15. Kapitel
„Was hast du mit ihr gemacht?!", höre ich Tys aufgebrachte Stimme schon von Weitem. Na toll. Und das nachdem mich die Dusche gerade so schön entspannt hat ...
Sogar frische Sachen hat mir Alex hingelegt – ein großes graues Kapuzenshirt und 'ne schwarze Jogginghose. Die musste ich zwar ein paarmal umkrempeln, damit sie mir passt, aber ... na ja. Ich bin froh, dass es am Bund 'ne Kordel gibt, sonst wäre die Hose wohl kaum an Ort und Stelle geblieben. Und dass ich plötzlich unten ohne vor Mister Ich-habe-dich-nur-geküsst-weil-du-so-verzweifelt-gestöhnt-hast stehe, kann ich echt nicht gebrauchen. Dann denkt der eingebildete Kerl nur wieder, ich will ihn anmachen – was definitiv nicht stimmt!
Lügnerin! Bei der Lautstärke, in der das Wort durch mein Oberstübchen dröhnt, zucke ich richtig zusammen.
„Was ist dein verdammtes Problem?!", fahre ich die Stimme im gleichen Tonfall an. „Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?"
Weil du ohne mich nur Mist baust, ist doch klar! Du ignorierst deine Gefühle, Bedenken und Ängste – und du lässt dich viel zu leicht vom Wesentlichen ablenken. Gerade tust du's doch schon wieder! Denkst über Alex' ach so nette Geste nach ... und was hast du dabei vergessen? Hmm?
Irritiert runzle ich die Stirn. Doch ein wütender Schrei aus dem Rosen-Zimmer ist Antwort genug. Verdammt! Warum steh ich immer noch hier rum? Ich muss da hin!
Ja, wie gesagt ...
Als Nächstes höre ich Alex. Er klingt echt frustriert. „Ich habe gar nichts getan! Ich weiß doch auch nicht, warum sie auf einmal heult."
Millie weint? Was ist denn passiert? Ich gebe Gas und renne durch den Flur, um schnell dorthin zu kommen.
„Ach ja? Komisch." Eine Pause entsteht und ich denke schon, Ty lässt's gut sein. Doch dann legt er wieder los. „Nur ihr beide wart im Raum, verdammt! Irgendwas musst du gemacht haben!"
„Und was?! Ich bin nicht mal in ihre Nähe gekommen!"
„Was tust du überhaupt hier?! Gestern hast du dich doch auch den ganzen Tag woanders rumgetrieben!"
Nur noch ein paar Schritte, dann bin ich endlich da.
„Willst du mich etwa aus meinem eigenen Haus werfen?!" Wütend funkelt Alex den Jungen an, der völlig außer sich vor ihm steht und aussieht, als würde er dem sehr viel größeren Mann jeden Moment an die Gurgel gehen. Das kann ich nicht zulassen!
„Hey, Jungs! Könnt ihr mir mal erklären, was hier los ist?"
Beide drehen sich abrupt in meine Richtung. Fast im selben Moment richten sie ihre Zeigefinger aufeinander und knurren: „Er ist schuld!"
„Aha. Sehr erwachsen." Inzwischen bin ich bei Millie angekommen, die zitternd und weinend in der Ecke kauert und gar nicht auf mich reagiert. Keine Ahnung, was hier los war, aber irgendwas muss sie wahnsinnig erschreckt haben.
„Millie-Maus?" Ich traue mich nicht, sie anzufassen. Sonst streicheln wir ihr Ty oder ich immer beruhigend über den Rücken, wenn sie Angst hat. Na ja, manchmal auch über den Kopf. Aber das hier? Das ist keine Angst mehr. Sie ist in 'ner richtigen Schockstarre und ich will's nicht noch schlimmer machen, indem ich sie ungefragt berühre. Also versuche ich mein Glück mit Worten. „Alles ist gut, ich bin jetzt da. Du musst keine Angst mehr haben. Hier passiert dir nichts."
Keine Reaktion. Shit!
„Ty, komm her", rufe ich und Sekunden später steht der Junge neben mir. „Was hast du gesehen?"
„Ich war nur schnell auf dem Klo. Millie hat geschlafen wie ein Stein und gar nicht mitbekommen, dass ich aufgestanden bin. Zuerst hab ich nach euch gesucht, aber ihr wart ja mit Streiten beschäftigt. Also bin ich erst mal im Bad verschwunden." In einer hilflosen Geste hebt er die Hände. „Und als ich wieder zurück wollte, hab ich Millie schon schluchzen gehört. Und er ..." Anklagend zeigt der Junge auf Alex. „... stand direkt über ihr!"
