3 | Haudrauf
Das gesamte Dorf war auf den Beinen, bevor die Sonne überhaupt den Horizont erreicht hatte. Die Bewohner liefen umher, gratulierten mir, diskutierten darüber, wie der Riesenhafte Albtraum heute sterben würde. Es war wie jedes Jahr am Tage des Finales des Drachentrainings, mit dem einzigen Unterschied, dass dieses Jahr mein eigener Sohn derjenige war, der sein Können demonstrieren durfte. Ich musste mich schwer zusammenreißen, um nicht wie ein kleines Kind alle fünf Minuten aufzuquieken und Luftsprünge zu machen.
»Moin, Chief. Wie geht's unserem Finalisten?«, fragte Grobian, der mit einem Hammer auf ein noch glühendes Schwert kloppte, um es gerade zu biegen.
»Hoffentlich hervorragend, es ist immerhin sein großer Tag!«, antwortete ich und klatschte meine Hände aneinander.
»Lässt den Jung' ausschlafen, wa'? Das braucht er auch. Der kleine Hempfling«, er lachte auf, »ich erinnere mich noch an den Abend, als du schreiend durch das Dorf gerannt bist, weil er geboren wurde. ›Es ist ein Junge! Mein Sohn ist da! Ich habe einen Sohn!‹ Ich glaube, niemand in der Geschichte unserer Insel war jemals so aufgeregt über die Geburt des eigenen Kindes wie du.« Nachdem unser Lachen verstummte, seufzte er. »Und jetzt ist er bereit seinen ersten Drachen zu töten.« Er hob das Schwert und hielt es in den Eimer voll Wasser.
»Die Zeit schreitet voran, ob wir es wollen oder nicht. Ich wünschte nur, dass seine Mutter dabei sein könnte.«
Er schnaubte. »Du denkst doch nicht wirklich, dass sie das unterstützen würde. Sie hätte Hicks nicht einmal zum Training gelassen.«
Dieses Mal war ich derjenige, der seufzte. »Ja, du hast recht. Sie hat es jeden Tag versucht, ist zwischen jeden Kampf gegangen, den sie erreichen konnte. Am Ende wurden diese Biester trotzdem zu ihrem Verhängnis. Ich wünschte nur ...« Meine Stimme versagte.
Grobian legte seine Hand auf meine Schulter. »Ich weiß, mein Freund, ich auch.«
Die Sonne schien durch die geöffneten Bretter hindurch. Es erinnerte mich an das Feuer in unserem Haus in jener Nacht. Das letzte Mal, als ich meine Frau sah. Die Erinnerung schnürte mein Herz zusammen.
»Komm, Haudrauf, lassen wir uns unsere Stimmung nicht runterziehen. Heute ist ein schöner, großartiger Tag. Dein Sohn wird zum Mann! Jahrelang einer der lausigsten Wikinger nach Fred dem Feigling, aber jetzt hat er sich bewiesen. Dein Sohn, dein kleiner Junge.«
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Grobian wusste immer, wie er mich aufmuntern konnte. »Du hast recht. Mein Junge hat es geschafft. Der Hicks seiner Generation! Heute wird er zeigen, was er kann.«
Ich lief nach Hause, um Hicks zu wecken, damit er sich für den bevorstehenden Kampf vorbereiten konnte. Falls er nicht schon von selbst aufgewacht war. Als ich die Tür hinter mir schloss, herrschte Stille im Haus, also begab ich mich die Treppe hinauf in sein Zimmer. Dort erlebte ich den Schock meines bisherigen Lebens: Sein Schreibtisch war leergefegt, seine Decke zusammengefalten und unter dem Kissen auf dem Bett liegend, die Schranktür einen Spalt offen. Ich schaute hinein, leer. Alles war fort, seine Klamotten, Notizen, Tinte, einfach alles!
Das konnte nicht wahr sein, dieser Drückeberger! Wut stieg in mir auf, als ich realisierte, weshalb er geflohen war. Von wegen der lausigste Wikinger nach Fred dem Feigling, er war selbst einer! Ich konnte es nicht glauben. Mein Fuß stieß seinen Stuhl um, bevor ich wusste, dass ich es tun wollte. Dieser kleine ...
»Weg! Hörst du mich? Weg!«, schrie ich in der Schmiede herum, während ich umher lief und vor Zorn vereinzelte Dinge auf den Boden warf, die ich zu greifen bekam.
