29. Spiegellabyrinth
Spiegellabyrinth (TW: Wahnsinn, Selbstverletzung und natürlich Tod, so wie irgendwie echt zu oft hier, ups?)
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Der Klang meiner Schritte auf dem glatten, ebenen Boden hallte viel zu laut von den Wänden wider. Ohne, dass ich einen Gedanken darauf verwenden musste, pressten sich meine Hände auf die Ohren und ich blieb stehen, völlig starr, hielt die Luft an. Doch die Stille schien nur noch bedrohlicher zu sein als der Lärm.
Erschöpfung kroch in meine Glieder, schien jede Kraft aus meinem Körper zu ziehen, die noch übrig war – doch ich traute mich nicht, zu rasten. Zu hoch war mein Puls, zu schnell rasten meine Gedanken. Ich wusste nicht, wie lange ich bereits durch die Gänge irrte, doch eines war ich mir gewiss – mit jedem Schritt schwanden meine Chancen, jemals wieder zu entkommen.
Ich hob den Blick, der bis eben starr auf den schwach beleuchteten Boden gerichtet war, und sah in unmöglich viele Gesichter – nicht enden wollende blaue Augenpaare, ängstlich, müde. Schiefe Nasen, verschwitzte Haarsträhnen, die an fahler Haut klebten wie Fremdkörper. Und die zitternden Hände, die nicht wussten, wohin; die Fingernägel abgeknabbert. Sich bis in die Unendlichkeit wiederholende Spiegelungen meiner Selbst.
Ich wusste nicht, wie ich in dieses Labyrinth geraten war, ob mich die Götter strafen wollten oder ob es ein schlechter Traum war, aus dem ich einfach nicht erwachen konnte, egal, wie oft ich mich auch kniff – mein linker Arm war bereits ganz rot – doch was ich wusste, war, dass ich die Gesichter nicht mehr ertragen konnte. Meine Hand schloss sich zu einer Faust, so fest, dass es weh tat. Bevor ich allerdings etwas tun konnte, das ich vermutlich bereuen würde, richtete ich den Blick rasch wieder zu Boden.
Geh einfach weiter. Du findest einen Ausweg.
Doch je öfter ich mein Mantra widerholte, desto weniger Glauben konnte ich ihm schenken. Aus den Augenwinkeln sah ich meine Füße, widergespiegelt an den zahllosen Wänden, unsicher auf der Stelle hin und her tretend. Was blieb mir anderes übrig, als weiterzugehen? Also setzte ich mich zögernd wieder in Bewegung, während sich mit jedem Meter, jeder Biegung, das Gefühl verstärkte, immer nur im Kreis zu laufen.
Panik kroch meinen Hals hinauf wie Spinnen, vernebelte meine Gedanken mit jedem verstreichenden Moment etwas mehr, und ich spürte die leblosen Augen, die sich in meinen Rücken bohrten. Bemerkte, wie ich begann, an meiner Wahrnehmung zu zweifeln.
Hat sich das Spiegelbild dort hinten nicht bewegt, als ich still stand, um zu Atem zu kommen? Hatte das dort drüben nicht schwarze Schuhe an, statt blaue, so, wie ich sie trage? Lauert dort noch etwas anderes; bin das wirklich nur ich?
Anfangs ließen sich die Gedanken noch leicht abschütteln. Ich summte alte Kinderlieder, die mir meine Mutter gelehrt hatte; dachte an warme Lagerfeuernächte auf der Waldlichtung nah meiner Heimat zurück, damals, in der stickigen Sommerhitze neben den schief gebauten Zelten, die ich gemeinsam mit meinen Freunden am Tag zuvor mühselig hergeschleppt hatte, um endlich einmal eigene Abenteuer zu erleben.
Doch die Zeit verging, und die Erinnerungen entglitten mir wie Wasser, das ich mit der bloßen Hand zu schöpfen versuchte - sie tropften zu Boden und waren verloren, als ich mich nach ihnen bückte, versickert und verschwunden.
Nacht und Tag machten hier keinen Unterschied, alles wirkte gleich, und ich hatte zunehmend Probleme, mich an die Namen meiner Freunde zu erinnern. Dann auch an ihre Gesichter, an den Wind, der mir durch die Haare strich, an die Sterne und das Rascheln der Blätter in der Ferne.
Hier war alles still, bis auf meinen eigenen Atem und den Laut meiner Schritte. Ich schnipste, einfach nur, um etwas anderes zu hören als den immer gleichen Rhythmus meiner Turnschuhe auf dem Steinboden. Aus den Augenwinkeln sah ich es meine Spiegelbilder gleichtun.
Was habe ich getan, um das hier zu verdienen?
