2. Kapitel
Wir kommen bei der Sandkuhle an, wo ein Haufen Jungs um einen Kreis, der logischerweise mit Sand ausgelegt ist, herumsteht. Im Inneren des Kreises steht ein dunkelblondes Affengesicht mit seltsamen Augenbrauen, das mich wütend anglotzt. „Na, bist du ausnahmsweise mal einverstanden mit dem Frischlingsritual, Newt?"
„Nein, bin ich nicht, Gally. Sie ist nur mitgekommen, weil sie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hat, drüben auf mich zu warten."
„Na, dann kann sie doch gleich herkommen und kämpfen. Hey Frischling! Komm rein, ich fordere dich heraus!", brüllt er. Ich trete vor, doch Newt hält mich an der Schulter zurück. „Lass das."
Ich schubse seine Hand weg. „Keine Sorge, Strunk, ich kann gut auf mich selbst aufpassen."
Der Kreis um mich und Gally schließt sich. Newt gibt immernoch Protestgeräusche von sich, doch die Anderen halten ihn zurück. Gally geht in Kampfposition. „Dann los."
Ich stehe ganz locker da und warte, dass er beginnt. Meine einzige Strategie ist dass ich ihn so wütend mache, dass er garnicht mehr aufpasst, was er macht. Irgendwann stürmt er nur noch blind vor Zorn von rechts nach links und ich kann ihn leicht erledigen.
„Sag mal, willst du eigentlich noch zehn Jahre so dastehen wie die Wachsfigur?"
Um uns herum ertönen Lacher und sein Gesicht verzieht sich ärgerlich.
„Komm schon, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, Däumchen zu drehen."
Mit einem lächerlichen Kampfschrei stürzt er auf mich zu. Ich mache erst im letzten Moment einen Schritt zur Seite und stell ihm ein Bein. Er fällt mit voller Wucht in den Sand.
„Ich wusste garnicht, dass man Sand essen kann. Schmeckt's denn?"
„Du miese Schlampe", nuschelt Gally, während er Sand auf den Boden spuckt und sich das Gesicht abwischt. „Pfui! Sowas sagt man nicht!"
Große Lacher um uns herum.
Gally funkelt mich wütend an und holt zum Schlag aus. Ich ducke ich blitzschnell unter ihm hindurch und stehe hinter seinem Rücken. Dann strecke ein Bein zwischen seine Füße und ziehe.
Schon wieder liegt er mit dem Gesicht voran im Sand.
„Also ich glaube, so eine Sanddiät ist auf Dauer ungesund, auch wenn du es dringend nötig hättest."
Die Jungs um uns herum halten sich den Bauch vor Lachen. Ich muss langsam zum Schluss kommen.
Gally steht ganz langsam auf und geht bedrohlich auf mich zu. Ich hebe eine Augenbraue.
„Jetzt mache ich Hackfleisch aus dir", knurrt er.
Doch bevor er zum Schlag ausholen kann, treffe ich mit meiner Faust volle Wucht auf seine Nase.
Knack.
Heißes Blut klebt an meiner Faust, als Gally bewusstlos zu Boden sinkt. Sein Gesicht ist blutüberströmt. Oh Gott, was habe ich getan?
Ich sinke zu Boden und wische das Blut mit meiner Hand aus seinem Gesicht. „Gally? Gally! Hallo, aufwachen!"
Ich patsche ihm vorsichtig gegen die Wange. Seine Augenlider flattern. „Wasnlos?"
Ich bedecke meinen Mund mit meinen Händen. „Es tut mir so leid, ich habe dich bewusstlos geschagen und dir die Nase gebrochen", hauche ich entsetzt. „Das wollte ich nicht."
Gally fasst sich an den Kopf. „Schon gut, Frischling. Aah, mein Kopf."
„Soll ich jemanden holen?"
„Schon passiert."
Ein dunkelhäutiger Junge kommt auf mich zu. „Ich bin Sanitäter. Hilfst du mir, ihn zu tragen?"
„Nein, nein, ich kann aufstehen, alles gut", brummt Gally. Der Junge hilft ihm auf und Gally stützt sich auf ihn. „Kann ich irgendwas helfen?", frage ich.
„Ja, du kannst dir deine Hände waschen. Sie sind voller Blut. Kommst du danach bitte zu mir in die Sanitätshütte? Dort kannst du mir helfen, ihn zu verarzten."
„Okay, wo kann ich mir denn die Hände waschen?"
„Ich zeigs dir", sagt Newt tonlos.
Nebeneinander gehen wir bis zu einem kleinen Waschhäuschen. Die Stille ist erdrückend und sein Schweigen macht alles noch schlimmer. Ich trete ein und sehe seinen ausdruckslosen Gesichstausdruck im Spiegel. Betreten schaue ich zurück und weiche kurzerhand seinem Blick aus. Ich schrubbe mir die Hände ab bis ich das Gefühl habe, mir drei Hautschichten abgerieben zu haben, doch das eklige Gefühl von Blut und Schuld bleibt an meinen Händen. Ich starre auf meine Handflächen. „Kannst du bitte aufhören mich so anzustarren? Mir ist auch so klar, dass ihr alle sauer seid."
Er seufzt leise. „Das stimmt doch garnicht."
Ich blicke ihm wütend an. „Ach ja? Ich dachte, Gewalt ist verboten?"
Newts Blick wird etwas sanfter. „Gally kämpf mit jedem neuen Frischling, eine gebrochene Nase ist nichts besonderes mehr. Und ich bin der Einzige, der sauer ist. Und das auch nur, weil du dich darauf eingelassen hast. Dir hätte sonstwas passieren können!"
Ich sehe ihn ungläubig an. „Deswegen bist du sauer? Aber mir ist doch nichts passiert!"
„Weil Gally dich mit Samthandschuhen angefasst hat. Du bist ja bloß ein Mädchen!"
Autsch.
Newts Gesichtsausdruck wird verzweifelt. „So meinte ich das nicht, ich..."
„Ich hab schon verstanden", keife ich. „Ich geh jetzt wohl besser."
Ich sehe noch ganz kurz Schmerz in seinen Augen aufblitzen, bevor ich wütend und verletzt aus dem Raum rausche.
„Kannst du mir etwas zum desinfizieren geben, Jeff?"
„Kein Problem, Frischling"
Ich bin schon seit kurzem in der Krankenhütte und verarzte Gallys Nase. Der Matcho, der sich als Minho vorgestellt hat, hat mir netterweise den Weg gezeigt. Der Sanitäter hat gesagt, er heiße Jeff.
„Augen und Mund zu, Gally!"
Vorsichtig sprühe ich seine wieder geradegerückte Nase mit Desinfektionsspray ein. Dann nähe ich vorsichtig die Stelle zu, wo sein Knochen sich durch das Fleisch gebort hat und klebe ein Pflaster auf die Naht, um die Blutung zu stoppen. Gally öffnet seine Augen uns sieht mir zu. Ich zucke mit meinem Blick kurz zu seinem, bevor ich mich erhebe. „So, fertig. Den Rest muss Jeff machen."
Jeff kommt rüber und nickt anerkennend. „Nicht schlecht, Frischling."
„Könnt ihr mal aufhören, mich so zu nennen? Ich bin nicht die Tochter eines Wildschweins."
„Wer weiß?"
„Haha, sehr witzig, Strunk."
Die Jungs grinsen mich beide an und ich rolle mit den Augen. „Ich gehe jetzt essen. Au revoir!"
Im Speisesaal tuscheln die Anderen, als ich eintrete. Ich nehme mein Abendessen entgegen und setze mich wieder an einen leeren Tisch. Nach einiger Zeit lässt sich jemand auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Ein schwarzhaariger, muskulöser Riese grinst mich schleimig an. „Hallo Süße. Na, was macht so ein zartes Vögelchen wie du alleine? Möchtest du dich vielleicht zu uns setzen? Dort ist noch ein Platz frei, extra für Schönheiten wie dich."
Ich schlucke mein Essen runter und lächele so kokett wie möglich zurück.
„Das ist sehr nett von dir", säusel ich. „Aber ich stehe einfach nicht auf Schleimer, weißt du?"
