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Kapitel 7
Ich saß in meiner Astgabel und ließ meinen Blick über die Meute schweifen. Sie waren laut und chaotisch, kein System schien es in ihrem Dasein zu geben. Sie waren wild, hörten nur auf sich selbst und man konnte nicht gerade von einer Einheit reden. Vielleicht saßen sie hier vor mir im Halbdunkeln als eine Gruppe, doch niemand konnte mir erzählen, dass sie sich wirklich zugehörig zu einander fühlten. Es musste traurig sein, niemanden vertrauen zu können.
Mein Blick flog zu Ava, wie er gelangweilt auf dem Ast saß und mit den Füßen baumelte, genau wie letztes Mal. Er hielt die Himmelsmenschen nicht mehr für spannend sondern nervig. Sie verjagten die Beute im Umkreis von einem Kilometer mit ihrem lauten, wichtigtuerischen Gehabe. Sie fühlten sich, als würden sie den Wald besitzen, dabei waren sie nie weiter als bis zum Fluss gegangen.
Es gab Leute, die sich einbildeten Sachen über den Wald zu wissen. Sie philosophierten über Pflanzen oder erklärten anderen um was es sich für Fußspuren handelten. Ich saß hier oben und konnte nur über ihre Dummheit schmunzeln. Sie hatten meine Fußstapfen für die Spur eines Wildschweines gehalten und waren zwanzig Minuten einer nicht existenten Spur gefolgt, während ich nur wenige Meter über ihren Köpfen durch das Geäst gehuscht war. Sie hatten keine Ahnung vom Wald. Ava ging es vielleicht auf die Nerven, doch mich faszinierte es.
Gab es da wo sie her kamen keine Bäume? Keinen Wald? Kein Regen? Eine bessere Frage war jedoch: Woher kamen sie eigentlich? Vom Himmel, mehr wussten nicht. Doch wie war dort Überleben möglich? Gab es über uns eine andere Ebene, einen Ort ohne Natur?
Ich war jetzt seit fast einer Woche Sekundant und ich nutzt meine Zeit sinnvoll. Zumindest aus meiner Sich war es sinnvoll, denn ich beobachtete die Himmelsmenschen zu verschiedenen Tageszeiten in verschiedenen Situationen. Wie sie auf verschiedene Dinge reagierten. Ava nannte es Schwachsinn, der sich in meinen Kopf gefressen hatte und erst war auch Kenryn nicht sonderlich begeistert gewesen. Doch ich war der festen Meinung, dass all dies Wissen uns eines Tages helfen könnte. Auch wenn wir für die Jugendlichen noch nicht existierten, eines Tages werden sie uns bemerken. Dann wird die Entscheidung fallen: Sind wir Freunde oder Feinde? Und bevor dieser Tag kam, wollte ich meine eigene Meinung über sie haben.
Meine erste Aufgabe als Sekundant war es, den Wald kennen zu lernen. Mein ganzes Leben lang hatte man mich von ihm fern gehalten, zumindest von dem dichten, unsicheren Teil, und nun musste ich all dies Wissen aufholen. Nayara zeigte mir jeden Winkel des Waldes, ging mit mir jagen oder lehrte mich verschiedene Tricks, die mir einmal das Leben retten könnten. Und Ava heftete sich stets an unsere Fersen. Auch wenn er bei den ernsteren Unterrichtsstunden nicht dabei war und sich noch einmal auf eigene Faust los machte, war er die letzten Tage ein steter Begleiter gewesen.
Eine sehr seltsame Sache war der Weg nach Zuhause. Zum Dorf. Nachdem wir die täglichen Übungsstunden hinter uns gebracht hatten, liefen wir einfach durch den Wald, bis Nayara an irgendeinem Punkt verschwand. Beim ersten Mal war es noch verwirrend gewesen und ich hatte Stunden damit verbracht sie zu suchen, bis ich nach dem dritten Mal verstand, dass es eine Aufgabe war. Wie sie es machte, verstand ich nicht, aber nach einiger Zeit machte sie sich aus dem Staub und Ava und ich waren auf uns gestellt. Wir sollten den Weg zurück zum Dorf finden, ohne dass sie es uns zeigte. Sie setzte uns in verschiedenen Abständen und Tageszeiten aus und ging ohne uns zurück. Und dann hoffte sie wahrscheinlich, dass wir irgendwie den Weg zurück fanden. Stolz konnte ich sagen, dass wir immer rechtzeitig zurück waren! Wenn euch mit einer kleinen Verspätung, denn ich zwang Ava vorher noch einmal bei den Himmelsmenschen vorbeizuschauen.
Der Ast unter mir wippte, als Ava sich darauf schwang und mit dem Rücken an den Stamm lehnte. Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Er wollte wieder zurück, ich sah es in seinem Gesicht.
"Nur noch einen Moment!", sagte ich und blickte auf die Menge nieder. Sie saßen zusammen am Feuer und die Szene vor mir kam mir seltsam bekannt vor. Sie saßen im Kreis um die Feuerstelle, während sie laut redeten und scherzten, während weiter hinten ein paar auf selbstgebaute Trommeln schlugen und für Stimmung sorgten. Für einen Moment sah ich meinen Stamm und nicht eine Meute von Wilden. Obwohl in ihren Augen wir wohl die Wilden waren.
"Die Sonne ist schon untergegangen. Die wundern sich bestimmt schon, wo wir bleiben...", meinte er und auch sein Blick war auf die Menge gerichtet. Ich antwortete nicht, sondern versuchte Gesichter zu erkennen, die mir nach den letzten Tagen bekannt vor kamen. Doch es war zu dunkel und irgendwie sahen alle gleich aus in ihren einheitlichen Klamotten.
"Kenryn weiß, dass wir hier sind."
Er seufzte und dehnte den Nacken, als wolle er unterstreichen, wie müde er war. Aber ich kannte Ava, ihm war einfach nur langweilig. Er verlor schnell die Lust an etwas, wenn es nicht in seinen Augen spannend war. Aber sah er nicht was sich hier vor uns abspielte? Wie er konnte er dies als langweilig empfinden?
"Da!", entfuhr es mir und mein ausgestreckter Arm deutelte auf eine hochgewachsene Gestalt mit rabenschwarzem Haar. Meine Augen folgten dem Mann und ich sog jede seiner Bewegungen auf.
"Wer soll das sein?", fragte Ava lustlos und ich war mir sicher, er wollte es in Wahrheit gar nicht wissen und mir nur eine Freude machen.
"Ihr Anführer...", wisperte ich, als könnte er mich hören. Ich fixierte ihn, um ihn ja nicht in den schlechten Lichtverhältnissen zu verlieren.
"Man könnte meine, du bist ein Stalker", kommentierte Ava und ich schlug ihm schwach mit der Hand vor den Brustkorb, jedoch ohne den Blick von dem Anführer abzuwenden. Ich hörte meinen Freund leise lachen.
Der Himmelsmensch gesellte sich zu einer Gruppe von anderen und einen Moment unterhielten sie sich. Ich analysierte die Situation und verglich sie mit anderen aus unserem Dorf. Wenn ich es richtig sah, flirtete das eine Mädchen mit ihm. Waren sie ein Paar? Jedenfalls hing sie die ganze Zeit neben ihn, blickte ihn durchgehend an und fasste ihn immer am Arm an. Sie waren etwa zwanzig Meter von mir entfernt und trotzdem konnte ich seinen genervten Gesichtsausdruck sehen.
Gut, vielleicht doch nicht seine Freundin.
Er löste sich aus der Gruppe und ging in das große Metallding, mit dem sie her gekommen waren. Mittlerweile hatten sie sich ein richtiges Lager geschaffen: Zelte dienten ihnen als Schlafplatz und eine Wand aus allem möglichen Schrott schotteten sie von außen ab.
"Er ist jetzt weg. Können wir gehen?", nervte Ava weiter rum und ich stöhnte. Er war so ein Kind, konnte sich keine drei Minuten auf etwas konzentrieren.
"Meine Füße schlafen ein", fügte er hinzu und unterstrich dabei meine Gedanken.
"Wie sind doch gerade erst gekommen."
So leicht würde ich mich nicht geschlagen geben!
"Ich hocke hier schon eine ganze Stunde neben dir..."
"Und du verlierst den Blick für das Wesentliche!"
"Und das wäre?", fragte er unbeeindruckt.
Ich deutelte vor uns auf das Feuer nieder und er rollte mit den Augen.
"Wir sind hier jeden Tag gewesen, Kezia. Es wird mir zu langweilig anderen beim Essen, Streiten, Prügeln und Pennen zuzuschauen. Und miteinander treiben tun sie es auch andauernd."
Ich wollte ihm widersprechen, aber leider hatte er Recht. Sie taten es wirklich ständig und jeder mit jedem teilweise mitten im Gebüsch. Das war echt nicht angenehm zu sehen, besonders weil sie alle noch unter zwanzig waren. Wir im Stamm verschwendeten unsere Zeit nicht mit so etwas, sondern warteten mit einer Beziehung, bis wir Zeit dafür hatten, und blieben dann für immer bei diesem Partner. Oder manchmal, wenn es wichtig war, dass die Blutslinie weiter geführt wird, entscheiden auch die Eltern mit. Oder der Commandor.
Mein Blick huschte zu dem Metallding und ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich wieder den Jungen erkannte. Ich hörte Ava seufzten, als ich meinen Blick wieder über ihn gleiten ließ. Er hatte sich nur eine Jacke übergezogen und gesellte sich wieder zu den anderen. Mein Blick folgte ihm und ich stellte überrascht fest, dass er dabei war das Lager zu verlassen. Ich richtete mich leicht auf und meine Hände schlossen sich um einen anderen Ast, damit ich gesichert war.
"Wo willst du hin?", fragte Ava genervt und erhob sich ebenfalls.