„Das ist gar nicht wahr!", zischt der seine Antwort, rührt sich nach 'nem Blick auf Millie aber nicht vom Fleck. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass Alex vorhin keine Rücksicht auf ihre Ängste genommen hat. „Ich habe Frühstück für euch gebracht. Aber die Kleine hat noch geschlafen und du warst nicht da, also konnte ich die Zeit auch zum Blumengießen nutzen. Dann hat sie plötzlich angefangen zu schreien. Keine Ahnung, warum."
„Du willst uns also ernsthaft erzählen, du hast sie nicht angefasst?! So ein Schwachsinn!"
Ty ist noch immer stinksauer und glaubt ihm kein Wort. Ich ... irgendwie schon. Alex hat bisher wirklich viel Verständnis für die Kids und ihre Probleme gezeigt. Warum sollte er jetzt was tun, das Millie dermaßen erschreckt?
Suchend sehe ich mich im Raum um und habe plötzlich 'ne Idee. „Welche Rosen hast du bei Millies Reaktion gegossen?", hake ich nach.
„Ähm. Ich ..."
„Was spielt das denn für 'ne Rolle?! Er soll endlich zugeben, was er getan hat!"
Wieder bin ich froh, dass Blicke nicht töten können – sonst wären jetzt beide Kerle tot. In Tys Augen liegt richtiger Hass und ich kann's ihm nicht verübeln. Die Misshandlungen seiner Mutter waren anders als die von Millies Vater, aber sie haben genauso großen Schaden angerichtet. Und Alex? Der nimmt die Anschuldigungen natürlich nicht einfach so hin.
„Ich war bei den gelben Rosen. Da drüben in der Wandhalterung", gibt er mit eisiger Miene zurück und fixiert Ty noch immer mit finsterem Blick.
„Dachte ich mir."
„Was?", kommt es von beiden und sie funkeln sich schon wieder wütend an. Dann nehmen sie mich ins Visier. Verwirrung steht in ihren Augen, also erkläre ich meine Theorie.
„Aus Millies Perspektive hast du genau über ihr gestanden, obwohl du noch ein gutes Stück entfernt warst. Und Ty hat in seiner Sorge auch nicht richtig hingeguckt. Ty?" Mein strenger Blick trifft den Jungen. „Leg dich kurz mal auf Millies Schlafplatz und schließ die Augen."
Erstaunlicherweise kommen keine Widerworte. Nach kurzem Murren, das klingt wie „So 'ne Zeitverschwendung!", tut er mir den Gefallen.
Dann richte ich mich an Alex. „Schnapp du dir deine Kanne und geh zu denselben Rosen wie vorhin. Tu einfach so, als würdest du sie noch mal gießen."
„Ich muss gar nicht so tun, bin ja vorhin nicht fertig geworden ...", murrt auch er.
Als beide an ihren Plätzen sind, gebe ich Ty das Kommando, seine Augen wieder zu öffnen. Blinzelnd schaut er nach oben und zuckt im nächsten Moment zusammen. „Wie kommt der denn so schnell hierher?! Der sollte doch ... Oh."
Ja, oh. Denn Alex tut genau das, was ich von ihm verlangt habe. Mehr als einen Meter entfernt gießt er seine Blumen.
„Aber ..." Ty richtet sich auf und reibt sich ungläubig die Augen. „Warum? Es sah aus, als ob er direkt über mir steht!"
„Und genau das hat Millie zu Hause viel zu oft erlebt. Alex so zu sehen, hat die Erinnerungen wieder hervorgeholt." Mitfühlend schaue ich die Kleine an. Wenn ich ihr doch nur helfen könnte!
„Wie geht denn sowas?" Ty lässt nicht locker und fixiert Alex noch immer mit skeptischem Blick. „Bist du schnell ein paar Schritte zurückgegangen, als ich die Augen geöffnet habe?!"
Bevor Alex im gleichen Ton antworten kann, gehe ich wieder dazwischen. „Sieh mal richtig hin, Ty. Er steht auf 'ner Kiste und ist sowieso schon sehr groß. Deshalb wirkt der Abstand vom Boden aus viel kleiner. Du hast das zwar nach dem ersten Schockmoment erkannt, doch Millie war noch verschlafen und konnte nicht klar denken. Alex beim Aufwachen zu sehen, war einfach zu viel für sie."
„Dann ... hat er ihr gar nichts getan?", fragt der Junge vorsichtig und ich nicke. Ein letzter Rest Misstrauen liegt noch in seinem Blick, aber der ist leider immer da. „Mist."
„Mist? Mehr fällt dir dazu nicht ein?", schnauzt ihn Alex an und macht ein paar wütende Schritte in Tys Richtung. „Dir sollte ich ma–"
„Was?", unterbreche ich ihn scharf. „Was solltest du mit ihm machen, hmm?"
Doch Alex schnaubt nur. „War ja klar, dass du zu den Gören hältst! Das habe ich vorhin auch gemeint. Wenn ich gewusst hätte, dass du hier Problemfälle anschleppst, wäre i–"
„Oh, jetzt bin ich aber gespannt!" Wieder falle ich ihm ins Wort. „Was hättest du dann getan? Wärst du gar nicht erst mitgekommen, um nach den Kids zu suchen? Hättest du sie zurückgelassen, als wir sie im Zentrum gefunden haben? Was?! Sag schon! Warum macht das überhaupt 'nen Unterschied?"
„Tja, Pech gehabt. Ich hätte deine Fragen ja beantwortet, wenn du mir nicht in die Parade gefahren wärst. Jetzt weiß ich leider nicht mehr, wie der Satz weitergehen sollte."
Alex redet ganz ruhig und beherrscht, aber in ihm brodelt's. Das ist offensichtlich! Bei dem Blick, den er mir zuwirft, beginne ich regelrecht zu frösteln. Gänsehaut überzieht meinen Körper, während mir ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Warum sieht er mich plötzlich so an, als wäre ich der Feind?
Weil du es bist! Kommt es aus meinem Oberstübchen. Endlich mal zum richtigen Zeitpunkt! Vielleicht hat die Stimme ja 'ne Idee, wie ich das wieder hinbiegen kann. Ach, Teresa. Ich kann doch nicht zaubern. Na, vielen Dank auch!
„Ich ... also das ...", stammle ich, aber Alex hebt gebieterisch die Hand und ich verstumme augenblicklich.
„Vergiss es, ich will nichts hören."
Jetzt tu doch endlich was, du Trampeltier! Er war so gut zu dir und den Kids, hat dich zigmal gerettet. Da ist ein Vertrauensvorschuss wohl nicht zu viel verlangt, oder? Aber nein. Du musstest ihm ja wie'n Elefant im Porzellanladen gleich das Schlimmste unterstellen und eure Freundschaft in Grund und Boden stampfen ...
Shit, sie hat recht! Ich bin 'ne Idiotin.
„Tut mir leid, Alex. Wirklich. Ich war nur so ... Ich bin es einfach leid, dass diese Kids ständig als Belastung gesehen werden! Warum erkennt denn keiner außer mir, dass sie bloß ein bisschen Liebe und Zuwendung brauchen? Das alles ist doch überhaupt nicht ihre Schuld!"
„Das weiß ich auch, verdammt noch mal!", brüllt er mich an und ist auf einmal so aufgebracht, dass die Ader an seiner Schläfe heftig zu pochen beginnt. Oh, oh. „Denkst du denn ernsthaft, ich hätte sie den Dämonen überlassen?!"
„Ich ..."
„Natürlich nicht! Ich wäre nur viel besser auf das hier vorbereitet gewesen, wenn du zur Abwechslung mal mit mir gesprochen hättest statt mit der bescheuerten Stimme in deinem Kopf!"
Blinzelnd sehe ich ihn an. Er hätte ... Natürlich!
Hey, ich bin nicht bescheuert! Was zur Hölle fällt dem eigentlich ein?!
„Das H-Wort ist auch für dich tabu! Wie oft soll ich das denn noch sagen?!", fahre ich mein Hirngespinst an. „Du hast jetzt Sendepause, kapiert?"
„Und schon tust du es wieder! Wir stecken mitten in einem Gespräch und du redest plötzlich völligen Stuss", knurrt Alex.
„Welche innere Stimme? Tess, hast du Schießopartie?", fragt Ty besorgt. Stimmt, der ist ja auch noch da.
Millie neben ihm schnieft unaufhörlich.
Und die Stimme in meinem Hirn lacht sich halb kaputt. Toll. Einfach nur toll.
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