1 | Hicks
Für meinen Vater tat es mir am meisten leid.
Seitdem er von seinem letzten Segeln zur Dracheninsel zurückgekehrt war, hat er gedacht, dass ich endlich der Sohn war, den er sich immer gewünscht hatte: Der perfekte Drachentöter und ein würdiger Nachfolger für das Oberhauptamt von Berk. Doch niemand hat gewusst, dass ich dem sinnlosen Töten dieser Kreaturen bereits den Rücken gekehrt habe. Es meinem Vater ins Gesicht sagen, schaffte ich nicht. Er war so stolz auf mich, als er mir den Helm geschenkt hat und freute sich wie seit Langem nicht mehr, dass wir ein Thema hatten, worüber wir reden konnten. So hatte er es zumindest gedacht.
Er hatte mich als Sohn nicht verdient. Er war Haudrauf der Stoische! Hat als kleiner Junge bereits den Drachen ihre Köpfe mit bloßen Händen abgerissen! Ein Oberhaupt, welches keine Grenzen kannte, um seinen Stamm zu beschützen. Ein Mann, der sein ganzes Leben nur eine Frau liebte, obwohl sie längst tot war. Ein Krieger von Ehre und Weisheit, gefeiert und bewundert von vielen.
Einen Hicks als Sohn war eine Beleidigung, aber trotzdem sah er mich als seinen Nachfolger und behandelte mich wie jeden anderen. Immerhin hatte er versucht mich zum Training zu schicken, obwohl ich nicht einmal einen Schild alleine aufheben konnte ohne nach hinten umzukippen. Es tat mir leid, dass er, sobald ihm etwas zustieß oder er zu alt war, das Amt des Oberhauptes an Rotzbakke übergeben musste, denn ich würde nicht nach Berk zurückkehren.
Ich seufzte. Ich war ein wahrer Feigling. Rettete lieber meinen Haustierdrachen, als mich meiner Berufung und Verantwortung zu stellen. Wenn sie nur wüssten, dass ich an dem Tag des Angriffes nicht gelogen habe und wirklich einen Nachtschatten abgeschossen hatte. Sie hätten mich ihn anstatt den Riesenhaften Albtraum töten lassen. Mein Vater wäre dabei vermutlich vor Freude, Stolz und Glücksgefühlen geplatzt. Ich gebe zu, dass ich Rotzbakkes dummes Gesicht gerne gesehen hätte, aber um den Preis des Lebens von meinem besten Freund? Niemals.
Wenn ich an Astrids Gesicht denke, als sie den Gronckel vorhin gesehen hat ... fast hätte ich eine neue Hose gebraucht. Ich wollte sie sogar gewinnen lassen, aber der Drache war einfach zur Seite gekippt, obwohl ich gar nichts getan habe. Sie war wohl der größte Feind, den ich mir in der Zeit im Training gemacht habe. Jetzt, wo ich weg war und nicht vor hatte, zurückzukehren, kann sie, als Zweitplatzierte, den Riesenhaften Albtraum töten und die Ehre ihrer Familie wiederherstellen. Ich hatte durch meine Tricks im Training Astrid nämlich total beleidigt. Mein Name war nicht ohne Grund Hicks. Es war eine alte Wikingertradition, die schwächsten aus einem Jahrgang so zu nennen und wenn ein Hicks eine echte Kriegerin übertraf ...
Ohnezahn riss mich aus meine Gedanken, als er plötzlich scharf rechts hinunter in den Nebel knapp über der Wasseroberfläche flog.
»Ohnezahn, was ist?«, fragte ich. Er schaute nervös umher und ich sah, dass er seine Pupillen zu Schlitzen verengt hatte. »Was ist denn?«
Ein Riesenhafter Albtraum tauchte neben uns auf, der einen kleinen Orca in seinen Krallen trug. Ohnezahn fiel ein Stück zurück, sodass der rote Drache vor uns war. Ich lehnte mich nach vorne, damit ich nicht sofort entdeckt werden würde.
Ein Tödlicher Nadder und ein anderer Riesenhafter Albtraum kamen in mein Sichtfeld. Beide hatten ebenfalls etwas Großes zu Fressen in ihren Krallen. Wir flogen weiter geradeaus, immer mehr Drachen schienen hinzuzukommen, desto mehr sich der Nebel lichtete und wir dem Ort näher kamen, den alle ansteuerten.
»Du musst uns hier rausholen, mein Freund«, sagte ich und wollte meine Hand auf Ohnezahns Kopf legen, doch er schlug sie weg.
Ich seufzte leise und ließ meinen Blick erneut umherwandern. Es sah aus, als würden die Drachen, die jetzt zu Hunderten um uns herum waren, ihre Beute nach Hause schleppen. Wir mussten also nah an der Dracheninsel sein. Deshalb haben unsere Leute wahrscheinlich das Nest nie gefunden. Der Nebel verlieh der Insel und den Drachen, die daraufzuflogen, Schutz vor Feinden.
Ohnezahn ging in den steilen Sinkflug über, so wie die anderen Drachen um uns herum auch. Ich umklammerte den Sattel, um nicht hinunterzufallen. Wir flogen durch ein Labyrinth von riesigen Felstürmen, schnitten scharfe Kurven und berührten teilweise die Wellen unter uns, bis die, wie ich stark vermutete, Dracheninsel in unser Sichtfeld kam. Ein riesiger, dunkler Berg, der oben eine runde Öffnung wie bei einem Vulkan hatte, erstreckte sich viele Meter zu allen Seiten. Kleine Schlitze boten den Drachen einen Weg ins Innere. Dort war es feucht, aber warm durch die Körpertemperatur und ausgebene Hitze der Drachen, die hier hausten. In der Mitte des Berges gab es ein Loch, das im Nebel versank, der rot leuchtete, als würde dort unten Lava sein, die noch nicht wusste, ob sie hinausschwappen sollte. Jeder Drache ließ seine Beute dort hinein fallen und verschwand danach auf einen der vielen Felsvorsprünge, die es hier gab.
»Was gäbe mein Vater darum, das hier zu sehen«, flüsterte ich.
Ohnezahn landete auf einem der Felsvorsprünge, wo kein weiterer Drache war und streckte seinen Kopf hinter der Mauer hervor. Ich tat es ihm gleich und beobachtete das Schauspiel, welches sich uns darbot. Keiner der Drachen behielt etwas von dem Fressen für sich, sie ließen es einfach fallen und verzogen sich. Die Schar wurde weniger und die Höhle voller. Erst dann fiel mir auf, dass Ohnezahn und ich nicht die einzigen waren, die sich versteckten. Jeder tat es.
Ein ziemlich verstreuter Gronckel flog herein. Er konnte kaum noch die Augen offen halten und fiel mit jedem Flügelschlag ein Stück tiefer nach unten. Sein Maul öffnete sich und ein Fisch, vielleicht eine kleine Makrele, rutschte von seiner Zunge in das rot leuchtende, unbekannte Loch. Der Gronckel war auf dem Weg hinaus, als ein lautes Gebrüll ertönte und ein riesiger Drachenkopf aus dem Nebel nach oben schoss. Sein gewaltiges Maul schloss den Drachen mit einem Mal ein und er verschwand zurück nach unten.
Mein Herz schlug so schnell, dass ich Angst hatte, dieses Monster könnte es hören und zu mir nach oben schnellen, um mich zu fressen. Solch einen Drachen hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen, weder im echten Leben noch im Buch der Drachen. Niemand hatte mir je davon erzählt, und ich wusste, dass, wenn Grobian jemals auch nur ein Stück des Kopfes gesehen hätte, er damit überall auf Berk geprahlt hätte. Was war das für ein Vieh?
Alle Drachen im Berg verzogen sich so weit zurück, wie sie nur konnten. Sie waren bestimmt genauso panisch und verängstigt wie ich. Der Kopf kam zurück. Der Drache schnupperte kurz, bis sein Auge auf mich gerichtet war.
»Komm, mein Kleiner, lass uns verschwinden«, sagte ich leise zu Ohnezahn.
Das Monstrum stieg weiter nach oben. Ohnezahn fuhr seine Flügel aus und verschwand genau in dem Moment vom Vorsprung, als der riesige Kiefer der Bestie sich darum schloss und ihn zerstörte.
Das schien ein Warnzeichen für die anderen Drachen hier drinnen gewesen zu sein, denn sie stiegen fast synchron von den Felsen ab und flogen auf das große, runde Loch über uns zu, um herauszukommen. Ich bemerkte nicht alles, da eine riesige Masse an Drachen über uns flog, aber das große Vieh verschwand im Nebel zurück, als ich mir kurz erlaubte, hinunter zu sehen. Hoffnung darauf, dass er nicht zurückkehren würde, machte sich in mir breit, aber wirklich glauben tat ich es nicht.
Wir flogen über die Kante nach draußen in die Nacht. Ich konnte die Silhouetten der vielen Drachen sehen, die in alle Himmelsrichtungen davon flogen, so schnell sie konnten. Nur Ohnezahn und ich blieben zurück. Wir landeten auf dem Kies vor dem Berg, als die gesamte Insel anfing zu beben. Das Gebrüll des großen Drachens erfüllte die Stille und heftige Windstöße kamen aus den Rissen und Spalten des Berges hinaus, welche uns fast weggefegt hätten.
Felsbrocken prasselten hinab und es fühlte sich an, als würde sich die Insel in zwei Teile zerreißen. Auf der Seite des Berges, die wir anschauten, entstand ein Loch, was zuvor eine breite Spalte gewesen war. Zwei riesige, dicke Stämme an grünen Vorderbeinen und der große Kopf des Monsters aus dem rotglühenden Nebel kamen zum Vorschein. Das Vieh brüllte erneut in die Nacht hinein und zwängte sich aus seiner Höhle hinaus.
»Natürlich habe ich immer das große Glück«, murmelte ich zu mir selber.
Das Vieh schnupperte in der Luft, lief auf dem Kies zum Wasser hin und suchte, wie ich mir dachte, nach uns. Oder eher gesagt nach mir.
Ich legte meine Hand auf Ohnezahns Kopf. »Los, Kumpel. Lass ihn uns besiegen, bevor er noch weiteren Lebewesen schaden kann.« Er grummelte zur Einstimmung.
Ich drückte meinen Fuß nach hinten, um die Prothese zu öffnen. Ohnezahn hob mit einem kräftigen Flügelschlag ab und flog direkt auf den riesigen Drachen vor uns zu.
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