26 | Hicks
Ohnezahn landete sanft neben dem Haus meines Vaters, wo Wolkenspringer bereits am dösen war. Er drehte seinen Kopf neugierig in unsere Richtung, als Astrid und ich abstiegen, legte ihn aber kurz darauf wieder auf den Boden. Ohnezahn schnüffelte am Gras, empfand es für angenehm genug und legte sich dann auch hin.
Astrid und ich liefen zur Tür hinein und fanden meine Eltern und Grobian lachend am Tisch sitzen. Drei Krüge standen vor ihnen und schwappten über, als Grobian auf den Tisch schlug. Ihrer guten Laune nach zu urteilen, befand sich Bier darin. Beim Quietschen der Tür fielen ihre Blicke auf uns.
»Ah«, sagte mein Vater und lächelte, »da seid ihr zwei. Einen schönen Rundflug genossen, hm?«
Meine Mutter stubste ihm mit dem Ellenbogen in die Seite, während Astrids Wangen rosa wurden. »Kann man so sagen.«
»Schön, schön.« Er räusperte sich und die Stimmung fiel sofort in den Abgrund. »Hör mal-«
»Ich kann es mir denken«, unterbrach sie ihn seufzend. »Mein Vater hat dir Helheim heiß gemacht.«
Er nickte, aber Grobian war es, der antwortete. »Der hat sich gar nicht mehr beruhigt. Ich musste ihm erst drohen, meine Streitkeule über seinen Schädel zu ziehen, damit er aufhörte zu brüllen.«
»Gudda ist nach wie vor ein cholerischer Mensch, für den alles so laufen muss, wie er es will«, fügte meine Mutter Kopf schüttelnd hinzu. Sie stand auf und ging zu Astrid, deren Hände sie in ihre nahm. »Haudrauf und Grobian haben mich aufgeklärt, was zwischen euch die letzten Jahre vorgefallen ist. Was auch immer dein Vater weiterhin tun wird, bei uns hast du ein sicheres Zuhause. Wir werden nicht zulassen, dass er dich zu einer Ehe zwingt, die du offensichtlich nicht möchtest. Wenn es Probleme gibt, komm direkt zu uns. Du musst das nicht mehr allein durchstehen.«
»Die einfachste Methode ihn zu stoppen wäre eine Hochzeit zwischen euch beiden«, sagte Grobian und zeigte zwischen Astrid und mir. Wir starrten ihn alle ungläubig an. Er zuckte mit den Schultern. »Was denn? Ihr könnt nicht verneinen, dass das nicht effektiv wäre.«
Mein Vater lachte unbeholfen und klopfte ihm auf die Schulter. »Jetzt mach die Kinder doch nicht verlegen, Grobian. Das ist eine Angelegenheit, über die man später reden kann. Viel später.«
Wenn ihr wüsstet ..., dachte ich mir. Er hatte zwar recht, dass es effektiv wäre, aber Astrid und ich hatten es auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Wir waren bei langem nicht bereit dafür, nur sicher, dass es eines Tages passieren könnte. Die anderen Junggesellen sagten immerhin uns beiden nicht zu.
»Wir werden uns dann mal nach oben zurückziehen«, sagte ich und legte eine Hand an Astrids Rücken, um sie zur Treppe zu führen. »Morgen wird ein früher Tag, es ist viel zu tun. Wir sollten so viel Schlaf bekommen, wie wir können. Gute Nacht euch drei.«
In meinem alten Zimmer kamen direkt viele Erinnerungen hoch. Wie ich am Tisch gesessen und gezeichnet habe, wie mein Vater mich versucht hat zu fangen, als es Schlafenszeit war, ich aber noch zu viel Energie hatte. Wie ich meinen Helm ans Bett gehangen hatte, nachdem mein Vater ihn mir geschenkt hatte, wo er immer noch war, als wäre ich nie weggewesen. Wie ich alles zusammengepackt hatte und mit Ohnezahn weggeflogen war. Es war nicht groß, beinhaltete aber so viele wichtige und schöne Momente meiner Kindheit. Es tat gut, wieder hier zu sein.
