Abbadon
Nach diesem, für Wednesdays Verhältnisse sehr emotionalen Gespräch, machte sie sich nun mit eiskaltes Händchen daran, ihr Gepäck sorgfältig in ihrer Zimmerhälfte so wie letztes Jahr auszubreiten. Enid war ebenfalls mit ihrer Seite des Zimmers beschäftigt, welches wieder so bunt wie Einhornkotze wurde. Da bevorzugte Wednesday immer noch ihre schwarzen und weißen Farben, denn bei denen stieg ihr beim alleinigen Anblick nicht die Magensäure hoch, um aus ihrem Körper zu flüchten.
Mit der Hilfe von eiskaltes Händchen wurde Wednesdays Hälfte des Zimmers rasch fertig. Von der Schreibmaschine bis zum Cello fand alles ohne Probleme seinen früheren rechtmäßigen Platz. Eiskaltes Händchen bezog noch schnell Wednesdays Bett und schon machte er sich daran, in der anderen Hälfte des Zimmers ebenfalls beim Einrichten zu helfen. Da Enid deutlich mehr Gepäck als Wednesday hatte, brauchte sie auch deutlich länger, bis auch sie fertig war. Zu ihrem Glück und dem der anderen, begann der Unterricht erst am folgenden Tag.
Der erste Tag war schon immer der Tag der Anreise und der Wiedervereinigung. Wiedervereint war sie schonmal mit Enid, welche gerade eine lebhafte Unterhaltung über einen bestimmten Film mit eiskaltes Händchen führte. Leicht verwirrt, da sie den Film namens "Schneewittchen" nicht kannte, verfolgte sie grob einen Teil des Gespräches mit und für sie hörte es sich nach einem Horrorfilm an. Mehre Zwerge, die die Leiche einer Frau entführten und ein Mann, der sie irgendwie wieder zum Leben erweckte? Ganz auf die Details hatte sie nicht geachtet, aber nach einem Film für normale Kinder hörte es sich für Wednesday nicht gerade an.
Die Beschreibung hörte sich für sie jedenfalls interessant an, vielleicht würde sie sich mit dem Film etwas weiterbilden, doch davor hatte sie andere Dinge im Kopf. Wednesday schlich sich unbemerkt zur Tür. Sie würde die Zeit nutzen, andere Schüler der Nevermore Academy geschickt auszufragen, ob sie in der Lage wären, die Addams Tochter zu verwirren oder sogar zu manipulieren. Das war keine einfache Aufgabe, aber wenn sie an Tyler und Thornhill dachte, war es wohl möglich, selbst ihrem Verstand einen Virus einzupflanzen, der sich unbemerkt dort aufhielt, bis die Reinigung des Virus vielleicht sogar zu spät käme. Doch dazu würde es nicht mehr kommen. Wednesday würde ihr Gehirn vor möchtegern Kollegen schützen. Die Frage war nur wie.
Sie könnte noch abweisender werden, was ihrem Plan, Leute zwangsvoll kennen zu lernen, aber im Weg stehen würde, deswegen müsste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Mit einem letzten in Gedanken versunkenem Blick, sah sie zu Enid und eiskaltes Händchen rüber, die anscheinend immer noch vor quälender Freude ihre Anwesenheit für alle desinteressierten Leute im Flur kennzeichneten. So leise wie ein Schatten verließ sie den Raum, aber konnte im Flur und durchaus weiter Enids aufdringliche Stimme hören. Es dauerte, bis sie keinen einzigen Laut von Enids Stimme mehr hörte.
Selbstbewusst ging Wednesday weiter ohne einen richtigen Plan zu haben durch die Nevermore Academy. Ihr Blick wimmelte die Leute eher ab, als sie wortlos für ein Gespräch gewinnen zu können. Dennoch lief sie weiter in Richtung des kleinen grünen Pentagongarten der Schule und ließ sich dort auf einer der Bänke nieder. Mit einem ihre Umgebung streifendem Blick sah sie andere Schüler, die teilweise alleine, mit Eltern oder in ihrer Freundesgruppe auf anderen Bänken ihre Zeit verschwendeten oder am Brunnenrand einsam ins Wasser starrten.
