Oversharing
Langsam wird die Landschaft hügeliger, die Bäume bunter und Louis' Vorfreude größer. Sein Lächeln ist breit und sorglos während er immer wieder sein Bein auf und ab bewegt, da er bereits aufgeregt ist. Seit Monaten wartet er schon auf der Herbstanfang, auf die endlos langen Spaziergänge durch die Laubhaufen, während er die Landschaft beobachten kann und neue Inspiration in der Natur findet.
Er hat sogar für mehrer Momente vergessen, dass der Sitz neben ihm schon lange nicht mehr frei ist. Harry, der Fremde mit dem hübschen Gesicht und den tiefgründigen Augen, hört schon seit Stunden Musik. Seit einer Weile hat er die Augen geschlossen und ein friedlicher Ausdruck zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. Louis mag Menschen, die friedlich aussehen, es löst eine innere Zufriedenheit in ihm aus.
Das man Harry's Musik hören kann, da er scheinbar die Musik auf voller Lautstärke hört, stört Louis nicht einmal. Normalerweise will Louis seine Ruhe haben und sich langsam in den Blicken in die Natur verlieren. Er ist nicht wirklich die Art von Mensch, der die Musikboxen aufdreht bis einem die Ohren platzen. Viel lieber lässt er sich während den Spaziergängen von langsamen, harmonischen Klavierklängen treiben. Aber auch dies passiert nur selten, denn das Rascheln der Blätter und alle anderen Geräusche der Natur sind viel schöner und einzigartiger.
Jedoch ist Harry's Musik ertragbar, denkt sich Louis, denn sie hört sich nicht so an als würde sie lediglich aus Bass und unbedeutenden Worten bestehen - nicht, dass Louis sich großartig auf diese Dinge konzentriert, denn er ist viel zu bellenden von all den anderen Eindrücken, die auf ihn einprasseln, wie Regen auf die Erde an einem heißen Sommertag.
Die Sonne verschwindet langsam vom Himmel und tränkt den Zug noch einmal in goldenes Licht, welches Louis' Herz erwärmt. Seine Liebe für den Herbst steigt einfach von Jahr zu Jahr mehr.
Es ist fast genau zwölf Stunden nach abfahrt als der Zug in seine Endstation fährt. Es ruckelt kurz ein wenig und daraufhin bleibt er stehen. Louis' Herz schlägt schneller, denn nun hat der Herbst vollkommen begonnen. Nun hat sein Urlaub vollkommen begonnen. Er steht auf, aber merkt recht schnell, dass er nicht weit kommt, da Harry noch immer die Augen geschlossen hat. Für einen Moment hält er inne, denn er weiß nicht direkt was er tun soll.
Gespräche mit Fremden waren noch nie seine größte Stärke und ihn dann auch noch aufwecken. Louis dachte schon an die grausamsten Szenarien, an gemeine Worte zu bösen Blicken. Sein Verstand begann sich zu drehen.
„Unsere Fahrt endet hier. Steigen sie nun bitte aus", ertönt die Stimme des Schaffners durch das fast leere Zugabteil. Sie signalisiert Louis, dass er nun handeln muss. Er schafft es seine absurden Gedankengänge, denen man nur selten folgen kann, aus dem Weg zu räumen und den Fremden vorsichtig anzustupsen. Er bewegt seinen Kopf ein wenig, was dazu führt, dass ihm eine seiner Haarsträhnen ins Gesicht fällt.
„Wir- Alsp hier ist Endstation", sagt Louis unschlüssig. Direkt nach aussprechen der Worte denkt er über seine Wortwahl, seine Tonlage und seine Aussprache nach.
Harry öffnet zügig die Augen, schaut sich kurz schockiert um und springt daraufhin auf.
„'Tschuldigung. Ich bin eingeschlafen!", rechtfertig sich Harry und holt seinen Koffer von der Ablage herunter," Tut mir wirklich leid."
„Ist schon gut", antwortet Louis erleichtert und verwirft die Gedanken über das was er gesagt hat," ich hoffe du hast nicht deine Haltestelle verpasst."
Harry schüttelt den Kopf und sortiert sich selbst für einen Moment indem er aus dem Fenster schaut und Louis ebenfalls seinen Koffer versucht von der Ablage herunter zu holen.
„Nein, alles gut. Soll ich dir helfen?" Und ohne auch nur eine Antworten steht er bereits hinter Louis und hilft ihm mit seinem Koffer, was Louis einen leicht roten Schimmer auf die Wangen malt und seine Körpertemperatur um minimal ansteigen lässt. Direkt schießen ihm weitergehende Gedanken in den Kopf.
„Danke das wäre aber nicht nötig gewesen", antwortet Louis schüchtern und schaut zu Boden.
„Ach. Alles gut. Ich habe dich immerhin unnötig aufgehalten", erklärt Harry höflich, was Louis lächeln lässt.