Wir bemerkten wohl beide gleichzeitig das große Problem, denn auf einmal waren wir beide stockstill und die Luft um uns wurde dicker, während meine Eltern und Grobian unten weiterhin sorglos redeten.
Es gab nur ein Bett.
Astrid trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Äh, ich kann ruhig auf dem Boden schlafen. Das hier ist immerhin dein Zimmer, also habe ich keinen Anspruch auf irgendwas, am wenigstens auf das gemütliche Bett.«
Ich sah sie an, wie sie mit den Händen hinter dem Rücken verschränkt dort stand, sich auf die Lippe biss und zwang nach vorne zu schauen. Es war absolut süß, niemals würde ich sie auf dem Boden schlafen lassen.
»Nimm das Bett«, sagte ich also, woraufhin ihr Blick letztendlich zu mir glitt. »Ich brauche noch eine Weile, bis ich schlafen gehe. Eine Nacht auf dem Boden halte ich schon aus.« Damit drehte ich mich zum offenen Fenster und pfiff.
Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Was hast du vor?«
Ohnezahn sprang hinein und ohne ihr zu antworten, nahm ich die Satteltasche von seiner Seite ab und ging zum leeren Schreibtisch. Während er es sich hinter mir irgendwo gemütlich machte, kramte ich das Fässchen Tinte und die Papiere heraus, die zum Glück alle unbeschädigt waren.
Astrid stellte sich neben mich und inspizierte die Materialien. »Zeichnest du etwas?«
»Nein.« Ich fand eine Kerze im Schrank und bedeutete Ohnezahn, sie vorsichtig zu entfachen. »Ich schreibe ein paar Briefe.«
Am nächsten Morgen war ich überrascht, als ich in die Arena ging und alle aus meinem Jahrgang vorfand. Fischbein, der mittlerweile Bartwuchs hatte, aber nach wie vor denselben Helm und dieselbe Frisur trug. Seine Kleidung war mit mehr Fell bewachsen und er hatte einen Gürtel mit mehreren kleinen Taschen um den Bauch geschnallt. Ich fragte mich, was er darin verstaute.
Rotzbakke war nicht viel gewachsen, hatte aber ebenfalls einen leichten Bart bekommen und längere Hörner an seinen Helm. Sein dünnes Stoffoberteil hat er durch ein hellblaues aus Leder getauscht, das einem Schuppenmuster glich. Sein Gürtel war weiterhin so groß wie sein Bauch, womit er seinen Status anscheinend nach wie vor repräsentierte.
Die Zwillinge hatten ihr irres Grinsen nicht verloren, waren aber größer geworden und hatten mehr Stacheln an ihrer Kleidung. Taffnuss hatte jetzt Dreadlocks und mehr Schichten an, wie seine Schwester. Sie waren generell alle dicker gekleidet, mit Fellschultern, Armwärmern und Stiefeln, die bis zu den Knien gingen.
Astrid hatte sich wieder ihre Kleidung angezogen, das türkise Oberteil mit der roten Weste, den gefütterten Schulterplatten und Armwärmern, die braune Hose und hohen Stiefeln. Ihre Haare waren zu ihrem altbekannten Zopf auf dem Rücken geflochten. Sie kam mit verschränkten Armen und einem Lächeln im Gesicht auf mich zu.
»Und? Was ist der Plan?«, fragte sie und stellte sich neben mich. Die anderen vier sahen mich grinsend an.
