. Als er schluckweise Wasser auf die Kräuter goß, umrührte und wieder nachgoß, schob er die düsteren Gedanken beiseite und besann sich wieder auf das, was er hier versuchte; inständig hoffte er, der junge Medicus möge zuhören, seine gute Absicht spüren. Darum ließ er ihn so viel wie möglich von seiner großzügigen Haltung sehen. Er musste sein Vertrauen gewinnen. Aber noch wusste er nicht, wie seine Bemühungen aufgenommen wurden. Vielleicht sollte er doch noch ein wenig beim Thema bleiben...

"Es gibt Orte", fuhr er in gedämpftem Ton fort, "da will schon keine mehr bei den Kindsgeburten helfen, weil die Priester und der Amtsmedicus alle Augen bei den Hebammen haben. Wenn du mich fragst.... Sie werden den studierten Herren zu mächtig mit ihrem Wissen." Er lachte leise. "Es gibt eben doch Dinge, da brauchen uns die Weibsbilder nicht. Kinder gebären sie seit Adam und Eva, sie wissen eben, wie's geht. Man muss ihnen ihre Kunst lassen. Aber über uns alle, die wir Leben retten oder schenken, sollte bekannt sein: Wir können weder alles retten, noch sind wir Hexer, wenn es uns gelingt! Letztlich entscheidet der Herr, nicht wir." Er seufzte. "Er gibt mit der einen Hand und nimmt mit der anderen, beides ist kein Menschenwerk. Und Gottes Wege sind nicht immer leicht verständlich. Die hohen Richter der Inquisition sollten sich nicht anmaßen sie zu bewerten."

Crispino schielte nach dem Gesicht des Mannes, es blieb aber ohne Regung. Dennoch war er sicher, er hörte zu. Er musste ihn noch ein wenig wach halten. Er langte herüber, zog ihm die Decken weiter den Rücken hinauf. "Weißt du, wo man am besten vor der Anklage geschützt ist? Unter gebildeten Leuten. Die können nämlich denken, haben nicht so viel Kuhmist im Kopf, weißt du. Und natürlich bei denen, die dich gut kennen. Denn Dummheit - und auch Angst vor dem, was man nicht kennt - das zieht den Aberglauben an. Da wird's gefährlich. Als Medicus muss man wissen, mit wem man spricht." Er lachte auf. "Mir jedenfalls kannst du vertrauen, ich kenne das." Er schüttelte den Kopf. "Und eines ist für mich klar: Diese Inquisition, das ist kein Gotteswille."

Lauschend wandte er den Kopf zur Tür. Was redete er da! Er befand sich im Kerker des Kardinalinquisitors und sprach sich munter gegen die Inquisition aus... vor einem Gefangenen, den man in diesen Tagen gerade der Folter unterzog! Wer wusste schon, wen der arme Mann in seiner Not noch beschuldigen würde, wenn man ihn nur genug quälte!

"Aber kein Wort davon vor den Wächtern oder dem Kardinal", drohte er leise. "Wenn die Abtei ihren Heiler verliert, kommt so schnell keiner mehr hier hinunter. Was wir besprechen, du und ich, das bleibt unter uns."

Der junge Mann hob schwach den Zeige- und Mittelfinger seiner linken Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte.


Als Leone einen Augenblick später mit dem Honig und einem Beutel voll Lattich erschien und sie die Paste für seinen Rücken fertigstellten, schien er bereits in Schlaf gefallen zu sein. Er war still und rührte sich nicht, während sie die Leinenstreifen mit dem scharf riechenden klebrigen Brei darauf vorsichtig auf seine Wunden drückten. Er atmete jetzt ruhig und das Zittern hatte aufgehört.

Prüfend griff Crispino unter die Decke und spürte, wie ihm Wärme entgegen kam. Fürs Erste war er zufrieden. Valerio hatte zwar nicht viel getrunken und sie waren nicht dazu gekommen, ihm etwas zu essen zu geben; die Versorgung der Verletzungen waren wichtiger gewesen. Aber das hatte nun Zeit bis nachher. Er würde sehen, ob er ihm einen Rest der Suppe bringen konnte, die es heute gegeben hatte. Er nahm sich vor, heute noch zweimal nach dem Gefangenen zu sehen - und vor allem musste er dem Wächter klar machen, dass der Mann in seinem Zustand kein weiteres Verhör überleben würde. Aber wenn er bereits gestanden hatte? Dann erwartete ihn wohl die Hinrichtung... Was der augenblickliche Stand der Sache war, würde er gleich bei dem Wächter erfragen.

