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19. Kapitel - Der Tag, an dem keiner in die Schule ging

Cordelia erwachte in ihrem neuen, weichen Bett. Als sie zum ersten Mal darin gelegen hatte, hatte sie beinahe befürchtet, darin unterzugehen. Recht schnell war ihrem Körper jedoch aufgefallen, dass er solche Kissen schon einmal gewohnt war. Sie war allein für das schon so dankbar wie möglich, in dem ständigen Bewusstsein, dass sie anderen Waisenkinder nicht so viel Glück hatten. Die wenigsten Waisenkinder hatten so ein Glück.

Ihre Mutter. Samantha Golding.

Sie dachte jetzt häufig an ihre Eltern, auch wenn das ihren Zustand dauerhaft ins Schwanken brachte. Aber wie sollte sie anders, wenn Tante Jasmin sie zu traumhaften Spaziergängen trieb, bei denen sie wie beiläufig Gespräche über ihren Bruder und dessen Frau anschnitt. Das war am Anfang sehr schwer gewesen.
Manchmal musste die freundliche Haushälterin, die sich sehr über das verzierte Dösen mit Mandelgebäck gefreut hatte, nassgeweinte Kissenbezüge wechseln.
Mit der Zeit waren es jedoch andere Tränen geworden. Sie machten es nicht noch schwerer, sondern ganz langsam leichter.

Tante Jasmin – ein Engel ohnegleichen – wusste darum. Um vieles, als könnte sie in Cordelia hineinschauen. Sie war sanft und geduldig und von selbst begann ihre Nichte, die Rolle aufzugeben, die sie so lange gespielt hatte.
Darum konnte sie sich auf einmal an den Lieblingskuchen ihrer Mutter erinnern und hatte sich vorgenommen, ihn gemeinsam mit Tante Jasmin zu backen. Am besten gemeinsam mit Eve und Oliver. Saturn konnte sie leider schlecht dazu einladen und ob sie ihm ein Stück mitbringen konnte, war auch fraglich.

Als Cordelia langsam damit fertig war, die Realisation über diese große, unfassbare Wendung in ihrem Leben zu verarbeiten, richtete sie sich langsam auf. Zu ihren Füßen – es überraschte sie nicht sonderlich – lag auf der Decke zusammengerollt das Unglück. Das war irgendwie in Ordnung oder zumindest erstmal nicht zu ändern. Aber für den Moment kamen sie annährend miteinander zurecht – Cordelia und ihr Unglück. Manchmal durfte sie es streicheln und auch, wenn das immer stark auf ihrer Seele lastete, genoss sie das katzenartige Schnurren ihres ständigen Begleiters.
Tante Jasmin hatte sie kurz nach ihrem Einzug von dem Unglück erzählt. Beinahe von allem, was glaubhaft war. Ihre Tante hatte sanft die Hände an Cordelias Wangen gelegt und sagte: „Im eigenen Kopf gibt es keine Feinde."
Das war ein schöner Satz, den Eve unbedingt hören musste. Sie würde ihn auseinanderklamüsern und eine Pro und Contra Liste erstellen. Auf der basierte dann das künftige Gedicht.
Cordelia lächelte bei dem Gedanken an ihre Freundin. Sie sollten unbedingt reden. Inzwischen wollte sie sich bei Eve entschuldigen.

Das Mädchen seufzte lang und sank zurück in die weichen Kissen. Sie waren so bequem und kuschelig. Es wäre ein leichtes, im Bett zu bleiben und nichts zu tun. So war die Möglichkeit gering, dass etwas passieren konnte. Dass sie ein belastendes Gespräch mit Tante Jasmin führen musste, in dem es um den Tod ihrer Eltern ging. Dass sie in ihr neues Zimmer kam und sich wieder so leer und einsam fühlte.
Auf diese Weise konnte nichts mehr weh tun als bisher.

Blöderweise klopfte es an der Tür.