Von der einsamen Sorte sah Wednesday bloß einen Jungen, der kleingemacht an einem kleinen Stück des Pentagonbrunnens saß und ins Wasser starrte, das typische Klischee für einen armen einsamen Neuling, der Leichen im Keller besaß, von denen niemand etwas wusste. Er war perfekt für Wednesdays Fragen, auf welche sie gescheite Antworten erwartete. Vielleicht war er der Stalker, dass er neu war, musste nichts heißen. Zu seinem Pech war er im Visier der Schwarzhaarigen gelandet, welche auf direktem Wege auf diesen Fremden zulief, welcher ihr erstes Opfer wäre.
Seine Blicke widmete der Fremde immer noch dem Gewässer, weswegen Wednesday mittlerweile wortlos vor ihm stand und ihn von Nahem betrachtete. Er war ein braunhaariger kräftig gebauter Schönling, wie manche sagen würden. Da sein Blick nicht zu ihr glitt, konnte sie seine Augenfarbe nicht erkennen, diese wäre aber ohnehin keine spannende Information über den Fremden. Wie benebelt drehte sich der Fremde nach einer kurzen Zeit der scheinbar innerlichen Verzweiflung nach vorne, wo sich die Augen der beiden trafen.
Wednesday sah in seine verwirrten grünen Augen, die ihr die Angst in seinem Inneren zeigten. Anscheinend konnte er einen bereits jetzt ohne Worte täuschen. Mit einem zusätzlichen verurteilenden Blick sah sie ihn direkt an und ging sofort mit dem Fremden ins Gespräch. „Wie lautet dein Name?", fragte Wednesday fordernd, aber der Junge schien etwas wortkark zu sein, weswegen sie es anders versuchte. Wednesday setzte sich neben ihm hin, aber hörte nicht auf, ihn mit ihrem Blick zu durchlöchern, weswegen die Stimmung etwas angespannt wurde.
„Weswegen bist du alleine?", fragte Wednesday den schweigsamen mysteriösen als nächstes, worauf sie eine Antwort bekam, aber nicht die geforderte. „Wednesday, was willst du von mir?", fragte stattdessen der unbekannte Junge sie und schien nicht genervt von ihrer Anwesenheit zu sein, eher überrascht. Wednesday wunderte die Tatsache nicht, dass der Fremde sie bereits kannte, schließlich war sie die Mörderin von Joseph Crackstone. „Dich kennen lernen", gab sie knapp zu und besänftigte ihren Blick, um dem Jungen zu zeigen, dass sie es ernst meinte.
Dieser legte überraschenderweise nach einem Seufzer seine schweigsame Seite ab und sah betrübt zur Schwarzhaarigen. „Ich heiße Abbadon und bin wohl der größte Außenseiter, den es geben kann, wenn man ein ganzes Schuljahr ignoriert wird. Vermutlich ist es aber meine Schuld. Jedenfalls wird es dieses Jahr bestimmt nicht besser, wenn sogar teilweise Lehrer mich nach Monaten nicht kennen, aber hey, es heißt doch, dass man positiv denken soll oder? Jedenfalls scheiß ich auf diese positiven Gedanken, denn sie bringen mir rein gar nichts. Was mich wundert ist, dass du mich auf einmal wahrnimmst, deswegen, was willst du von mir?", packte der Fremde namens Abbadon in einem bedrückten Ton aus, was Wednesday leicht verwunderte, denn sie sah ihn zum ersten Mal.
Nicht ohne Grund dachte sie, dass er ein Neuer wäre, aber dass er bereits ein ganzes Schuljahr in der Nevermore Academy verweilte ohne jeglicher Beachtung, ließ in Wednesday ein noch größeres schwarzes Ausrufezeichen in ihrem Verstand erscheinen. Dieser Abbadon war genauso interessant wie gefährlich, das stand für die Schwarzhaarige fest. Mit einem aufkommenden kühleren Blick starrte sie wieder in seine grünen Augen, welchen sie nicht trauen konnte und ihre Antwort stand fest. „Ich möchte dich einfach kennenlernen, Abbadon."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro