19 | Hicks
Astrid machte schneller Fortschritte mit Sturmpfeil als Dagur mit Schattenmeister. Sie hörte immerhin von Anfang an auf mich und versuchte nicht auf ihre eigene Weise einen Drachen zu zähmen. Dadurch ließ Sturmpfeil sie am dritten Tag aufsteigen, wollte aber nicht losfliegen. Astrid dachte erst das lag an ihr, aber ich versicherte ihr, dass sich Sturmpfeil nur daran gewöhnen wollte, einen Menschen auf ihrem Rücken zu tragen. Deshalb beschloss ich, dass wir auf unseren Drachen einen Spaziergang durch den Wald machen sollten. Somit konnte Astrid auch ein Gespür dafür bekommen, wie es war auf einem Drachen zu sitzen. Jedoch hatte sie keinen Sattel wie ich, weshalb sie sich nach einiger Zeit beschwerte.
»Mein Hintern ist absolut taub«, sagte sie hinunter zu mir und streckte ihren Rücken durch. Meine Wangen färbten sich automatisch rot und ich wandte meinen Blick von ihr ab. Das sollte nicht so attraktiv sein, wie ich es in dem Moment empfand.
Ich räusperte mich. »Wir können uns auf den Weg zur Schmiede machen und einen Sattel für dich konstruieren. Es scheint nämlich so, als würde Sturmpfeil dich als Reiterin akzeptieren.«
Sie lächelte mich an und klopfte ihrem Drachen auf die Seite. »Das wäre super.«
Wahrscheinlich durch das Klopfen angeregt, hob Sturmpfeil ohne Vorwarnung in schnellem Tempo ab, was Astrid einen kurzen Schrei entlockte. Sie flogen steil nach oben und sahen nicht so aus, als würden sie bald stoppen. Ohnezahn folgte ihnen sofort.
Bevor sie die Wolkendecke durchbrachen, bremste Sturmpfeil ihre Schnelligkeit und begradigte sich. Ohnezahn und ich kamen ein paar Sekunden später neben den beiden an. »Ist alles in Ordnung?«, fragte ich Astrid, die sich meisterhaft festgehalten hatte.
Ihre Haare waren total durcheinander und sie atmete schwer, aber in ihren Augen konnte ich ein Glitzern entdecken, welches vorher nicht da gewesen war. »Ja«, sagte sie und schluckte. »Ja, mir geht es gut. Und ich sitze auf einem Drachen, der fliegt. Ich sitze auf einem fliegenden Drachen. Wenn ich wollte, könnte ich die Wolken berühren. Weil ich auf einem fliegenden Drachen sitze.«
Ein Grinsen bahnte sich auf mein Gesicht. Ich mochte es, wenn sie ihre Maske fallen ließ und ich ihre echten Emotionen sehen konnte. »Allerdings, das tust du. Wie fühlt es sich an?«
Sie schaute sich um, streichelte Sturmpfeils Kopf und nickte ein paar Mal. »Absolut fantastisch.« Sie lächelte mich so breit an, wie nie zuvor, was Schmetterlinge in meinem Bauch fliegen ließ.
»Na dann«, sagte ich, damit ich sie nicht weiterhin dümmlich anstarrte, »lass uns zur Schmiede fliegen.«
Sie zeigte Sturmpfeil mir und Ohnezahn zu folgen, was sie ohne Probleme tat. Die Landung war nicht die sanfteste, aber das würde Astrid mit der Zeit noch hinbekommen. Sie streichelte Sturmpfeils Kopf, als ich zu ihr rüberging.
»Du solltest ihr zwischendurch Hähnchenkeulen geben«, sagte ich.
Astrid zog eine Augenbraue hoch. »Wieso Hähnchen? Ich dachte, alle Drachen fressen Fische.«
»Tun sie, aber deine schöne Nadderdame hier liebt Hähnchen. Und als kleines Geheimnis: Das hilft ihr auch bei der Schnelligkeit, aber das hast du nicht von mir.«
Sie grinste. »Natürlich nicht.«
Sturmpfeil und Ohnezahn machten es sich auf dem Boden gemütlich, während Astrid und ich in der Schmiede am Tisch saßen und einen Sattel kreierten, der ihre Bedürfnisse abdeckte. Ihre Nähe raubte mir fast meine ganze Konzentration, aber am Ende hatten wir einen aufgezeichnet. Er war flach und hatte vorne einen Griff zum Festhalten, hinten war eine Halterung für Astrids Axt geplant, die sie auf Berk für ihre Mutter gelassen hatte.
