36.
Aber ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen sollte. Schon gegen Dominik hatten meine Chancen miserabel ausgesehen und er hatte nicht einmal versucht, mich umzubringen. Eigentlich war es Wahnsinn, es überhaupt zu versuchen, doch einmal hatte ich ihn ja tatsächlich erwischt! Hätte ich ihn in diesem Moment festhalten können, dann wäre mir vielleicht sogar noch ein weiterer Treffer gelungen! Er war nicht unbesiegbar, ich musste nur einen Fehler in seiner Abwehr finden! Aber wo?
Den ganzen restlichen Tag grübelte ich, was ich tun konnte. Zweifelte, an mir und den Entscheidungen, die ich bisher gefällt hatte. Ich war kein Superheld, war es nie gewesen. Es war bloß eine schöne Illusion, die jetzt bröselte und langsam, aber sicher zerbrach. Ich war bloß ein kleiner Junge mit einer blühenden Fantasie und zu vielen SciFi Filmen, mitten in einer Welt, die einen echten Helden gebraucht hätte. Nicht mich. Jemanden, der mit wirklich allem fertig wird, jemanden wie Iron Man oder Thor oder Captain America. Da, ich tat es schon wieder! Es war einfach zum Verzweifeln! Keine Ahnung, was Rafael in mir gesehen hatte, als er mir gesagt hatte, ich würde einen feinen Superhelden abgeben...
Ich seufzte und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Jetzt hatte ich erst recht jede Hoffnung darauf verloren, gegen den Schurken gewinnen zu können. Was ich jetzt brauchte, war Unterstützung von jemanden, der mich gut genug kannte um zu wissen, wie er mich wieder aufmuntern konnte. Und da gab es nur eine einzige Person, die in Frage kam, die jemals dafür in Frage gekommen wäre.
Zum Glück war Tim so spät am Abend noch nicht ins Bett gegangen und auch wieder ganz normal, sodass er mich nicht wegschickte, sondern ohne eine Nachfrage herein bat. So wie früher. "Hey Dino. Was ist los?"
"Ich habe... ich habe einen schlimmen Fehler gemacht heute, u-und... es kann sein, dass es das Ende ist... Du weißt, was mit Tobi passiert ist?" Tim nickte einmal stumm und schluckte hart. "Ich werde der nächste sein, er hat mich herausgefordert und ich habe Angst davor, Timmi. Er jagt Leute mit Superkräften, warum auch immer. Und wenn ich ihn heute Nacht nicht aufhalten kann, schwebt unsere ganze Klasse in Gefahr! Ich wünschte nur, ich hätte diese Verantwortung nie aufgebürdet bekommen...!"
Ich biss die Zähne zusammen, damit mir kein weinerlicher Laut entfuhr, obwohl mir zum Heulen zumute war. Keine Tapferkeit mehr, kein Selbstvertrauen. Ich war wieder der Stegi vor dem Blitzeinschlag, der dauernd Zuspruch und einen Beschützer brauchte, weil er allein nicht genügend an sich glaubte. Auch mein Freund merkte das und schlang seine Arme um mich, während er beruhigende Geräusche machte. "Es ist nunmal so, Dino... Wir haben es uns nicht ausgesucht, wer wir sind oder welche Rolle wir spielen sollen. Es ist ganz natürlich, dass du dich fürchtest."
Er war ganz warm und ich entspannte mich bereits allein durch seine Nähe. Mir war kaum aufgefallen, wie es mir gefehlt hatte, doch jetzt wo ich es tat, schämte ich mich dafür. Ich war Tim die letzten zwei Wochen kein guter Partner gewesen und musste das dringend wieder gut machen! Langsam gelang es mir, seine Umarmung zu erwidern.
"K-kann ich bis Mitternacht bei dir bleiben, Timbo?"
"Ich wünschte, du könntest länger bleiben", murmelte er bedrückt. Seine Klammer wurde noch eine Spur enger und verlangender. "Ich auch...", gab ich zu.
"Dann lass uns einfach weglaufen. Irgendwohin, wo der dich nicht findet. Nur wir beide!" Doch so verlockend sein Vorschlag auch klang, ich wusste, dass ich das nicht konnte. So lange auch nur die winzigste Wahrscheinlichkeit bestand, dass Line und Julian ebenfalls Opfer des Fremden geworden waren, aber noch lebten und irgendwo gefangen gehalten wurden, wollte ich ihnen nicht wie ein Feigling den Rücken kehren! Genauso wenig den Klassenkameraden, die nichts von der Gefahr wussten, die ihnen drohte. Zaghaft schüttelte ich meinen Kopf und hörte Tim im selben Moment seufzen. "Dann versprich mir bitte, dass du wiederkommst, Stegi! Ich mag mir kein Leben ohne dich vorstellen! Ich hatte in letzter Zeit so oft Angst davor, dich zu verlieren!"
Ich schwor es. Obwohl ich Zweifel hatte, und Schiss vor dem, was mich in wenigen Stunden erwarten würde. Aber plötzlich hatte ich wieder einen Antrieb. Nein, ich war immer noch kein Held, doch seltsamerweise verlieh es mir Sicherheit, zu wissen, wen ich zurücklassen würde, wenn ich es nicht schaffte. Ich würde kämpfen wie ein Berserker, um das nicht geschehen zu lassen. Der Sieg würde mir gehören!
Von Tims Familie waren noch Abendbrotsreste übrig und obwohl ich dachte, keinen Bissen herunterkriegen zu können durch die brodelnde Nervosität in meinem Bauch, bediente ich mich auf das Angebot meines Freundes hin und spürte da erst wieder, wie großen Hunger ich eigentlich hatte. Eilig verputzte ich einen ganzen Teller der leckeren Spätzle und hätte schwören können, nie etwas besseres gegessen zu haben! Schon fühlte ich mich ein wenig besser, vor allem dann, als Tim mir nach einiger Zeit sanft die Hände auf die Schultern legte. Wie hatte er mir nur gefehlt...!
Die restliche Zeit verbrachten wir in seinem Zimmer eng aneinander gekuschelt auf der bequemen Schlafcouch, schweigend und genießend. Ab und zu küssten wir uns innig, aber weiter gingen wir nicht. Mussten wir auch nicht. Es reichte genau so, wie es jetzt war. Sollten das hier tatsächlich meine letzten Lebensstunden sein, dann wollte ich mich genau an diesen Moment erinnern, in Tims Nähe, weit weg von jeder Gefahr. So war es gut.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht löste ich mich dann widerwillig von seiner Seite und zog mir meine Jacke an. Meine Hände zitterten dabei leicht und Tim übernahm die Aufgabe ungefragt für mich. "Ich wünschte, ich könnte dir besser helfen. Bitte komm wieder, ja Dino?"
"Ja Timbo", flüsterte ich mit dünner Stimme. Dafür bekam ich noch einen Abschiedskuss auf die Stirn. Ich wollte meinen Freund nicht verlassen... Aber jetzt war es zu spät, um meine Entscheidung nochmal umzuwerfen. Also drehte ich mich um, ging ein paar Schritte, schaute zu Tim zurück, winkte ihm und schlug dann den Weg zum Einkaufszentrum ein, auf dessen Parkdach der Treffpunkt festgelegt worden war.
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Vorletztes Kapi für heute :S
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