Auf nette, zuvorkommende Menschen trifft man nicht oft in London. Vor allem nicht, wenn man so ist wie Louis. Etwas komisch und in sich gekehrt. Das ist nicht wirklich ein Magnet für Freundlichkeit und vielen Freunden. Es hindert ihn eher daran, aber er kann sich schließlich nicht verändern. Schon gar nicht für Leute, die es im Endeffekt gar nicht wert sind.
„Nein", antwortet Louis schlicht und schüttelt den Kopf. Er schaut noch einmal auf und lächelt dem hübschen Fremden entgegen, denn es sagt wahrscheinlich mehr über seine Dankbarkeit aus als ein einfaches Danke von Louis. Kommunikation zwischen ihm und jemand anderen in der Realität, ist nicht das einfachste für Louis. Denn manchmal weiß er nicht was er sagen soll, wie er reagieren soll oder wie er gewisse Dinge in kurzer Zeit so hinnehmen und verarbeiten kann. Das ist alles nicht so einfach für Louis.
Er dreht sich also um, um die Bahn endlich zu verlassen und seinem Ziel wieder ein Stückchen näher zu kommen. Harry folgt ihm, da er immerhin auch aussteigen muss. Normalerweise würde dies Louis nun leicht nervös machen, aber Harry scheint okay zu sein. Louis kann sich zumindest nicht beschweren, was auch nicht gerade häufig vorkommt.
„Musst du auch auf die Linie 27 warten?", fragt Harry, der einige Schritte hinter dem kleineren läuft. Louis dreht sich irritiert um und stolpert fast über seinen eigenen Koffer. „Pass auf!"
Louis bleibt stehen und überlegt krampfhaft ob er Harry bereits von seinem Ziel erzählt hat oder ob Harry einfach nur eine normale Konversation aufbauen möchte. Aus diesen zwei Möglichkeiten entwickeln sich schnell mehr bis er nach nur wenigen Momente ganz schräge Gedankengänge verfolgt, die wahrscheinlich niemals stimmen würden. Doch das ist die Sache bei Louis, sich auf eine Sache zu konzentrieren führt oft dazu, dass seine Gedanken ausarten und an Orte wandern, von denen er selbst noch nichts wusste. Auch die eigentliche Frage vergisst er dabei häufiger, weswegen er Harry noch nicht einmal eine Antwort geben kann.
Alles was er machen kann ist ihn bescheuert anschauen und zu hoffen, dass er seine Frage noch einmal wiederholt. Er zieht eine Augenbraue hoch und sieht zu Harry herauf.
„Du weißt schon, Linie 27, die die durch die Berge führt und bei diesem Hotel endet, welches weit ab von jeglicher Zivilisation liegt. Du musst das einfach kennen!", erklärt Harry mit einer Stimme, die voller Bewunderung und Vorfreude steckt.
Ein warmes Gefühl breitet sich in Louis' Magen aus und er kann das breite Lächeln nicht unterdrücken. Das jemand diesen Ort ebenfalls mit solch einer Bewunderung betrachtet lässt Louis' Herz Lauter Schlager und versprüht eine Glücklichkeit in seinem Körper, welche viel zu selten das Licht des Tages erblickt.
„Ja, ich mache dort jeden Herbst Urlaub", antwortet Louis mit sanfter, fast liebevoller, Stimme und behält das breite Lächeln auf seinen Lippen.
"Wirklich?", fragt Harry überrascht. Er geht langsam vor, was Louis dazu animiert neben ihm zu laufen - offensichtlich haben sie dasselbe Ziel.
„Ja, ich mag den Herbst in der Stadt nicht wirklich. Es fühlt sich einfach nicht so an wie in den Bergen, weit über den alltäglichen Problemen und Sorgen", erklärt Louis und schaut in eine andere Richtung, denn es fühlt sich mal wieder so an als hätte er zu viel gesagt. ‚Oversharing' ist der perfekte Begriff für Situation wie diese. Es war nicht viel, was er gesagt hat aber es fühlt sich bereits so an als wäre es zu viel. Aus diesem Grund schaut er über den Busbahnhof. Vereinzelte Menschen stehen an ihren Haltestellen und Louis fragt sich ob sie sich auch schon auf den Herbst freuen.
„Das stimmt, denke ich", antwortet Harry mit derselben sanften Stimme wie vorhin im Zug. Louis schaut auf, überraschter Gesichtsausdruck in seinem Gesicht und ein schmales Lächeln auf seinen Lippen. „Ich lebe nicht in der Stadt, deswegen kann ich es nicht sonderlich gut beurteilen, aber ich kann es mir vorstellen. All die Menschen und der Trubel. Nein, das ist nichts für mich."
Louis möchte schreiben. Er möchte sich die schönsten Wörter aus seinen Fingern ziehen und sie aufs Papier bringen, um diesen Menschen zu beschreiben, der offensichtlich so anders als die anderen ist, dass es Louis die Gedanken raubt. Es gibt so viel worüber er schreiben könnte. Das makellose Gesicht, die seidenweich, aussehenden Haare, die tiefen Grübchen, das breite, scheinende Lächeln oder seinen Umgang mit Worten, was in absolut jeder Situation ein Pluspunkt ist. Louis liebt Worte und er liebt Menschen, die gut mit ihnen umgehen können.
„Für mich eigentlich auch nicht", gesteht Louis und verfestigt den Griff um seinen Koffer. Manchmal wünscht er sich auch in einen kleinen Ort zu ziehen, in welchem nur Menschen leben, die auf ihre Art und Weise interessant sind. London besteht nur aus Menschen, die im Kern alle gleich sind. Es langweilt Louis. „Aber es ist irgendwie mein Zuhause. London, meine ich."
Harry's Augen scheinen ein weiteres Mal. Das Grün sticht heraus, was Louis ihn ein weiters mal bewundern lässt. „Du kommst aus London?", fragt er begeistert," London ist wahrscheinlich die einzige Stadt, die ich mag und bewundere. Frag mich nicht warum, ich weiß es nicht, aber ich mag es dort."
„Es ist die einzige Stadt, in der ich jemals war... also...", erwidert Louis und zuckt mit den Schultern. Er schaut zu der Busstelle, zu welcher sie laufen. Einige andere warten dort ebenfalls. Ob Wanderer mit schweren Rucksäcken oder andere Reisende mit den verschieden farbigsten Koffern. „Hab keine andere als vergleich."
Harry nickt einfach nur. Louis tut ihm dies gleich und somit ist ihr Gespräch beendet. Sie setzen sich auf die Bank an ihrer Haltestelle und schweigen. Louis nutzt die Zeit, um darüber nachzudenken ob er irgendwas komisches gesagt hat, ob er Harry vielleicht genervt hat, ob er vielleicht viel zu langweilig für ein Gespräch mit diesem Mann ist. Seine Gedanken nehmen erneut Maße an, die für andere total bescheuert wären, aber dies ist Alltag in Louis' Leben. Er ist es gewöhnt und es macht ihm eigentlich nichts aus.
„Wie lange bleibst du?", fragt Harry nach Minuten der Stille. Die Frage ist etwas überrumpelnd, denn Louis dachte Harry wäre fertig mit dem Gespräch, aber offensichtlich ist er dies nicht. Normalerweise genoss Louis die stillen Minuten an dieser Haltestelle, welche er immer nutzte, um sich umzusehen, aber heute hat er nichts gegen die Gesellschaft. Er genießt sie sogar.
„Vier Wochen", antwortet Louis lächelnd. Die Vorfreude wurde gerade noch ein Stück größer.
„Das ist eine Menge. Ich bleibe für drei Wochen", sagt Harry auch wenn er nicht danach gefragt wurde. Louis mag Menschen, die quasi auf ihre eigenen Fragen antwortet. Es macht ein Gespräch zwischen Louis und dieser Person um deuten einfacher.
„Dies ist mein ganzer Urlaub, um ehrlich zu sein. Ich nutzt gerne die Zeit hier um mich so richtig zu entspannen und meinen Gedanken freien lauf zu lassen", erklärt Louis zügig, denn das Gefühl des ‚Oversharings' betritt seinen Kopf erneut. Wahrscheinlich ist es lächerlich, dass Louis ein weiteres mal so denkt, denn Harry ist offensichtlich interessiert an einem Gespräche mit ihm, aber es ist so eingebrannt in seinem Kopf. Es ist Alltag, dass Menschen sich in seiner Gegenwart langweilen und ihm nicht richtig zuhören.
„Das hört sich schön an", erwidert Harry und lehnt seinen Kopf an der Scheibe hinter ihnen an," vielleicht können wir mal etwas unternehmen in den nächsten drei Wochen - natürlich nur wenn es dir nichts ausmacht und ich nicht störe."
Louis' Herz macht einen kleinen, nicht sonderlich weiten Hüpfer. Dafür gibt es zwei verschiedene Gründe. Der erste und offensichtlichste ist, dass er sich wahnsinnig darüber freut, dass so jemand wie Harry etwas mit ihm unternehmen möchte. Der andere ist nicht weniger offensichtlich, denn Treffen mit anderen Menschen war schon immer ein Stressfaktor für Louis, was auch gerade der Fall ist.
„Macht mir nichts aus", antwortet Louis jedoch, weil er einfach nicht nein sagen kann und es auch irgendwie nicht möchte. Ein Treffen mit Harry hört sich zu verlockend an, dass er einfach ablehnt und ihn wahrscheinlich nie wieder sieht. Louis hat ihn noch nicht zünde beobachtet.
„Das freut mich", erwidert Harry mit demselben Lächeln auf den Lippen wie im Zug.
A/N: Also die aktivste werde ich wohl nicht mehr, aber ich hoffen, dass trotzdem noch jemand diese Story lesen möchte! Lasst mich gerne wissen wie ihr es findet. :)
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