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Als Isabelle nach Hause gekommen war, hatte sie sich schnell in die hinterste Ecke ihres Zimmers verkrochen. Grübelnd saß sie über ihrem Zeichenblock gebeugt, zwischen bunten Kissen. Ihr Herz fühlte sich ganz schwer an und sank tief.
Sie betrachtete eine Zeichnung, welche Esther und sie auf einer Streuobstwiese darstellte. Sie ließ das Mädchen die vertraute Geborgenheit und Ruhe spüren, die Esther ihr vermittelte. Es war immer so behaglich. Ihre Freundin hatte diese warme, angenehme Ausstrahlung!
Nach einer Weile des Dasitzens fragte sie sich unentschlossen: ,,Und was soll ich nun machen?" Zu Mimi und Lou zu gehen erschien ihr am sinnvollsten. So saß Isabelle wenig später mit ihren behaarten Schützlingen im Außengehege. Ihre Gedanken schweiften ab. Zu den Geschehnissen des Tages. Lars... Wieso mussten manche Menschen so fies sein?
Isabelles Blick hob sich zu den vorbeiziehenden Wolken am hellblauen Winterhimmel. Sie lächelte. ,,Mach dir jetzt keine Sorgen, nun kannst du erst einmal ein paar Wochen hier in Ruhe verbringen!", sagte eine zuversichtliche Stimme in ihrem Kopf.
Während sie die Zwergkaninchen fütterte, überkam sie der Drang nach einem ausgedehnten Spaziergang.
Kurzerhand schrieb sie einen Zettel für ihre Eltern und machte sich auf. Der angenehme Waldduft leitete sie zunächst über einen mit Laub bedeckten Kieselweg zwischen den lichten, teils kahlen Bäumen hindurch, bis dieser immer schmaler und schmaler wurde und sich schließlich zwischen ein paar Nadelbäumen im Wald verlief. Doch Isabelle ging weiter, auf dem feuchten moosbewachsenen Waldboden. Hier im Wald herrschte angenehme Stille. Auf ihrem Weg erkundete das neugierige Mädchen ein paar leere Bauten von Tieren, bis sie sich entschloss, wieder nach Hause zurückzukehren.
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Des nächsten Morgens erwachte Isabelle ganz von allein um acht Uhr. Die milde Morgensonne schien durch das große, von einem grünen Vorhang eingerahmte Fenster zart auf ihre Wangen. Nach der morgendlichen Katzenwäsche stand sie unten in der Küche und schnippelte Salat, Petersilie, Grünkohl und Möhrengrün, sowie einen kleinen Apfel für ihre felligen Freunde auf ihren Futterteller. Schnell schlüpfte Isabelle in ihre Pelzjacke. Draußen stieß ihr die eisige Kälte erbarmungslos entgegen.
Sie lief zum Stall und schaute Mimi und Lou wenig später liebevoll dabei zu, wie sie sinnlich am Grün knabberten.
Nachdem sie reingegangen war und selbst gegessen hatte, mistete Isabelle den Stall aus und ließ die Zwergkaninchen eine Weile im Außengehege toben, bevor sie glückselig mit ihrem Lieblingsbuch auf die Couch fiel.
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Als ihre Mutter des Nachmittags die Hütte betrat, breitete sich eine angespannte Atmosphäre aus.
Sekunden später hörte sie die bedrückte Stimme ihres Vaters aus dem Wohnzimmer ertönen: ,,Isabelle, kommst du zu uns? Wir müssen reden."
Das konnte nichts Gutes heißen... Isabelle hatte kein besonders gutes Verhältnis zu ihrer Mutter, die beiden verband nichts, sie verbrachten selten Zeit zusammen. Ihre Mutter war mit ihrer Arbeit als Architektin sehr beschäftigt und die meiste Zeit weg oder allein in ihrem Büro. Isabelle empfand sie nicht selten als kühl und abweisend, auch ihrem Vater gegenüber. Umso stärker war ihre Liebe zu ihm.
Zögerlich folgte sie nun der Bitte ihres Vaters und nahm am kleinen Esstisch im Wohnraum Platz. Die seltsamen Blicke ihrer Eltern waren auf sie gerichtet. Bis Frau Davidson das Gespräch eröffnete, herrschte unangenehme Stille.
,,Ich werde in ein paar Tagen wegen eines wichtigen Projekts nach Prag fliegen."
Als das Mädchen den Blick ihres Vaters suchte, wich dieser ihrem aus. Sie merkte sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmte, denn das machte er sonst nie!
Das ausdruckslose Gesicht ihrer Mutter gab einem keinerlei Auskunft über den Grund der Anspannung, egal wie geübt man sein mochte. So viel Emotionslosigkeit kannte sie ausschließlich seitens ihrer Mutter. Isabelles Blick fiel auf ihre hohen Wangenknochen, als sie vorschlug: ,,Vielleicht kann ich mir eine schöne Zeit mit Papa machen!" Sie wandte sich an ihren Vater. Jener starrte immer noch zu Boden. ,,Hast du in der Zeit vielleicht etwas weniger zu tun?"
