● diese eine träne ●
Ich sitze im Zug und starre nach links; hinaus aus dem Fenster des Gefährts und beobachte den herabfallenden Schnee, der sich auf dem Boden ansammelt. Jetzt ist die Zeit gekommen, an dem der Schnee, am Boden angekommen, nicht mehr von der Sonne in Matsch und Brei umgewandelt wird, sondern liegen bleibt und sich wie eine kilometerlange, weiße Schneedecke auf der Erde ausbreitet.
Ich stelle mir vor, mich hineinzulegen und so unbeschwert wie früher Schneeengel zu formen oder Schneemenschen zu bauen. Meine Freunde mit Schneebällen abzuwerfen. Wie früher, als ich noch keine Sorgen und Probleme hatte, um die ich mich kümmern musste. Wie früher, als meine Seele noch gestrahlt hat und sich nicht um andere Meinungen geschert hat. Jetzt nehme ich alles viel zu persönlich. Ich bin keineswegs mehr wie früher. Habe Sorgen und Probleme, meine Seele weint und die Meinungen anderer sind mir wichtiger als meine eigenen. Meine letzte Schneeballschlacht ist schon viel zu lange her. Genauso wie der Tag, an dem ich dich verlassen habe. Fernbeziehungen sind ein schwieriges Thema. Und ich hasse schwierige Themen, vor allem, wenn sie mich betreffen. Das letzte Mal habe ich dich vor neun Monaten gesehen und täglich lebe ich mit der Angst, dass nicht nur ich dich, sondern auch du mich verlassen hast. Dass du jemand neues gefunden hast, was ich dir aber auch nicht für übel nehmen würde. Nach einiger Zeit wurden unsere Telefonate weniger. Täglich wurde zu wöchentlich. Ich kann mich glücklich schätzen, wenn du dich einmal in zwei Wochen bei mir meldest. Aber ich verstehe es. Ich habe viel zu tun und du hast viel zu tun. Und irgendwo mag es meine Schuld sein, wenn unsere Beziehung jetzt zerbrochen ist, aber das rede ich mir gerne aus. Ich sitze im Zug nach Hause und habe Angst davor, was mich erwartet. Vielleicht sagst du mir, dass du mich nicht mehr willst; dass dir die Umstände zu kompliziert geworden sind und du eine Person gefunden hast, mit der alles so viel leichter scheint. Es ist nicht so, dass ich in den neun Monaten keine Person gefunden hätte, mit der alles leichter wäre. Aber in meinem Hinterkopf war immer der Gedanke, dass ich sie nie so sehr lieben könnte, wie dich. Manchmal ist der kompliziertere Weg, der für den man kämpfen muss, am Ende der, der sich gelohnt hat und den man nicht bereut. Niemals.
Ich stehe vor meinem Haus. Als ich hinaufsehe, erkenne ich Lichterketten, die den Balkon zieren und erleuchten. Ich schließe die Tür auf und trete ein, streife dann die Schuhe von meinen Füßen. Ich fühle mich sofort wieder wohl. Ich war so lange nicht hier und trotzdem fühlt es sich wie mein zu Hause an. So wird es sich immer anfühlen.
Und da stehst du auf einmal. Mit einem riesigen Straus orange-gelber Lilien in der Hand, denn das sind meine Lieblingsblumen. Und meine Lieblingsfarben. Du kommst auf mich zu und siehst mir lange in die Augen, bis eine einzelne Träne deine Wange entlangfließt. Ich habe dich in ganzen vier Jahren nie weinen gesehen. Ich weiß nicht wieso, doch diese Träne gibt mir so viel Hoffnung und Sicherheit. Sie lässt mich glauben, dass wir von nichts und niemandem getrennt werden können und dass wir füreinander geschaffen sind. Sie lässt mich glauben, dass ich mit dir all meine Probleme bewältigen kann; dass du mich aufrichtig liebst.
●●●
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro