5. Kapitel
„Hey Frischling, wie geht es den Tomaten?"
„Super! Die sind dicker als Tennisbälle!"
„Das freut mich zu hören! Bring die vollen Kisten hierher, ja?"
„Wird gemacht!"
Stück für Stück ernte ich einen Tomatenstrauch nach dem anderen ab. Es dauert nicht lange und die Tomaten sind alle fein säuberlich in gestapelten Kisten arrangiert. „Sehr schön", sagt Zart. Der wischt sich gerade einige Erdkrümel von den Fingern. „Kommst du zu den Karotten? Dort gibt es noch eine Menge zu tun. Währenddessen tragen Newt und Collin die Tomaten in die Scheune."
„Kein Problem, bin schon weg!"
Etwas später bin ich mit vielen anderen Gärtnern am Katottenziehen. Nach gefühlt tausend Karotten setze ich mich kurz auf, um mir den Schweiß von der Stirn zu wischen. Es ist schon eine Woche seit meiner Ankunft hier vergangen, was mir eher vorkommt wie Jahre. Es ist ganz schön quälend, in einem riesigen Labyrinth festzusitzen und Däumchen zu drehen. Wenn die ganze Gartenarbeit und der Stress mit der Ernte nicht wäre, ginge es mir noch dreckiger. Aber die Zeit hier ist erträglich geworden.
Thomas hatte Recht. Mit Freunden übersteht man selbst die schwersten Zeiten.
Endlich ist das Feld komplett leer, was die Karotten angeht. Nun versammeln sich die Gärtner am See, um die Möhren von der Erde zu befreien. Es gibt nämlich noch einen Teich, den die Gärtner zum Waschen von Obst und Gemüse nutzen. Die Erde, die im Wasser landet, setzt sich einfach unten ab und das Wasser ist wieder klar. Sehr praktisch.
Zart lässt sich neben mir nieder, während wir die Karotten schrubben. „Sag mal, hättest du Lust, meine Stellvertreterin zu werden? Dany ist zurückgetreten und du gehörst zu meinen besten Gärtnern."
Okay, um das verstehen zu können, muss natürlich noch einiges kurz erklärt werden. Ich habe mich nach meinem dritten Probetag bei den Baumeistern (der übrigens die Hölle war, Gally ist der Hüter), dafür entschieden, Gärtnerin zu werden. Ich helfe natürlich auch beim Ernten und beim Sähen, aber ich bin vor allem für das Wohl der Pflanzen zuständig. Wenn sie krank sind oder nicht richtig wachsen, singe ich ihnen was vor oder unterhalte mich mit ihnen und schwupps! Einen Tag später sehen sie stark und gesund aus. Die Tomatenstauden tragen so üppige Früchte, dass wir mit dem Ernten garnicht mehr hinterherkommen und der ‚kleine' Blaubeerbusch geht mir sogar schon bis zur Hüfte und hat die leckersten und dicksten Beeren im ganzen Beet.
„Mal sehen. Aber glaubst du, das geht? Ich bin doch erst seit vier Tagen Gärtnerin!"
„Und bist hochgeschossen wie eine Rakete. Du bist mit Abstand die Erfolgreichste. Alby hat sicher nichts dagegen, glaub mir."
Ich erröte leicht. Komplimente dieser Art kriege ich so gut wie nie. „Danke."
„Gern geschehen, Frischling."
Nach der großen Saubermachaktion geselle ich mich zu Thomas, Minho, Chuck und noch vielen Anderen an den Mittagstisch. „Na, wie war dein Tag so?", fragt Minho. „Gut. Wir haben eine Superernte. Die Stauden biegen sich unter den Früchten!"
„Bei so einer guten Gärtnerin ist das auch kein Wunder. Sie brauchen dich ja nur anzuschauen, um dick und reif zu werden. Sie sind dir einfach sofort verfallen."
Ich hebe scherzend meinen Finger. „Nanana, nicht flirten!", grinse ich. Thomas legt einen Arm um mich. „Wer kommt den bei dir nicht ins flirten?" Ich lache. „Schleimer."
Newt kommt zu uns an den Tisch. „Hi Frischling. Und, wie geht's?"
„Ganz gut", antworte ich knapp. „Und dir?"
„Auch."
Da. Das ist das Einzige, was zwischen uns bis jetzt abläuft. Kühler, trockener Small Talk. Am Anfang war er sehr nett zu mir. Mit Betonung auf Anfang.
„Minho, Alby möchte mit dir reden. Kommst du bitte mit?"
„Klaro. Schönen Tag noch, Schönheitskönigin!"
„Dir auch, Strunk!"
Minho zwinkert mir noch zu, bevor er Newt aus dem Saal folgt.
Und ich lache wieder mit Thomas, als hätte der alte Pessimist Newt nicht vorbeigeschaut.
„Hey Frischling, alles okay? Du hast so dunkle Ringe unter den Augen."
„Jaja, hab nur schlecht geschlafen."
„Ach komm, nimm dir einen Tag frei. Du hast in letzter Zeit so gut gearbeitet, den Urlaub hast du dir mehr als verdient."
„Ach Zart, das ist doch nicht nötig..."
„Erzähl mir keine Geschichten, Frischling. Geh in deine Hängematte und ruh dich aus, aber pronto."
„Danke, Zart."
„Immer wieder gerne."
Erleichtert schleppe ich mich zu meiner Hängematte und lasse mich hineinsinken. Ich merke es garnicht, aber ich muss ungefähr drei Stunden geschlafen haben, denn es ist Mittag, als ich aufwache.
Ich strecke meine Glieder und setze mich auf.
„Hallo, Kleines."
„Aah!"
Bumm. Ich liege mit dem Gesicht voran im Gras. Toll.
„Musstest du mich so erschrecken, Thomas?"
Dieser bekommt natürlich vor lauter Lachen kein Wort heraus. Noch besser.
Ich klopfe mir das Gras von meinen Klamotten und versuche, ernst zu bleiben, aber schließlich muss ich auch lachen. Thomas legt einen Arm um mich. „Du bist mir doch nicht böse, oder?", grinst er.
„Nein, dafür führst du dich zu sehr wie ein Kasper auf, Strunk."
„Ja ich weiß, das gehört zu meinem umwerfenden Charm."
Ich lache laut auf. „War das ein Witz?"
„Nö." Ein dickes Grinsen prangt auf seinem Gesicht und er legt mir freundschaftlich einen Arm um die Schulter. Doch dann wird er ernst.
„Jetzt sei mal ehrlich. Wie sehr magst du Zart?"
Ich verschränke die Arme und lege misstrauisch meinen Kopf schief. „Kumpelmäßig. Er ist mein Chef, Thomas. Diese Frage ist einfach nur dumm."
Ich winde mich aus seinem Griff und stehe auf. „Ich muss jetzt zu Zart. Er wollte mit Alby über meine Beförderung reden."
„Du wirst befördert?"
„Ja, zur Stellvertreterin. Und jetzt Tschüss."
Genervt entferne ich mich von ihm. Wieso fragt er mich sowas? Das ist einfach nur lächerlich.
Ich bin so wütend, dass ich volle Kanne über einen Stein stolpere. „Uaa!"
Super. Schon wieder liege ich mit dem Gesicht voran im Gras. Na toll.
„Hey, alles okay, kleiner Vogel?"
Ich setze mich auf und blicke in Newts besorgte, dunkelbraune Augen. Der hat mir gerade noch gefehlt.
Ich murmle wütend etwas vor mich hin, was sich verdächtig wie ‚Verpiss dich' anhört, aber er scheint es nicht mitbekommen zu haben. Er hält mir seine Hand hin. „Komm, ich helf dir."
Ich nehme sie nicht, sondern stehe selber auf. „Danke, ich kann das selbst." Doch gerade als ich mein linkes Bein belasten will, knicke ich wieder ein. Ein kleiner Schmerzenslaut entfährt mir, bevor ich mich in Newts Armen wiederfinde, die mich wieder mal vor einem Sturz bewahrt haben.
„Vorsicht, kleiner Vogel. Gleichgewicht halten", schmunzelt er. Ich verdrehe die Augen. „Strunk."
„Sieht so aus, als bräuchtest du doch meine Hilfe, kleiner Vogel."
„Ja, leider."
Newt stellt mich wieder gerade hin und stützt mich mit seinem linken Arm. Die Stelle, wo er meine Haut berührt, fühlt sich an wie unter Strom. „Geht's?", fragt er.
„Jaja."
„Komm, ich bring dich zu den Sanis."
Eher humpelnt als gehend kommen wir schießlich an der Station an. Er setzt mich auf eine Pritsche.
„Was sagt man da, Frischling?"
„Danke", murmle ich.
Newt beugt sich grinsend vor. „Nochmal bitte, ich hab nichts gehört."
„Danke", sage ich lauter. Newts Grinsen wird noch breiter.
Ich verdrehe die Augen, muss aber doch lächeln. „Strunk."
Newt lacht kurz, dann räuspert er sich und wird wieder ernst. „Gute Besserung, Frischling."
Plötzlich tauchen drei Wörter in meinem Kopf auf. Sie kommen so plötzlich, dass ich erstmal meine Augen aufreiße. Mein Name. Ich kann mich an meinen Namen erinnern.
Ich bin Janette.
Newt sieht mich fragend an. „Was ist los, Frischling?"
„Nicht Frischling", antworte ich. „Janette."
Eine Zeit lang sagt er nichts, sondern mustert mich nur. Ich erröte leicht.
„Schöner Name. Na dann, bis bald, Janette."
„Tschüss, Newt."
Ich schaue ihm nach, als er zur Tür läuft und bemerke seinen schiefen Gang.
„Du humpelst ja."
Newt dreht sich zu mir um und sein Mundwinkel zuckt kurz nach oben. „Erst jetzt aufgefallen?"
„Allem Anschein nach."
Newt wendet sich um. „Jetzt muss ich aber wirklich los. Ich schicke Jeff zu dir ja?"
Und einen Moment später ist er verschwunden.
Nachdenklich blicke ich ihm nach. Er war ziemlich gut gelaunt und nett. Ich meine, er hat mir geholfen und mir sogar ein Kompliment gemacht. Mag er mich vielleicht doch ein bisschen, oder war das nur aus Höflichkeit? Da tritt Jeff in den Raum.
„Hey Frischling, Newt hat mich geschickt. Du hast was am Knöchel?"
„Ja. Ich bin hingefallen und kann nicht auftreten. Aber nenn mich doch bitte Janette."
„Ist dir dein Name wieder eingefallen?"
„Sieht so aus."
„Schön! So, dann mal zu deinem Knöchel. Hast du irgendwelche Schmerzen?"
„Nur, wenn ich auftrete, sonst nichts. Vielleicht habe ich mir nur was gerissen."
„Das ist sehr wahrscheinlich. Mhm, nein, das ist ein bisschen kritischer. Du hast dir den Knöchel leicht verstaucht. Kannst du gehen?"
Ich stehe auf, lasse mich sofort wieder auf den Stuhl fallen und schüttele den Kopf. Jeff kratzt sich am Hinterkopf. „So, jetzt mache ich dir erstmal eine Schiene und dann gibt's Krücken. Du müsstest eigentlich dein Bein hochlegen und nichts tun, aber du würdest das so oder so nicht machen, deswegen die Krücken. Du musst sie aber drei Tage lang benutzen."
„Damit kann ich leben."
„Gut. Na dann, fangen wir mal an."
Kurz darauf humpel ich mit meinen Krücken aus der Station hinaus. „Und schau regelmäßig bei mir vorbei, ja?", ruft Jeff mit hinterher. „Ja!", antworte ich und setze meinen Weg fort.
Nach kurzer Zeit treffe ich auf Alby, Zart und Newt, die sich über irgendetwas unterhalten. Als Zart mich sieht, ist er erst geschockt, macht dann aber ein gespielt empörtes Gesicht. „Meine Güte, da gibt man seiner besten Gärtnerin mal einen Tag frei und dann kommt sie gleich mit Krücken an! Also wirklich, das geht überhaupt nicht."
Ich grinse. „Tja."
Newt schmunzelt. „Sieht so aus, als wäre ich nicht mehr der Einzige, der humpelt."
Ich strecke ihm die Zunge raus und sein Lächeln wird breiter. Alby neben ihm geht es nicht anders.
„Wir haben gerade über deine Beförderung gesprochen, Janette", sagt er.
„Oh! Okay. Also, Newt hat euch schon meinen Namen gesagt?"
„Ja", antwortet Zart. „Und er gefällt mir sehr." Lächelnd legt er einen Arm um mich. „Passt zu dir, mein Mädchen."
Ich erröte leicht. „Ich bin nicht dein Mädchen, Strunk."
„Schade eigentlich, nicht?"
Ich verdrehe die Augen. „Haben Jungs eigentlich noch was anders als flirten im Kopf?"
Zart lässt seinen Arm sinken. „Sorry, ich wollte dich nicht bedrängen."
