Teil 1 von 2
24.12. und nichts deutete auf Weihnachtsstimmung hin. Sogar das Wetter spielte nicht mit. Kein Schnee, keine Kälte. Auch kein Regen, stattdessen Sonnenschein und 12 Grad. Ende Dezember. Verrückte Welt. Da sollte nochmal einer sagen, es würde keinen Klimawandel geben. Da hatte Frau Amalie Schneider noch ganz andere Winter erlebt und auch andere Weihnachten. Eiskalte, frostige Weihnachten. Die Fenster der Häuser voller Eisblumen. Die Häuser, auch die alten, waren so modernisiert, dass niemand mehr wissen konnte, was überhaupt Eisblumen waren. Es war ein Wort, das wohl in ein paar Jahrzehnten, aufgrund mangelnder Verwendung aus dem Duden gestrichen würde.
Und jetzt saß sie hier. In ihrem Ohrensessel und schaute Fernsehn. Was sollte man auch sonst im Altenheim machen? War ja nichts los hier. Plötzlich hörte sie einen Schrei. ,,Das kann ja nur der Löwelich sein. Der dreht wieder durch, nehme ich an. Erkennt vermutlich die Schwester nicht und meint, er wäre entführt worden. Wie immer'', sagte Frau Schneider. ,,Oh Gott, ich rede schon mit mir selber. Hier wird man ja noch verrückt.''
Dann klopfte es. Karin kam rein. Die nette Schwester, die sich auch Zeit für die alten Leute nahm. ,,Frühstück Frau Schneider'', sagte sie und stellte ein Tablett auf dem Tisch, vor dem Fenster ab. ,,Danke, ich werde es gleich essen. Zuerst schaue ich noch die Nachrichten zu Ende'', sagte Frau Schneider.
,,In Ordnung'', antwortete Karin und schloss die Zimmertür hinter sich.
,,Seltsam, sonst widmet sie sich doch mehr den alte Leuten. Naja, dann war's das wohl mit Gespräch für heute'', dachte Amalie.
Dann klopfte es wieder an der Zimmertür und diese öffnete sich.
,,Ach, Karin kommt doch noch zum Quatschen'', dachte Frau Schneider.
,,Hallo, Amalie?'', sagte jemand.
Es war Anna Franz, Frau Schneiders Zimmernachbarin und, sagen wir mal mittlerweile gute Freundin. Eine der wenigen Personen, zu der Frau Schneider wieder eine Beziehung aufgebaut hatte. Denn sie hatte ja keinen mehr. Ihr Mann war schon seit mehr als 25 Jahren tot, sie war ein Einzelkind und Kinder hatten sie und ihr Mann auch keine bekommen. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes nur noch ihre Mutter. Aber die starb auch vor 15 Jahren. Welche alte Frau mit 94 Jahren könnte auch von sich behaupten, noch eine lebende Mutter zu haben? Das war sowieso unwahrscheinlich.
Und letzte Woche ließ sie sich aus dem Altenheim mit dem Taxi zum Friedhof fahren. Sie musste schweren Herzens ihre beste und letzte Freundin zu Grabe tragen. Dabei war sie doch gerade mal so alt gewesen wie sie, was wirklich ja kein Alter war. Oder etwa doch?
Einerseits war es schön alt zu werden, die Einsamkeit, die damit aber kam, war das Andere. Die Frage, die man sich hier drin langsam stellte, war: ,,Welche von diesen beiden Optionen wäre die bessere? Kurzes Leben oder die letzten Jahre einsam leben?''
Jedenfalls war Anna eine gute Bekannte, mit der sich Frau Schneider sehr gut verstand.
,,Ach du bist es, Anna. Was gibt es Neues?''
,,Ach nichts. Was soll es hier denn schon Neues geben? Löwelich ist schon wieder ausgerastet. Die Schwester meinte, wenn er nochmal einen Ausraster hat, dann wird es sein letzter hier sein und er kommt zur Endstation.''