Ich nickte ihnen zu. »Als erstes, zeige ich euch, was Drachenpost ist.«
Mit einem Pfiff kamen vier Schreckliche Schrecken in die Arena geflogen, die sich in der Nacht auf unser Haus geschlichen hatten. Ich hatte sie gefunden und für mein Vorhaben mitgenommen. Sie landeten auf drei Fässern, die neben einem der alten Drachenkäfige standen, welche heutzutage als Stauraum genutzt wurden. Ich ging mit den Briefen, die ich letzte Nacht geschrieben hatte, zu ihnen und band sie an ihre Beine.
»Uhhh«, machte Fischbein und kam zu mir. »Wenn ich mich nicht irre, nutzt du die Reviertreue der Schrecken, damit sie Briefe von einem Ort zum anderen bringen.« Ich grinste ihn von der Seite an. Nach wie vor der Schlauste der Gruppe, nach mir natürlich.
»Wie soll das denn funktionieren?«, sagte Rotzbakke, der mittlerweile mit den anderen dazugekommen war.
»Oh, das ist ganz einfach«, antwortete Fischbein, bevor ich auch nur den Mund öffnen konnte. »Schreckliche Schrecken sind sehr an ihr Revier gewöhnt und bleiben dem immer treu, das macht sie auch territorial. Wenn sie einen Ort kennen, können sie ihn immer wieder finden, egal wie lange sie nicht dort waren. Das heißt also, dass Hicks diese Schrecken mit Briefen losschickt, um schneller mit Freunden und Verbündeten zu kommunizieren. Ist das nicht fantastisch?«
Ich lachte leise. »Das hätte ich nicht besser erklären können. Nun zu euch vier.« Ich nahm den ersten, ein rotes kleines Weibchen, auf den Arm. »Flieg zu Atali, auf der Insel der Flügelmädchen.« Bei ihrem Namen wurde der Schrecken direkt hellhörig, sie liebte sie nämlich über alles. In weniger als einer Sekunde war sie abgehoben und auf und davon.
»Flügelmädchen?«, sagte Taffnuss. »Was soll das denn sein? Mädchen mit angeborenen Flügeln?«
»Vielleicht Hybriden aus Menschen und Drachen«, sagte Raffnuss, was wahrscheinlich das Gebildetste war, was sie jemals geäußert hatte.
»Ihr werdet sehen«, war meine einfache Antwort. Ich nahm den nächsten Schrecken. »Berserker Insel, direkt zu Mala oder Dagur.«
»Dagur?«, sagten sie alle gleichzeitig im selben ungläubigen Ton und starrten mich mit großen Augen an.
»Hat der nicht versucht dich zu ertränken?«, sagte Astrid scharf.
Ich zuckte mit den Schultern und rieb meinen Nacken. »Ein paar Mal. Manchmal war ich auch seine Zielscheibe fürs Messerwerfen üben. Aber das ist alles lange Geschichte, glaubt mir.« Ihren Blicken nach zu urteilen, glaubten sie mir nicht. Ich seufzte. »Ihr werdet sehen.«
Daraufhin nahm ich den nächsten Schrecken und machte mich auf einen weiteren Schock von den anderen bereit. »Insel der Verbannten, zu Alvin.« Der Drache verschwand am Horizont und ich drehte mich zu den anderen um, die mich anschauten, als hätten mich alle guten Geister verlassen.
»Alvin der Heimtückische?«, sagte Rotzbakke, während Astrid sagte, »Dagur und Alvin sollen uns helfen?«
»Also ich bin ja auf diese Flügelmädchen gespannt«, sagte Taffnuss und lachte mit Raffnuss.
Und dann redeten sie alle übereinander und durcheinander, alles an mich gerichtet. Mir war klar gewesen, dass es sie schockieren würde, aber dass sie dermaßen durchdrehten, hätte ich nicht erwartet.
Ich drehte mich zum Ausgang, wo Ohnezahn lag. »Hey, Kumpel. Würdest du ...?«
Er hob seinen Kopf und schoss einen Plasmastrahl an die Decke der Arena, woraufhin die anderen verstummten und mich wieder ansahen.
»Alsooo«, sagte ich. »Ich weiß, das ist alles ein bisschen viel, aber ihr werdet es verstehen, wenn ihr sie seht.«
»Heißt das, du hast die letzten Jahre mit ihnen zusammengearbeitet?«, fragte Fischbein, wahrscheinlich weil er sich nicht stoppen konnte.
Ich seufzte erneut und entschied mich dazu, ihnen eine Kurzversion zu erzählen, da sie mich sonst nicht in Ruhe lassen würden. »Ich bin Dagur vor fünf Jahren auf der Dracheninsel begegnet, wo er von Ohnezahn erfahren hat. Daraufhin sind wir in Streit verfallen, er hat mich gejagt wie sonst was und es irgendwie geschafft einen Skrill zu finden und sich mit Alvin gegen uns verbündet, was aber eine Katastrophe war, da sie beide zu egoistisch waren. Nachdem die Verbannten dann gegen Alvin gezogen sind, hat er sich meiner Mutter und mir zugewendet, damit wir ihm helfen seine Insel zurückzubekommen. Dagur wurde gefangen genommen und war dort im Gefängnis, bis er irgendwann ausgebrochen ist.
Er hat sich aus diesem Archipel entfernt und den Drachenjägern angeschlossen. Wir haben sie gejagt, versucht aufzuhalten wo es nur ging und dabei Atalis Flügelmädchen und Mala, die Königin der Beschützer des Flügels, als Verbündete gewonnen. Irgendwann mussten Ohnezahn und ich auf einer Insel bruchlanden, auf der sich ebenfalls Dagur befand. Er war seit einem Monat dort und hatte sein gesamtes Leben hinterfragt, neu angefangen und sich entschieden, den friedlichen Weg zu gehen.«
Sie sahen mich alle mit skeptischen Blicken an. Ich konnte es ihnen nicht verübeln, mich hat es ebenfalls lange gebraucht ihm zu vertrauen. Aber seitdem war er mir nicht in den Rücken gefallen und hat alles getan, um die Berserker Insel wieder aufzubauen, seine Beziehung zu Heidrun zu bessern und hat sogar geheiratet.
»Es ist schwer zu glauben, aber ihr werdet es sehen, wenn er hier ist. Jedenfalls haben wir alle zusammen den damaligen Anführer der Drachenjäger, Viggo Grimborn, besiegt. Oder eher, er hat sich geopfert nachdem klar geworden war, dass er nicht mehr zu gebrauchen war. Wir dachten, dadurch sei alles vorbei, dass die Jäger sich komplett aufgelöst und aufgegeben hätten. Aber wir lagen falsch. Ragnar, ein ehemaliger Offizier der Jäger, hat sie heimlich wieder aufgebaut und ist nun auf Verfolgungskurs. Darum brauchen wir jede Hilfe, die wir kriegen können.«
Sie sahen mich mit großen Augen an, auch Astrid, der ich bereits Teile der gesamtem Geschichte erzählt hatte. »Das ...«, sagte sie.
»... verändert alles«, beendete Fischbein. Der letzte Schreckliche Schrecken stupste seine Hand an. Er wartete darauf, losgeschickt zu werden.
Ich nickte ihm zu. »Versuch du es.«
»I-ich?«
»Ja, du. Sag ihm, er soll zu den Amorlas fliegen, zu Alfarin, Dirfinia oder Eret. Er kennt den Weg.«
»O-okay.« Fischbein nahm den Kleinen zitternd hoch und setzte ihn auf seinen Arm. Der Schrecken sah ihn erwartend an. »Zu den Amorlas, kleiner Mann, zu Alfarin, Dirfinia oder Eret.« Mit einem letzten Schlecker über sein Auge, flog er los und verschwand wie die drei vor ihm am Horizont.
»Okay, ich will auch so einen«, sagte Rotzbakke entschieden, aber ich schüttelte meinen Kopf.
»Für euch habe ich mir größere Drachen ausgesucht.«
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