»Wieso hast du sie nicht mitgenommen?«, fragte ich. Von damals wusste ich noch, dass sie nirgendswo ohne ihre Axt hingegangen war, daher wunderte es mich, dass sie sie jetzt nicht dabei hatte.
Sie schaute weiterhin auf das Papier vor uns, auf dem ich gezeichnet hatte. »Ich dachte mir, dass du eher dazu bereit wärst mit mir zu sprechen, wenn ich sie nicht dabei habe.«
»Aber du wusstest doch gar nicht, dass du mich auf dieser Fahrt finden würdest.«
»Ich habe es bei jeder gehofft.«
Darauf wusste ich keine Antwort, also schwieg ich. Ich malte noch kleine Details zum Sattel dazu, bevor ich das Papier oben auf den Stapel auf meinem Schreibtisch legte. Das wäre meine erste Aufgabe für morgen.
»Komm«, sagte ich dann und stand auf. Astrid tat es mir gleich. »Es gibt Abendessen.«
Dabei erzählte sie mir noch ein paar Momente von Berk, hauptsächlich von meinem Vater und Grobian. Heute erzählte aber auch ich ihr von meinen Erlebnissen der letzten Jahre. Wie Dagur und ich Freunde geworden waren, er die Berserker-Insel neu aufgebaut hat und wir eine Gruppe namens die Drachenjäger vernichtet haben.
»Was haben die mit den Drachen gemacht?«, fragte Astrid zwischen zwei Bissen.
Ich zuckte mit den Schultern. »Verschiedenes. Sie versklavt, zum Kämpfen gezwungen. Die meisten aber waren teuer verkauft worden. Viggo war ... er war wirklich schlau, gerissen sogar. Aber selbst er konnte am Ende das Spiel nicht gewinnen.«
Astrid sah mich verwirrt an, aber ich wusste, wovon ich redete. Über die gesamte Zeit, in der wir gegen ihn gearbeitet haben, hatte er mit uns gespielt. Er war uns immer einen Schritt voraus gewesen, sein Drachenwissen bemerkenswert, aber zum Schluss waren es seine eigenen Männer, die ihn beseitigten. Und wir haben sie beseitigt.
»Er war wohl kein einfacher Gegner, wenn ich deinen Gesichtsausdruck richtig deute.«
Ich schaute sie an. »Nein, bisher war er der Beste gewesen. Ein paar Mal hätte er mich fast gekriegt, aber er hatte nichts außer meinen Drang zur Rettung der Drachen gegen mich in der Hand. Ihm fehlte ein Druckmittel und das habe ich genutzt. Damit hat er nicht gerechnet, was zu seinem Verhängnis wurde. Bis heute verstehe ich nur nicht, warum er mein Leben gerettet hat. Er hätte uns beide vernichten können, aber das hat er nicht.«
Sie stocherte in ihrem Fleisch herum, während sie nachdachte. »Böse Menschen sind nicht alle vollkommen böse und nicht alle guten Menschen sind vollkommen gut. Jeder trägt beides in sich. Vielleicht wusste er, dass seine Ziele nicht lange währen würden. Vielleicht wusste er, dass dich mitzureißen nicht richtig war. Vielleicht hat seine gute Seite in diesem einen Moment gesiegt. Egal, was es war, dass er dir geholfen hat zählt und nicht sein Hintergedanke dabei.«
Ich nickte. »Ja, nur das zählt.«
Am nächsten Tag baute ich nach dem Frühstück Astrids Sattel. Während ich damit beschäftigt war, amüsierte sie sich mit Sturmpfeil, übte das Schießen mit ihren Stacheln und probierte den Hähnchentrick aus, von dem ich ihr erzählt habe. Sie kam mit zerzausten Haaren und einem breiten Lächeln von ihrem Testflug zurück.
»Du hattest recht mit dem Hähnchen, sie ist denke ich sogar schneller als Ohnezahn«, sagte sie durch das Fenster der Schmiede zu mir.
Ich sah sie an und zog eine Augenbraue hoch. »Das glaubst du doch selbst nicht.«
Ihr Mund zog sich zu einem Grinsen. »Und wie ich das tue. Wir können es mal ausprobieren, wenn du dich traust.«
Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel ebenfalls nach oben zogen. »Herausforderung angenommen. Fürs Erste solltest du aber deinen Sattel ausprobieren.«
Ich nähte das letzte Stück zusammen und präsentierte ihn ihr. Sie schaute sich alles an und ließ mich ihr die Details erklären. Zum Schluss drückte sie mir einen Kuss auf die Wange und lief mit dem Sattel in den Händen zu Sturmpfeil. Ich war für einen Moment zu verdutzt, um mich bewegen zu können. Als sie sich jedoch strahlend lächelnd zu mir umdrehte und fragend ihren Kopf zur Seite neigte, schaffte ich es zu ihr rüberzugehen. Ich zeigte ihr, wie man den Sattel befestigte und versuchte dabei das Kribbeln in meinen Fingern zu ignorieren, was ihre leichten Berührungen auslöste.