„Herein", erwiderte Cordelia und schon stand ihre Tante in dem geräumigen Zimmer. Wie immer mit einem unvergleichlichen Strahlen auf den Lippen.
„Sonst bist du doch so vorbildlich", trällerte sie. „Für gewöhnlich stehst du schon angezogen vor mir."
Cordelia schielte missmutig in das Gesicht der Königin.
„Ich würde gerne liegenbleiben und..." Sie zuckte mit den Schultern „...vermutlich vor mich hinsiechen."
Tante Jasmin zog die Augenbrauen zusammen. „Das klingt sehr dramatisch, Kind." Sie deutete mit der Hand einen Bogen in Richtung Fenster an. „Es gibt so viel zu verpassen."
Cordelia ahmte ihre Bewegung nach. „Ich gehe nur in die Schule."
„Da erlebt man die tollsten Dinge!"
Unter anderen Umständen hätte sie das nie geglaubt, aber momentan flogen weiße Raben aus Schnee über die Dächer der Stadt und es kursierten Gerüchte über irgendwelche Neuankömmlinge.
Tante Jasmin schmunzelte. „Du musst nur dabei sein."
Das klang durchaus nach einem Kompromiss. Was auch sicherlich nicht daran lag, dass Tante Jasmin Menschen eben zu Dingen bringen konnte. Also zog Cordelia sich an, kämmte ihr Haar und konnte es nicht unterlassen, ihr Bett ordentlich zu machen. Es war ein unumgänglicher Tick aus dem Waisenhaus.

Sie gingen spazieren. So wie jeden Morgen. Normalerweise durch den Klostergarten, der trotz des herannahenden Herbstes nach wie vor sein Bestes gab, hübsch und ordentlich auszusehen. Doch heute schlug Tante Jasmin einen anderen Weg ein, was Cordelia stutzig machte.
„Wir sollten schauen, wie es mit unserem Heim vorangeht. Beziehungsweise deinem."
Stimmt, dachte Cordelia, ich besitze eine Villa.

Das war grotesk.

Sie akzeptierte es nicht.

„In Ordnung", sagte sie artig und warf dabei einen kurzen Blick auf die Schule, an der sie vorbeikamen. Das würde sicherlich knapp werden und für gewöhnlich gefiel es ihr gar nicht, zu spät zu kommen.
Nicht, dass sie noch die Regenschirme auf der Treppe ausschütteln musste.

Tante Jasmin und Cordelia liefen bedächtig über die müden Straßen. Hier und da begegneten sie einem Frühaufsteher, von denen es jedoch jeder sehr eilig zu haben schien.
Nach einiger Zeit schon musste Cordelia sich eingestehen, dass sie den Spaziergang genoss. Ganz in Ruhe betrachtete sie die Straßen von Emeraldmoor, in denen die Häuser sich manchmal recht schief aneinanderschmiegten. Die Stadt war wie ein geliebter und viel benutzter Teekessel, der immer wieder aufpoliert wurde, obwohl man sein Alter an einigen Dellen und Flecken durchaus erahnen konnte.
Das Wetter war ein angenehmes Mittelmaß aus „zu eisig" und „zu sonnig".
„Es könnte später durchaus noch ein wenig aufklaren." Tante Jasmin sah zum Himmel, der sich in einem angenehmen Hellgrau zeigte. Ein Zustand, der auf der Insel absolut als „schön und angenehm" durchging, weil man etwas anderes viel zu selten zu sehen bekam.
„Woanders ist die Sonne sicherlich so selbstverständlich, dass niemand sich wirklich über sie freut", meinte sie.
„Oh, ganz sicher." Tante Jasmin schloss ihre Finger hinter den Rücken. „Ich war in Ländern, da brannte sie erbarmungslos und tötete alles Leben. Viel besser waren die eiskalten Nächte jedoch auch nicht. Woanders waren Sonnentage so eine Häufigkeit, dass man sich eher über den Regen freute." Sie lächelte und beobachtete die Fenster, in denen sich das tupfige Grau widerspiegelte. „Emeraldmoor ist schon etwas Besonderes."
Da fiel ihr Blick auf einen schneeweißen Vogel, der auf einem Gartenzaun hockte und den Kopf schief legte. Seine blauen Augen schienen eine ganze Welt zu beinhalten.
„Außerdem habt ihr seltsame Vögel", quittierte Tante Jasmin den Anblick. Cordelia, die nicht umhinkam, an einen Jungen im gleichen Farbschema zu denken, zuckte die Schultern. „Aber wir haben eben auch Eve."

Für ein Weilchen schwiegen sie wieder und verließen ganz langsam das Zentrum der Stadt.

„Hör mal", begann Tante Jasmin zögerlich, was Cordelia aufmerksam werden ließ. Sie fühlte sich gerade so friedlich, dass sie den Stimmungsumschwung sehr ungern wahrnahm. Welche Düsternis würde nun über ihr Herz ziehen?
Cordelia wappnete sich.

„Ich wollte mich bei dir entschuldigen."
Die Mauern, die in ihrem Inneren, gerade hochgezogen wurden, hielten inne. Sie legte den Kopf schief. „Wofür denn entschuldigen?"
Tante Jasmin sah sie an und in ihren Augen lag tiefe Trauer. „Dass ich nicht schon eher gekommen bin. Gleich vor fünf Jahren zum Beispiel. Hast du dich denn nie gefragt, warum ich nicht zu der Beerdigung gekommen bin?"
Cordelia musste bei dem Gedanken an die leeren Särge heftig schlucken. „Ich glaubte, du wärst viel zu weit weg und ohnehin – wäre ein Brief mit der schlimmen Nachricht bei dir denn angekommen? Du schicktest immer von woanders Post und Geschenke, so schnell ist keine Kutsche."
Sie erinnerte sich, wie sie die Kirchentür solange angestarrt hatte bis diese sich langsam geschlossen hatte. Das traurige Kind hatte sich sehnlichst gewünscht, seine Tante würde doch noch auf magische Weise kommen.
„Ich habe irgendwann angefangen, zu glauben, du wärst auf deinen Reisen verunglückt. Bis dann endlich der Brief kam."
Der erste Brief – nach drei Monaten.
Auf den hunderte folgten, einige gespickt mit kostbaren Geschenken – wie das Kleid, das das Meer ruiniert hatte.
„Ich wollte es auf diese lächerliche Weise wieder gut machen." Tante Jasmin schüttelte den Kopf. „Meine zehnjährige Nichte ganz allein zu lassen... und sieh wo es hingeführt hat." Das sagte sie eher zu sich selbst, doch Cordelia stach es trotzdem. Die Menschen bemühten sich nach Kräften, sie nicht unnötig an die Nacht am schwarzen Stieg zu erinnern, doch ihr eigener Kopf spielte da nicht mit.
Was, wenn Saturn nicht eingegriffen hätte?
Hatte sie sich auf ihn verlassen oder war sie bereit gewesen, ihr Leben zu beenden?
Ihr war beides recht gewesen. Das musste Cordelia sich leider eingestehen.

Sie warf einen Blick auf die kleine, schiefe Stadt, die sie hinter sich gelassen hatten. Es gab sicherlich Orte und Menschen, die so ein Ereignis verdienten – Emeraldmoor zählte nicht zu ihnen.
Nun wollte sie nicht mehr sterben. Zum einen, weil sich die Umstände rasant geändert hatten zum anderen, weil Saturn viel näher war als vorher.
„Es tut mir leid, dass ich nicht da war", sagte Tante Jasmin aufrichtig und sah ihre Nichte unsicher an. Erwartete sie wirklich, nun abgewiesen zu werden?
Cordelia neigte den Kopf. „Früher bin ich sauer gewesen, aber ich war vernünftig. Er war dein Bruder und wenn ich die Chance gehabt hätte, wäre ich auch so weit gelaufen wie ich konnte. Fort von der Ruine und den leeren Gräbern."
„Ja, das bin ich wohl", murmelte Tante Jasmin. „Fortgelaufen, um zu vergessen. Oder gar nicht wahrzuhaben, dass er gegangen ist. Wenn es einen schlimmeren Schmerz gibt, so wünsche ich ihn keinem."

Darauf einigten sie sich.

Sie erreichten das Feenhaus. Es blickte nach wie vor düster auf sie herab, machte aber aufpoliert einen stolzeren Eindruck. Das Schwarz seiner Haut glänzte trotz des matten Lichts. Probeweiser zog Cordelia an dem massiven Tor. Es quietschte.
„Na, sowas" Tante Jasmin klang erstaunt, „darum ist sich doch als erstes gekümmert worden." Sie schob das Tor auf und wieder zu, welches augenblicklich ein leidendes Solo von sich gab. „Das werde ich sofort ansprechen, wenn-"
„Lass gut sein", meinte Cordelia fachmännisch. „in Emeraldmoor quietscht so ziemlich alles auf magische Weise."
Sie beäugte den üppigen Vorgarten. „Also das..." Verdutzt ließ sie ihren Blick über die Blumen mit violetten, dunkelblauen und sogar schwarzen Blüten schweifen. Goldene Sprenkel zogen sich hier und da über die Pracht, welche auf seltsam kunstvolle Weise von Dornenzweigen eingerahmt wurde. Auch daran prangten blutrote Blüten, gemustert mit schwarzen Ornamenten.
„Frag nicht, wo diese Flora her ist." Tante Jasmin verengte die Augenbrauen. „Auf der Rückseite steht vor dem Abfall des Hügels ein pechschwarzer Apfelbaum, der Früchte in der gleichen Farbe trägt. Seine Blätter sind so Gold, als wäre Samantha einen Pakt mit Rumpelstilzchen eingegangen."
Fasziniert streckte Cordelia die Hände aus, als wolle sie die sonderbaren Blumen berühren. Beinahe glaubte sie, die Beete würden sich ihr entgegenstrecken. „Wie konnte ich das nur immer übersehen?"
„Weil du nicht wusstest, dass es dir gehört." Tante Jasmins Stimme war gefüllt von Unverständnis und Ehrfurcht. „Weißt du, ich bin nie drin gewesen. Ich kenne die Details nur von den Gemälden, die deine Mutter angefertigt hatte. Sie war besessen von diesem gruseligen Haus, das ihr angeblich im Traum erschienen ist. Das ganze Atelier stand voll mit diesen Bildern. Aber ich hatte keine Ahnung, dass sie es bauen ließen."
Bei Cordelia fiel der Groschen ziemlich schnell. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Natürlich hat sie es gezeichnet."
Nun kam Tante Jasmin richtig in Rage, sich über das vermaledeite Haus auszulassen. „Was außerdem dazu kommt, ist, dass die Helfer, die ich organisiert habe, behaupteten, sie kämen überhaupt nicht rein. Ich habe sie sofort zurück an die Arbeit geschickt und verlangt, dass sie sich beim nächsten Mal eine bessere Ausrede einfallen lassen sollten." Sie wies triumphierend auf die Villa. „Und siehe da – es hat funktioniert."

Cordelia lächelte noch ein bisschen verschmitzter. Sie ließ ihre Tante gern in dem Glauben. In Wirklichkeit konnte sie sich vorstellen, dass sich das Feenhaus von selbst herausgeputzt hatte, als die Helfer zurückgekehrt waren. Jene waren daraufhin völlig verdattert abgezogen, doch der Kodex Emeraldmoor verbot ihnen, Fragen zu stellen.

„Du hast dich für mich hübsch gemacht, nicht wahr?" Sie sah an der schwarzen Fassade hoch, die nun gar nicht mehr so bedrohlich wirkte. „Weil du wusstest, dass ich komme."

Es gab nur eine Person, die ganz sicher auch noch in das Feenhaus gelangen konnte.
Zwei, wenn man Saturn dazuzählte.

Tante Jasmin seufzte zufrieden. „Bald ist es soweit, dann schauen wir uns das alles genauer an." Sie musterte Cordelia liebevoll, die immer noch ganz gebannt von ihrem zukünftigen Zuhause war. „Deine Eltern wären stolz auf dich, wenn sie dich jetzt sehen könnten."
„Ich glaube auch", hauchte das Mädchen, ganz vertieft in das wahr gewordene Vermächtnis ihrer Mutter. Die Idee für die Pflanzen hatte bestimmt ihr Vater gehabt. Das war viel besser als zwei gefüllte Särge.

Sie betrachteten noch einen Moment lang das imposante Feenhaus, ehe sie weiterzogen. Entfernt hörte Cordelia das Läuten der Glocken und schaute zweifelnd zurück.
Tante Jasmin bemerkte ihr Zögern. „Nur noch ein kleines Stück, versprochen."

Cordelia war in Gedanken noch bei der Magie ihres zukünftigen Heimes, während Tante Jasmin und sie über die endlos scheinenden Wiesen schlenderten. Hügel rauf, Hügel runter. Ihr Herz hüpfte ein wenig und sie lächelte. Noch nie hatte sie Eve so gern etwas erzählen wollen.

„Du hast gute Noten in der Schule", schnitt Tante Jasmin unvermittelt ein neues Thema an. Cordelia zog die Stirn kraus. Das angeschnittene Thema war seltsam normal. Vor allem, wenn man bedenkt, dass gerade ein Haus auf Cordelias Anwesenheit reagiert hatte.
„Ich gebe mein Bestes", erwiderte sie.
Nur wird sich das heute wohl ganz schnell ändern, wenn ich nicht zum Unterricht erscheine, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Du gehörst zu den Klassenbesten", hakte Tante Jasmin weiter nach. Cordelia faltete die Hände. „Das mag schon sein."
Sie wusste ja durchaus von ihren löblichen Ergebnissen, war aber nie auf die Idee gekommen, darüber zu sprechen. Mit wem auch?
„Du scheinst dein Licht ja stark unter den Scheffel zu stellen." Es klang wie ein Tadel. Cordelia zuckte mit den Schultern. Waren gute Noten ihr Licht?
„Es war einfach. Eine Ablenkung von dem Unglück." Sie seufzte. „Viel mehr gab es im Waisenhaus einfach nicht zu tun."
Ab und zu hatte sie den anderen Kindern beim Lernen geholfen, doch interessanterweise waren sie nie Freunde geworden.
„Ich habe viele junge Frauen getroffen, die genauso clever waren wie du. Sie lernten an sonnendurchfluteten Universitäten und wohnten gemeinsam in hübschen Internaten. Wer will, kann Extrakurse für alles mögliche belegen und in nobler Gesellschaft aufblühen."
Tante Jasmin war anscheinend dazu übergegangen, spontan ein Märchen zu erzählen. Cordelias misstrauischer Geist, der die letzten fünf Jahre nur graue, trostlose Wände gewohnt gewesen war, versuchte zumindest auf diese Weise die wundersamen Bilder, die sich vor ihrem inneren Auge schoben, zu erklären.

„Warst du je auf einem Ball?"
Die Frage klang sanft und leicht verträumt. Als wäre auch Cordelias Tante in Gedanken an einem ganz anderen Ort, der nichts mit den rauen Winden von der Insel gemeinsam hatte.
Auch ihre Gedanken wanderten in die vielen Bücher, in denen von amüsanten Bällen die Rede war, zu denen ihre Mutter sie eines Tages hatte mitnehmen wollen. Bälle, von denen sie hundertmal in ihrem kalten Turmzimmer geträumt hatte. Prinzen, die sie aus jenem retten und auf die Tanzfläche führen würden.
Cordelia dachte an die einzige Art, in der sie einen sehr kleinen Ball kennengelernt hatte. Es waren nur zwei Personen beteiligt gewesen in der Ruine eines weißen Schlosses, geschmückt mit Efeuranken und einem Hauch Fantastik. Statt Tante Jasmin zu antworten, musste sie lächeln. Es war durchaus ein Prinz gekommen. Ein Prinz mit tiefblauen Augen einer Garde von Wölfen.