Sie spülten seine Hand gründlich in warmem Wasser und nahmen so viel Essig, dass er wahrscheinlich aufgebrüllt hätte, wäre er bei Bewusstsein gewesen. Bei den Fingern war nichts zu machen; wenn sie wussten, ob er zumindest Aussicht hatte, lebendig in die Freiheit zurück zu gelangen, konnten sie über eine Amputation der Finger oder der Hand nachdenken. Bis morgen mussten sie den beginnenden Wundbrand besser im Griff haben. Sonst würde die Hand nicht zu retten sein.

Bis morgen war Zeit, Geduld war gefragt. Er sollte jetzt ruhen. Und er selbst musste dringend mit dem Prior sprechen, der den Abt in dessen Abwesenheit vertrat, denn nur der konnte bei dem Kardinal bewirken, dass sie ihn womöglich aus dem feuchten Kellerloch heraus und mit nach oben nehmen durften. Jetzt mussten sie ihn hier liegen lassen. Aber er konnte nun schmerzfrei ruhen und vielleicht erste Kräfte zurück gewinnen. Er hatte getrunken, immerhin einen Becher voll, er war sauber gewaschen und seine Wunden waren versorgt. Nicht zuletzt hoffte er, dass auch das Gebet, das sie nun für ihn sprechen würden, ihn stärken würde in seinem Überlebenskampf.

Warum machte er sich solche Gedanken, während er noch nicht einmal wusste, ob dieser Valerio überhaupt Aussicht auf Freiheit und Leben hatte? Ein Zauberer sollte er sein. Einer, der mit Magie getötet hatte. Aus Habgier. Und er hatte gesagt, es sei die Wahrheit. Wenn es nicht in bitterem Scherz gesprochen war... Er musste mehr darüber in Erfahrung bringen. Und schnell musste es geschehen, sie sollten besser keine Zeit verlieren.

Der Abt war ein Mann, den er nie ganz hatte durchschauen können. Er war gerecht und klug, sicher - aber wie er zur heiligen Inquisition und insbesondere zu den Vorgängen im Keller der Abtei stand, zeigte er niemals offen. Sein Vertreter Prior Geronimo aber war ein alter Freund. Selbst wenn er seine Bitte, sich für diesen Gefangenen einzusetzen, ablehnen sollte: Er würde ihn nicht strafen für seine eigenmächtigen Gedanken und Hoffnungen. Akte der Menschenliebe galten im Zweifelsfall mehr als Gesetze, er konnte sicher sein, dass Geronimo das ebenso sah. Um aber etwas für den jungen Mann bewirken zu können, brauchte es weitere und andere Argumente vor dem Prior. Denn was die Inquisition betraf, ließ sich auf Menschlichkeit allein kaum aufbauen.

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Crispino und Leone konnten den Wächter überzeugen, dass er dem Gefangenen ein Licht im Kerker ließ. Es bewahrte die Menschen davor, dass sie sich aufgaben und starben, bevor man die Wahrheit aus ihnen heraus brachte, hatte der Heiler ihm erklärt. Und dass die Medizin nicht wirken und den Delinquenten für weitere Verhöre nicht wieder herstellen konnte, wenn man ihn im Dunkeln liegen ließ. Heilung brauchte Licht - besser noch, Tageslicht - das hatten sie ihm erfolgreich weismachen können.

Wie einfältig dieser Dasio war! Sicher war es gut, sie nicht im Dunkeln einzusperren, aber die Gründe lagen ganz woanders. Solange sie nämlich nicht durchdrehten, solange ihr Lebensmut in ihnen flackerte, wehrten sie sich und versuchten standhaft zu bleiben und nicht zu gestehen, was sie nicht verbrochen hatten. So wie die Dunkelheit ihr Gemüt erkranken ließ und sie schwächte, brachte das Licht ihnen Wärme, Hoffnung und Orientierung. Es stärkte den Kampfgeist und bewahrte sie vor dem Aufgeben. In der Dunkelheit ging das Lebenslicht aus.

Dasio stellte dem jungen Mann eine Laterne hinein, direkt an der Tür. So würde er, wenn er zu sich kam, den Krug mit frischem Quellwasser finden, den sie ihm da ließen. Auch machten sie den Wächter auf die Bestimmungen aufmerksam, die für die Strohmenge und die Reinigung der Zelle bestanden.