Newt hat dem ganzen etwas schmallippig zugeschaut. Jetzt hat er wieder sein ‚ich bin der zweite Anführer'-Gesicht. „Also, Alby und ich haben nichts dagegen, dich zu Zarts Stellvertreterin zu machen. Du bist gut und du hast genug Potential, um notfalls die Führung zu übernehmen. Wenn du den Posten annehmen willst, verbreiten wir die Nachricht unter den Lichtern. Wenn Zart ausfällt wirst du aber nicht nur die Gärtner leiten, sondern auch an den Versammlungen teilnehmen. Bist du damit einverstanden?"
Auch wenn ich keine Ahnung habe, was das für Versammlungen sein sollen, „Ja."
Newt nickt. „Schön. Zart, gehst du bitte wieder an die Arbeit? Ich muss noch was mit Janette bereden."
„Ja, alles klar. Hey, bis bald." Er klopft mir noch kurz auf die Schulter, bevor er sich auf den Weg in die Felder macht. Alby tritt auch den Rückzug an, das heißt, ich bin mit Newt allein. Kurz bin ich leicht verblüfft und weiß nicht, was ich sagen soll. Newt hat gesagt, ich hätte Führungspotential. Also hält er mich garnicht so sehr für eine Nullnummer. Doch dann werde ich wütend. Es ist offensichtlich, dass er Zart weggeschickt hat, nur um mich von ihm zu trennen. Ich sehe ihn ärgerlich an.
„Was sollte das denn?"
Newt blickt mich scheinheilig an. „Was meinst du?"
„Na, das halt! Das du Zart weggeschickt hast, nur weil er ein bisschen geflirtet hat!"
„Darf ich jetzt nicht mehr alleine mit dir reden, oder was?"
„Worüber überhaupt? Warum zeigst du denn jetzt plötzlich so ein Interesse an mir? Vorher war ich dir doch egal!"
„Das stimmt überhaupt nicht!"
„Ach ja? Du bist ja auch so wahnsinnig nett zu mir gewesen!"
„Das sagt doch garnichts aus!"
„Ja, sicher."
„Eigentlich wollte ich dir jetzt von dem Labyrinth hinter den Mauern erzählen!"
„Das weiß ich alles längt! Es gibt nämlich Personen hier, die mir wirklich vertrauen. Solche Personen wie Thomas zum Beispiel. Er hat mir sofort davon erzählt. Aber du musst natürlich erst noch ein paar Jahre warten!"
„Du vertraust mir doch auch nicht!"
„Natürlich nicht! Du hast dich mir gegenüber auch immer nur wie ein Idiot verhalten! Glaubst du dann ernsthaft, ich würde dir Vertrauen schenken, Strunk?!"
Ich bin tierisch wütend auf ihn. Er hält es erst jetzt für nötig, mir vom Labyrinth zu erzählen? Der Typ ist wirklich nicht mehr ganz dicht!
Newts Gesichtsausdruck wird wütend. „Beruhig dich mal! Es bringt überhaupt nichts, wenn wir uns nur streiten. Wir sollten lieber reden."
„Über Themen, die du mir bis jetzt verheimlicht hast, so wie der Rest von euch?"
„Jetzt hör doch mal zu!"
„Wieso sollte ich? Ich bin ja ein Mädchen. Deiner Meinung nach bin ich ja zu dumm, um zu denken." „Das habe ich nie gesagt!"
„Das denkst du aber, Strunk! Weißt du was? Ich gehe jetzt. Ich habe die Nase gestrichen voll von dir!"
Ich drehe mich auf den Absatz um und humpel davon. Er folgt mir nicht. Besser so für ihn.
Ich komme mit den Krücken bis zu dem See, wo ich Newt nassgespritzt habe. Newt, Newt, Newt, überall Newt. Es ist zum Mäusemelken!
Ich gehe noch tiefer in den Wald bis ich zu einer Wand komme. Dort setze ich mich ins Gras und lehne mich an den Stein. Es tut gut, mal alleine zu sein. Hier in der Natur könnte ich glatt vergessen, wie schrecklich meine Situation ist.
Dieser Tag hat ordentlich an meinen Kräften gezerrt. Müde schließe ich die Augen. Ein kalter Wind kommt auf und ich beginne zu frieren. Wenn ich jetzt einschlafe, kann es sein, dass ich nie mehr aufwache. Und zurück kann ich auch nicht, ich würde spätestens nach der Hälfte des Weges zusammenbrechen. Und was habe ich auch schon zu verlieren? Sollen sie doch meine erfrorene Leiche finden. Sollen sie mich doch irgendwo begraben. Soll die Kälte mich doch töten. Soll sie doch.
Erschöpft gleite ich langsam in einen tiefen Schlaf.
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