Ich wusste es nicht mehr. Hatte ich es überhaupt jemals gewusst? Meine Vergangenheit schrumpfte zusammen, bis sie in meine Faust gepasst hätte. Ich vergaß die Stimmen meiner Eltern. Ich vergaß den Klang meines eigenen Lachens. Ich vergaß alle Gefühle außer der Angst, der Frustration und der Müdigkeit.
Was ich nie vergaß, war mein Aussehen. Ich wusste, ich sollte nicht, und doch konnte ich nicht anders, als immer wieder einen Blick auf die Gesichter in den Spiegeln zu riskieren. Mit jedem Mal wurde mir der Mensch, der zurückblickte, fremder.
Waren die Augen nicht grün statt blau? Bewegte sich der kleine Finger nicht anders, als es mein eigener tat?
Mein Herzschlag beschleunigte sich und der Knoten in meiner Brust wurde mit jedem meiner hektischen Atemzüge größer, schnürte mir Stück für Stück die Luft ab.
Wer bist du?
Ich sah zu Boden, meine Abbilder taten es mir gleich, aus dem Augenwinkel nahm ich all die gesenkten Köpfe wahr. Doch war da nicht eines ganz hinten in der Ecke, in der Spiegelung der Spiegelung, das immer noch nach oben blickte? Hatte es sich nicht geweigert, meinen Bewegungen Folge zu leisten?
Ich wirbelte herum, das Herz in meiner Brust wie wild pochend, nur, um in meine eigenen weit aufgerissenen, verängstigten Augen zu blicken, die mir so verschreckt entgegenstarrten, wie von allen anderen Spiegeln auch. Langsam näherte ich mich, doch das Ich im Spiegel tat weiterhin genau das, was ich auch tat - es legte die Hände an das Glas wie ich, und beinahe rechnete ich damit, menschliche Wärme zu spüren, Haut auf Haut – doch da war nichts als Kälte und Glätte unter meinen Fingerspitzen.
Ich kniff die Augen zusammen und atmete tief ein und aus.
Du drehst durch.
Der Gedanke war eine Feststellung, keine Frage.
Du siehst Fremde statt dir selbst.
Eine beängstigende Vorstellung, und doch war mir klar, dass sie der Wahrheit entsprach. Jede weitere Sekunde an diesem Ort war Gift für meinen Geist, und doch konnte ich der Gefahr, die in der Luft lag, nicht entrinnen. Ich war gefangen und konnte nichts anderes tun, als weiter im Kreis zu irren.
Ich wünschte mir Brotkrumen, weiße Kiesel, wie in den alten Märchen, irgendetwas, das mir bereits gegangene Wege weisen könnte, doch meine Taschen waren leer. Und so stolperte ich ohne jeglichen Plan weiter, bis die Füße zu schwer wurden und schließlich wegknickten. Meine Stirn knallte gegen einen der Spiegel, als ich fiel, und ein stechender Schmerz zuckte durch meinen Körper – ich umarmte ihn wie einen alten Freund, dankbar für die Ablenkung, für die Bestätigung, dass ich noch hier war, lebendig und real, nicht auch ein leeres Spiegelbild wie all die Schatten, die mich umringten.
Am Boden kauernd beruhigte sich mein Atem, verstummten die Schreie meiner zerschundenen Muskeln, die schon seit Stunden, Wochen, Monaten, Jahren eine Pause verlangten.
Es dauerte eine Weile, bis ich die zusammengekniffenen Augen wieder öffnete. Der Spiegel vor mir war nicht zerbrochen, doch ein Riss zierte seine Mitte, teilte das im Licht glänzende Gesicht in zwei ungleiche Hälfte.
Es sah nicht aus wie ich. Etwas stimmte nicht, der spöttisch hochgezogene Mundwinkel, das schelmische Glitzern in den Augen – so einen Ausdruck hatte ich noch nie bei mir gesehen.
Bevor ich reagieren konnte, hatte sich mein Körper verselbstständigt und meine Faust schmetterte auf Glas. Ein schrill splitterndes Geräusch, die Scherben fielen zu Boden, Blut mischte sich unter sie, rot wie Tomatensoße – ein lächerlicher Vergleich, schoss mir durch den Kopf. Ich kicherte, während ich beobachtete, wie sich die Tropfen über die glatte Oberfläche bewegten, bis sie den Boden erreichten, eine kleine Lache bildete.
Und im nächsten Moment stand ich auf den Beinen, plötzlich voller Energie, zertrampelte die Scherben, bis sie nur noch Staub unter meinen Schuhsohlen waren. Die Wand vor mir war grau, leer. Kein Gesicht erwiderte mehr meinen Blick. Ich sah auf meine Hand, die zerrissene Haut, die in der Wunde verbliebenen Glassplitter, tief in das weiche Fleisch gebohrt. Es sah schlimm aus, und doch konnte ich nicht aufhören zu lachen - dabei hörte ich selbst jetzt noch genau, wie wahnsinnig das Geräusch klang, das von den Wänden widerhallte. Wie fremd, wie falsch.
Doch ich war so erleichtert, die Spiegelgestalten zerstören zu können, mich wehren zu können, nicht mehr hilflos sein, mich nicht mehr wie ein verlorenes Kind im Wald fühlen zu müssen - und so schlug ich auf das Glas ein, ohne zu zögern und ohne auf das Blut zu achten, auf die Schmerzen, die durch meinen Körper zogen wie Stromschläge. Sie sollten alle verschwinden, ich hatte ihre Blicke lang genug ertragen müssen. Ich würde dafür sorgen, dass mich niemand mehr ansehen konnte.
Meine Beine trugen mich durch die Gänge, die Schritte knirschten auf dem scherbenübersäten Boden, und immer weniger Augen starrten mir entgegen – Smaragde statt Saphire, die falsche Farbe, die falsche Form, die falschen Bewegungen zur falschen Zeit; sie tun nur so, als wären sie ich; das bin nicht ich.
Die Wände wurden grau, wurden rot, wurden leer – bis da nichts mehr war. Niemand mehr, der meine Bewegungen spiegelte, niemand mehr, den meine klebrige Faust treffen konnte. Doch meine Wut war nicht verschwunden, ich schlug selbst noch gegen leere Wände, der Stein gab nicht nach als meine Knochen ungesund knackten, und ein frustrierter Schrei entwich meiner Kehle. Oder war es der eines anderen? Er klang nicht wie ich, war beinahe bestialisch, wie ein Tier.
Mit einem Mal war die Angst zurück, die das wohltuende Adrenalin bis eben so gut verdrängt hatte, und mit ihr auch das Gefühl, völlig verloren zu sein. Meine Sicht verschwamm und ich biss mir auf die Lippe, bis ich Eisen schmeckte, sank in die Knie, plötzlich zu schwach, um mich weiter auf den Beinen zu halten, bis ich plötzlich ein Rauschen vernahm.
Wasser.
Meine Kehle war staubtrocken, und ich kroch dem Geräusch entgegen, folgte dem Plätschern, bis ich an einen Bach kam, mitten zwischen grauen Wänden. Zu durstig, um zu hinterfragen, beugte ich mich über die blaue Oberfläche, gierig nach der lang ersehnten Flüssigkeit lechzend, doch als ich bereits die Hände im kühlen Nass hatte, mich über die Oberfläche beugte, die Lippen schon erwartungsvoll geöffnet, stockte ich.
Dieses Gesicht, diese Spiegelung – eine Falle. Das ist eine Falle. Das bin nicht ich, es ist wieder eines der fremden Monster.
Meine Fäuste schlugen auf das Wasser ein, wie sie es davor bereits stundenlang auf die Spiegelwände getan hatten, doch es zeigte nicht die erwünschte Wirkung. Die Oberfläche kräuselte sich, doch zeigte nur Momente später wieder das fremde Gesicht mit den völlig unbekannten Zügen, dem bestialischen Grinsen.
Ich schlug und trampelte, ich schrie und fluchte, voller Wut, voller Angst, doch ich konnte es nicht zerstören. Keinen klaren Gedanken mehr fassend riss ich an meinen Haaren, kratzte über meine Wangen, meine Stirn – und endlich, endlich sah ich eine Veränderung, sah ich Wunden im Bild.
Das ist der Weg.
Ich fand Steine neben mir, fand Scherben.
Es geht nicht anders, und ich muss es zerstören, muss es vernichten.
Die Steine zerkratzten das Fleisch der Kreatur im Bach wie Krallen, die Scherben ließen es bluten wie dutzende Messer, so viel bluten.
Ich lächelte erschöpft, als ich sah, wie es schwankte, sich kaum noch halten konnte. Es ging im selben Moment wie ich zu Boden, sein Kopf schlug auf dem grauen Stein auf, knallte zwischen die Scherben, zwischen die Blutlachen, die Fetzen zerrissener Kleidung.
Ich sah, wie schwer es ihm fiel, nach Luft zu schnappen, wie ihn die Kraft, das Leben verließ. Davon würde es sich nicht erholen. Meine Mundwinkel zogen sich ein letztes Mal nach oben, als meine Sicht verschwamm, die Welt in Dunkelheit versank.
Ich habe gewonnen, es ist besiegt.
Ich bin entkommen.
Ich bin frei.
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Das ist mein erster Schreibversuch seit Monaten Schreibpause und es war ein LEICHTER Nervenzusammenbruch wieder ins Schreiben reinzukommen - ich brauche dringend einen Kakao.
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