18.12.2017
Von NiciBora und Snake_Lazare
Die Güte der Weihnachtszeit
Normalerweise verbrachte der kleine Noah Weihnachten immer mit seinen Eltern, doch in diesem Jahr musste er Heiligabend im Waisenhaus verbringen, da die Unfallzahl von Liegengebliebenen unglücklicherweise um ein Prozent gestiegen war.
Der Junge hatte die beiden Menschen verloren, die er am meisten liebte, die ihm am Wichtigsten auf der Welt waren, die ihm erst das Leben geschenkt hatten.
Doch was er am allerwenigsten verstand, war, wieso der heilige Herr seine Eltern ausgerechnet in dieser Zeit zu sich genommen hatte. Denn für Noah waren die Weihnachtstage immer die schönsten gewesen, da er dort seine Eltern ganz für sich alleine hatte und Zeit mit ihnen verbringen konnte, doch in diesem Jahr hatte er überhaupt keine Lust auf dieses Fest. Warum sollte er auch Vorfreude auf Weihnachten verspüren, wenn er es nicht mit seinen Eltern verbringen konnte?
Er war traurig und sauer zugleich. Warum mussten ausgerechnet seine Eltern sterben? Warum musste er Weihnachten im Waisenhaus verbringen? Und wieso waren die anderen Kinder verdammt noch mal so fröhlich?
Er verstand das alles nicht und fand die ganze Situation unfair. Alles was er wollte, war ein schönes Weihnachtsfest, was er in diesem Jahr nicht haben konnte, oder vielleicht doch?
Als er am Morgen des vierundzwanzigsten aufgestanden war, hatte er bereits ein seltsames Gefühl in der Magengegend verspürt, was er allerdings geflissentlich ignorierte.
Ihm war überhaupt nicht nach Lachen zumute, als er den großen Esssaal betrat und die vielen anderen Waisen aufgeregt miteinander reden sah. Daher beschloss er, sich nur etwas zu trinken zu holen und dann wieder zurück in seinem Zimmer zu verschwinden - was er zum Glück mit niemandem teilen musste. Den mitleidigen Blick der Heimleiterin entging ihm dabei.
Den ganzen Tag über verließ er sein Zimmer nicht, hatte sich regelrecht darin verbarrikadiert. Dabei fühlte er sich noch einsamer als die Tage zuvor.
Er saß auf seinem Bett, die Arme um die Beine geschlungen, den Kopf auf seinen Knien abgestützt und weinte. Er wusste nicht, wie lange er schon so da saß, doch irgendwann klopfte es auf einmal zaghaft an seiner Tür. Erschrocken fuhr er zusammen und stand langsam auf, neugierig wer es wohl sein würde.
Seine Hoffnung, dass plötzlich seine Mutter vor ihm stehen und ihn in den Arm nehmen würde, wurde allerdings nicht erhört. Zu seiner Enttäuschung war es die Heimleiterin, die in der Tür stand und ihm aufmunternd zu lächelte.
»Noah, es ist jemand da, der dich gerne kennenlernen würde«, sagte sie, nachdem sie vor ihm in die Hocke gegangen war.
Hartnäckig schüttelte er den Kopf, kehrte ihr den Rücken zu und warf sich auf sein Bett, das Gesicht in der Decke vergraben. Er wollte niemanden sehen und schon gar keinen kennenlernen! Er wollte nur seine Eltern wieder haben!
Langsam trat die Heimleiterin in sein Zimmer, ließ sich neben ihm nieder und strich ihm vorsichtig über den Rücken. Ihn zu trösten war vermutlich unmöglich, doch es war ein Versuch wert, ihm zu zeigen, dass er nicht alleine war.
Nach einiger Zeit begann sie wieder zu sprechen: »Es ist das Ehepaar, das nun in eurem Haus lebt, die dich gerne sehen würden. Sie sind speziell für dich hergefahren an diesem verschneiten Abend. Sie meinten, sie hätten etwas für dich.«
Bei den letzten Worten regte sich auf einmal etwas und Noah setzte sich zögernd auf.
Es war die Bestätigung, auf die die Heimleiterin gewartet hatte, und so stand sie auf und hielt ihm ihre Hand hin. Zaghaft ergriff er sie, woraufhin er von ihr in den Aufenthaltsraum des Personals geführt wurde.
Dort standen sie. Die zwei Menschen, die nun in seinem Zuhause lebten. Mitleidig sahen sie ihn an und versuchten sich an einem tröstenden Lächeln, doch wirklich gelingen tat es ihnen nicht.
Die Frau war die erste, die sich regte und trat vorsichtig einen Schritt auf ihn zu. Nach einem hilfesuchenden Blick, den sie ihrem Mann zuwarf, begann sie endlich zu sprechen: »Noah, heißt du, nicht wahr?«
Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur ausdruckslos an.
Schwer schluckte die Frau, ehe sie fortfuhr: »Meinem Mann und mir tut es sehr leid, was passiert ist. Als die Marklerin uns das Haus gezeigt hatte, hatte sie kein Wort über dieses Unglück verloren. Es muss sicher furchtbar für dich sein, zu akzeptieren, dass nun andere Menschen in eurem Haus leben.«
Immer noch antwortete er nicht, doch die Frau glaubte, ein Glitzern in seinen Augen gesehen zu haben. Mitgenommen von dieser Situation ging sie vor ihm in die Hocke, doch sie brachte kein Wort heraus.
Zu Hilfe eilend trat ihr Mann neben sie und legte ihr bekräftigend eine Hand auf die Schulter. Schließlich entschloss er sich dazu, selbst fortzufahren: »Der Kauf eures Hauses ging ziemlich schnell vom Tisch und mit dem vielen Stress eines Umzugs hatten wir noch keine Zeit gehabt, uns das Haus genauer anzusehen. Gestern Abend erst kamen wir dieser Tätigkeit nach und dabei haben wir etwas gefunden.«
Er drehte sich um und griff nach der Tüte, die am Boden stand und nahm ein rot eingepacktes Geschenk heraus. Mit Bedacht reichte er es seiner Frau.
»Dein Name steht drauf, mein Junge«, sagte sie sanft und hielt ihm das Geschenk hin. »Wir sind uns sicher, dass es von deinen Eltern ist. Willst du es nicht mal aufmachen?«
Zögernd griff Noah danach und setzte sich mit samt des Geschenks auf den Boden. Recht langsam entfernte er das rote Papier, von dem immer genügend im Haus herumgelegen hatte. Ein kleines Flugzeug kam schließlich zum Vorschein, was er mit großen Augen musterte. Genau diesen hatte er vor ein paar Monaten in einem Schaufenster entdeckt und unbedingt haben wollen.
Eine einzelne Träne rollte ihm über die Wange, doch es war die erste seit Monaten, die nicht gänzlich aus Trauer bestand. Endlich sah er wieder einen Lichtblick.
Dankbar blickte er zu dem Ehepaar, ohne ihre Güte würde er nun nicht den letzten Beweis der Liebe seiner Eltern in den Händen halten.
»Fröhliche Weihnachten, Noah«, sagte die Frau lächelnd, »das hast du nämlich verdient.«
»Danke«, erwiderte er, während seine Mundwinkeln kurz nach oben zuckten.
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