»Bist du dir sicher, dass er nicht einfach wieder im Wald ist und Vögel beobachtet oder nach Trollen sucht?«, fragte Grobian. Er lief hinter mir her und hob die Werkzeuge auf, die ich wegwarf.
»All seine Anziehsachen, Bücher und was weiß ich sind weg, die nimmt er nicht mit in den Wald zum Trollsuchen. Er ist abgehauen, Grobian! Vor seiner Verantwortung, vor seinem Dorf, vor mir! Er ist nicht nur ein Feigling sondern auch ein Verräter!«
Ich blieb stehen, atmete schwer und starrte Löcher in die Luft. Bevor er antwortete, räumte Grobian seine Schmiede wieder auf. Er brauchte wahrscheinlich diese Zeit, um nachzudenken, was er sagen sollte.
»Was möchtest du unternehmen?«, war nach ein paar Minuten seine Reaktion.
Einen Moment lang war es still, während meine Gedanken ratterten und Zorn und Vernunft in meinem Kopf miteinander kämpften. »Es sollen sich alle in der Großen Halle versammeln, sofort.«
»Wie meinst du das, er ist weg?«, fragte Kotzbakke und sprach somit die Frage aller aus.
»Er ist abgehauen, das meine ich!«, brüllte ich durch die Halle, was zu Gemurmel führte. »Er hat all seine Sachen gepackt und sich aus dem Staub gemacht. Ich denke, dass er vor dem heutigen Kampf geflohen ist.«
»Wieso sollte er das tun?«, fragte Gudda, der Vater von Astrid.
»Ay, na weil er kein Kämpfer ist«, meldete sich Grobian zu Wort.
Ich drehte mich zu ihm. »Wenn er kein Kämpfer ist, wie hat er dann das Training überlebt und ist sogar von Gothi zum Finalisten ausgewählt worden?«
»Haudrauf, du kennst doch deinen Sohn. Er hat Tricks angewendet.« Geräusche des Schockes gingen durch die Menge. »Manche von euch haben doch zugesehen! Den Schrecklichen Schrecken hat er mit Licht zurück in den Käfig geführt, den Gronckel mit Grashalmen oder so berieben, sodass er sich fast augenblicklich auf den Boden gelegt hat. Ich hab' da nichts gesagt, weil ich ihm eine Chance geben wollte.« Er schaute von den Dorfbewohnern zu mir. »An dem Morgen nach dem letzten Angriff, als ich ihn nach Hause gebracht habe, da hat der Jung' mir gesagt, dass er doch nur dazugehören möchte. Er wollte deine Anerkennung, Haudrauf, also habe ich ihm die Chance gegeben, sie zu verdienen.«
Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter. »Du hast nichts Falsches getan, Grobian. Du hast ihm nur helfen wollen.« Ich drehte mich wieder zu den anderen. »Pütz, Mulch, wart ihr heute schon bei den Docks?«
»Nein, Chief. Wir mussten uns heute Morgen um unsere kranke Yakdame kümmern«, antwortete Mulch.
»Dann geht jetzt bitte. Ich muss wissen, ob eines der Boote fehlt. Kotzbakke, Gudda, Grobian, sucht euch Freiwillige zusammen. Kotzbakke, deine Gruppe wird in den nördlichen, Gudda und seine in den westlichen und Grobian mit den restlichen Freiwilligen in den östlichen Teil der Insel nach Hicks oder Hinweisen nach seinem Aufenthalt suchen. Der Rest bleibt mit mir im Dorf und macht dasselbe hier.«
Die Menge teilte sich auf. Astrid kam zu mir gelaufen und stützte sich auf dem Tisch ab, hinter dem ich stand. »In den letzten Tage habe ich oft im Wald trainiert. Manchmal bin ich dort Hicks begegnet. Er hatte eine komische Rüstung an, meistens einen großen Korb dabei. Es war in der Nähe vom Krähenkliff.«
Bei dem letzten Wort klingelte etwas in mir. »Krähenkliff sagst du?«
Sie nickte, zog bei meinem geschockten Unterton die Augenbrauen zusammen. »Ist dort etwas besonderes?«
Ich versuchte mich an seine genauen Wort zu erinnern, an dem Morgen, als er uns versucht hatte mitzuteilen ...
»Der Nachtschatten!«, stieß ich hervor, knallte dabei meine Faust auf das Holz.
