9. Kapitel
Nachdem ich mich etwas beruhigt habe, machen wir uns auf den Weg. Ja, verdammt! Natürlich geh ich mit. Alex wollte es mir zwar ausreden, aber da hat er auf Granit gebissen. Ich kann echt stur sein, wenn's um Dinge geht, die mir am Herzen liegen. Und diese Kids liegen mir am Herzen – sehr sogar!
Nach meiner verkorksten Kindheit wollte ich unbedingt was tun, damit es andren nicht genauso ergeht. Also hab ich Soziale Arbeit studiert und nebenher im Kinder- und Jugendzentrum mit sogenannten ‚Problemfällen' gearbeitet. Das tue ich immer noch. Diese Kids sind nämlich nicht das Problem, sondern ihre Eltern! Ist es denn ein Wunder, dass Kinder verhaltensauffällig sind, wenn sie zu Hause geschlagen, vernachlässigt oder emotional misshandelt werden, hmm? Ich denke nicht! Aber dass mit ihnen was nicht stimmt, ist natürlich leichter zu sagen, als tatsächlich mal bei ihren Erzeugern durchzugreifen.
Das alles regt mich so auf! Es ist furchtbar ungerecht, dass die Kleinen darunter leiden müssen. Und das Jugendamt tut nichts! Ich schreibe einen Bericht nach dem anderen und es ändert sich trotzdem nichts. Wie kann das bitte sein?!
„Was beschäftigt dich?"
Ups. Ich war so in Gedanken, dass ich ganz vergessen habe, wo ich bin – und bei wem.
„Nicht so wichtig", antworte ich schnell. Natürlich ist es wichtig! Aber ich will mit ihm nicht über das Thema reden. Er ist Polizist. Und die Polizei hat in solchen Fällen auch viel zu oft versagt. Da kommt ein Kind grün und blau geschlagen in die Schule, die Lehrer melden's und – wie könnte es anders sein – nichts passiert! Die Mutter behauptet, der Kleine wär die Treppe runtergefallen, und für die Leute in Uniform ist die Sache damit erledigt. Außerdem ... wie Alex auf Mister Kopflos reagiert hat, war auch nicht gerade toll. Das hab ich nicht vergessen!
„Irgendwie glaube ich dir das nicht", gibt er mit hochgezogener Augenbraue zurück. „Geht es um die Kinder?"
Ach quatsch! Du denkst doch nicht an die Kinder, wegen denen du dich hier unnötig in Gefahr bringst. Wie kommt er nur auf diese absurde Idee?! Jedes der Worte trieft vor Sarkasmus und ich verliere die Geduld.
„Ach, halt doch die Klappe!", schnauze ich meine innere Stimme an. Solche schlauen Sprüche kann ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen!
Alex hebt beschwichtigend die Hände. „Schon gut. Ich lasse dich ja in Ruhe."
Shit. So war das doch gar nicht gemeint!
Also seufze ich schwer und bleibe stehen. Dann suche ich seinen Blick. „Alex. Diese Kids sind mir enorm wichtig. Sie haben schon so viel durchgemacht und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass ich sie auch noch im Stich gelassen habe. Ich hätte gestern nach ihnen sehen sollen! Das ist mein Job ... Aber ich bin zusammengebrochen und hab nur an mich gedacht." Dabei hatte ich doch geschworen, dass mir sowas nie passiert! Beschämt lasse ich den Kopf hängen.
In einer schon vertrauten Geste hebt er mein Kinn an und zwingt mich, in seine Schokoaugen zu schauen. „Du hast sie nicht im Stich gelassen."
„Doch!"
„Hey, lass mich ausreden!" Jetzt kneift er die Augen zusammen und sieht mich streng an. „Das darfst du dir nicht vorwerfen. Du warst von all den Informationen und Sinneseindrücken völlig überfordert. Muss ich dich wirklich daran erinnern, dass ich dich hierher getragen habe?"
Oh je. Er hat mich nicht einfach nur getragen, sondern über seine Schulter geworfen wie'n Neandertaler! Kein Wunder, dass schon wieder Hitze in mein Gesicht schießt. „Nein. Und bitte ... kannst du das nicht einfach vergessen?" Ich hab wirklich genug andere Sorgen. Muss er auch noch damit anfangen?
Jetzt grinst er frech. War ja klar. „Auf keinen Fall! Es passiert schließlich nicht jeden Tag, dass mich eine Frau erst küsst, dann in meine Eier tritt und sich schließlich doch von mir über die Schwelle tragen lässt."