"Ich komm gleich wieder, warte einfach hier."
"Willst du irgendwas anstellen? Kezia, ich habe da keine Lust drauf. Ich will keine Probleme mit Kenryn bekommen..."
Ich drehte mich um und plötzlich war ich unfassbar genervt von ihm. Er benahm sich wie ein Kleinkind, bei einer Patrouille redete er bestimmt auch nicht so. Nur nach einem dieser Kommentare würde man ihn zurück ins Lager schicken.
"Geh doch nach Hause, ich zwinge dich ja nicht!", fauchte ich und er bemerkte sofort, dass ich wütend war. Seine Miene veränderte sich augenblicklich und er schien seine Worte zu bereuen.
"Sei jetzt nicht sauer. Ich renn dir schon den ganzen Tag hinterher..."
"Ich hab dich nicht darum gebeten!"
Er seufzte, strich sich mit der Hand übers Gesicht und warf wieder einen Blick nach unten. Der Schein des Feuers erhellte ein wenig sein Gesicht.
"Okay, ich warte. Aber sei in fünf Minuten zurück oder ich gehe alleine nach Hause. Die Probleme bekommst du dann", meinte er und ich warf ihm nur ein Nicken zu und hangelte mich zum anderen Baum rüber.
Flink huschte ich zwischen den Bäumen hindurch, stets darauf bedacht nicht aufzufallen. Ich sah den Umriss des Mannes weiter unter mir. Wo ging er hin? Ich kletterte etwas tiefer und hielt dafür einen größeren Abstand, denn ich wollte nicht der Grund sein, weshalb sie von uns erfuhren. So länger wir für sie nicht existierten, desto länger herrschte Frieden.
Ich beobachtete, wie er irgendwann stehen blieb und sich hin hockte. Er schien ein paar Stöcker und Äste aufzuheben, die trocken schienen, und hievte sie auf seine Schulter. Er sammelte mehr und ich war mir sicher, es war für das Feuer bestimmt. Er schien den Platz hier in den letzten Tagen entdeckt zu haben, denn gerade hier lag auffällig viel potenzielles Feuerholz herum. Er war schlau. Und gleichzeitig dumm. Wieso war er alleine hier draußen?
Ich sprang einen Ast weiter und klammerte mich an dem sicheren Stamm fest, doch mein Bogen trug den Schwung mit und knallte mit einem lauten, schallenden Geräusch gegen den Stamm. Ich kniff die Augen zusammen und hoffte, dass dies nicht gerade passiert war. Nicht mir passiert war. Was für ein Anfängerfehler.
Ich wagte nicht zu atmen und schielte an dem Baum vorbei, erblickte den Jungen und wie er in meine Richtung spähte. Verdammt, er hatte es gehört. Mein Herz begann zu rasen, als ich sah, wie er langsam auf mich zu kam. Ich war lediglich zwei Meter über den Boden, würde er im richtigen Winkel stehen, konnte er mich mit Leichtigkeit entdecken. Ich durfte mich jetzt nicht bewegen und seinen Verdacht stärken. Ich war so ein Idiot. Ava hatte Recht gehabt, natürlich brachte ich mich gleich wieder in Schwierigkeiten. Ich war einfach zu neugierig, das war meine Schwäche.
Ich überlegte fieberhaft, wie ich ihn davon abhalten konnte, mich zu entdecken. Die Bäume waren zu weit weg als unbemerkt zu einem anderen zu springen und hochklettern wäre in dieser Situation nicht sonderlich schlau. Er würde die Bewegung sehen.
Ich atmete tief durch und presste mich an den Stamm, während seine Schritte stetig näher kamen. Mein Herz raste, mein Atem war flach, ich schwitzte vor Aufregung. Das durfte nicht passieren! Ich hatte versprochen, vorsichtig zu sein...
"Bellamy?", rief jemand und ich zuckte zusammen, während ich mich noch enger an den Stamm presste. Der Mann drehte sich widerwillig zu der Richtung um, aus der der Ruf erklungen war.
"Ich bin hier!", antwortete er mit seiner tiefen Stimme. Ich hatte eine Gänsehaut.
"Hast du das Feuerholz?"
Ich hörte ihn Seufzen. Er blickte noch einmal zu meinem Baum, dann hievte er erneut das Gehölz auf seine Schulter und brachte es zurück zum Lager. Erst nach einer Minute seines Verschwindens, traute ich mich mich von dem Baum zu lösen, doch mein Herz raste noch immer.
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Hey ihr Lieben :)
Mal wieder ein fettes Danke fürs Lesen, Voten und Kommentieren! Ich freue mich jedes Mal, wenn ich Benachrichtigungen bekomme, dass auch diese Geschichte gefällt :)
Zur heutigen Frage (diesmal zu dieser Geschichte):
Habt ihr bereits einen Lieblingscharakter oder jemanden, den ihr gerne öfter sehen würdet?
Danke schon mal fürs Antworten ;3
-I
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