10. Kopfschmerzen
Kopfschmerzen (TW: Tod und Suizid)
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Kopfschmerzen. Ich bestehe nur noch aus Kopfschmerzen. Trotzdem stehe ich auf, trotzdem gehe ich zur Schule. Die Klausur heute ist wichtig, ich darf sie nicht verpassen.
Ich muss es unterdrücken.
Eine Tablette, ein Schluck Wasser, verdrängen.
Panik. Ein paar Stunden später bestehe ich nur noch aus Panik. Meine Hand zitternd, meine Schrift kaum lesbar, die Buchstaben verschwommen. Ich pack' das nicht, Luft holen scheint unmöglich. Trotzdem atme ich weiter, trotzdem schreibe ich weiter.
Ich muss es unterdrücken.
Noch eine Tablette, noch ein Schluck Wasser, noch mehr verdrängen.
Einsamkeit. Ein Tag vergangen und ich bestehe nur noch aus Einsamkeit. Der Tod war gekommen, viel zu plötzlich, viel zu früh. Meine Familie gebrochen, irreparabel zerstört, unrettbar zerrissen. Und die Verlustängste erdrückend wie noch nie. Trotzdem lächle ich weiter, trotzdem rede ich weiter.
Ich muss es unterdrücken.
Die dritte Tablette für heute, der dritte Schluck Wasser, das hundertste Mal verdrängen.
Enttäuschung. Eine Woche später nichts als Enttäuschung. Die Klausur eine glatte Fünf, die Worte der Lehrer vorwurfsvoll. Du warst doch sonst nicht so schlecht, so faul. Du warst doch sonst nie so unkonzentriert. Das Bedürfnis zu Schreien, die Wut, die Frustration, stärker als je zuvor. Trotzdem bleibe ich ruhig, trotzdem verspreche ich mich zu bessern, wieder die Alte zu werden.
Ich muss es unterdrücken.
Und die millionste Tablette, der millionste Schluck Wasser, das unzähligste Mal verdrängen.
Frustration. In der Nacht überwältigende Frustration. Schon wieder keine Ruhe vor den Gedanken, schon wieder keine Flucht in den Schlaf möglich. Alles dreht sich im Kreis, alles bricht mit jeder Drehung mehr in sich zusammen, alles versinkt im Chaos. Trotzdem öffne ich die Augen nicht, trotzdem stelle ich mich nicht der Dunkelheit.
Ich muss es unterdrücken.
Und schon wieder eine Tablette, schon wieder ein Schluck Wasser, schon wieder verdrängen.
Verzweiflung. In derselben Nacht nur noch Verzweiflung. Nur ein dünnes T-Shirt und ich stehe im Schnee, versuche mich zusammenzureißen, die Kontrolle zu behalten, zu atmen. Ich habe alles im Griff. Trotzdem friere ich statt zurück ins Haus zu gehen, trotzdem weine ich.
Ich kann es nicht mehr unterdrücken.
Keine Tablette, kein Schluck Wasser, kein verdrängen.
Unsicherheit. Wenig später und ich bestehe nur noch aus Unsicherheit. Blicke in den Spiegel und sehe einen Geist, sehe jemanden der nie das Richtige gesagt hat, nie das Richtige getan hat, nie richtig war. Und ich spiele mit so vielen Gedanken, ich verwerfe so viele Gedanken, ich hasse so viele Gedanken. Trotzdem höre ich nicht auf zu denken, trotzdem kann ich den Blick nicht abwenden.
Unterdrücken ist keine Option mehr.
Zu viele Tabletten, zu viele Schlucke Wasser, verdrängen nicht mehr möglich.
Nichts. Schon bald bin ich nichts mehr. Keine Kopfschmerzen mehr, keine Panik mehr, keine Einsamkeit mehr. Nie wieder Enttäuschung, nie wieder Frustration, nie wieder Verzweiflung. Weg mit der Unsicherheit, weg mit dem Unterdrücken, weg mit dem Leben.
Die Tabletten fallen zu Boden, das Wasserglas zerschellt, verdrängen hat zerstört.
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