Dennoch war ihr klar, worauf ihre Tante mit diesem Gespräch hinauswollte. Das war ihr etwas unangenehm, weil es so mitten in Emeraldmoors Vertrautheit stattfand. Es hätte sie nicht gewundert, wenn der Boden unter ihren Füßen sich aufgetan und sie beide verschluckt hätte. Unten hätte dann der fromme Geist Lady Willows gewartet und ihr einen Vortrag gehalten.
„Es wäre Verrat", murmelte sie geistesabwesend und wusste nicht, ob sie sich beim Gras entschuldigen sollte.
„Kind", setzte Tante Jasmin gütig an und blieb mit ihr auf einem Hügel stehen. Sanft fiel vor ihnen der Weg ab und führte zu dem Hof, auf dem Oliver lebte.
„Bei all der Liebe für dieses Städtchen – hast du es je durch andere Augen gesehen, als durch die eines Mädchens, das seine Eltern verloren hat?"
Cordelia sah sie erst erstaunt an, dann argwöhnisch. Sie unterschlug gerade fünf Jahre lang Zeit und Mühe, die Evangeline und Oliver aufgebracht hatten, um ihrer Freundin das lästige Unglück die meiste Zeit des Tages zu ersparen.
Und davon mal abgesehen war da noch Saturn.
Sie zuckte lächelnd die Schultern. „Nun, ich schätze ich habe mich einfach verliebt."
Ein wenig erwartete sie, Tante Jasmin würde zornig reagieren, doch diese nickte nur weise. „Das freut mich zu hören." Ihr Blick suchte den Kirchturm zwischen den Wiesen. „Ich kann es dir kaum verübeln. Doch falls du es dir je anders überlegen solltest, sprich mit mir." Nun schaute sie in jene Richtung, in der das Meer liegen musste. „Da draußen ist eine ganze Welt!"
Die Feierlichkeit ihrer Worte hätte Cordelia beinahe mitgerissen, doch ihr Kopf hing ebenfalls an einer ganzen Welt. Eine, die momentan langsam in die Insel sickerte. Und immer wieder sah sie sein lächelndes Gesicht.

„Sieh mal, da kommt Oliver den Weg hinauf."
Und Oliver kam den Weg hinauf, sitzend auf Memento Moris weißem Rücken. Vor den Damen kamen sie zum Stehen und er neigte zur Begrüßung leicht den Kopf. „Howdy"
Cordelia deutete einen Knicks an, der ähnlich lächerlich war wie seine Begrüßung.
„Auf dem Weg zur Schule?", fragte sie leicht schnippisch. Über das Gesicht ihres Freundes huschte ein Grinsen. „Keineswegs, wo denkt Ihr denn hin?"
„Nicht viel weiter als bis zum Marktplatz", erwiderte sie höflich. Oliver nickte zufrieden. „Das möcht auch sein."
Beide warfen Tante Jasmin in diesem Moment einen Blick zu, die recht ratlos wirkte. Beinahe erschlagen von der eigenartigen Konversation zwischen den Kindern. Diese lächelten sich schelmisch an. Dabei war das ohne Eve noch gar nichts.
„Oliver", begann Tante Jasmin, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, „würde es dir etwas ausmachen, uns zu eurem Hof zu führen?"
Der Lockenkopf schüttelte den Kopf und stieg von seinem Pferd. Cordelias Blick wanderte von einem zum anderen.

Irgendetwas war seltsam.

Sie überprüfte, um welchen Tag es sich handelte, war sich jedoch sicher, dass es sich um einen Schultag handelte. Er war jedoch bereits zu weit fortgeschritten, um die Schule rechtzeitig zu erreichen.
Cordelia folgte der kleinen Truppe verwirrt. Ab und zu warf Tante Jasmin ihr einen Blick zu, der schlecht zu deuten war und das verunsicherte sie noch mehr.
Das würde wohl wieder ein seltsamer Tag werden und das, obwohl sie Evangeline heute noch gar nicht begegnet war.

Als Olivers Eltern sie begrüßten, wirkten sie auf skurrile Weise aufgekratzt. Auch John und Henry sprangen um sie herum und Cordelia fühlte sich immer mehr, als wüssten alle etwas von einer ganz tollen Sache – nur sie nicht. Ein bisschen verletzte sie dieser Eindruck.
Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, stand John vor ihr. Sie Anblick ließ ihr Herz ein bisschen hüpfen, weil in seinen Augen ein unermüdliches Strahlen lag. Eines, das ein Kind eben dann erreichte, wenn es ein Zuhause gefunden hatte. Sein Lächeln kennzeichnete sich nun durch eine große Zahnlücke.
Er trug seine blaue Latzhose und außerdem eine etwas zu große Schiebermütze. Sie rutschte ihm wegen der Aufregung immer wieder über die Augen. „Die hat mir Harry geschenkt, weil ich ihm auf dem Feld geholfen habe."
Der Hundegott Henry bellte zustimmend, weil er anscheinend auch geholfen hatte.
Cordelia schenkte dem Jungen ein anerkennendes Nicken. „Großartig, wenn es dir hier gefällt."
Da leuchtete Johns Gesicht noch heller auf.
„Naja, ich teile mir den Dachboden mit einem ziemlichen Stinker." Verspielt warf er Oliver einen Blick zu, der völlig übertrieben das Gesicht verzog. „Du Frechdachs! Was glaubst du denn, was alles zu einer Ausbildung zum Gouda gehört?"
Im nächsten Moment hatte er John gepackt und hob ihn in die Luft. Der Jüngere gluckste und zappelte. Henry sprang hyperventilierend an Olivers Bein auf und ab, wobei sein Schwanz so heftig wedelte, dass er gut und gerne jede Sekunde hätte abheben können.
„Dann schlaf im Vorratsschrank", erwiderte John trotzig, obwohl er leicht von seinem Bruder durchgeschüttelt wurde. Oliver stellte ihn wieder auf die Beine und fuchtelte mit den Armen herum. „Und wer beschützt dich dann vor den bösen Geistern?" Seine Augen weiteten sich. „Oder vor dem rostigen Fahrrad?"
John zuckte zurück. „Nicht das Fahrrad!"
Die Anwesenden brachen in angeheitertes Gelächter aus und die Jungs verbeugten sich ausgiebig.
Geraldine schüttelte den Kopf. „Himmel, aus ihm hätte doch ein anständiger Junge werden können."
Cordelia erinnerte sich an John aus Waisenhaustagen.
„Keine Chance."
Aber das war in Ordnung. Oliver war das Beste, was dem verlorenen Kind hätte passieren können. Und das, obwohl sie einander anfangs nicht hatten ausstehen können.

Ein wenig aus der Puste stellte der Lockenkopf sich zu ihr.
„Sag mal, wer hat dich eigentlich so schnell zum Bilderbuchbruder werden lassen?"
Er lächelte schief. „Ein Geist."
Das ließen sie so stehen. Sie ließen es immer stehen.

John versuchte eine Minute lang, Henry zur Sitzposition zu bewegen und kraulte ihn zur Belohnung dafür, dass der Hund nicht tat, was er wollte, hinter den Ohren. Cordelia zog prüfend eine Braue in die Höhe. „Sag mal, müsstest du nicht eigentlich in der Schule sein?"
Der Kleine hielt inne und drehte ihr mit tellergroßen Augen den Kopf zu. Und dann antwortete er ganz sachlich: „Nein."
Diese Reaktion wirkte so erschlagend ehrlich, dass Cordelia sie nicht weiter in Frage stellte.

Harry breitete die Arme aus und hob seine immer einladend klingende Stimme. „Na, unser Gast soll hier draußen doch nicht erfrieren. Werte Ms Golding, wünschen Sie eine Tasse Tee?"
Tante Jasmin lächelte verlegen. „Bitte, Jasmin reicht völlig. Und Tee klingt wunderbar."
Das fand auch Cordelia. Doch Olivers Vater nickte in Richtung Scheune. „Oliver, ihr könnt heute mal ein wenig die Pferde bespaßen. Vanitas lässt sich ja nicht von uns reiten."
Pflichtbewusst nickte der Angesprochene. Cordelia hörte Geraldine sagen, dass diese Stute einfach genug Klasse besaß.
„Dürfen wir auch mit?" John und Henry blickten den Hofherren aus den gleichen bettelnden Hundeaugen an.
Harry runzelte die Stirn. „Du hast mir doch versprochen, dich um die Hühner zu kümmern."
„Wann habe ich-", wollte John protestieren, bekam jedoch einen leichten Klaps auf den Hinterkopf von seinem Bruder. Als wäre er plötzlich an etwas erinnert worden, senkte er zerknirscht den Blick. „Natürlich, das hätte ich ja beinahe vergessen."
Geknickt schlurften er und sein schwarz-weißer Gefährte in Richtung Hühnergehege. Harry nickte zufrieden, wünschte den übriggebliebenen auf unnatürliche Weise einen wundervollen Tag und folgte den Frauen.

Oliver ging mit Cordelia zu den Stallungen.
Sie seufzte. „Ihr seid schreckliche Schauspieler."

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