"Ich werde Beschwerde gegen dich einlegen, wenn du das Wasser, die Verbände oder seine Decken anrührst", sagte Crispino in forschem Ton. "Und sag deinen Freunden, dass sie mit Unannehmlichkeiten zu rechnen haben, sollten sie sich noch einmal an einem Gefangenen vergreifen."

Crispino wollte nicht in Zweifel lassen, wie ernst er es meinte. Dasios Grunzen war die einzige Antwort auf seine Forderungen und Ermahnungen. Aber Crispino hatte die Augen des Wächters gesehen. Die Angst darin war ihm Antwort genug. "Ich komme nachher wieder. Wenn dann alles so ist, wie es sein soll, lasse ich dir eine gute Schüssel Eintopf bringen", versprach er und sah dem rauen Mann sofort an, dass er hier einen Nerv getroffen hatte. Als die Augen des Wächters bei der Erwähnung der Suppe aufleuchteten, durchzuckte ein verwegener Gedanke Crispinos Kopf. Schnell schob er ihn hinter einen gedachten Vorhang und verbarg ihn vor der Welt; er wollte ihn dort verwahren, bis er vielleicht gebraucht wurde.

Beide Mönche atmeten auf, als sie schließlich die Treppe hinauf waren und in den Sonnenschein des Nachmittags hinaus traten. Noch nie hatte Crispino die Luft hier draußen so belebend und rein empfunden. Als sie einen Moment stehen blieben und in das ungewohnte Licht blinzelten, wandte er sich an Leone.

"Geh in die Krankenstube und kümmere dich dort. Du wirst in den nächsten Tagen die Pflege unserer beiden Kranken übernehmen. Es wäre auch Platz für unseren Pflegling aus dem Keller... Ich will sehen, ob ich ihn zu uns nach oben holen kann. Viel Hoffnung habe ich nicht, aber..." Er sah dem Jüngeren in dessen zweifelndes Gesicht, legte ihm die Hand auf die Schulter. Seinen Gedanken sprach er besser nicht zuende. "Ich danke dir, Bruder. Du hast gut mit angepackt. Ich weiß, das ist nicht leicht für jemanden, der so jung ist wie du."

Er seufzte. "Es ist eine Sache, Eiter, Geschwüre und Wunden zu behandeln, die durch Krankheit entstehen. Aber zu sehen, was Menschen einander in Willkür antun, ist noch einmal etwas anderes. Ich wünschte, man könnte euch jungen Leuten solche Anblicke ersparen." Die nächsten Worte enthielten einige Ironie und Bitterkeit. "Da sich aber unter unserer Bet- und Wohnstätte ganz offenbar ein Eingang zur Hölle befindet, sind wir gezwungen, dieser Unannehmlichkeit in die Augen zu sehen. Du jedenfalls erscheinst mir mit deinen sechzehn Lenzen ein wenig zu jung für solche Einblicke in das Elend menschlichen Wirkens." Er rang sich ein aufmunterndes Lächeln ab. "Du bist mir besser dort aufgehoben, wo das Tageslicht dir noch ins Gesicht scheint. Überlass mir das da unten, ich komme nun ohne deine Hilfe aus."

Er schob den jungen Mönch vor sich her und in Richtung des niedrigen Gebäudes, das hinter dem Garten lag. "Geh nun, du hast zu tun. Und falls jemand nach mir fragt... ich bin beim Prior." Er ließ den Blick über den Garten schweifen. "Wenn Arnolfo ein wenig an die Luft gehen kann, dann biete es ihm an. Stell ihm einen Stuhl hinaus oder lass ihn am Brunnenrand sitzen, das wird seinem Husten guttun. Aber vergiss ihn dort nicht,  er muss noch viel ruhen und sollte nicht auskühlen."

Leone nickte eifrig. Der Heiler betrachtete ihn einen Augenblick lang nachdenklich. Im Verlies hatte der Junge getan, was erforderlich war, und Crispino hatte in dem schummrigen Licht und bei dem, was er an dem Verletzten zu tun hatte, immer weniger auf ihn geachtet. Jetzt, im Licht des Tages, sah er ihm den Schock doch an. In der Blässe seines Gesichts und der Hände lag etwas Ungesundes. "Und du.... du solltest dir einen Aufguss mit Baldrian und Lavendel machen", schlug er vor. "Das wird helfen. Du bist mir ein bisschen zu weiß im Gesicht."

"Das geht schon.... mir geht es gut."

"Oh, unterschätze das nicht", wies Crispino ihn ernst zurecht. "Wir Heiler bekommen manchmal unschöne Dinge zu sehen. Das geht einem schnell aufs Gemüt. Eines musst du dir merken, Leone. Auch für uns und unser Wohl lässt der Herr das Gute in der Natur wachsen. Du musst lernen auf dich selbst genauso gut zu achten wie auf die Kranken, die du pflegst. Nur  wenn du dich ebenfalls gut kennst und weißt, wann du dich um dich selbst kümmern musst, hast du Kraft und Ausdauer, auch für die Kranken da zu sein. Es ist deine Pflicht, auch deine eigene Gesundheit nicht zu vernachlässigen." Er gab dem jungen Mönch den Korb in die Arme. "Für heute ist es genug. Hier. Nimm das mit. Und nun geh... Und vergiß nicht, was ich dir gesagt habe."

Der schwere Duft des herbstlichen Gartens drang in Crispinos Lungen und belebte ihn, als er erneut tief einatmete. Auch ihm selbst war nach dem Besuch im Kerker gar nicht wohl. Seine Nase unterschied die Gerüche von saurer Erde und reifen Äpfeln, nahm den warmen und vertrauten Geruch des Maulesels wahr, der am Zaun stand, als er vorbei ging; und noch niemals hatte er so bewusst auf das Zwitschern der Vögel und das Säuseln des Windes in den Wipfeln der alten Eichen gehört. Das Leben war sonderbar... wie schnell war es gefährdet, wie plötzlich konnte es vorbei sein. Und wie selbstverständlich nahm er es hin, wenn nichts ihn bedrohte, wenn er ein Dach über dem Kopf und Essen im Bauch hatte - und wenn am Ende des Tages ein trockenes, warmes Bett auf ihn wartete. In diesem Moment verspürte er den Drang, den geschundenen Mann aus der dumpfen Hölle seines Kerkers zu retten. Er hatte noch so viel Schönes vor sich, so viel Gutes, das er in die Welt bringen konnte. Er war ein Medicus. Er gehörte hier hinaus, ins Leben.

Die leichten Magenschmerzen konnte Crispino nur auf die Anspannung zurück führen, die sich jetzt in ihm ausbreitete. Er hob den Blick und sah in die Wipfel der mächtigen Eichen hinauf, die den Garten umstanden. Sie wogten im aufkommenden Wind. Sein Vorhaben machte ihm Sorgen. War das nicht eine dieser unüberlegten Handlungen, zu denen er so sehr neigte und die er sich längst abgewöhnen wollte? Was hatte er sich dabei gedacht, sich des Gefangenen so schnell anzunehmen, ohne auch nur das Geringste über ihn zu wissen? Wenn er nicht aufpasste, würde das ernsthafte Konsequenzen für ihn haben.

Er wusste nicht wie und warum, aber der junge Mann und sein Schicksal hatten ihn berührt in dem Moment, als er ihn berührte, als er sein Gesicht sah. Bevor er auch nur darüber hatte nachdenken können, auf welche Geschichte er sich hier einließ, hatte er ihm diesen Bund angeboten; er würde ihm helfen, nach besten Kräften. Sein Schicksal abwenden. Wenn Gott ihm die Hand führen wollte.

Crispino konnte gar nicht sagen, warum ihn dieser Gedanke plötzlich so beflügelte. Vielleicht war es tatsächlich der gerechte und liebende Gott, an den er glaubte und der sich seiner hier bediente. Er wollte tun, was in seinen Möglichkeiten stand. Der Gefangene begann ihm zu vertrauen, er kam mit ihm aus. Leone würde er daher nicht mehr brauchen - Es war besser für alle, wenn er den Jungen ab jetzt da heraus hielt. Wer wusste schon, was noch ans Tageslicht kam und welche Unmöglichkeiten er möglich machen musste, um hier nun etwas zu bewegen.... besser, es gab keinen Zeugen, denn die Sache war nicht ohne Risiko. Wenn er nachher den nächsten Gang hinunter machte, würde niemand ihn begleiten. Er musste mit dem Gefangenen reden, allein.

Aber erst würde er sich den Beistand und die Unterstützung durch Prior Geronimo sichern.  Sein alter Freund musste nicht nur wissen, was er vor hatte, er brauchte weitaus mehr Unterstützung von ihm. Geronimo musste mit dem Kardinal reden. Eilig lenkte er seine Schritte durch den Garten, an den Apfelbäumen vorbei und auf das offen stehende Tor zu.

Ende Teil 165






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