19. Kapitel
Ich hyperventiliere schon wieder. Wie denn auch nicht?! Das ist einfach zu viel!
Ich würde so gern die Hände auf meinen Bauch legen, um Atemübungen zu machen. Aber ... das schaffe ich nicht. Es kostet mich schon alle Mühe, die Augen offen zu halten. Und selbst das geht nicht mehr lange gut, fürchte ich.
Ein Japsen entweicht meinen Lippen und ich kann mich nicht mal drüber freuen, dass sie anscheinend wieder funktionieren. Denn sofort schießt der Blick einer Wache zu mir und lässt mich erneut erstarren. Ja, verdammt! Hier stehen überall Dämonen-Aufpasser rum, die mit riesigen Säbeln bewaffnet sind! Kein Wunder, dass da vorhin so ein komisches Scheppern war ...
Als Nächstes höre ich ein Röcheln, das gar nicht gesund klingt. Kam das etwa auch aus meinem Mund?
Nein, nein, nein! Nicht auf mich zukommen! Ich will keine Drogen mehr, die mich ins Traumland schicken und dann völlig bewegungslos in meinem Körper gefangen halten. Die Wirkung der ersten Dosis lässt doch gerade erst nach! Der Typ darf mir nicht noch mal so'n Gift geben.
Mein Blickfeld wird enger, als sich ein tiefschwarzer Schleier davorschiebt. Nein, verdammt! Ohnmächtig werden darf ich jetzt nicht. Nicht, wenn ein Säbel-Dämon auf mich zumarschiert!
Zum Glück erscheint im letzten Moment 'ne große Gestalt vor meinem Käfig und versperrt dem Kerl den Weg.
„Verschwinde, Terck! Ich soll hier aufpassen, nicht du."
Oh, das ist Alex! Er rettet mich ... ganz bestimmt. Mit dem beruhigenden Gedanken versinke ich in der Dunkelheit, die mich nun ganz verschlingt. Mal wieder.
***
Was ist denn nur los mit mir? Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht. Ich bin hart im Nehmen, verdammt! Ich hab die Kindheit bei meinen furchtbaren Eltern überlebt und auch die Zeit danach, als ich komplett auf mich allein gestellt war. Nie – wirklich niemals zuvor – war ich ohnmächtig! Wieso bin ich auf einmal so schwach?
Das hat doch nichts mit Schwäche zu tun, meint mein Hirngespinst und ist auf einmal ganz lieb. Huch? Wo kommt das denn her? Ach, jetzt tu doch nicht so! Ich hab dir früher oft genug Hoffnung gemacht, wenn du nicht mehr weiter wusstest.
Das stimmt. Meine innere Stimme hat mich getröstet, mich wieder aufgebaut und mir Perspektiven gezeigt. Sie hat mir geholfen, wenn ich mich fast zu Tode geschuftet habe, und mich gewarnt, wenn meine Junkie-Eltern aggressiv wurden. Manchmal hat sie mir auch in den Hintern getreten, wenn ich nach der Arbeit keine Lust mehr auf Hausaufgaben hatte. Nur wegen ihr hab ich's bis hierher geschafft.
Deshalb kapier ich auch nicht, warum sie in letzter Zeit so gemein geworden ist ...
Du brauchtest keinen Schutz mehr. Aber jemand musste dir die Augen öffnen, damit du auch mal lebst und an dich selbst denkst!
„Und dafür musstest du mich beleidigen?", fauche ich und erschrecke mich fast zu Tode, weil meine Stimme wahnsinnig laut durch den Käfig hallt. War vermutlich nicht schlau, die Worte auszusprechen, obwohl ich 'ne Dämonen-Gefangene bin ...
Siehst du? Deshalb muss ich so fies sein. Du denkst einfach nie nach!
Aha. Und ein freundlicher Hinweis hätt's nicht getan?
Nein. Hab ich doch versucht! Nichts davon kam bei dir an. Dein Dickschädel ist echt geschützt wie Fort Knox!
Klar. Ist ja nicht so, dass du in meinem Oberstübchen lebst. Da war's bestimmt verdammt schwer, mit deiner Meinung reinzukommen.
Hey, du hast gefragt. Jetzt leb mit der Antwort!
Wow. Kein Grund, gleich bockig zu werden! Darfst etwa nur du sarkastisch sein?
Mein Hirngespinst schnaubt und will zu 'ner Antwort ansetzen, aber ich rede einfach weiter. „Keine Angst, ich frag dich nie wieder! Dein Standpunkt gefällt mir sowieso nicht." Mir egal, ob das jemand hört.
Alles leere Versprechungen ...
Argh! Warum muss diese dämliche Stimme eigentlich immer das letzte Wort haben?!
Na wenigstens ist meine Angst für den Moment weg. Also atme ich noch mal tief durch, kratze all meinen Mut zusammen und öffne die Augen. Dieses Mal geht's viel leichter. Aber ... es ist ja stockfinster! Hab ich etwa den ganzen Tag verpennt? Schon wieder?
Sieht fast so aus, oder?, stichelt mein Hirngespinst. Tagsüber ist es selten dunkel.
