10. Kapitel
Ich stehe in einer Küche und rolle mit dem dreijährigen Thomas einen Keksteig aus. Überall riecht es nach Zimt und Lebkuchen. Wir sind über und über mit Mehl bedeckt und ein kleiner Teigstriemen hängt in Thomas' braunen Locken. Glücklich strahlt er mich an. „Komm, lass uns die Ausstecher aus dem Schrank holen. Wir können den Teig hier schonmal bereitmachen, bevor die anderen Plätzchen fertig werden." Ich nicke eifrig und bewege mich wie von selbst zum Schrank. Eigentlich kann ich sowieso weder eigene Bewegungen machen noch eigene Sätze sprechen, es ist, als wäre ich einfach nur ein Gast in diesem Körper.
Am Schrank versuche ich, an die oberste Schublade zu kommen, doch ich bin zu klein. „Lass mich das machen", sagt Thomas und nimmt den Beutel mit den Ausstechern aus dem obersten Fach.
„Es ist unfair, dass du größer bist! Immerhin bin ich zwei Minuten älter als du!", quengel ich.
Er lacht. „Das ich jünger bin, sagt garnichts aus."
„Doch." Ich stemme meine kleinen Händchen in die Hüfte. „Ich bin tausendmal schlauer als du."
Er grinst auf mich herab. „Das werden wir ja sehen, wenn ich erstmal in die Schule gehe."
„Wir kommen gleichzeitig in die Schule."
Ich, oder besser gesagt mein früheres Ich, schnuppert in der Luft herum.
„Was riecht hier so verbrannt?"
Thomas schaut in den Ofen, wo das erste Blech Plätzchen liegt. „Die sind es nicht, der Teig ist noch sehr roh. Was riechst du denn?"
„Es riecht hier so nach brennendem Grünzeug...nach Feuer..."
Ein Schalter in meinem Hirn wird umgelegt. Feuer!
Der Traum verblasst und ich wache inmitten von Rauch und Hitze auf. Nicht weit von mir entfernt brennt ein kleiner Teil des Waldes und der Rauch wird direkt in meine Richtung geweht. Ich ziehe meinen verschwitzten Shirtkragen über die Nase, der wenigstens ein wenig Schutz bietet, und renne flach atmend aus dem Rauch. Hustend komme ich bei einer großen Gruppe Lichter an. „Janette!"
Thomas schließt mich in seine Arme. „Da bist du ja! Wo warst du?" Er reicht mir eine Schaufel.
„In meiner Hängematte", sage ich müde.
Thomas blickt besorgt auf das Feuer. „Sie müssen nachsehen, ob dort noch jemand ist, doch es hört ja mal wieder keiner auf mich!"
Ich lasse meinen Blick über die anderen Lichter schweifen, die emsig dabei sind, das Feuer zu ersticken und zu löschen. Ich sehe Zart, Minho, Alby, Chuck...doch irgendwer fehlt. Es liegt mir auf der Zunge, doch ich kann den Gedanken nicht erfassen.
Da läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Newt.
Ich drücke Thomas die Schaufel in die Hand. „Hilf ihnen. Ich mache mich auf die Suche. Falls ich in zehn Minuten nicht zurück bin, holst du Hilfe, ja?" Und ohne noch ein weiteres Kommentar bahne ich mir einen Weg durch die Leute, auf die Flammen zu.
Nirgens ist eine Lücke zu sehen. Panisch laufe ich um das Feuer herum, aber ich finde nichts, nur eine Stelle, die niedriger ist als der Rest. Mir bleibt keine Wahl. Ich nehme Anlauf und fliege in hohem Bogen über das Feuer. Ich habe die Höhe falsch eingeschätzt, weshalb der Saum meiner Hose Feuer fängt. Ohne nachzudenken reiße ich den brennenden Stoff mit bloßen Händen herunter. Mit dem Shirt über meiner Nase mache ich mich hustend auf die Suche nach Newt. Der dichte Rauch treibt mir Tränen in die Augen und Lichtflecken tanzen vor meinen Augen.
Doch es dauert nicht lange, da sehe ich ihn.
Er liegt bewusstlos auf den Erdboden. Ich stürze neben ihn, in Befürchtung, dass er tot ist, doch er atmet flach. Ich ziehe seinen Kragen über seine Nase. Sein Kopf sieht unversehrt aus, doch als ich meine Hand darunterschiebe, ziehe ich sie geschockt wieder weg. Blut.
Vorsichtig hebe ich seinen Oberkörper an, stelle mich hinter ihn, schiebe meine Arme unter seine Achseln und schleife ihn aus der Gefahrenzone, tiefer in den Wald. Ich mache einen Bogen ums Feuer und mit letzter Kraft schleppe ich den bewusstlosen Newt aus dem Wald raus, direkt vor Clints Füße.
„Hilf ihm", keuche ich, bevor ich zusammenklappe und selbst das Bewusstsein verliere.
Kurz darauf wache ich wieder auf. Meine Lunge fühlt sich an wie gekocht und mein Hirn ist vernebelt. Ich schüttle heftig den Kopf, um ein bisschen Klarheit hineinzubekommen. Ein kleiner Teil des Waldes ist nur noch Schutt und Asche. Das Feuer ist aus. Nur noch die verkohlten Baumstämme und die dicke Luft weist darauf hin, dass es gebrannt hat.
Mein Hirn scheint aus Pudding zu bestehen und ich bin von oben bis unten voller Asche und Erde. Ein dünner Schweißfilm bedeckt meine Haut und ich stinke nach Rauch und Feuer.
Wie gerne würde ich jetzt duschen.
Besorgt werfe ich einen Blick zur Seite, wo Jeff und Clint gerade Newt behandeln. Andere Sanitäter stehen auf der ganzen Wiese verteilt und behandeln Verbrennungen und was alles für Verletzungen bei Feuer rauskommen. Keiner würdigt mich auch nur eines Blickes. Gut so. Es gibt genügend, die es viel nötiger haben als ich, behandelt zu werden.
Die paar Brandblasen auf meiner Haut und der Schwächeanfall sind nichts im Gegensatz zu Newt. Wenn der Rauch ihn nicht vergiftet hat, wird er sich tagelang anhören wie eine Nebelkrähe mit Asthma.
Und diese Platzwunde auf seinem Hinterkopf sieht auch nicht gerade rosig aus.
Ich bleibe direkt neben Newt sitzen. Jeff und Clint stören sich nicht daran und konzentieren sich ganz auf seine Verletzungen. Jeff hat Newt eine Sauerstoffmaske verpasst, die mit einer Druckluftflasche verbunden ist. Seine Brust hebt und senkt sich regelmäßig und er atmet nicht mehr so flach. Auch wenn wir nicht im Wind sitzen und der Rauch langsam verfliegt, er braucht dringend saubere Luft.
Clint hat Newts Platzwunde am Hinterkopf gesäubert und zugenäht. Kleine Verbrennungen ziehen sich über seine Arme und Beine, doch das ist nichts Schlimmes. Ich mache mir mehr Sorgen um seinen Kopf. Irgendwer muss ihm saftig am Hinterkopf getroffen haben, oder ein heruntergefallener Ast hat ihn erwischt. Was ist, wenn er eine Gehirnblutung hat? Um das zu behandeln, braucht man hochmoderne Röntgengeräte, die hier nicht vorhanden sind.
Wie kann man Gehirnblutung feststellen, so ohne röntgen?
Jeff wickelt einen Verband um Newts Kopf, damit das Blut schneller versiegt. Newt beginnt zu husten und seine Augenlider flattern. Erleichert seufze ich auf. „Du lebst! Himmel sei Dank."
Newt blinzelt. Verwirrt tastet er den Verband an seinem Kopf ab.
„Wer...wo...was ist passiert?"
Ich streiche ihm eine Haarsträhne aus dem Auge. „Ein Teil des Waldes hat gebrannt. Du lagst bewusstlos und mit einer Platzwunde am Hinterkopf mitten im Feuer. Kannst du dich an irgendetwas erinnern?" Er runzelt die Stirn. „Ich konnte nicht schlafen, weil ich so ein komisches Geräusch im Wald gehört habe", krächzt er. „Ich bin hineingegangen und nach ein paar Metern hat mich irgendetwas von hinten angesprungen und mir eins übergezogen. Hat es wirklich gebrannt?"
„Allerdings. Ich war krank vor Sorge, Strunk."
Newt lächelt. Seine weißen Zähne passen überhaupt nicht zu seiner verdreckten Haut, genauso wenig wie die schneeweiße Mullbinde. Er könnte auch ein Bad vertragen.
„So. Da der Hauptpatient nun wach ist, können wir uns ja um dich kümmern", sagt Jeff.
„Aber bei mir ist alles in Ordnung. Geht lieber zu denen, die es nötig haben."
Clint schaut sich um. „Die sind alle gut versorgt. Außerdem müssten wir dich sowieso früher oder später behandeln."
Ich strecke meine Hände aus und zeige ihm die Brandblasen. „Siehst du? Das wars."
Newt hebt die Augenbrauen. „Das sehe ich aber anders. Schau dir mal deinen rechten Oberarm an."
Ich tue wie geheißen und meine Augen werden so groß wie Untertassen. „Heiliger Klonk."
Eine rote, blasenwerfende, wülstige Brandwunde, so breit wie mein Handgelenk und so lang wie mein Fuß prangt dort. Schweiß bringt sie zum Glänzen, die Haut dort rollt sich teilweise ein und eine eitrige Flüssigkeit sickert aus einer geblatzen Brandblase.
Angeekelt wende ich mich ab. „Oh mein Gott. Warum spüre ich die erst jetzt?"
„Der Rauch hat deine Sinne betäubt. Hier, nimm dieses Kühlpack."
Als ich es an die Wunde drücke, scheint es den Schmerz förmlich herauszuziehen und ich seufze.
„Das tut gut."
Clint macht das Kühlpack mit einem Verband fest. Der brennende Schmerz lässt immer mehr nach und weicht einer Taubheit. Die Kälte frisst sich tiefer in die Haut und schafft Linderung.
„Das lässt du jetzt so lange in Ruhe, bis das Kühlpack nicht mehr kalt ist. Dann bekommst du eine Salbe." Ich nicke. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen.
Newt versucht sich aufzusetzen, doch Clint drückt ihn wieder auf den Boden. „Nanana, Freundchen. Du bleibst schön liegen. Janette, du kannst gehen." Ich nicke, winke Newt und mache mich auf den Weg zu Thomas. Dieser steht ohne Verletzungen bei den anderen Gesunden und nimmt mich überschwänglich in den Arm. „Jag mir nie wieder so einen Schreck ein, okay?"
Ich lächele traurig. „Ich werde mein Bestes tun. Ach übrigends, ich bin zwei Minuten älter als du."
„Woher weißt du das?"
„Neue Erinnerung."
Minho kommt zu mir und klopft mir auf die Schulter. „Alles noch dran?" Ich hebe meinen Daumen und er hebt seinen als Antwort. Auch er nimmt mich in den Arm. „Du hörst garnicht mehr auf, Leben zu retten, was? Auf jeden Fall danke, dass du meinen besten Freund aus dem Feuer geholt hast."
Ich erröte, wie immer, wenn ich ein Kompliment bekomme. „Keine Ursache."
Er löst sich und noch viele andere bedanken sich bei mir für Newts Rettung. Ich versuche, ihnen zu erklären, dass ich ohne Thomas nie auf die Idee gekommen wäre und Newt ohne Jeff und Clint so oder so gestorben wäre, doch sie wollen nicht hören. Sie halten mich alle für die Heldin des Tages.
Irritiert von so viel Lob und Dankbarkeit trete ich den Rückzug an. Das andere Ende der Lichtung ist mir nun sehr willkommen. Hinter der letzten Scheune lasse ich mich in die Ecke sinken.
Endlich Zeit zum Nachdenken.
Dass das Feuer von einem der Lichter angelegt worden war ist klar. Warum sollte auch sonst mitten in der Nacht ein Feuer ausbrechen? Newt hat den Brandstifter erwischt und somit eine Platzwunde kassiert. Einentlich müsste man sich nur umsehen, wer Blut an den Fingern hat...wenn das hier nicht so gut wie jeder hätte, auch ich. Ich gehe zum Waschteich der Gärtner und wasche das Blut von meinen Händen. Von Newts Unschuld bin ich überzeugt. Eine kleine Stimme in mir tadelt mich. Man muss immer alle Möglichkeiten sehen, vor allem die Wahrscheinlichsten. Und er war direkt am Feuer.