Herr Davidson schüttelte stumm den Kopf. Sein Job als Altenpfleger war nicht leicht. Er arbeitete teils nachts und auch wenn er es gern so gehabt hätte, konnte er nicht immer Zeit mit seiner geliebten Tochter Isabelle verbringen.
,,Das kriegen wir trotzdem hin!", versuchte Isabelle ihn aufzumuntern, doch seine Augen strahlten pure Verzweiflung und Hilflosigkeit aus.
,,Ich habe dich für die Zeit in der Ferienfreizeit in Kauerbach angemeldet. Ich denke, das wird das Beste sein", sprach ihre Mutter trocken. ,,Dort kannst du Spaß mit Gleichaltrigen haben, und wir brauchen uns keine Sorgen darum zu machen, dass du gut versorgt wirst." Das war ein ziemlicher Vorwurf gegen ihren Vater, fand Isabelle. Als ob sie und ihr Vater es nicht mal drei Wochen ohne sie schaffen würden, zu überleben! ,,Und als ob es einen Unterschied machen würde, ob du nun da bist oder nicht! Du kümmerst dich eh nicht um mich!'', dachte Isabelle wütend.
In ihr brodelte es. Wieso, wusste sie nicht. Es war wohl eine sehr ungünstige Mischung aller Gefühle. ,,Das möchte ich aber nicht!'', stieß sie empört aus.
Ihre Mutter schien nicht mit einer solchen Widerrede gerechnet zu haben und hob erstaunt eine Augenbraue.
,,Ich will bei Papa bleiben. Und bei Lou und Mimi", gestand Isabelle. Ihr Vater reagierte mit einem kaum sichtbaren Lächeln. ,,Ich denke, wir würden das auch so hinkriegen", wandte er sich an seine Ehefrau.
Sie sah ihm verärgert in die Augen und fauchte: ,,Ich diskutiere nicht!" Damit stand sie auf und verließ den Raum. Für sie war das Gespräch nun beendet und die Sache geklärt.
Versöhnlich setzte sich Isabelle auf den Schoß ihres Vaters, sobald ihre Mutter weg war. Eine Wolke der Machtlosigkeit umhüllte Vater und Tochter.
Nachdem Isabelle und Herr Davidson noch eine Viertelstunde lang Arm in Arm im Wohnzimmer gesessen hatten, war die Zwölfjährige nach draußen gegangen und saß nun mit Mimi auf dem Schoß auf der Wiese. ,,...Und jetzt will Mama mich in so ein doofes Feriencamp schicken", hörte man sie ihrem Kaninchen erzählen, während dieses seine Streicheleinheit genoss.
Behutsam setzte sie das Tier nach ein paar Minuten zurück ins Gras. Isabelle sprang auf und kam wenig später mit einem halben Wirsingkohl und Pastinaken wieder, um auch Lou zu Gesicht zu bekommen. Als er am Fressen war, liebkoste sie ihn ein wenig. Lou schaute knabbernd auf, wandte sich aber zeitig wieder genießerisch dem Gemüse zu.
Das Mädchen legte ihren Kopf in den Nacken. Der Himmel zog sich zu... Wollte sie den Feldern noch einen Besuch abstatten, musste sie das zügig erledigen. Und wie sie wollte! Möglichst weit weg von ihrer Mutter.
Sie sagte ihrem Papa Bescheid und brachte die Zwergkaninchen zurück in den Hauptstall. Schließlich machte sie sich auf zu den nahe gelegenen Getreidefeldern. Sie liebte die Ruhe, die dort herrschte. Geistesabwesend spazierte sie durch das hochgewachsene Labyrinth. Das Mädchen überlegte, wie es verhindern konnte, auch nur einen Fuß ins Jugendlager setzten zu müssen.
Nun bog sie links in einen Waldweg ein und erblickte ein Rotkehlchen, was an den am Boden liegenden Tannenzapfen knabberte und bei ihrem Anblick blitzschnell im Dickicht verschwand. Sie war traurig darüber, dass ihre Mutter einfach bestimmen wollte, was sie in den Ferien machen würde. Dabei dauerten diese doch gerade einmal drei Wochen!
Isabelle verharrte für einen Augenblick und hob den Blick. Ruhig lag die Natur vor ihr. In ihrem Winterschlaf. Friedlich, unzerstörbar. Ausgeglichen und standhaft. Gleich dem Gemüt ihres Vaters, denn er war ruhig, egal was um ihn passierte. Genau wie die Natur.
Isabelles Energie sammelte sich wieder im Innersten ihrer Brust. Sie fasste den Entschluss, nochmal mit ihm zu reden. Er konnte sie bestimmt beratschlagen.
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