ℳ𝒾𝓉𝒸𝒽ℯ𝓁𝓁
Nach unserem Kuss konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich lag die halbe Nacht lang wach, während meine Gedanken um Lia gekreist waren. Vor allem um die Frage, weshalb Kapstadt ihr so wichtig war. Auch ich hatte mittlerweile Fuß in Sandvik gefasst. Aber um ehrlich zu sein, konnte eine Dorfgemeinschaft mit nur knapp einhundert Einwohnern auf Dauer ziemlich anstrengend werden. Vor allem dann, wenn gleich zwei Exfreundinnen Teil dieser Gemeinschaft sind. Ganz zu schweigen von ihren Verwandten. Das bedeutete für mich, dass es nicht mehr viele Ausweichmöglichkeiten gab.
Ich wollte schon immer irgendwohin, wo mich keiner kannte. Wo ich meiner Passion nachgehen konnte, ohne dabei erkannt zu werden. Denn in Island war ich definitiv kein Unbekannter mehr, genauso wie hier oder in Australien. Deshalb fiel es mir auch nicht sonderlich schwer, meinen Flug umzubuchen. Selbst, wenn Lia mit mir nach Island gekommen wäre, hätte ich niemals in Erwägung gezogen, dort zu bleiben.
Das Summen meines Smartphones ertönte und ich griff danach. Es war eine Nachricht von Nick, der mich darum gebeten hatte, runter in die Küche zu kommen, um mit ihm zu reden. Ich stand auf und zog mir ein Shirt an, ehe ich die Tür meines Zimmers öffnete und nach unten ging.
Als ich Nick am Küchentisch sitzen sah – energisch mit seinen Fingern auf der Oberfläche herumtippend – ahnte ich Böses.
»Was ist los? Du wolltest mit mir reden?«
»Allerdings«, erwiderte er und deutete mit seiner Hand auf den freien Platz vor sich. »Setz dich bitte.«
Ich setze mich. »Scheint ein längeres Gespräch zu werden.«
»Ja, da wird es.«
»Und worum geht es, wenn ich fragen darf?«
»Darum, dass du gestern meine Schwester geküsst hast.« Ich teilte einen fragenden Blick mit ihm. »An der Strandpromenade. Ally und ich waren schon früher fertig und wollten euch abholen.«
»Und jetzt? Willst du ... mir eine reinhauen oder so?«
Nick entfuhr ein genervtes Zischen. »Nein, du Hirni. Aus dem Alter bin ich raus.«
»Was willst du dann?« Ich lehnte mich nach vorne, um ihm in die Augen zu sehen. »Mir die Leviten lesen?«
»In gewissermaßen, ja.« Nicks Hochzeit stand unmittelbar bevor und ich wollte nicht, dass er sich unnötig aufregte oder Sorgen machen musste. Deshalb hielt ich den Mund und lauschte aufmerksam seinen Worten: »Hat Lia dir erzählt, weshalb sie nach Kapstadt gezogen ist?« Ich schwieg. »Hat sie dir erzählt, aus welchem Grund sie nicht wieder zurückkehren möchte?«
Mein Kopfschütteln sagte mehr als tausend Worte. Dennoch wollte ich Nick gegenüber nicht respektlos rüberkommen, weshalb ich mit einem knappen »Nein, keine Ahnung« antwortete.
»Sie hat sich Hals über Kopf in einen Kerl verliebt, sich auf das College in Kapstadt beworben und von heute auf morgen abgehauen. Einfach so. Obwohl wir sehr bestürzt über ihren abrupten Aufbruch gewesen waren, weil wir uns gar nicht richtig bei ihr verabschieden konnten, waren wir froh darüber, dass sie glücklich war. Bis rauskam, dass der Kerl verheiratet war und ein Kind mit einer anderen hatte.«
»Was sagst du da?«
»Lias Herz ist fragil ... wie eine Vase, die man versucht hatte, wieder zusammenzukleben, nachdem man sie von einem hohen Aussichtspunkt hatte herunterfallen lassen.«
»Das tut mir leid.«
»Meine Schwester hat das Spiel sehr lange mitgespielt. Die beiden Frauen wussten voneinander, bis seine Ehefrau plötzlich damit gedroht hatte ihn zu verlassen und das Kind mitzunehmen, sofern er sich nicht endgültig von Lia trennen und den Kontakt abbrechen würde.« Nick ballt seine Hände so fest zu Fäusten, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. »Ihr seid erwachsen und könnt tun und lassen, was ihr wollt. Ich möchte sie nur davor schützen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt.«
»Wird es nicht. Du hast mein Wort.«
»Das ist das Problem, Mitch. Ich kenne dich schon so lange und viel zu gut. So gut, dass ich weiß, wie schnell du wegen deiner Exfreundinnen aus Sandvik weg möchtest. Du hast das halbe Dorf unsicher gemacht.«
»Na und? Ich wollte auch aus Sydney weg und da hatte ich nur eine Exfreundin.«
»Und wie viele Affären, hm?«
»Tut das jetzt was zur Sache?«
»Tut es. Lia ist meine Schwester und du nicht nur mein Freund, sondern auch mein Trauzeuge und einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Deshalb würde ich dich einfach nur bitten, es mir zu liebe zu lassen, solltest du es nicht erst mit ihr meinen.«
Ich richtete mich auf und ging um den Tisch herum, bis ich bei ihm stand. Dann legte ich meine Hand auf seine Schulter und sagte: »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich verspreche dir, wenn es überhaupt so weit kommt, werde ich derjenige sein, der ihr Herz beschützt. Komme, was wolle.«
»Gut. Solltest du dich nicht daran halten, werde ich ohne Wenn und Aber den nächsten Flug nach Island buchen, um dich eigenhändig umzubringen.«
Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, bis ich irgendwann einen Anruf von Lia erhielt, die mir mitgeteilt hatte, dass die Blumengestecke eingetroffen waren. Zudem wies sie mich an, mich auf etwas gefasst zu machen, das ihre Mom nun doch dabei helfen würde, diese an der dafür vorgesehenen Location probeweise anzubringen.
»Na, das sieht doch viel besser aus als die Blumen dieses stümperhaften Floristen«, flötete Isadora. Sie klatschte sich zufrieden in die Hände und begutachtete dabei jedes einzelne Gesteck, »Du hast wirklich eine vorzügliche Wahl getroffen, Liana.«
»Danke, Mom.« Lia warf mir einen verwirrten Blick zu, weil es vermutlich nicht häufig vorkam, dass sie von ihrer Mutter gelobt wurde. Dann trat sie an mich heran und flüsterte mir ein leises: »Hätte sie den Floristen nicht abbestellt, hätten wir definitiv weniger Stress gehabt.«
»Ja«, erwiderte ich, »aber andererseits hätten wir dann auch nicht so viel Zeit miteinander verbraucht.« Sie blieb stehen und sah mich mit ihren atemberaubenden, puppenhaften Augen an. »Und ich habe jede einzelne Sekunde davon genossen.«
»Mitch, ich ...«
»So, ihr Lieben!« Isadora stand plötzlich hinter uns, was dafür sorgte, dass Lia augenblicklich verstummte. »Da die Sache mit den Blumen ja nun geklärt ist, würde ich euch liebend gern zum Essen einladen. Was haltet ihr davon?«
Ich warf Lia einen fragenden Blick zu, den sie umgehend erwiderte. Grundsätzlich schien sie abgeneigt davon zu sein, aber so, wie ich ihre Mom in den letzten Tagen miterlebt hatte, würde sie sich mit einem Nein nicht zufriedengeben.
»Das ist eine ganz hervorragende Idee«, erwiderte ich mit einem Grinsen.
»Ja, ganz hervorragend.« Lia schnaubte und sah zu Isadora, die glücklich darüber zu sein schien, dass ihr Tochter die Einladung ohne Gegenwehr angenommen hatte. »Das sollten wir unbedingt tun.«
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