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Am Abend, bevor Herr Davidson zur Nachtschicht fuhr, fing seine Tochter ihn im Türrahmen ab. Es kostete sie Kraft und Mut, sich ihm mitzuteilen. ,,Bitte Papa, ich möchte unbedingt hier bleiben!" Der Familienvater blickte mitfühlend zu ihr herab. ,,Sprich morgen mit deiner Mutter, sie ist nicht so gefühlskalt wie du denkst." Isabelle nickte. Sie hatte sich das Gespräch etwas anders vorgestellt. Hilfreicher und befreiender.
Nach dem Abendessen kümmerte sie sich um ihre Zwergkaninchen und ging dann zu Bett. Ein einsamer Lichtstrahl fiel durch die einen Spalt geöffnete Arbeitszimmertür. Das Mädchen wäre liebend gern hineingegangen und hätte ihrer Mama eine gute Nacht gewünscht, aber das war wohl nur im Traum möglich. In der Realität wäre Frau Davidson bestimmt erbost gewesen. Das wollte Isabelle lieber nicht ausprobieren.
Wenig später lag sie in den weichen Daunen, ihr Blick fiel auf die im Mondlicht glitzernde Klinge des alten Schwerts, welches ihre Wand zierte. Ihre Augen fielen zu, die Federn trugen sie davon ins Traumland. Im Schlaf überlegte sie angestrengt, wie sie ihrer Mutter den Wunsch, zu Hause bleiben zu wollen, am besten vermitteln sollte. Unruhig wälzte sie sich von einer zur anderen Seite.
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Des Morgens wachte Isabelle mit einem merkwürdigen Druck im Kopf auf. Dunkelheit umgab sie. Der Wecker zeigte 5:50 Uhr. Sie nippte an ihrer Wasserflasche, während sie halb schlafend zum Schreibtisch torkelte und das Schreiblicht anknipste. Träge holte sie einen Zeichenblock unter den auf dem Tisch liegenden Fantasiebüchern hervor und zückte einen Bleistift. Isabelle schlug eine frische Seite auf und begann zu zeichnen. Die Felder von gestern, den geheimnisvoll wirkenden Mischwald...
Nachdem Isabelle einige Stunden dort gesessen und gezeichnet hatte, hörte sie die hölzerne Haustür zuknallen. War das ihr Vater gewesen? Schnell zog sie sich ihren Hoodie über und eilte nach unten. ,,Papa?", japste sie. ,,Ja, mein Kind?" Er lächelte sie an. Isabelles Vater machte einen äußerst erschöpften Eindruck auf sie. Unter seinen Augen zog sich ein dunkler Schatten die Augenfalte entlang, und er schien jeden Moment im Stand einzuschlafen. ,,Soll ich dir einen Tee machen?", bot sie ihm an. Er nickte dankbar.
Innerhalb kürzester Zeit standen eine Kanne Lavendelblütentee und zwei Tassen auf dem Wohnzimmertisch. Isabelle sank in den Sessel. ,,Hast du schon mit deiner Mama geredet?", fragte er sie und nahm sie mit prüfendem Blick in Augenschein. Sie schüttelte den Kopf. Mist! Jetzt kam es so rüber, als wolle sie doch nicht unbedingt bleiben, oder als mache sie einen Rückzieher!
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Bezaubert schaute die Kleine aus dem Fenster. ,,Schnee!", jubelte sie. In wenigen Sekunden stand sie unten vor der Tür und ließ ihren Blick über die bedeckten Baumkronen schweifen. Ein weißer Schleier lag auf der gesamten Landschaft. Die Morgensonne weckte die Natur mit ihren milden Strahlen. Isabelle kümmerte sich zunächst um Mimi und Lou, welche große Augen machten bei dem vielen Schnee.
Immer noch in den Bann gezogen stapfte sie in ihren warmen Pelzschuhen durch die weiße Masse. Die mittelgroßen, tief gesunkenen Abdrücke führten bald bis an den Waldrand. Beim Anblick einer großen Ulme, die imposant vor ihr stand, blieb die Zwölfjährige kurz stehen und befühlte die edel glitzernden Eiszapfen, die wie Juwelen von ihren kahlen Zweigen hingen. So sahen die Bäume gar nicht mehr so kahl aus. Sie stapfte weiter. Im Wald lag an manchen Stellen etwas weniger Schnee als dort, wo keine Bäume standen. Sie ging einen ähnlichen Weg, wie bei ihrem letzten Spaziergang, doch der war bei dem vielen Weiß gar nicht mehr wiederzuerkennen!
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