Jaja. Ich ignoriere die Worte und konzentriere mich einfach auf das Gute. Die Wirkung der Droge hat scheinbar nachgelassen, denn ich kann meine Finger bewegen, meine Hände, meine Arme ... Nach und nach teste ich alles durch. Jap, ich bin wieder voll funktionstüchtig. Hoffe ich jedenfalls ...
Dann überlege ich, welcher Tag heute ist. Mittwoch? Nein, Donnerstag. Na ja, besser gesagt die Nacht zu Freitag. Es sei denn, ich hab länger geschlafen, als mir bewusst ist.
Wäre ja nicht das erste Mal.
Wieder ignoriere ich die Stimme in meinem Oberstübchen und grüble stattdessen weiter. Ich war drei Wochen krank. Wenn fast Freitag ist, sind die vier Wochen – 666 Stunden – wirklich bald um. Ich wüsste zu gern, was danach passiert. Alex' Vater hat nur gesagt, dass die Welt dann für immer verloren ist. Aber was meint er damit? Kann ich das als reine Seele vielleicht noch verhindern?
Klang so, oder?
Ja. Aber wie? Was soll ich denn tun, wenn ich hier in dem Käfig festsitze? Bewacht von sieben Säbel-Dämonen, Alex und seinem Mörder-Vater selbst.
Ich schnaube, als ich daran denke, wie blind ich meinem angeblichen Retter vertraut habe. Nur deshalb konnte er mich wie'n nassen Sack herschleppen und in dieses Ding sperren. Doch damit ist jetzt Schluss! Leider hat er nicht nur mich verarscht, sondern auch die Kids. Und die sitzen nun in seinem Pseudo-Safehouse fest ...
„Tess?", ertönt plötzlich ein Flüstern neben mir. Wenn man vom Teufel spricht! Na ja, vom Dämon. Den Teufel gibt's ja nicht.
Ach, verdammt! Ich hätte gleich kapieren müssen, dass Alex mit drin steckt. Er hatte einfach zu viele Insider-Infos!
Deshalb reagiere ich auch nicht, als er noch mal meinen Namen sagt – meinen richtigen Namen. Mein dummes Herz tanzt natürlich aus der Reihe und sorgt trotzdem für'n warmes Gefühl in meiner Brust. Doch das ignoriere ich ebenfalls.
„Ich weiß, was du denkst", versucht er es anders und bekommt von mir wieder nur ein Schnauben zu hören. Er weiß einen Scheißdreck! „Es war nicht alles gelogen, hörst du? Ich mag euch wirklich. Doch dich kann ich einfach nicht beschützen. Er kannte deine Identität von Anfang an und hat mich direkt auf dich angesetzt. Es stand nie zur Debatte, dich zu retten. Aber die Kinder ... von ihnen weiß er nichts. Ich hoffe, das ist ein kleiner Trost für dich."
Shit, er kennt meinen wunden Punkt. Denn ja, das ist ein Trost für mich.
„Jetzt ergibt das alles einen Sinn. Safehouse, pah! Ich wusste gleich, dass das 'ne Lüge ist. So viel Luxus steckt doch kein normaler Mensch in 'ne Waldhütte! Wenn man sich an armen leidenden Menschen bereichert hat, sieht's natürlich anders aus. Typisch Dämon, schätze ich", schleudere ich ihm entgegen und bin selbst ganz überrascht von meinen Worten. Ich wollte doch nicht mehr mit ihm reden!
„Oh, nein. Da liegst du völlig falsch!" Dafür erntet er wieder ein Schnauben. „Es war ein Safehouse der Polizei. Irgendwann hat es ihren Anforderungen nicht mehr entsprochen und ich konnte es für einen Spottpreis kaufen."
„Erklärt noch lange nicht den Luxus", halte ich dagegen und würde mir am liebsten auf die Zunge beißen. Er hat meine Aufmerksamkeit überhaupt nicht verdient!
„Stimmt. Aber wie gesagt, es war einiges an der Hütte zu machen. Von meiner Mutter hatte ich eine ganze Menge Geld geerbt. Und in Anbetracht ihres Endes dachte ich, es wäre eine gute Idee, in ein geschütztes Versteck zu investieren. Also habe ich die Hütte so ausgestattet, dass ich notfalls monatelang dort leben könnte – bequem und in völliger Sicherheit vor dem Rest meiner Familie."
Ich runzle die Stirn. Das klingt ja fast, als hätte er Angst vor denen ... Nein, das kann nicht sein. Er ist ein Dämon wie sie.
Aber sein Vater hat ihn vorhin bedroht, schon vergessen?, kommt's aus meinem Oberstübchen. Und als von seinen Brüdern die Rede war, hat er sich sofort versteift.
Jetzt nimmt ihn die nervige Stimme schon wieder in Schutz!
Tue ich gar nicht! Ich nenn hier nur die Fakten.
Ja, schon klar. Aber viel wichtiger ist, was er gerade gesagt hat. „Dann war das mit den Rosen gar keine Lüge?"
Wieso zur Heugabel rede ich immer noch mit ihm?! Das kann doch nicht wahr sein! Erst machen sich meine Gedanken selbstständig und jetzt auch noch mein Mund. Was soll denn das?
„Es stimmt. Rosen sind der einzige Schutz, den es gibt. Und besonders du dürftest nichts davon wissen ..."
Er klingt genauso, wie ich mich fühle. Auch sein Mund scheint sich verselbständigt zu haben. Hat er mir etwa mehr Geheimnisse verraten, als gut für ihn ist?
Das nutze ich gleich mal aus und stelle die nächste Frage. „Wieso gerade ich? Was ist an mir so besonders?"
Da macht er dicht. War ja klar. „Ich habe schon zu viel gesagt. Schlaf jetzt. Morgen früh kommt mein Vater zurück und bringt seine Wachen mit. Dann solltest du ausgeruht sein. Man weiß nie, was die sich einfallen lassen, um ihre Gefangenen zu quälen."
Wieder schwingt irgendwas in seiner Stimme mit, das ich nicht einordnen kann. Wurde er etwa auch ...? Nein, das ist Quatsch.
Meinst du? Alex scheint irgendwie anders zu sein. Vielleicht stimmt mit ihm was nicht. Das hätten sie ihn sicher spüren lassen.
Guter Punkt. Seine Schokoaugen haben mich viel zu oft gefühlvoll angeschaut. Was, wenn das nicht geschauspielert war? Ach, verdammt! Ich bin total verwirrt.
„Ich kann doch jetzt nicht schlafen!", stelle ich klar. Aber als ich meiner Theorie nachgehen will, unterbricht mich leises Lachen. Ist das sein Ernst? „Was ist denn daran lustig?!", fauche ich.
„Na, dass du nicht schlafen kannst! Du hast die ersten drei Wochen der Apokalypse verpennt – und den gesamten heutigen Tag." Nun prustet er richtig los.
„Na und? Ihr habt mir ja auch was ins Wasser getan!"
Sein Gelächter verstummt. „Das weißt du?"
Aha! Es stimmt also. „Jetzt schon."
Ich wette, er fährt sich mal wieder durchs Wuschelhaar und runzelt dabei die Stirn. Inzwischen kenne ich Alex ziemlich gut. Oder ... ich dachte zumindest, dass ich ihn kenne.
Aber wenn er ausnahmsweise mal ehrlich ist, kann ich auch gleich noch ein paar Dinge klären.
„Warum wirkst du so menschlich? Also im Vergleich zu den anderen Dämonen", hake ich nach.
„Weil ich nur zur Hälfte Dämon bin." Mehr sagt er nicht, doch das erklärt schon einiges. Deshalb die Geringschätzung für ihn und seine Mutter! In den Augen seines Vaters ist er einfach weniger wert als die Vollblüter hier. Und mit der Meinung ist er sicher nicht allein. Ob Alex ein Unfall war?
Ist das dein Ernst? Über sowas denkst du nach? Jetzt?!
Klar. Ich hab ja sonst nicht viel zu tun ...
„Ist dir denn völlig egal, dass dieser Dämon von Vater deine Mutter getötet hat?" Das beschäftigt mich schon, seit er mich hergebracht hat. Warum hört Alex überhaupt auf den Scheißkerl – nach allem, was der getan hat? Sowas lässt sich doch nicht einfach vergessen!
„Natürlich nicht!", knurrt er nun aufgebracht. Dass ihm das Thema nicht passt, ist offensichtlich. „Aber was soll ich denn machen?! Er hat mich aufgezogen und immer für mich gesorgt. Sie war nicht da, um sich zu verteidigen, und ich habe jede einzelne seiner Lügen geglaubt. Erst seit ich bei der Polizei bin, hinterfrage ich, was mein Vater sagt. Das hat er sich garantiert anders vorgestellt, als er mich da eingeschleust hat. Ach, egal. Nichts davon lässt sich mehr ändern. Und wenn ich mich auflehne ..." Jetzt bricht seine Stimme auch noch. Was zur ...?! So hab ich ihn noch nie erlebt. Die Sache geht ihm wirklich nahe.
Oder er ist ein verdammt guter Schauspieler, meint mein Hirngespinst. Und ja, das wäre auch 'ne Möglichkeit ... Aber ich kann und will nicht glauben, dass ihn der Mord an seiner Mutter kaltlässt. Das passt einfach nicht zu dem Mann, der so viel Rücksicht auf Millies Ängste genommen und bis heute früh wahnsinnig viel Geduld mit beiden Kids gezeigt hat.
„Ich habe getan, was ich konnte", fährt er mit fester Stimme fort, nachdem er sich geräuspert hat. Nun wirkt er wieder wie mein Fels in der Brandung. Zumindest bis er weiterspricht ... „Für dich gibt es nur eine Option – die Zeremonie. Sei froh, dass ich die Kinder beschützen konnte. Wenn die Frist abgelaufen ist, verschwinde ich von hier und sehe im Haus nach dem Rechten. Ich werde weiter auf sie aufpassen, du hast mein Wort."
Dann höre ich nur noch Kleidung rascheln und Schritte, die sich entfernen. Ist er jetzt echt vor mir geflüchtet?!
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