5. Kapitel
„Ein Dämon", pruste ich und kann mich gar nicht mehr beruhigen. „Meine Stadt ist zerstört und ich laufe ausgerechnet 'nem Dämon über den Weg. Warum auch nicht?! Ach ja, und die Leiche ... die ist natürlich auch noch da! Erst die Treppe, dann die Tür und draußen die Leiche. Aber Tess verkraftet noch mehr! Also los, komm her, du Hunde-Dämon ..."
In meinen Augen sammeln sich Tränen und ich weiß beim besten Willen nicht, ob sie vom Lachen kommen oder weil mir plötzlich alles zu viel ist. Kraftlos sinke ich zu Boden und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Was ist denn passiert? Ich war doch nur ein paar Tage krank.
Na ja ... eher ein paar Wochen, mischt sich mein Hirngespinst mal wieder ungefragt ein und hat damit auch noch recht. Natürlich, Wochen. Drei Wochen, um genau zu sein. Aber trotzdem kann doch in so kurzer Zeit nicht alles auf den Kopf gestellt werden. Das ist gar nicht möglich. Oder?
Der Möchtegern-Playboy wird auf einmal zum Rosenduft-Kavalier und geht vor mir in die Hocke. Mit einer Hand hebt er vorsichtig mein Kinn an und wischt dann mit beiden Daumen sanft die Tränen fort. Aufmunternd lächelt er mich an. „Hey. So schlimm ist das doch gar nicht."
Ich blinzle. Das hat er jetzt nicht wirklich gesagt, oder?
Aufgebracht schlage ich seine Hände weg und funkle ihn wütend an. „Nicht so schlimm also? NICHT SO SCHLIMM?! Meine ganze Welt liegt in Trümmern und du sagst, das ist alles nicht so schlimm?!"
„Hey, hey." Kapitulierend hebt er die Hände und weicht ein Stück zurück. Kluger Mann! „Du bist noch am Leben und unverletzt. Das kann man von dem da nicht sagen." Sein Kopf ruckt zu meiner Leiche und plötzlich verfinstert sich sein Blick. „Moment mal. Warst du das etwa?", fragt er scharf und ich schnappe empört nach Luft. Das ist doch wohl nicht sein Ernst!
Keine Ahnung, wie ich so schnell auf die Füße komme, aber schon im nächsten Moment stehe ich über ihm und bohre meinen Zeigefinger in seine Brust. Und ja, dass er die Augen schockiert aufreißt, ist verdammt befriedigend. Wie gut, dass ich jetzt größer bin als er.
Das ist auch keine Kunst, Tess, meint meine innere Stimme trocken. Du stehst und er hockt. Na und wenn schon! Hauptsache, ich muss nicht zu ihm aufsehen, während ich meinen Standpunkt klarmache.
„So ein Schwachsinn!", grolle ich entrüstet und kann noch immer nicht fassen, dass mir dieser ramponierte Rosen-Polizist ernsthaft sowas unterstellt. „Natürlich war ich das nicht! Ich bin über den armen Kerl gestolpert, als ich zur Arbeit wollte. Ich hab nicht den blassesten Schimmer, was hier passiert ist!"
„Nicht den blassesten Schimmer? Von dem Mord?" Mit hochgezogener Augenbraue mustert mich der Möchtegern-Kriminalist genau und bringt mich damit total aus dem Konzept.
„Nein! Also ... ja! Also ... ach, verdammt! Ich weiß nichts über den Mord und ich weiß auch nichts über all das andere." Hilflos breite ich meine Arme aus und lasse den Blick über die Zerstörung um mich herum schweifen. "Warum liegt alles in Schutt und Asche?", frage ich dann leise und höre selbst, wie kläglich meine Stimme auf einmal klingt.
Doch er lässt nicht zu, dass ich erneut den Kopf hängen lasse und dreht mein Kinn stattdessen in seine Richtung. Aber ... wann ist er denn aufgestanden? Verwirrt blinzle ich ihn an.
Konzentration ist nicht so deine Stärke, oder?, kommt es auch noch aus meinem Oberstübchen und ich schließe für einen Moment die Augen. Ich muss ihr nicht zuhören, die Stimme ist nicht real ... Ha, von wegen! Mich kannst du nicht so leicht ignorieren. Einer muss dich schließlich auf deine Fehler hinweisen.
Zum Glück rettet mich der Kerl in Fleisch und Blut davor, wieder mal eine hitzige Diskussion mit mir selbst zu führen, indem er auf meine Ahnungslosigkeit reagiert.
„Du weißt nichts. Wirklich gar nichts?" Erneut schnellt seine Augenbraue nach oben. Scheint ein Tick von ihm zu sein. „Du weißt nichts über das H-Wort, nichts über die Dämonen und nichts über die Leiche. Und du hast auch keine Ahnung, warum alles in Schutt und Asche liegt. Habe ich noch was vergessen?"
„Ich weiß auch nicht, wer du bist", ergänze ich und muss peinlicherweise genau in dem Moment laut schniefen. Jaja, das ist absolut nicht ladylike. Aber nach dem Heulen läuft mir immer die Nase, dagegen kann ich nun mal nichts machen.
Er seufzt schwer und schüttelt mal wieder den Kopf, während seine rechte Hand in sein weiches, schwarzes Wuschelhaar fährt. Glückliche Hand ... Ach, halt doch die Klappe, da oben!