Er hat eine Platzwunde und wäre fast gestorben. Er ist undschuldig.
Das kann man nicht ausschließen. Trotzdem, behalte ihn dir im Hinterkopf!
Kannst du nicht einfach mal leise sein?
Na schön, wenn du willst.
Die Stimme verstummt und ich fühle mich noch ratloser denn je. In Gedanken versunken mache ich mich wieder auf den Weg zurück zu den Lichtern. Einige klopfen mir noch auf die Schulter, bevor sie sich alle erschöpft in ihre Hängematten sinken lassen. Es sind mehrere Stunden vergangen, seit das Feuer ausgebrochen ist. War ich so lange weg?
Newt kommt mit ausdruckslosem Gesicht zu mir. Anscheinend darf er wieder laufen.
„Mitkommen."
Ohne Widerspruch folge ich ihm, weg von den Lichtern und neugierigen Ohren. Als Newt der Meinung ist, dass wir weit genug von den Anderen entfernt sind, stützt er sich abrupt mit einem Arm an der Wand ab und zwingt mich dazu, an die Wand gedrückt dazustehen. Er ist mir so nah, dass ich leicht anfange durchzudrehen.
„Was hast du dir nur dabei gedacht?", zischt er mit rauer Stimme.
Verwirrt sehe ich ihn an. „Wobei?"
„Die Anderen haben mir erzählt, was du getan hast. Bist du eigentlich vollkommen übergeschnappt? Einfach über das Feuer zu springen und dein Leben zu riskieren!"
Ich verschränke meine Arme. „Gern geschehen, dass ich dein Leben gerettet habe, Strunk."
„Und dein Eigenes beinahe verloren hast! Wieso riskierst du so viel für Andere? Erst rennst du ins Labyrinth und wirst beinahe von einem Griewer aufgeschlitzt und dann springst du über Flammen! Versteh mich nicht falsch, ich bin dir sehr dankbar, dass du Alby und Minho gerettet hast, aber der Preis, den du geboten hast, war zu hoch!"
„Schonmal daran gedacht, dass ich das für mich selbst getan habe? Dass mein Leben ohne meine Freunde keinen Sinn hat? Schonmal was von Opferbereitschaft gehört?"
„Allerdings! Bevor solche Naseweiße wie du hochkamen, haben sich viele meiner engsten Freunde geopfert! Was glaubst du, weshalb ich nicht noch mehr Verluste einstecken will?"
„Als ob ich dir jemals wichtig gewesen wäre."
Ich merke sofort, dass ich zu weit gegangen bin. Newts Gesicht wird noch ausdrucksloser und seine Augen wirken pechschwarz.
„Du hast ja keine Ahnung", krächzt er tonlos. Dann beugt er sich vor und legt seine Lippen auf meine.
Es fühlt sich an, als würde mir jemand einen Stromstoß von sechstausend Volt verpassen. Ich bin so geschockt, dass ich einfach nur steif dastehe und versuche, meinen Herzschlag zu regulieren.
Der süße Geruch nach Honig und Bienenwachs hilft nicht gerade.
Oh. Mein. Gott. Ganz. Ruhig. Atmen.
Seine Lippen sind rau und aufgeplatzt wegen des Feuers und trotzdem ist es das schönste Gefühl, was ich seit langem gehabt habe. Die Hitze in mir breitet sich aus und übernimmt meinen ganzen Körper. Eine so gewaltige Welle der Zuneigung und der Verwirrung überrollt mich, dass ich keine Ahnung habe, was ich tun soll.
Newt löst seine Lippen und ich kann nicht anders, als ihn geschockt anzustarren. Mein Mund geht leicht auf. Ich sehe bestimmt total dämlich aussehen, doch ich kann nichts tun. Ich kann mich nicht bewegen. Ich bin wie gelähmt.
Er senkt seinen Blick. „Ich musste es tun. Wenigstens einmal."
Und mit diesen Worten dreht er sich um und lässt mich mit Milionen verschiedenen Gefühlen zurück.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro