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12. Kapitel - Denn ich hätte sterben sollen

„Er hätte dich holen sollen", fauchte Evangeline. Nun, eigentlich fauchte es das mutierte Wesen aus Unglück und schlechtem Gewissen, welches sich als Eve verkleidet hatte. Cordelia konnte nicht sagen, ob ihre Freundin so etwas nie äußern würde. Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken, ob sie überhaupt noch Freundinnen waren. Aber Eve hatte Lady Willow verehrt, vielleicht mehr als jeder andere und nun war die alte Dame nicht mehr. Cordelia schmerzte der Gedanke daran, dass sie wohl zu dem Zeitpunkt gestorben sein musste, als sich eiskalte Wellen über ihr geschlossen hatten. Sie wollte auch, dass der Tod sie geholt hätte.

Die Beerdigung fand dennoch erst Sonntag stand. Zum einen, weil Emeraldmoor wegen den Vorkommnissen nach dem Freitagsfest einen Tag über nichts mit sich anzufangen wusste, zum anderen, weil Oliver es fertiggebracht hatte, eine halbe Ewigkeit mit dem Bürgermeister über den Ort der Bestattung zu diskutieren. Laut ihm hatte Lady Willow passend zu ihrem Namen unter der Weide am Little Diamond begraben werden wollen. Sie hätte es ihm einmal leise zugeflüstert. Der Teich war ein ganzes Stück entfernt von den Smaragdgebieten und bildete mehr oder minder die Grenze zu dem beschaulichen Örtchen Graphite Path.

Kurzum: Die Bluemans hatten einen Karren bereitgestellt, auf dem Lady Willow ihre letzte Reise antreten sollte und so begleiteten überraschend viele Stadtbewohner das Beerdiungskomitee zu dem kleinen Teich, da das Moor keine Weide zu bieten hatte. Cordelia war mit Schwester Judith zu ihnen gestoßen, obwohl sie unter normalen Umständen bestimmt mit den Fawns gegangen wäre. Doch Eve lief weit vor ihr und brachte sich nur einsilbig in das Gespräch ihrer Eltern ein. Cordelia seufzte und wünschte sich, alles wäre anders. Was, wenn Eve sie nun verabscheute?

Sie weigerte sich, darüber nachzudenken, warum ihr Plan nicht aufgegangen war. Dennoch tat sie es und fühlte wieder die Wut in sich aufflammen. Sie war so tiefrot und monströs, dass sich das Unglück beinahe zu Tode erschrak. Cordelia war schon sehr lange nicht mehr wütend gewesen.

Ja, sie hatte es sattgehabt.

Ja, sie hatte sterben wollen.

Aber er hatte sie nicht gelassen.

Sie rieb sich beiläufig über den Arm, wo sein Blut geklebt hatte. Zumindest hatte niemand sie danach gefragt, weil ohnehin kaum einer mit ihr sprach. Schwester Judith tat ihr Bestes, dem entgegenzuwirken, aber auch sie wirkte ratlos und abwesend in Cordelias Nähe.
Gern hätte sie mit Eve über das Feenhaus philosophiert oder warum der Teich Little Diamond hieß, aber ihre Freundin befand sich in tiefer Trauer. Cordelia fragte sich, ob sie auch den Kummer jener fühlte, die mit ihnen über den gewundenen Sandpfad pilgerten. Sie alle – selbst die Kinder – trotteten mit gesenkten Köpfen vorwärts. Hier und da wurde sich sehr leise unterhalten, aber auch nicht lange.
Lady Willow war für viele von ihnen alles gewesen. Geschätzt, geehrt, geliebt. Ob sie heimlich Cordelia die Schuld an ihrem Tod gaben, eine Verbindung zogen, die es überhaupt nicht gab?
Allerdings, sie selbst fragte sich das auch immer wieder. Was, wenn jemand hatte sterben müssen, damit sie zurückkam? Er hatte nie etwas in diese Richtung erwähnt, aber bis zu dem verhängnisvollen Freitag war sie auch nie wirklich endgültig umgekommen. Was hatte es ihn gekostet?

Sie spürte, wie ihr Körper wieder anfing zu zittern. Doch jetzt zusammenzubrechen würde nur verachtende Aufmerksamkeit auf sie ziehen, also zwang Cordelia sich weiter. Sie wollte nicht, dass die Stadt sie hasste. Sie wollte nicht, dass Eve sie hasste. Ihr Kopf fing an zu schmerzen, während sie sich fragte, warum er darauf bestanden hatte, dass sie zurückkehrte. Wie hatte er sie so abweisen können?

Hoffentlich waren sie bald da, denn sie wollte nicht mehr denken. Irgendwer sollte etwas sagen, sie ablenken und nur diese erdrückende Stille durchbrechen. Sie waren alle so traurig, warum waren immer alle traurig?

Warum war sie seit Jahren traurig?

Cordelia lief ein paar Schritte mit geschlossenen Augen und atmete so tief ein, dass es beinahe schmerzte. Die Luft war kühl und herbstlich, der Himmel grau als hätte ihn Mr Greyshire eingekleidet. Der Wind strich über das längst getrocknete Gras.

Sie schob die Gedanken beiseite, grub sich irgendwie daraus hervor und beschäftigte sich ausgiebig mit ihrer Atmung. Denn sie würde jetzt nicht weinen. Sie hatte am Vortag viel geweint, in wachem Zustand wie auch im Schlaf. Der Samstag war für sie ein einziges Delirium mit kaum einer brauchbaren Erinnerung. Ihr Körper trug jedoch Spuren, die von schrecklichen Stunden zeugten. Blaue Flecken auf Armen und Beinen, wo sie sich gegen die Tür geworfen hatte. Die Kehle ein wenig wund, sie musste geschrien haben. An den Oberschenkeln Kratzspuren, wenn der Schmerz sie in einer so grausamen Welle getroffen hatte, dass sie sich zusammengerollt an ihre eigenen Beine geklammert hatte. Fest hatte Cordelia geglaubt, umzukommen, weil kein Mensch so etwas ertragen konnte. Sie war sicher gewesen, im Schlaf plötzlich mit dem Atmen aufzuhören.
Doch an diesem Morgen war sie mit Kopf- und Gliederschmerzen aufgewacht. Neben sich eine sehr erschöpfte Schwester Judith, die sie wohl vor Schlimmerem bewahrt hatte. Cordelia schämte sich zutiefst, weil sie eigentlich dankbar sein sollte. Da war noch eine Person, die sie nicht aufgab.
Aber sie wusste nicht, was sie fühlte oder eher wechselten ihre Emotionen im Sekundentakt und purzelten über- und untereinander. Es sollte nur jemand kommen und sie ordnen.

Die Beerdigung war sehr gewöhnlich. Sogar auf gewisse Weise unbefriedigend, weil es sich schließlich um Lady Willows Beerdiung handelte. Eigentlich hätten doch lauter Fabelwesen am Ufer stehen und zuschauen müssen, doch da waren nur der weiße Schimmel von Oliver und die schöne Vanitas. Irgendetwas Außergewöhnliches musste noch geschehen, etwa wie ein unmögliches Nordlicht, geschickt von einer alten, weisen Zauberin.

Lady Willow wurde begraben und es wurde ein Kreuz gesetzt. Allerlei schöne Steine, Kräuter und Blumen sowie auch kunstvolle Tücher wurden darum drapiert. Jeder sprach einen leisen Gruß, als er sich über das Grab beugte und sie verabschiedete. Cordelia glaubte, missbilligende Blicke in ihrem Rücken zu spüren, als sie es tat. Versehentlich traf sie Eves Blick, während sie sich abwandte und blieb für einen Moment daran hängen.

Denn Evangelines Augen waren heller geworden.

Was einst wie springende Bäche gewirkt hatte, war zu Eis geworden, das sich langsam um die schwarze Pupillenperle wandte.
Beinahe leuchteten sie, was an der Sonne hätte liegen können, wenn Sonne da gewesen wäre.

Eve blinzelte und dennoch waren ihre Augen immer noch so.

Cordelia versuchte, in ihrem Blick zu lesen. Irgendeine Bestätigung für ihre traurigen Gedanken zu finden. Doch ehe sie in diesen Gletschern nach Hass oder Ähnlichem suchen konnte, zerriss ein Rufen die düstere Atmosphäre.

Bis auf Mr Smith, der immer noch an Lady Willows Grab hockte, wandten sich alle den fernen Hügeln zu, auf denen eine winzige Gestalt stand und winkte. Oliver hielt sich die Hand über die Augen, als gäbe es irgendwelche Sonnenstrahlen abzuschirmen.

„Das sind John und Henry."

Tatsächlich wurde jetzt auch ein kleiner hüpfender Punkt aus Fell erkennbar, der unaufhörlich bellte.
„Wenn das ein Streich sein soll, wird es keinen Winkel in der Stadt geben, wo der Bengel sich verstecken kann", knurrte Schwester Judith mit funkelnden Augen. Oliver schnaubte. „John würde nie grundlos so eine Zeremonie unterbrechen." Geraldine trat an die Seite ihres Sohnes. „Es muss etwas passiert sein."
Da kam schon ihr Ehemann in Aufruhr. „Na los, auf den leeren Karren mit euch." Er scheuchte die kleine Menge zusammen wie er es bei Hühnern gewohnt war. Cordelia ließ sich widerstandslos mittreiben.
„Kann denn nicht einfach mal etwas nicht passieren?", klagte eine der Anwesenden, während sie sich auf dem mit Rädern ausgestatteten Brett zusammenquetschten. Evangeline und ihre Eltern landeten ausgerechnet neben Cordelia, welche tunlichst dem Blick ihrer Freundin auswich. Mr Blueman schwang die Peitsche. „Na los, Vanitas!"
Oliver fasste ihn am Arm. „Vater, sie weiß doch wie man läuft."
Natürlich wusste sie das. Mit einem Ruck, der sie beinahe alle wieder von dem Karren riss und wohl die Empörung der eitlen Stute zum Ausdruck bringen sollte, setzte sich die Prozession in Bewegung.

„Cordelia", flüsterte Eve kaum hörbar, während die Erwachsenen zum Teil darüber sprachen, wer Lady Willow gewesen war und die andere Hälfte ihrer Worte durch Vermutungen über den plötzlichen Aufbruch verlor. Erst als sie erneut ihren Namen hörte, registrierte Cordelia es und wandte sich an Evangeline. Das war für sie so normal, dass sie es im nächsten Moment bereute, die andere so offen anzusehen. Allein, weil Eve genau das eben nicht tat. Sie hatte die Arme über die Knie gelegt und sprach nur sehr leise.
„Wir haben Mr Smith vergessen."

Cordelia reckte den Kopf, um sich dessen zu vergewissern, doch da verschwand die Weide bereits hinter einem Hügel. Ein paar Minuten später trafen sie schließlich auf den aufgewühlten John und Henry warf sich begeistert in die bunte Menge.

„Zum Kürbisfeld, das müsst ihr sehen!" Der Junge sprang zu seinem neuen Vater auf den Kutschbock und so ging es zügig zu der gewiesenen Stelle. Alle ließen sich von Johns seltsamen Verhalten anstecken, was Cordelia um Lady Willows Willen ein bisschen leidtat. Doch es war nur verständlich, dass die Emeralder verstört waren, wo sie doch sehr ungern Veränderungen über sich ergehen ließen. Sie war aber auch froh, endlich ein wenig abgelenkt zu sein.
„Ihr müsst es selbst sehen", beteuerte John bei jeglichen Fragen.
Das war ein kleiner Vorgeschmack auf alles, was folgen würde.
Denn Emeralder hatten einfach nicht zu fragen.

Das Kürbisfeld lag am Ende eines Abhangs, auf dem der Bilderbuchbauer Laurenc auf eine Schaufel gestützt stand und ratlos seine Stirn rieb. Sogar einen Strohhut trug er. Cordelia und Eve streichelten gedankenverloren Henry, während sie aufmerksam ihr Drumherum verfolgten.
Schwester Judith sprang zuerst mit einer erstaunlichen Kraft aus dem Getummel und stapfte auf den armen Laurenc zu.
„Ich sag dir, Freundchen, wenn du keinen guten Grund hast, uns von einer Beerdigung zu holen, dann will Gott dir helfen."
Eigentlich war er ein großer Mann, doch einer rasenden Nonne gegenüber schien der Bilderbuchbauer um Meter zu schrumpfen. Schulterzuckend kaute er auf einem Grashalm herum. „Ich dachte halt, wenn ich bei so einem Phänomen jemanden rufe, dann doch gleich die Kirche."
Hinter Judith strömten die restlichen Emeralder herbei, ganz vorne das berüchtigte Trio mit ihrem vierbeinigen Gott.
Bald standen sie zweireihig auf dem Hang und betrachteten das Kürbisfeld.
„Die machen auch nichts", sagte Laurenc platt, „das find ich halt noch gruseliger als die Farbe. Ist aber auch gut, weil meine Kürbisse-"
„Sei still!", fauchte die Nonne und schlug ein Kreuz.
Cordelia zwickte sich, weil es wohl ein Traum sein musste, doch es geschah nichts, weil sie wach war. Also waren die vielen Vögel zwischen den orangenen Kürbissen echt. Es handelte sich um Raben. Raben, mit schneeweißem Gefieder.

Henry bellte laut und da hoben die unwirklichen Geschöpfe, die in so einer Zahl niemals auftreten konnten, die Köpfe. Cordelia fragte sich, ob nur sie aus der Entfernung genau die eisblauen Augen sehen konnte. 

Seine Augen.

Sie zuckte zusammen, als sie die Verbindung erkannte und schaute zu Eve. Diese betrachtete ebenso fasziniert die Vögel und schien Cordelias Schock nicht bemerkt zu haben. Deren Blick wanderte unruhig zum Waldrand, als könne dort jeden Moment ein weißer Rehbock heraustreten.
Es konnte kein Zufall sein, dass dies geschah. Schließlich war es nicht ein weißer Rabe, sondern eine ganze Schar. Und sie hatten nun mal diese Aura an sich, die nur an ihm anhaftete. Wieso traten sie jetzt auf? Was bedeuteten sie?
Ob die Wölfe sie schickten?
Ob sie nun nicht mehr auf seine Mahnungen hören würden?
Panisch starrte Cordelia um sich und stolperte dabei weg von der Menge. Diese Menschen durften das gar nicht sehen, weil das hier die wahre Welt war. Diese Farben, diese Wunderheiten – sie gehörten Cordelia. Das war ihr Geheimnis, zu dem keiner gelangen durfte, weil es alles war, was ihre Meinung über sie widerlegte.
Es war nicht ihr Recht, so etwas zu sehen.

Aber was, wenn er es gar nicht weiß?

Sollte er nicht wissen, was hier vor sich ging, war er vielleicht in Gefahr. Dann musste Cordelia schnellstmöglich zu ihm gelangen und ihn über die Raben informieren.

So rannte sie los, fest entschlossen, ihre alte Methode erneut aufzunehmen und zu ihm zu kommen. Die Wut war verflogen und ließ Platz für Verwirrung und Angst. Ihre Füße trugen sie schnell über die Hügel bis zum Emeraldwood, wo sie sich in die Büsche stürzte. Bisher hatte sie nie am Tage versucht, ihn zu erreichen, aber was sprach schon dagegen? Nun, das Wasser war nicht so kalt und sie würde ihren Geist nicht so schnell beruhigen können.

Viele Gedanken schossen ihr wild durch den Kopf, sodass sie hoffte, ihre Intuition allein würde ausreichen, um sie zu der gewünschten Stelle zu führen. Allerdings reichte sie nicht, um sie vor einem Sturz über eine dicke Wurzel zu wahren und so fiel Cordelia der Länge nach hin. Der Wirbel hinter ihrer Stirn kam schlagartig zum Stehen. Für eine Sekunde blieb sie schwer atmend und mit geschlossenen Augen so liegen und auch wenn sie nicht wusste, wieso – ihr war absolut zum Weinen zumute. Vielleicht, weil sie seit Freitag ohnehin kaum etwas anderes tat.

Da spuckte sie Erde aus, weil sie doch recht unvorteilhaft gefallen war und als sie die Augen öffnete, sah sie, dass es Schnee war. Die Tränen vertrösteten einander auf einen späteren Zeitpunkt und so konnte sie sich beim Aufstehen staunend umsehen. Denn, das was da um sie herum war, war nicht der Emeraldwood. Aber auch nicht der Nachtwald ihrer Mutter. Trotzdem spürte sie, dass sie sich in seiner Welt befand, konnte jedoch nicht begreifen, wie sie es gemacht hatte. Warum sie an einem Ort war, den sie vorher noch nie gesehen hatte, den auch er ihr nicht gezeigt hatte.
Davon mal abgesehen...

„Wie kann ich hier sein?", flüsterte Cordelia, während sie sich noch umsah. Die Bäume bestanden gänzlich aus Glas und der Boden war von ewig fallendem Schnee bedeckt. Ihr Atem trat in weißen Wolken von ihren Lippen, doch sie spürte keine Kälte. Über ihren Augen lag eine bläuliche Scheibe, die dem fremden Wald einen magischen Glanz verlieh.
„Wegen mir."
Cordelia wirbelte herum. Ein kleiner Teil hoffte, dass er es war, der dort stand und ihr erklärte, dass sich die Grenzen zwischen ihren Welten auf wundersame Weise gelockert hatten. Aber wen sie stattdessen vor sich sah, war eine noch viel größere Überraschung.
„Eve..."
Das Mädchen stand ganz still und ließ seinen Blick neugierig über die Bäume schweifen, von deren Ästen gläserne Lianen wie schillernde Wasserfälle hingen. Sie berührte eine von ihnen und aus irgendeinem Grund sah die Bewegung zärtlich und vertraut aus. Wie eine Mutter, die sanft den Kopf ihres Kindes streichelte.
Cordelia hatte nie so weit gedacht. Ihr war nie in den Sinn gekommen, dass sie das mal jemandem erklären musste. Himmel, Evangeline musste völlig überfordert sein, vielleicht glaubte sie, zu träumen. Ja, wie sie dastand und leise mit den Glasbäumen sprach, konnte sie nur in eine Art Schockzustand gefallen sein.
„Eve", setzte sie vorsichtig an, um ihre Freundin nicht zu verschrecken, „mach dir keine Sorgen, ich-"
„Oh Deli, mache ich nicht." Eve schüttelte den Kopf und grinste. „Sie sehen zwar aus wie Glas, doch sind so gut wie unkaputtbar. Deine Spange besteht doch auch daraus, nicht?" Sie lächelte weiter und da ging Cordelia auf, dass der verträumte Ausdruck, den sie für einen Schockzustand gehalten hatte, Eves normales Gesicht war.
„Woher weißt du...", setzte sie an und zog die Augenbrauen zusammen. „Warst du schon mal hier?"
Das Grinsen wurde zu einem Lächeln und das Lächeln zu einem missmutigen Strich. Eve kam auf sie zu und sah sich dabei weiter um. Aber nicht wie jemand, dem die Szenerie nicht vertraut war.
„Nun ja... Sie hat mich schon ab und zu mal hierhergeführt, als es mir noch nicht verboten war. Eigentlich immer, aber manchmal auch an andere Orte." Sie zuckte die Schultern, als redeten sie über das Wetter. Cordelia wurde leicht ungeduldig. „Eve, wer. Wer hat dich hierhergeführt?"
Wer wusste noch von seiner Welt?
Hatte er gelogen und führte noch andere Mädchen hierher?
„Die Sehnsucht", antwortete Evangeline ernst.
„Du sprichst in Rätseln."
„Das schreibt dieser Wald mehr oder weniger so vor."
„Mich kümmert es nicht, was der Wald will."
„Sh, du weckst noch die Wölfe."
„Du weißt von den Wölfen?"
Cordelias Schultern sanken nach unten. Es war also gar nicht ihr Geheimnis... Nie hatte diese Welt nur ihr gehört, weil Eve... Natürlich Eve...
„Die träumende, sonnige Eve...", murmelte sie und biss sich auf die Unterlippe. Eve, die mit Feen sprechen konnte und Einhörner zähmte. Wer würde besser in eine Welt aus Traumglas und Farbnächten passen als sie?
„Du verstehst das falsch, Deli", sagte Evangeline, der das Unbehagen ihres Gegenübers aufgefallen zu sein schien. „Ich meine, für mich war es kein Geheimnis. Euch habe ich schon immer erzählt, dass ich andere Welten kenne und dass ich Sonnentropfen gesehen habe. Aber ihr habt mich dafür immer belächelt und das hat mich nicht gestört, weil das wohl wirklich nur Dichter und Träumer so handhaben." Sie wies halbherzig mit den Armen auf ihre Umgebung. „Das hier kannte ich schon immer. Die Sehnsucht hat mich hergeführt, wann immer ich alleine war. Am liebsten in der Natur, weshalb meine Eltern mir verboten haben, alleine in den Wald zu gehen. Aber dir musste ich jetzt einfach hinterherlaufen, weil ich dachte, du könntest wieder..." Ihre Stimme brach. Unsicher rieb sie sich über die Arme und schaute woandershin.
Cordelia stand ähnlich da und spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Sie hatte geglaubt, es wäre nicht nötig, sich bei Eve zu entschuldigen, weil sie nichts falsch gemacht hatte, doch jetzt brannte das schlechte Gewissen unter ihrer Haut. In ihren Ohren hallte der Ruf nach, der sie auf dem schwarzen Steig nicht hatte aufhalten können.
Evangeline schluckte und hob tapfer wieder den Kopf. „Ich ahnte, dass ich wieder hier landen würde, aber dass ich dich mitnehmen könnte..." Sie lachte leise und strich sich das Haar hinters Ohr. „Hätte ich das gewusst, wären wir beide schon viel früher hier gewesen."
Cordelia erwiderte nichts. Nicht, weil sie sauer war oder Eves Worte nicht verstand, sondern, weil sie keine Erwiderung wusste. Nach einer längeren Pause seufzte sie ergeben und betrachtete den weißen Boden. „Ich gebe zu, ich weiß nicht, ob ich das gewollt hätte." Die Zunge lag ihr schwer im Mund, als wolle sie sie vom Weitersprechen abhalten. „Jeder in dieser Stadt glaubt, alles über mich zu wissen. Das traurige Waisenmädchen aus dem goldenen Schloss."
Evangelines Augen glitzerten. „Oliver meinte es doch nie so."
„Oliver meint nie irgendetwas so." Deli verdrehte die Augen, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ein neuer Druck lag auf ihrem Herzen. Kein Unglück, kein schlechtes Gewissen, keine Trauer. Der Druck war heiß und fuhr durch ihre Adern wie Lava. Cordelia biss sich auf die Unterlippe.
„Na los", sagte Eve und klatschte in die Hände. Im nächsten Moment betrachtete sie diese etwas verwirrt und zuckte dann die Schultern. „Ach, was solls. Es dauert ohnehin."
Ihr Gegenüber – sie standen so weit voneinander weg – ballte die Hände zu Fäusten. „Was dauert denn?"
Die Träumerin ließ sich von der anfänglich brennenden Cordelia nicht aus der Ruhe bringen. „Ich habe vergessen, dass ich sie mit dem Klatschen rufe. Weißt du, da ich ja nicht pfeifen kann, obwohl das ästhetischer wäre."
„Wen rufen?", fragte Cordelia
„Unwichtig, siehst du ja dann. Schnell, so viel Zeit lassen sie uns auch nicht."
„Wofür denn?" Sie spürte, wie sich ihre Fingernägel in ihre Handflächen zu graben begannen und wusste, dass sie Eve förmlich angeschrien hatte. Doch diese sah genauso gutmütig aus wie immer. „Lass es raus, Deli. Komm, mach mich fertig. Mach Emeraldmoor fertig."
Cordelia lockerte vor Überraschung ihren Griff und schaute Eve perplex an. „Aber das kann ich doch nicht tun."
„Weil es sich für eine Frau nicht gehört oder wie?"
„Es gibt hier keine Frauen. Nur Glas und Schnee und ihn."
„Also hast du dir den heimlichen Verehrer doch nicht ausgedacht?"
„Hältst du mich für so falsch, dass ich mir die Mühe mache, dir eine Geschichte vorzugaukeln, nur um mich Stunden später umzubringen!?"
Das Gespräch wurde fahrig. Eves Worte flossen ruhig dahin wie Bäche, doch Deli schnappte zu wie eine Schlange. Nur ihr letzter Satz brachte sie ins Stocken und auch ihre Freundin zuckte zurück. Die gläsernen Bäume rauschten unruhig, als wären sie eine solche Wortwahl ebenfalls nicht gewohnt. Falls die Zeit an diesem Ort nicht ohnehin stillstand, dann tat sie dies ohne Frage jetzt.
Cordelia sah, wie sich Evangelines Brust etwas holprig hob und senkte.
„Eve...", setzte sie vorsichtig an, obwohl es in ihr immer noch brannte. „Es ist überraschend, dass es in den fünf Jahren keiner ausgesprochen hat."
„Hinter Zeitungen und verschlossenen Fensterläden", murmelte Eve mit belegter Stimme.
Cordelia schmeckte Blut. „Du wusstest es von Anfang an."
„Ich bin kein wissender Mensch. Ich hoffe."
„Es gab nichts zu hoffen."
Da hob das Mädchen den Kopf und ihre Augen funkelten blau wie die Luft. „Er hat doch anscheinend auch gehofft." 
Sie klang so herrisch, dass Deli für einen Moment unsicher war, ob es sich wirklich um ihre Freundin handelte. In diesem einen Satz war eine andere Eve durchgeblitzt, welche vielleicht mit Einhörnern Kriege führen konnte. Sie fragte sich, ob sie ihr vorher auch schon begegnet war und es nur nie wahrgenommen hatte.
Die seltsame Eve legte einen eisigen Schleier über ihre Iriden. „Du wolltest nicht zurückkommen, stimmts? Er hat dich gegen deinen Willen zu uns gebracht und wurde dabei verletzt. Es war doch sein Blut auf deinem Arm, nicht?"
Ihre stechenden Worte, fachten den Druck in Cordelias Herzen erneut an. „Und wenn schon. Ich habe es dir von Anfang an gesagt, immer und immer wieder."
„Aber weshalb denn? Was hat dich so umgetrieben, dass du sterben wolltest?"
Die Bäume erzitterten und schufen eine klirrende Melodie, ebenso verzweifelt wie die Mädchen aus dem Schneegestöber. Cordelia wurde zu bewusst, dass Eve sie mit Absicht in diese Lage getrieben hatte, aber da platzte der Knoten in ihrem Inneren und es war ihr völlig gleichgültig. Und sie wusste, dass es genug Gründe gab, warum sie fünf Jahre den Gedanken an das absolute Ende weggeschoben hatte, doch sie verblassten in Anbetracht dieses neuen, berauschenden Gefühls.
„Vielleicht, dass ihr mich alle behandelt habt wie eine Porzellanpuppe, die jeden Moment kaputt gehen könnte. Dass dennoch keiner gefragt, weil es letztendlich niemanden interessiert hat, wie es mir geht. Denn dir wurden deine Eltern nicht genommen und alles, was du liebst und Oliver – Gott weiß, wo er überhaupt herkam – hat bekommen, was mir zusteht. Weil ich nichts getan habe, was dieses vermaledeite Unglück rechtfertigt. Er kann die Bluemans behalten, denn ich will sie ja gar nicht, aber trotzdem könnte ich ihm manchmal denn Kopf abreißen. Nur, weil er eben eine Familie hat und ich nicht. Obwohl ich es partout nicht verdient habe, so zu leiden. Was würde ich geben, um Mutter noch einmal lächeln zu sehen. Ihr tut aber alle so, als hätte es sie und Vater nie gegeben und als wäre ich ein lästiges Balg, das ihr eben durchfüttern musstet. Wer von euch vermisst sie denn schon? Warum kümmert es dich überhaupt, dass ich vom Selbstmord träume, wo du mich vermutlich ähnlich schnell vergessen hättest? Emeraldmoor ist so verschlafen, dass es sich an solchen Ereignissen wie dem Brand heimlich ergötzt, nur der Sensationslust wegen. Vielleicht standen die Leute nur neben der brennenden Villa, während ich unter einem Holzbalken begraben war und nach meinen Eltern geschrien habe. Die waren da natürlich schon lange nicht mehr am Leben... Genauso wie ich für euch nicht mehr am Leben war, weshalb ihr meine Person nur noch mit diesem verfluchten Unglück in Verbindung bringt. Ich bin doch schon tot."
Um sie herum stiegen Töne auf, als würde der Wald bersten. Cordelia zitterte und hätte sich nicht gewundert, wenn die Schneedecke unter ihren Füßen geschmolzen wäre. Dennoch ließ die Wut inzwischen genug Raum für die Verzweiflung.
„Warum in aller Welt hat nie jemand gefragt, wie es mir geht?", flüsterte sie und schaute Eve an, ohne sie dabei wirklich anzusehen.
Diese blinzelte Schneeflocken von den Wimpern, die nie vom Himmel gekommen waren.
„Ich hatte gehofft, du vergisst mit der Zeit..."
„Dass meine Eltern verbrannt sind?"
Eve rang hilfesuchend die Hände. „Dass du sterben willst. Wenn ich gefragt hätte, hättest du mir jede Hoffnung genommen."
Plötzlich wusste Deli nicht recht, was sie empfand. Sie tastete nach der Wut, doch diese war längst erkaltet, da sie sich in keinem Menschen sonderlich lange hielt. Die Verzweiflung war schwach und dumpf, bäumte sich nicht wie vorher auf.
Plötzlich wünschte sie sich, es wäre ganz anders gekommen. Und sie wollte nicht mehr darüber sprechen, aber eine Sache gab es noch zu sagen.
„Es war mein gutes Recht, sterben zu wollen – lass mich ausreden." Cordelia ließ die Schultern sinken. „Damals im Hügelhaus hätte ich nämlich mit ihnen gehen sollen." In ihren Augen loderte es auf, als wäre sie wieder in dem zerstörten Inferno einer Vorhalle. „Aber er ist zu mir gekommen, genau wie Freitag... Hat mich dem Tod weggerissen, der vermutlich seither eingeschnappt ist. Jetzt vermutlich noch mehr."
„Darum holte er Lady Willow", sagte Eve tonlos. In ihrer Stimme lag kein Urteil und auch sonst folgte nichts.
„Nun, sag doch mehr", bat Deli, die nicht einschätzen konnte, wie die Träumerin mit den neunen Erkenntnissen umging.
„Nicht hier und heute, dafür bist du noch nicht klar genug. Außerdem sind sie hier, um uns heimzubringen." Eve nickte kaum merklich in Richtung der Büsche. „Uns beide."
Cordelia drehte sich in die gewiesene Richtung und beinahe erschrak sie sich zu Tode.

Vor ihnen standen die Wölfe.

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