»Ein Nachtschatten? Was hat das mit Hicks zu tun?«, fragte sie verwirrt. Dann schien sie sich zu erinnern. »Beim Krähenkliff ist er abgestürzt, das hat Hicks gesagt!«
Ich nickte. »Vielleicht hätten wir ihm sofort glauben sollen.«
Wir beide machten uns sofort auf den Weg in den Wald, rannten über Gestrüpp, duckten uns unter Ästen hindruch. Wir riefen seinen Namen nicht, es konnte immerhin sein, dass er noch in der Nähe war und deshalb seinen Standort ändern würde. An einem Baum, dessen eine Hälfte hinunter hing, blieben wir stehen.
»Das sieht aus, als wäre etwas Schweres und Großes hier abgestürzt«, sagte Astrid und betrachtete die Rutschspuren auf der Erde.
»So wie ein Drache.«
Wir liefen den Hügel hinunter und fanden ein aufgeschnittenes Netz, das von uns zum Drachenfangen genutzt wurde.
»Er hat den Nachtschatten tatsächlich erwischt«, sagte Astrid mit Verwunderung in der Stimme. »Und wir haben uns darüber lustig gemacht. Glaubst, er hat Hicks ...?«
Sie brauchte die Frage nicht zu Ende stellen, ich verstand sie auch so. »Nein, wieso sonst sollte er all seinen Krempel mitnehmen?«
Sie nickte. »Stimmt.«
Wir gingen weiter, suchten nach weiteren Spuren, einem Haar, einer Schuppe, einem Fußabdruck. Jeder Hinweis konnte uns zugutekommen.
»Chief! Ich glaube, ich habe hier etwas!«
Ihre Entdeckung war eine kleine, eingekesselte Bucht mit einem See in der Mitte. Der perfekte Platz, um sich zu verstecken und überleben, ohne sich auch nur einmal zeigen zu müssen. Wir kletterten hinunter, landeten auf der harten Erde.
»Hicks! Wenn du hier bist, dann komm hervor!«, rief ich. Es kam keine Antwort, sie waren nicht hier.
»Hier sind Schuppen verteilt«, sagte Astrid, die sich ein wenig entfernt hatte. »Schwarz und rund, sie gehören eindeutig einem Nachtschatten.«
»Sie waren also hier, doch wo sind sie jetzt?«
Wir erzählten am Abend in der Großen Halle von unserem Fund. Die Gruppen von Kotzbakke, Gudda und Grobian waren nicht erfolgreich, genauso wenig wie Pütz und Mulch.
»Was soll das genau heißen?«, fragte Kotzbakke nach meiner Beschreibung der Hinweise. »Hicks hat nicht gelogen, sich mit dem Nachtschatten angefreundet und ist auf dessen Rücken davongeflogen?«
»Das ist im Moment die plausibelste Theorie«, war meine Antwort, was zu lautem Diskutieren führte.
»Drachen sind unsere Feinde! Wie sollten wir auf ihnen fliegen?«, rief Gudda, was ihm Zustimmung von dem Rest einbrachte.
So langsam platzte mir der Kragen. Ich schlug meine Hände mit voller Kraft auf den Tisch, wodurch ich mir die vollkommene Aufmerksamkeit verschaffte. »Ich weiß es nicht! Seht ihr es nicht? Ich weiß es nicht! Wie sollte ich? Ja, er ist mein Sohn, aber er war schon immer merkwürdig. Seine Ausflüge in den Wald waren dann natürlich für keinen etwas, worüber man sich Sorgen machen müsste!« Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, bevor ich weitersprach. »Wir müssen ihn suchen.«
Die Menge schrie auf. »Einen Verräter suchen? Und ihn zurückheißen?«
»Er hat sich für die Bestien entschieden!«
»Wir brauchen ihn nicht!«
Ein erneutes Knallen meiner Hände. »SCHLUSS JETZT! Es ist mir egal, ob er auf einem Drachen davongeflogen ist um einen anderen nicht töten zu müssen und somit Verrat begangen hat. Er ist mein Sohn und euer zukünftiges Oberhaupt, ob ihr das wollt oder nicht! Er trägt meines und Valkas Blut in seinen Adern, das macht ihn zum rechtmäßigen Nachfolger! Ich werde die Suche nicht aufgeben, bis ich entweder ihn vor mir stehen oder seine Leiche vor meinen Füßen liegen habe!«
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