18 | I'm not drinking any more, but then I'm not drinking any less
Marlon saß auf der Terrasse seines Hotelzimmers und starrte auf den Ozean. Heute war es bedeckt und es waren nur wenige Menschen am Strand unterwegs. In den vergangenen vier Tagen hatte er Marcos Rat befolgt und viel geschlafen, sogar versucht etwas zu lesen und sich abzulenken. Doch bis auf die täglichen Massagen hielt er sich meist in seinem Zimmer oder am Strand auf. Nicht auf diesen furchtbaren Touristenliegen, wo man zu jeder Tages- und Nachtzeit jedes Getränk bekam, was man sich nur wünschte. Er war zu langen Spaziergängen übergegangen.
Nachdem Marlon zwei Tage in Folge mit einem schrecklichen Kater aufgewacht war, musste er sich eingestehen, dass Marco auch in diesem Punkt recht behalten hatte. Alkohol half nicht, vielmehr verschlimmerte er Marlons Lage noch. Glücklicherweise konnte er sich nur schemenhaft an seinen zweiten Abend hier erinnern, denn sein Vollrausch aus Bloody Marys und Piña Coladas hatte den größten Teil seiner Erinnerung gelöscht, aber die Fetzen, die sein Hirn noch zusammensetzen konnte, beinhalteten ihn weinend auf seiner Terrasse, während er seine Arme um seine Knie geschlungen hatte und immer wieder einen Namen flüsterte, den er bei vollem Bewusstsein um jeden Preis mied.
Die Erinnerungen an den Namen und an seinen Besitzer waren nun wieder vollends präsent und Marlon hasste es. Er hasste sein weinerliches, verzweifeltes Ich und noch mehr hasste er es, weil er nicht verstand, warum er so reagierte. Er hatte es mit neutraler Betrachtung versucht, sich immer wieder gesagt, dass es nur zwei Nächte gewesen waren und sicherlich waren diese Nächte die vermutlich Besten seines Lebens gewesen, aber das blieben sie auch. Zwei Nächte mit einem Unbekannten, dem er nichts bedeutete.
Zittrig atmete Marlon ein, denn neutrale Betrachtung half dennoch nicht dabei, den Schmerz in seinem Inneren zu betäuben. Man hätte meinen können, er wäre fünfzehn und zum ersten Mal verliebt und nicht achtundzwanzig und ein erfolgreicher Geschäftsmann.
Er sah auf seine Uhr und stellte fest, dass seine heutige Massage bei Marco anstand. Also stand er auf, zog seinen flauschigen, weißen Bademantel über - warum das Zimmermädchen ihm jeden Tag einen Frischen bereitlegte, war ihm schleierhaft - und machte sich auf den Weg in den Wellnessbereich.
„Hallo Mr. Stewart", begrüßte ihn Sally fröhlich. „Tomatensaft für hinterher?"
Marlon lächelte ihr zu und nickte, bevor er sagte: „Aber bitte auch nur das, okay Sally?"
Sally nickte ebenfalls und verschwand in dem kleinen Raum hinter ihrem Tresen.
„Hallo Mr. Stewart", kam es nun auch von Marco, der ihm bereits die Tür zum Massageraum aufhielt. „Nennen Sie mich doch bitte Marlon", erwiderte Marlon wie jeden Tag und wie jeden Tag lächelte Marco nur sein weises Lächeln und fragte stattdessen: „Rücken oder Nacken, Mr. Stewart?"
„Heute nur Nacken, finde ich", sagte Marlon und rutschte auf die Liege. „Ich denke, der Rest ist von gestern noch ganz weich."
„Das höre ich gern", freute sich Marco und begann, Marlons Nacken zu massieren. „Morgen habe ich meinen freien Tag. Wäre es in Ordnung für Sie, wenn ein Kollege für mich übernimmt oder möchten Sie lieber einen Tag aussetzen?"
Marlon genoss die Massage und brummte: „Dann lieber aussetzen, ich glaube nicht, dass ich mich jemals auf jemand anderen einlassen könnte."
Marco lachte leise und sagte: „Das höre ich ebenfalls gern, aber meine Kollegen sind auch alle sehr kompetent."
„Das mag sein", ächzte Marlon, als Marco eine besonders harte Stelle bearbeitete. „Aber ich möchte dennoch niemand anderen als Sie haben."
Lautes Klirren und ein überraschter Schrei von Sally ließen beide Männer zusammenzucken. Marco eilte sogleich zur Tür, um nach dem Rechten zu sehen.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Marlon besorgt, als sein Masseur zurückkam. Dieser lachte und schüttelte den Kopf.
„Sally ist die Karaffe mit dem Tomatensaft aus den Fingern gerutscht", lachte er. „Da draußen sieht es aus, als hätte jemand eine Ziege geopfert."
„Oh, kann ich irgendwie helfen?", bot Marlon an und Marco runzelte verwirrt die Stirn.
„Nein", entgegnete er. „Alles gut. Es ist nur Tomatensaft. Sally hat schon das Housekeeping gerufen, dass es jemand wegmacht. Sie geht sich nur umziehen, denn sie sieht aus, als wäre sie gerade aus einem Horrorfilm ausgebrochen."
Marlon lachte, als er sich vorstellte wie Sallys weiße Arbeitskleidung nach einer Tomatensaftdusche wohl aussehen mochte.
„Vielleicht nehme ich morgen doch nur ein Wasser", kicherte er. „Dann haben wohl alle was davon, wenn ihr diese Karaffe runterfällt."
Marco gluckste ebenfalls vor Lachen und machte sich wieder an Marlons Nacken zu schaffen.
Zehn Minuten später ließ der Masseur von Marlon ab und klatschte in die Hände.
„Ich denke, dann sind Sie für heute entlassen, Mr. Stewart."
„Ich wünsche Ihnen morgen einen erholsamen freien Tag, Marco", sagte Marlon ehrlich und Marco lächelte.
„Danke", flüsterte er. „Ich hab ein Date."
Marlons Augenbrauen hoben sich und er zwinkerte Marco zu.
„Na dann hoffe ich, dass Sie mir übermorgen Gutes zu erzählen haben."
„Das hoffe ich auch", sagte Marco, während er Marlon aus dem Massageraum begleitete. „Ich werde auf jeden Fall berichten."
„Möchten Sie vielleicht trotzdem noch ein Wasser oder etwas anderes, Mr. Stewart? Tomatensaft ist heute leider aus", bot Sally, die nun ein türkisfarbenes Poloshirt zu einer schwarzen Shorts trug, an. Auf dem Boden war nichts mehr von dem Tomatensaftmassaker zu sehen, aber Marlon hörte, dass noch jemand in dem kleinen Raum hinter Sally herumwerkelte.
„Sehr gern, Sally", erwiderte Marlon freundlich. „Gibt es auch noch diese Wellnesslimonade?"
Sally nickte und holte ein Glas aus einem der Schränke. Sie nahm eine große Karaffe aus dem Kühlschrank und schenkte Marlon von dem blassgrünen Getränk ein, bevor sie ihm das Glas reichte.
„Mit Minze, Matcha, Ingwer und einem Schuss Zitrone", erklärte sie freudig.
Hinter ihr öffnete sich die Tür und jemand murmelte: „Ich denke, ich sehe nichts Rotes mehr. Ich hab dir trotzdem einen Lappen dagelassen, falls ich doch was übersehen haben sollte."
Marlon erstarrte und das Limonadenglas rutschte wie in Zeitlupe aus seiner Hand, um mit einem lauten Klirren auf dem Boden zu zerschellen.
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