Teil 2 von 2
Nachmittags saß Amalie Schneider wieder in ihrem Ohrensessel. Nach dem Frühstück war niemand mehr in ihrem Zimmer gewesen. Sie hatte Ruhe. Zufrieden laß sie ,,Den Proceß'' von Kafka und war schon fast bei der letzten Seite angelangt, als ein Klopfen sie aus dem Lesefluss brachte.
Ein junger Mann kam herein. Schlank, groß, blondes Haar und kurzer rot-blonder Bart. Mit Jeans und blauem Pullover gekleidet.
,,Und Sie, junger Mann sind wer?'', fragte Amalie und schaute über die Gläser ihrer Lesebrille den jungen Mann eindringlich an.
,,Entschuldigen Sie die Störung, aber..''
,,Ist schon gut Jonas'', sagte eine vertraute Stimme. Anna kam durch die Tür.
,,Auf, du alte Miesepeterin. Zieh dich an. Das hier ist mein Enkel Jonas und gekommen um dich und mich abzuholen.''
,,Bitte?''
,,Du hast schon richtig gehört. Ich habe eben mit meiner Tochter telefoniert. Zu essen ist genug da und wann immer du nach Hause möchtest, Jonas wird dich wieder zurück bringen. Auch wenn er das eventuell nicht freiwillig tut, aber sagen wir mal so. Ich habe ihn dazu verdonnert. Stimmt's Jonas?''
,,Ja, Oma. Aber es ist Weihnachten und da fahre ich dich und deine Freundin gerne in der Gegend rum'', erwiderte Jonas. Anna lächelte.
,,Aber eines möchte ich heute mal nicht von dir hören, Amalie. Nämlich weder ein Nein noch ein Gemeckere. Schließlich ist Weihnachten''
,,Diesen bestimmenden Ton hätte ich Anna gar nicht zugetraut'', dachte sich Amalie.
,,Ich hab doch nichts mit deiner Familie zu tun. Ich kann mich euch doch nicht zumuten.''
,,Also jetzt hör mal. Du kannst noch selbstständig auf die Toilette gehen und brauchst zum Gehen auch noch keinen Stock. Also haben wir da schonmal keine Probleme. Und ich möchte nicht, dass du heute alleine bist. Schluss! Aus! Und Basta!''.
Die letzten Worte sagte Anna so entschieden, dass ihr Enkel Jonas neben ihr sogar erschrak. Es schien so auszusehen, dass man Anna nicht mehr umstimmen konnte.
,,Also gut. Ich bin in einer viertel Stunde fertig'', sagte Amalie.
Nach 15 Minuten saßen die beiden alten Damen im Auto. Die Fahrt dauert nicht sehr lange, da die Tochter von Anna im gleichen Ort wohnte, indem auch das Altenheim war, weshalb Amalie nicht verstand, wieso sich Anna freiwillig in das Altenheim begeben hatte. Sie hatte es immer damit begründet, dass sie keinem zur Last fallen wollte und daher freiwillig gegangen sei.
Amalie wurde von Annas Tochter, ihrem Schwiegersohn, ihrem Sohn und den Enkeln von Anna herzlich empfangen.
,,Verzeihen Sie, aber ich habe überhaupt nichts dabei um mich erkenntlich zu zeigen. Auf jeden Fall vielen Dank für die Einladung'', sagte Amalie zu Annas Tochter, Maja.
,,Das ist schon so in Ordnung, Frau Schneider. Wir haben wohl heute alle keine Wahl. Was Weihnachten und insgesamt Familienfeiern angeht, hat meine Mutter immer das letzte Wort. In diesem Sinn freuen wir uns sehr Sie heute Abend als unseren Gast begrüßen zu dürfen.''
Die drei Enkel von Anna, die allesamt musikalisch waren, spielten mit ihren Instrumenten Weihnachtslieder und die restliche Familie stimmte mit Gesang ein. Anschließend war Bescherung und die Geschenke, die unter dem Weihnachtsbaum lagen, durften ausgepackt werden. Es war ein schöner Tannenbaum, der zentral im Wohnzimmer stand. Groß und bilderbuchhaft gewachsen und geschmückt mit Kugeln verschiedenster Farben. Dieser Baum hätte ihrem Mann sicherlich auch gefallen. Alleine schon aus dem Grund, weil er so akkurat gewachsen war.
Die Kinder bekamen zu Weihnachten Geld, Videospiele, Strümpfe, technische Sachen, was ja absolut zur heutigen Zeit dazu gehörte. Jonas bekam so ein komisches Tablet-Ding-Da, wie es Amalie nannte, weil sie einfach nichts damit anfangen konnte.
Die Jüngste unter Annas Enkeln, Emilia bekam allerdings Malsachen und ein Puppenhaus, welches sie sich, so sagte sie es zumindest zu Amalie, gewünscht hatte. Es war für Amalie amüsant den Kindern dabei zuzusehen, wie sie die Geschenke auspackten und sich fröhlich beim Christkind bedankten und nicht bei den Eltern.
,,Schön, dass der Zauber der Weihnacht hier in Form des Christkindes erhalten bleibt'', dachte sich Amalie.
Es war bestimmt schon mehr als 20 Jahre her, als Amalie den letzten Gänsebraten gegessen hatte. Es hatte sich bei ihr zuhause einfach nicht rentiert sich alleine eine Gans zu kochen. Aber die Gans, die Maya zubereitet hatte, schmeckte wirklich vorzüglich und in dieser netten Gesellschaft ließ es sich sowieso viel besser und auch einfacher essen.
Als die Uhr 10 abends schlug, war es langsam Zeit für Amalie wieder ins Altenheim zurückzukehren. Nur erblickte sie nirgendwo Jonas, der sie hätte heimfahren können. Dann musste sie sich also noch etwas gedulden, was die Heimfahrt anging.
Da kam plötzlich die kleine Emilia mit einem Stück Papier in der Hand zu ihr.
,,Das hier ist für dich, Tante Amalie'', sagte sie und drückte Amalie das Blatt Papier in die Hand.
Sie war, insbesondere bei den Kindern, jetzt Tante Amalie, weil Anna nicht wusste, wie sie Amalie sonst hätte vorstellen sollen. Natürlich waren die Erwachsenen Amalie gegenüber noch beim Sie, was Amalie offen gestanden etwas störte.
,,Das ist aber eine schöne Zeichnung. Danke. Wer sind die Personen auf diesem Bild?'', fragte Amalie.
,,Das in der Mitte bist du. Drumherum die Leute sind wir alle. Meine Mama, mein Papa, Oma Anna, mein Bruder, mein Onkel und seine Frau. Siehst du das Lächeln auf deinem Gesicht? Du freust dich, dass du nicht alleine Weihnachten feiern musst. Das Bild soll dich daran erinnern, dass du nicht alleine bist, Tante Amalie.''
Obwohl dieses Kind Amalie gerade einmal ein paar Stunden kannte, schaffte dieses kleine, blond gelockte Mädchen tatsächlich, dass Amalie Tränen in die Augen bekam.
,,Vielen lieben Dank Emilia'', sagte Amalie.
,,Gerne. Kommst du mal mit? Ich möchte dir mein neues Puppenhaus zeigen. Das ist ganz toll, das habe ich mir nämlich vom Christkind gewünscht.''
,,Ja. Sehr gerne. Geh schonmal vor, ich komme gleich.''
,,Okay'', sagte Emilia und hüpfte in Richtung Tannenbaum, unter dem das ausgepackte Puppenhaus stand.
,,Du hattest recht'', sagte Amalie zu Anna, die sich bisher mit ihrem Sohn unterhalten und das Gespräch zwischen Amalie und Emilia nur beiläufig mitbekommen hatte. Sie unterbrach die Unterhaltung mit ihrem Sohn, um sich Amalie zuzuwenden.
,,Womit jetzt genau?''
Amalie lächelte Anna an:
,,Natürlich ist es wichtig und schön Weihnachten mit der Familie zu feiern, aber das muss nicht zwingend erforderlich sein. Es geht hauptsächlich darum, das Leben an sich und auch Feste, wie Weihnachten zum Beispiel, mit den Menschen zu verbringen, die man mag und die auch dich mögen. So gesehen können auch gute Freunde und anfangs unbekannte Menschen zu einer Art Familie werden. Ich hätte niemals gedacht, dass es in meinem Leben nochmal dazu kommen würde, Weihnachten zu feiern'', sagte Amalie mit Tränen in den Augen.
,,Ich danke Dir für dieses wirklich schöne Weihnachtsfest.''
Am Ende der Geschichte, aus reiner Interesse, eine allgemeine Frage an Euch: Wer kommt zu euch an Weihnachten? Das Christkind, der Weihnachtsmann, St. Nikolaus oder Santa Claus oder doch jemand anderes?
Bei mir zuhause kommt mal das Christkind an Weihnachten.
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