Benebelte Sicht
„Warte was, du hast einen Stalker? Einen echten Stalker?", kam es aufgeregt fragend von Enid rüber. Sie sah dabei überraschend glücklich aus. Wednesday verwunderte die Reaktion ihrer Freundin, aber sie ließ ihre ausdruckslose Miene im Vordergrund und ließ so ihre Freundin sprechen. „Das ist so romantisch! Ein schüchterner Junge, der sich in dein inneres Selbst verliebt hat und deine Nähe sucht. Er kann es aber nicht in der Öffentlichkeit zeigen, da er eben zu schüchtern ist und wartet deswegen im Verborgenen, in deiner Nähe. Solange bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um die große Flamme der ewigen Zuneigung zu entfachen. Wednesday, du hast so ein Glück! Warum kann mir sowas nicht passieren?", meinte sie verträumt, aber ließ dramatisch auf ihre Frage ihren Kopf kurz hängen, bis Wednesday beschloss, ihrer Mitbewohnerin die Realität vor Augen zu stellen, dass es kein Leben wie in klischeehaften Märchen gab. Es gab nur die Tatsache, dass die Zuneigung für andere nichts brachte außer Verrat. Der Junge oder das Mädchen aus Enids Vorstellung hatte etwas anderes im Sinn.
„Du liegst falsch und hast mich missverstanden, die Person will mich bluten sehen. Der Stalker hat mir letztes Jahr auf dieser neuartigen Erfindung der Sklaverei und Spionage einen sogenannten "Sticker" gesendet, in dem eine Animation von mir mehrfach enthauptet wird, bis man den Chat verlässt. Von den Bildern, auf denen man mich an verschiedenen Orten und Tageszeiten sieht, will ich gar nicht erst reden. Die Person plant vermutlich etwas. In den zwangsläufigen Ferien war sie nicht aktiv, doch wird es sich in nächster Zeit ändern. Da ich nicht mehr der Schlüssel zu einem uralten Geheimnis der Massenvernichtung sein will, muss ich mich darum besser kümmern als um den Hyde, der eine Vorliebe für manipulative ältere Herrinen besitzt", versuchte Wednesday, ihre Wahrheit der gut gläubigen Enid Sinclair zu vermitteln, doch sie schien dennoch ihrer Meinung zu folgen.
„Dann hat dieser Junge eben ein Problem, aber das muss dennoch nicht so negativ gesehen werden. Ich weiß, dass du die Welt in schwarz und weiß siehst, aber betrachte dies auch in Pastellfarben. Der Junge könnte dir damit nur sagen wollen, dass er deine Aufmerksamkeit will, durch eine unheimliche Methode, dennoch, sieh es nicht so negativ! Genauso wie die Sache mit Tyler" antwortete Enid ruhig, aber ihre Blicke besaßen gerade den selben fordernden Blick wie der von ihrer Mutter. Wednesday wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Enid hatte ihrer Meinung nach völlig den Verstand verloren, auf eine beunruhigende Art und Weise. Die Scheu, ihr das so mitzuteilen, besaß sie nicht, aber würde sie es ihr dennoch nicht genau sagen, umschreiben gefiel ihr definitiv besser.
„Enid, lass deine Gedanken in deinem Kopf, wo sie niemand mitbekommt, denn sie sind falsch. Ich weiß nicht, weshalb du bei einem Stalker mit schlechten Absichten an das Gute glaubst, aber nimm den Hyde nicht im Schutz. Du hast selbst mit ihm in deiner Werwolfsgestalt gekämpft vor eiskaltes Händchens "Augen" und weißt es besser. Also spare dir diese giftigen Behauptungen, bevor sie dich noch infizieren", ermahnte Wednesday sie, aber Enid sah es nicht ein.
„Ich weiß, dass eben auch Gutes in den Menschen steckt und daran glaube ich! Stalker hin oder her, die Sache mit Tyler ist bestimmt ganz anders als du denkst. Es heißt doch, dass der Hyde von dem Meister wörtlich rausgeprügelt wird und das auf eine qualvolle Weise oder doch mit Hypnose. Thornhill hat den armen Tyler in der Höhle bei den Handschellen gefoltert, bis sein Hyde erwacht ist und über ihn bestimmt. Er wurde gezwungen und kann sich auch nicht wehren, aber tief unter dem Monster steckt noch der Junge, den du doch magst oder etwa nicht? Er kann nichts dafür, die Morde hat der Hyde begangenen, der Tyler kontrolliert und wiederum kontrolliert Thornhill den Hyde. Thornhill steckt aber im Gefängnis, weswegen sie den Hyde nicht kontrollieren kann, vielleicht hat Tyler eine Chance, die Kreatur los zu werden? Ich sehe es positiv und das solltest du auch!", protestierte Enid gegen Wednesdays Meinung mit einer lauter werdenden Stimme, um ihr eine andere Sichtweise zu übergeben.
Ihrer Meinung nach lag die Schuld alleine bei Thornhill und dem Hyde, aber nicht bei Tyler. Tyler vermittelte nur tragischerweise sein Gefäß an den wahren Schurken. Doch Wednesday hörte nicht. „Tyler ist der Hyde und es gibt keinen unschuldigen Hyde. Auf der Polizeistation hat er es zugegeben. Er hat zugegeben, wie gierig ihn die Morde gemacht haben. Er hat das Morden auf eine falsche Weise genossen, welche mir nicht einmal in den Sinn käme. Thornhill hat zwar seinen Hyde aktiviert, der ihr dient, aber Tyler hat sich selbstständig für den Leichenweg entschieden. Er hat sich entschieden, seine neue Gestalt auszukosten und seine bisherige Menschlichkeit durch das Böse auszutauschen, welches gnadenlos seine Ziele mit allen Mitteln, die es hat, erreichen will. Er hat uns manipuliert, aber das wird er kein zweites Mal schaffen, nicht bei mir", stellte Wednesday schließlich fest und verankerte ihre Version in den Raum, da es still wurde.
Keine Finger tapsten auf dem Boden oder Füße, sie blieben still. Keine Hände oder Arme kreisten in der Luft und auch die Lippen blieben zu, die Stille war angekommen. Wednesday sah leicht kühl zu Enid. Sie sah, wie sie sich zusammenriss, nicht unter mehreren kommenden Emotionen zu ertrinken. Sie blieb gerade im Gebäude stehen und doch stand sie im Regen. Dieser Regen könnte die Erkenntnis verkörpern oder doch nur verzweifelte Versuche eine Gegenreaktion zu verhindern. Was es auch sein mochte, Wednesday war es egal, sie hatte vorerst genug Last auf ihrer kalten Schulter und würde sich nicht mehr über die belanglose Meinung ihrer Mitbewohnerin streiten. Dafür hatte sie zu wenig Interesse, was man ihr ansah. Ihre Blicke wirkten auf eine bedrohliche Art angespannt.
Eiskaltes Händchen war nach einer beunruhigenden Stille der Erste, der überhaupt eine Reaktion von sich gab. Er gab den beiden mit Fingerbewegungen zur Kenntnis, dass sie sich nicht darüber streiten sollten, da sie Freunde waren, beste Freunde. Freunde legten keine Nägel unter das Bettlaken des anderen, sondern halfen einander beim Aufstehen und der Entfernung dieser Nägel. Freunde waren einfach für einander da, ohne eine Atmosphäre wie in einem Kriegsgebiet. Die Meinung ihres kleinen Freundes nahm sich Enid zu Herzen. Bedrückt atmete sie kurz ein und aus, bis sie Wednesday mit einem aufrichtigen Lächeln in die Augen sah. Sie war für den Waffenstillstand, doch war sie die einzige der beiden Parteien.
Wednesday starrte Enid nur mit dem selben kühlen Blick in ihre beiden Augen an, bis sie wortlos an ihr vorbei vor zur Tür lief. Vor dieser stoppte sie kurz mit den Worten: „Ich komme später wieder, wehe ihr folgt mir.", bis Wednesday wieder das Zimmer verließ und auch die Nevermore Academy.
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