,,Endstation?'' fragte Amalie
,,Na, die Demenzabteilung.''
,,Ach so. Ja klar. Aber findest du nicht, dass das eigentlich schon überfällig war?''
,,Na, kommt drauf an. Eine Chance kann man ihm ja noch geben. Ich meine, wenn er seine hellen Momente hat, dann wird er da unten nicht bleiben wollen, dafür wäre er noch zu fit, aber andererseits, wenn er wieder alles vergisst. Mal schauen, ob er seine Möglichkeiten verspielt oder nicht. Was machst du denn heute noch?''
,,Ähm, Frühstück, zu Mittag essen. Eventuell lese ich noch ein Buch. Ganz normaler Tagesablauf eben.''
,,Ach so. Ich werde nachher von meinem Enkel abgeholt, es ist doch heute Heiligabend.''
,,Ach ja, Heiligabend. Och.. Ein Abend wie jeder andere auch'', sagte Frau Schneider und traute sich nicht Anna in die Augen zu schauen.
,,Ich hab noch nicht gefrühstückt. Wir können ja zusammen frühstücken, Amalie.''
,,Ja gut, wenn du meinst Anna.''
Anna ging die Tür hinaus.
Ein paar Minuten später stand sie wieder im Zimmer von Frau Schneider, die bereits am Tisch saß.
In einer schwarzen Hose, Pantoffeln und einer roten Bluse gekleidet, kam die Zimmernachbarin mit ihren geföhnten weißen Dauerwellen zum Tisch und leistete Frau Schneider Gesellschaft.
,,Sag mal, Amalie. Was machst du denn heute so?''
,,Nichts. Ich sagte doch schon. Der heutige Tag ist wie jeder andere'', sagte Amalie mürrisch und etwas bestimmend. So, als wolle sie das Gespräch schnell beenden.
,,Weihnachten ist es nicht mehr wert gefeiert zu werden. Selbst wenn man Christin ist.''
,,Wie sahen deine Weihnachtsfeste denn früher aus?'', fragte Anna vorsichtig.
,,Ich hatte stets was Leckeres zu essen zubereitet. Die ganzen Traditionen wie Weihnachtsbaum etc, waren nie so meins. Mein Mann war eher derjenige, der auf den Tannenbaum bestand und fand, dass ein Tannenbaum zu jedem Weihnachtsfest gehörte. Natürlich haben wir noch Plätzchen gebacken. Das, muss ich sagen, gehört einfach dazu. Aber das Schönste an allem war, dass man die Familie um sich hatte. Zumindest die Familie, die bei uns vorhanden war. Das war ja meist nur meine Mutter und eventuell die Geschwister meines Mannes, wenn sie dann mal konnten. Aber die haben ja selbst Kinder und feierten immer bei sich zuhause'', sagte Amalie.
,,So war es bei mir früher auch. Allerdings war bei uns mehr Trubel, was die Anzahl der anwesenden Familienmitglieder angeht. Jetzt ist mein Mann auch nicht mehr da und Weihnachten nicht mehr das Selbe.''
,,Red doch keinen Unsinn, Anna. Du wirst von deinem Enkel abgeholt. Du hast noch Familie.''
,,Ja, das stimmt allerdings. Wenn du möchtest, kannst du ja mit uns zusammen feiern.''
,,Sei nicht albern, Anna. Ich gehöre nicht zu deiner Familie. Ich kann von keinem Verlagen eine wildfremde Frau bei euch Weihnachten mitfeiern zu lassen. Ich bleibe heute hier. Ich lese mein Buch zu Ende und gut ist'', sagte Amalie.
,,Dann schau dir doch wenigstens die Messe im Fernsehen an, dass du wenigstens etwas Weihnachten hast.''
,,Ja, mal schauen, wie ich in Stimmung bin. Vielleicht ist mir ein gutes Buch viel lieber. Mal sehen''
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