„Wie kannst du das nicht mitbekommen haben?", fragt er fassungslos und erwartet wohl 'ne plausible Erklärung von mir. Dabei weiß ich doch selbst nicht, wie das passieren konnte!
Also zucke ich hilflos die Schultern und sage das Erstbeste, was mir einfällt: „Ich war krank. Und ... wenn ich krank bin, bin ich krank. Genau. Ich schlafe viel, esse wenig und manchmal höre ich noch Hörbücher. Da bekomme ich nicht mit, was draußen los ist."
„Du warst krank."
Es klingt wie eine Feststellung, aber ich antworte trotzdem: „Ja."
„Du warst krank und hast den Beginn der Apokalypse verschlafen."
Wieder eine Feststellung – und dieses Mal antworte ich nicht. Ich bin viel zu geschockt von seinen Worten. Hat er gerade Apokalypse gesagt?
Ja, hat er. Aber mal ehrlich, darauf hättest du auch selbst kommen können, bemerkt meine innere Stimme hilfreich wie eh und je. Zerstörung, Mord und Totschlag plus Dämonen? Gleich Apokalypse, ist doch klar! Das ist einfachste Mathematik. Aber auch die war ja noch nie deine Stärke ... Na und? Mathe bringt mich hier auch nicht weiter.
„Das hat doch selbst der letzte Depp gemerkt! Es lief auf allen Kanälen – im Radio, im Fernsehen und auf jeder anderen Medienplattform. Sogar durch Megafone haben wir's gebrüllt. Also wie um alles in der Welt konnte diese Tatsache an dir vorbeigehen?!" Er wirft die Hände in die Luft und scheint noch immer völlig fassungslos zu sein, während er vor mir auf und ab marschiert. Dabei hat er gar keinen Grund, sich so aufzuregen. Kann ihm doch egal sein, ob ich was mitbekommen habe oder nicht.
Trotzdem verteidige ich mich: „Ich war nun mal krank." Er schnaubt nur und langsam geht mir der Kerl gehörig auf die Nerven. „Was ist denn daran so schwer zu verstehen? Wenn ich Fieber und Kopfschmerzen hab, tue ich mir doch nicht auch noch Nachrichten an. Und soziale Medien schon gar nicht!"
„Oh, klar. Das ist die Erklärung." Jetzt verdreht der Typ doch tatsächlich die Augen.
Okay, das reicht. „Wenn du mir nicht erzählen willst, was los ist, dann lass es! Aber kümmere dich wenigstens um ihn hier." Ich deute auf meine Leiche. „Der Ärmste hat genug mitgemacht. Zum Glück bist du endlich da. Er muss ..." Ich überlege. Ach ... keine Ahnung, wohin! Aber er hat eindeutig schon zu lange hier rumgelegen.
„Wieso ich?", reißt mich die irritierte Stimme neben mir aus den Gedanken. Mein nerviger neuer Polizei-Freund – oder was auch immer – sieht mich mit gerunzelter Stirn an.
„Weil es dein Job ist?" Zur Abwechslung wandert mal meine Augenbraue nach oben. Scheinbar bin ich nicht die Einzige, die heute auf dem Schlauch steht. „Du bist Polizist."
„Ach. Und deshalb muss ich mich um halb verrottete Leichen kümmern? Mitten in einer dämonischen Apokalypse?" Schon zieht er seine bescheuerte Augenbraue nach oben, um es mir gleichzutun. Dieser Gesichtsausdruck geht mir echt auf die Nerven!
Aber nur, weil du ihn heiß findest. Gib's doch zu!, kommt es aus meinem Oberstübchen und ich stöhne mal wieder. Ich bin echt tierisch genervt. Muss diese blöde Stimme eigentlich immer ihren Senf dazugeben?
Von dem Chaos in meinem Kopf weiß Mister Ich-habe-dich-nur-geküsst-weil-du-so-verzweifelt-gestöhnt-hast natürlich nichts. Es ist also kein Wunder, dass seine Augenbraue noch ein Stück höher wandert und fast unter seinem tollen Wuschelhaar verschwindet. Mein Gestöhne kommentiert er aber nicht. Dummerweise werde ich trotzdem rot, als mich der intensive Blick seiner Schokoaugen trifft. Verdammt! Meine Wangen glühen richtig und passend dazu springt auch noch der Projektor in meinem Hirn an, um eine neue Folge des ach so beliebten Kopfkinos zu zeigen.
Tze, tze, tze. Wer braucht schon sowas? Vor dir steht ein Bild von 'nem Mann und verschlingt dich förmlich mit seinen Augen. Worauf wartest du denn noch?, stichelt meine innere Stimme. Du weißt doch inzwischen, dass er gut küssen kann.
Nein, nein, nein! Stop! Das werde ich nicht zulassen. Nicht schon wieder!
Also räuspere ich mich und komme zurück zum Thema. Wir haben sowieso noch was zu klären. „Du willst ihn also einfach hier liegen lassen?"
Als Antwort zuckt der blöde Kerl nur seine muskulösen Schultern und macht mich damit erst richtig wütend. „Was bist du denn bitte für'n Polizist? Geht dir der arme Kerl etwa am Arsch vorbei?"
Wieder ein Schulterzucken. „Ja."
Einfach unglaublich!
„Aber wenn du nicht vom großen bösen Hunde-Dämon gefressen werden willst, sollten wir endlich von hier verschwinden, Teresa."
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