»Wenn du merkst, dass etwas nicht stimmt, sag mir Bescheid und ich schau es für dich nach«, sagte ich zu ihr. Sie lächelte mich wieder an. Seit wann war Astrid so ... nett? Ich hatte sie ganz anders in Erinnerung, aber sie hat mir auch erklärt, dass ihr Verhalten an ihrem Vater gelegen hat. Das war wohl doch keine Ausrede gewesen, wie ich anfangs gedacht habe. Sie hat mir in den letzten Tage gezeigt, dass ich falsch gelegen habe und ihr wirklich vertrauen konnte. Ich merkte keine bösen Absichten bei ihr, was mich glücklich machte, denn ich mochte diese Astrid, sehr sogar.
»Fliegen wir eine Runde?«, fragte sie und kletterte auf Sturmpfeils Rücken.
Ich nickte. »Dann kann ich dir zeigen, dass Ohnezahn nach wie vor der schnellste Drache ist.« Ihr Lachen ließ mein Herz erwärmen.
Wir flogen in Richtung des Waldes auf der anderen Seite der Insel, wo ich vor einiger Zeit einen kleinen Parkour aufgebaut habe, den die Leute zum Trainieren nutzten. Das war auch eine gute Übung für Astrid, die noch die Manöver lernen musste. Sie hielt sich gut an mir dran, vertraute ihrem Drachen und hörte auf sie. Sturmpfeil war schnell und flink, wie sich herausstellte. Sie kam durch enge Passagen hindurch und wenn es nicht passte, war sie so schnell oben drüber geflogen, dass man es fast gar nicht mitbekam. Die beiden schafften den Parkour fast so schnell wie Ohnezahn und ich, aber eben nur fast.
Sturmpfeil landete vor uns auf der Lichtung am Ende der markierten Route. Astrid zog ein leicht grimmiges Gesicht, während ich zu ihr hinauf grinste. Sie verdrehte die Augen. »Na gut, Ohnezahn ist und bleibt der schnellste Drache.«
»Sag ich ja.« Dabei lachten selbst die Drachen. »Also dann, hast du Hunger? Es müsste gleich Mittagessen in der Halle geben.«
»Ich könnte etwas vertragen.«
Somit hoben wir wieder ab, ließen uns aber Zeit auf dem Weg zurück ins Dorf, um die Luft hier oben zu genießen. Und vielleicht auch um ein paar verstohlene Blicke auszutauschen, über die wir nicht redeten. Ihr lag ein Lächeln auf den Lippen, während sie mit leuchtenden Augen in den weiten Himmel vor sich sah. Ihre offenen Haare wehten nach hinten, sie war nach wie vor wunderschön. Ich verstand heute noch, wieso ich damals so verknallt in sie gewesen war. Wie auch nicht? Sie war loyal, ehrlich, klug, stark, wenn auch mit ein paar Aggressionstendenzen und einer Vorliebe für Dolche und Äxte, aber das machte sie eben zu Astrid.
Durch unser langsames Fliegen war die Große Halle bereits halb befüllt, als wir ankamen, uns jeweils eine Schüssel mit Rindereintopf holten und uns an einen der noch freien Tische setzten. Zuerst sprachen wir wie immer miteinander, doch dann bemerkte Astrid, wie Sienna zu uns herüberkam und verstummte. Ich musste mir ein genervtes Seufzen verkneifen, was mich kurz innehalten ließ. Eigentlich mochte ich Sienna, warum also nervte es mich nun, dass sie Astrid zum Schweigen brachte? Ich wusste zwar, dass sie mich mehr mochte, so wie Astrid es vor ein paar Tagen angesprochen hatte, aber damit kam ich seit Anfang an klar. Für kurze Zeit habe ich mich sogar gefragt, ob ich es nicht versuchen sollte, aber aus irgendeinem Grund habe ich mich immer zurückgehalten. Und dann kam Astrid plötzlich zurück in mein Leben und verwirrte meine Gefühle.
»Hallo, mein kluger Erfinder«, sagte Sienna zur Begrüßung, mal wieder Astrid total ignorierend, und setzte sich direkt neben mich. Sie schaute durch ihre Wimpern zu mir hinauf. »Was hast du heute so gemacht?«
Ich schielte zu Astrid hinüber, deren Blick Sienna förmlich mit ihren Dolchen erstach, die in meinem Haus lagen. Sie konnte ihre Art wohl echt nicht leiden. »Äh, Astrid und ich haben auf dem Parkour trainiert. Sie macht gute-«
»Oh, das ist alles?«, unterbrach sie mich und legte ihren Kopf unschuldig schief. »Das hört sich nicht gerade nach Spaß an.«
Etwas knackte und als ich erneut zu Astrid schaute, sah ich ihren entzweiten Holzlöffel auf dem Tisch liegen. »Entschuldigt mich ...«, murmelte sie und verschwand in die Mitte der Halle.
Sienna blickte mich weiterhin an. »Wird sie denn noch lange bleiben? Was hast du mit ihr noch vor? Eigentlich kann sie doch wieder zu ihrer Insel segeln. Oder fliegen.«
Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Wieso war sie jetzt so gemein? Astrid war noch am Anfang ihres Trainings und auf Berk würde sie keines bekommen, daher dachte ich mir, dass sie noch eine Weile bleiben würde. Außerdem wollte ich auch nicht, dass sie ging und so wie es aussah, wollte Astrid genauso wenig nach Berk zurück.
»Sie möchte auf jeden Fall noch weitertrainieren und ...« Das, was mir in den Sinn kam, hatte ich selbst noch nicht entschieden. Ich konnte Astrid eigentlich vertrauen, aber dorthin zu gehen wäre ein großer Schritt. Sie würde alle Geheimnisse erfahren und wenn sie jemals jemandem den Weg zeigen sollte, wären wir verloren. Würde sie, wenn sie jemals meinen Vater wiedertreffen sollte, ihm alles erzählen? Würde sie ihn oder mich wählen?
Astrid kam mit einem neuen Löffel in der Hand zurück an den Tisch. Sie schaute fragend zu uns beide hinüber, da wir nicht redeten. Ihr Blick blieb an mir haften. Diese blauen Augen, von denen ich seit Jahren träumte, die so viel zeigten, selbst wenn sie es nicht wollte. Sie spiegelten die Wahrheit, die sie nicht gerne aussprach, aber ich verstand es. Sie spielte nicht, sie lügte nicht, sie hatte auf der Dschungel-Insel keine Angst vorgetäuscht. Alles, was sie mir erzählt hatte, war wahr.
»Wir fliegen morgen zur Eishöhle«, sagte ich schließlich, wodurch ich einen geschockten Ausdruck von Sienna erntete.
»Wie bitte? Ist das dein ernst?«, sagte sie empört.
»Was ist die Eishöhle?«, fragte Astrid.
»Das Zuhause meiner Mutter, wo sie die letzten zwanzig Jahre gelebt hat«, antwortete ich. Ihre Augen weiteten sich. »Ich vertraue dir, du hast es dir verdient sie zu sehen.«
Ihre Mundwinkel gingen leicht nach oben, aber dann sprach Sienna wieder. »Hicks, das kannst du nicht machen. Die Eishöhle ist unsere heiligste Stätte, du kannst sie ihr nicht einfach zeigen. Hast du vergessen, wo sie herkommt?«
Ich drehte mich zu ihr, all meine Freundlichkeit verflogen, was man mir auch im Gesicht ansehen konnte. »Nein, habe ich nicht, aber du scheinst vergessen zu haben, dass ich ebenfalls von dort komme. Es ist nicht deine Entscheidung, wer die Höhle betreten darf und wer nicht, sondern die von meiner Mutter und mir, da es unser Zuhause ist. Astrid hat meine Erlaubnis und ich werde morgen mit ihr hinfliegen und ein paar Tage da bleiben.«
Daraufhin hatte sie nichts mehr zu sagen, sondern verließ mit einem Nicken den Tisch und verschwand aus der Großen Halle. Astrid konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und aß genüsslich ihren Eintopf weiter.
Nach ein paar Minuten hob sie ihren Kopf, um mir in die Augen schauen zu können. »Meintest du das ernst oder war das nur eine Ausrede, um sie loszuwerden?«
Ich schüttelte grinsend den Kopf. »Das war ernst gemeint. Wir fliegen morgen zur Eishöhle, wo du meine Mutter und den Alpha kennenlernen wirst.«
Ihre Augen wurden groß. »Den Alpha?«
Mein Grinsen wurde breiter. »Du wirst schon sehen.«
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Nach langer Zeit gibt es auch hier mal wieder ein Update und hoffentlich bald weitere :D
Meine andere Fanfiction, Ein Tutor zum Verlieben, hatte ziemlich im Vordergrund gestanden, aber da die seit Mai beendet ist, konnte ich nun hier weiterschreiben :)
Ich hoffe euch gefällt das neue Kapitel, wir kommen langsam zum Höhepunkt!
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