„Das ... Hey! Das klingt ja, als hätte ich's drauf angelegt!" Bei der Vorstellung schnaube ich empört. Davon träumt er wohl!
„Hast du das nicht auch?", stichelt er weiter. „So ein Schwächeanfall lässt sich ganz leicht vortäuschen, wenn ich mich nicht irre."
„Du irrst dich aber!", fauche ich und marschiere weiter. Was bildet der sich eigentlich ein?!
Na ja. So ganz unrecht hat er nicht, oder? Wenn du bei Bewusstsein gewesen wärst, hättest du's genossen, von ihm durch die Gegend getragen zu werden. Sowas passiert ja sonst nur in deinen albernen Träumen.
Argh! Diese Stimme macht mich noch wahnsinnig!
Wieso denn? Du wünschst dir doch schon ewig 'nen Prinzen, der dich aus dem Dreck zieht. Tada! Wunsch erfüllt.
„Ich wünsch mir gar keinen Prinzen! Ich kann mich sehr gut selbst aus dem Dreck ziehen!"
„Okay, gut zu wissen", gibt Alex lachend zurück. Und ich? Werde mal wieder knallrot, ich kann's fühlen.
Um mich von der peinlichen Situation und meinen Sorgen um die Kids abzulenken, konzentriere ich mich auf die Umgebung – und realisiere erst in dem Moment, dass wir durch 'nen Wald laufen.
„Ähm. Wie weit außerhalb sind wir denn?", frage ich irritiert. Klar, meine Wohnung liegt auch in 'nem Randbezirk, aber das hier sieht eher nach völlig unberührter Natur aus. Das kann ja ein verdammt langer Rückweg werden ...
„Keine Angst, das Waldgebiet grenzt unmittelbar an dein Viertel. Warst du noch nie hier?" Interessiert mustert er mich. Keine Ahnung, warum er mir so viele Fragen stellen darf, aber selbst kaum eine richtig beantwortet. Das ist doch unfair!
Ich überlege kurz, ob ich's genauso machen soll, aber das ist nicht mein Stil. Ich mag solche Spielchen einfach nicht. Also gebe ich ehrlich zurück: „Nein. Ich hab's nicht so mit der Natur."
„Warum denn nicht?" Immer noch studiert er jede meiner Regungen.
„Ich hatte halt nie Zeit für sowas Überflüssiges wie Waldspaziergänge. Wie auch, wenn ..." Ich breche ab. Das geht ihn nun wirklich nichts an.
„Wenn was?", hakt er nach, doch dieses Mal mache ich dicht.
„Vergiss es." Ich blicke stur geradeaus und hoffe inständig, dass es nicht mehr weit ist. Diese hohen Bäume machen mich nervös. Neben ihnen fühl ich mich so klein und hilflos. Das hasse ich!
Er scheint zu kapieren, dass mir nicht nach Plaudern zumute ist, und lässt es gut sein. Schweigend stapfen wir durch den Wald, bis endlich Straßen und Häuser in Sicht kommen. Zum Glück!
Auch hier herrscht viel Zerstörung, doch immerhin sind wir wieder in der Zivilisation. Ich atme erleichtert auf. Aber ... Moment mal. Warum gab's denn im Wald keine Krater und verkokelten Bäume? Stehen Dämonen etwa auf dieses Grünzeug?
Klar. Die sind bestimmt verkappte Hippies und tanzen bei Vollmond nackt im Wald, gibt die Stimme in meinem Hirn mal wieder ihren Senf dazu. Doch ich hab keine Lust auf eine Diskussion. Bis zum Zentrum ist es nicht mehr weit und ich stehe total unter Strom.
Das wird auch nicht besser, als ich plötzlich seltsame Geräusche höre. Wie angewurzelt bleibe ich stehen und versuche einzuordnen, was mich daran irritiert. Da! Ein Stöhnen! Und ... dumpfe Schläge. Jemand wird verprügelt!
Schon stürme ich los. Schnell um die nächste Ecke, immer den Geräuschen nach. Da vorne muss es sein! Noch einmal abbiegen, dann ... packt mich jemand am Arm und reißt mich zurück. Instinktiv stoße ich einen spitzen Schrei aus und schon im nächsten Moment fixieren mich zwei leuchtend rote Augen. „Was zur Hö–"
NEIN! Nicht das H-Wort benutzen!
Stimmt, verdammt. Das war knapp. Danke!
Wenn du mich nicht hättest, wärst du schon längst Dämonen-Futter, gibt meine innere Stimme überheblich zurück. Aber ... so, wie mich der Kerl da anstarrt, ist das noch nicht vom Tisch.
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