Meine freundliche Maske weicht einem eisigen Gesichtsausdruck. Ich nehme mein Tablett hoch und verlasse den Raum. Am Eingang vernehme ich ein Prusten und entdecke Newt, der in der Ecke sitzt und sein Lachen mühevoll zurückhält. Als er meinen Blick bemerkt, räuspert er sich und isst weiter.
Ich erhasche noch einen verdutzten Blick von dem Schleimer und verlasse grinsend den Speisesaal.
Draußen setze ich mich auf einen der Baumstämme, die im Kreis um eine verkohlte Feuerstelle herumstehen und sehe mir beim Essen den Sonnenuntergang an. Da ich das Tablett nicht drinnen abstellen will, gehe ich durch eine Tür mit der Aufschrift ‚Küche' und stelle mein Tablett dort ab.
Der Raum ist extrem dreckig und überall liegen Zutaten herum. Ich entdecke ein Bündel Minzblätter. Oh, was würde ich geben für eine Tasse Tee!
Da kommt ein dicker, dunkelhäutiger Junge mir einer Schürze herein. Er starrt mich verdutzt an.
„Äh...hi...ich wollte nur mein Geschirr wegbringen."
Das Dickerchen winkt ab. „Kein Problem, Kleines. Ich heiße Bratpfanne. Möchtest du etwas?"
Ich knete verlegen meine Hände. „Hast du Tee?"
Er nickt. „Nur Minze, tut mir Leid."
„Dann gerne einen Minz-Tee."
„Wird gemacht, Kleines!"
Kurz darauf halte ich eine dampfende Tasse Tee in den Händen. Langsam nippe ich an dem lauwarmen Getränk. Wir unterhalten uns über dies und das, bis meine Tasse leer ist. Draußen glitzern schon einige Sterne am Himmel. „Komm mich mal wieder besuchen, Kleines!"
„Mach ich!"
Gut gelaunt gehe ich hinaus in die frische Nachtluft. Die Kühle fühlt sich angenehm an.
Langsam laufe ich zu der Hängematte, die mir Alby zugewiesen hat. Sie hängt neben einem dunkelhaarigen Jungen, der mich mit neugierigem Blick ansieht. „Hi!", sage ich freundlich und lege mich in meine Hängematte. „Hi", antwortet er. „Ich bin Thomas."
„Schön dich kennenzulernen, Thomas."
„Weißt du deinen Namen schon?"
Ich schüttele den Kopf. „Das kommt noch", gähnt er.
„Hoffe ich doch, Strunk", grinse ich.
Eine Weile halten wir Smalltalk. Ich erfahre, dass er zwei vor mir die Box hochgekommen ist.
„Wer ist den noch kurz vor mir hochgekommen?", frage ich neugierig.
Thomas zögert kurz. „Chuck."
Ich bin etwas misstrauisch, lasse aber von dem Thema ab.
„Weißt du eigentlich, was hinter den Mauern ist?"
Thomas sieht sich blitzschnell nach allen Seiten um, aber die schnarchen alle vor sich hin. Dann schirmt er seinen Mund mit einer Hand ab, beugt sich zu mir und flüstert: „Das Labyrinth. Jeden Morgen öffnen sich die Tore und die Läufer suchen einen Weg nach draußen. Abens schließen sich die Tore wieder. Bisher hat keiner auch nur eine Nacht im Labyrinth überlebt."
Ich runzle die Stirn. „Was passiert mit ihnen?", hauche ich.
„Sie werden attakiert. Von Griewern. Kaum einer hat sie je gesehen und die, die es getan haben sind nicht mehr zurückgekommen. Wenn die Tore sich abends nicht schließen würden, dann würden wir alle von ihnen angegriffen werden. Manchmal passiert es, dass ein Läufer von hinten gestochen wird. Wenn sie dann nicht schnellstmöglichst eine Spritze mit irgendeinem Serum bekommen, sterben sie.
Aber auch nach dem Serum sind sie ziemlich angeschlagen. So, ich hab dir schon zuviel erzählt. Gute Nacht!"
„Gute Nacht, Thomas."
Ich liege noch lange wach und denke über das nach, was er mit erzählt hat.
Ein Labyrinth? Griewer? Läufer? Ein Serum? Gestochen?
Erst nach langer Zeit gleite ich in einen leichten Schlaf.
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