132 ** die Last am Kreuz ** Sa. 11.4.2020
Nach dem Kaffee treffen wir uns im Gruppenraum. Max bestaunt kurz die Pappkameraden, und als alle da sind, machen wir eine Namensrunde für ihn. Die anderen Partner sind ja schon ab und zu aufgetaucht und uns allen bekannt. Max sagt einfach zwei Sätze über sich persönlich und gibt den anderen dann eine Gedankenstütze.
„Ich bin der Typ, der hinter A... Antonias Denkmal gehockt hat. Ich bin jetzt hier, damit wir gemeinsam den Vorschlaghammer schwingen können, um das Denkmal einzureißen."
Und dann kommt tatsächlich der Sprung ins kalte Wasser. Wir singen einige Lieder und hören dann eine Andacht über die Zeit zwischen Karfreitag und Ostern. Der Verlust des Freundes und Meisters, die Empörung über den Verrat, Petrus Scham, weil er Jesus verleugnet hat, die Angst vor Verhaftung – alles zutiefst zwischenmenschliche Situationen und menschliche Gefühle. In der Mitte unseres Sitzkreises liegen breite Latten und Knüppel, Schnüre und Draht, und es werden Farben, Pinsel und anderes Kreativmaterial bereit gestellt.
Walther stellt uns dann eine Aufgabe.
„Wir alle haben unser Paket zu tragen, wir tragen sozusagen unser eigenes Kreuz wie eine schwere Last durchs Leben. Einige Lasten habt ihr uns in den letzten Tagen schon anvertraut, andere werden noch folgen. Manche Lasten erlegen wir uns selbst auf, andere werden uns aufgeladen, ob wir wollen oder nicht. Aber für jeden gilt: bringe deine Lasten ans Kreuz und lasse dich befreien. Gestalte dein persönliches Kreuz mit deinen Lasten und erleichtere so dein emotionales Gepäck.
Ihr habt den Rest des Tages Zeit, euer Kreuz zu gestalten. Zwei Stunden bis zum Abendessen und hinterher auch. Ihr könnt hier bleiben, euch mit eurem Kreuz draußen auf Wanderschaft begeben, euch noch anderes Material zusammensuchen. Es wird immer jemand vom Team im Raum sein, ihr könnt alleine oder zusammen arbeiten, reden oder schweigen. Es kommt nicht auf schön oder fertig an, sondern auf euren inneren Prozess beim Gestalten. Lauscht in euch hinein und findet die Lasten, die ihr loswerden, die ihr ans Kreuz bringen wollt."
Einen Moment lang ist es ganz still im Raum. Erst nach einer Weile greifen die ersten nach Brettern oder Stöcken und überlegen, wie ihr Kreuz aussehen soll. Ohne uns abzusprechen, warten Max und ich einfach ab. Ich mache mir ein paar Notizen, um meine spontanen Gedanken und Gefühle festzuhalten. Als alle anderen ausgewählt haben, gehen auch wir in die Mitte und entscheiden uns für unsere Kreuzesbalken. Damit gehen wir raus und suchen uns einen Sitzplatz in der Nähe des Hauses.
Ich hole grade Luft, um ein Gespräch zu beginnen, aber Max ist schneller.
„Du musst nichts erklären. Ich nutze das hier einfach als meine Chance, auf dieses Jahr zurückzuschauen und drüber nachzudenken, was mir eine Last war – und was mir geschenkt wurde."
Manchmal ist er mir unheimlich. Er hat schon wieder ...
„Kannst du Gedanken lesen? Ich wollte tatsächlich grade anfangen, dir alles Mögliche zu erklären und zu begründen."
Max lächelt und gibt mir einen Kuss.
„Nö, Gedanken lesen kann ich nicht. Aber dein Gesicht lesen – das kann ich inzwischen ziemlich gut."
„Mein Gesicht? Wie hab ich denn gekuckt?"
„Hmmmm ..."
Der Schalk blitzt in seinen Augen.
„So ... besorgt. Da schielte die Glucke um die Ecke. Aber die brauchen wir ja nicht mehr."
Ich bin verblüfft – denn er hat nochmal recht.
Weg mit der Glucke!
„Wie geht es dir mit der Frage, Anni?"
„Ich ... weiß noch nicht. Ich mein' ... ich weiß genau, welche Lasten ich gerne loswerden möchte. Aber ich möchte ... ach, ich weiß auch nicht. Wenn ich dieses Kreuz mit nach Hause nehme und in meine Wohnung stelle, dann ist das, was ich ans Kreuz bringe, immer präsent. Ich will aber ja gar nicht, dass das dann sichtbar in meiner Wohnung rumsteht – ich will die Altlasten ja loswerden. Ich überlege, ob ich eine Gegenüberstellung mache. Symbolische Gegenstände für meine Altlasten und meine Fehler, die aber immer gleich verbunden werden mit einem Gegenstand, der die Auflösung dieser Last darstellt. Oder so. ... Kann man mein Gestammel verstehen?"
„Ich glaube schon. Ich stelle mir das so vor. Da ist ein Mensch, der ist blind. Er bringt diese Belastung, dieses Handycap in Form eines geschlossenen Auges ans Kreuz und hängt gleich einen Blindenstock daneben. Denn sein Blindsein kann er nicht loswerden. Aber er kann Hilfsmittel und Menschen finden, die ihm die Behinderung erleichtern. Die sozusagen die Last leichter machen. Und so kann er sich das Kreuz dann auch in die Wohnung stellen."
„Ja, genau so meine ich das. Sonst will ich das Ding da nämlich nicht haben."
Max kuckt ein bisschen skeptisch.
„Lausch mal in dich rein, ob das für dich der richtige Weg ist. Und ich denke mal über mein Kreuz und meine Lasten nach."
Was auch immer er damit meint ...
Ich greife wieder nach meinem Notizbuch und fange an zu überlegen, welche Lasten durch welche Gegenstände symbolisiert werden könnten – und welche Entlastung ich erfahren könnte. Währenddessen schiebt Max seine beiden Latten hin und her, als suchte er nach der richtigen Anordnung.
„Kann ich mal ein Blatt Papier und einen Bleistift haben, Anni?"
Ich reiße ihm zwei Blätter aus der Mitte vom Notizbuch raus und gebe ihm einen der Stifte, die ich gegriffen habe. Schnell entsteht eine Liste. Dann denkt er wieder nach.
Ich dagegen schreibe auf einmal gar nichts mehr.
Will ich zuviel? Oder zu schnell? Oder das Falsche?
Max fängt an, Skizzen zu machen. Ich starre meine Seite an. Max geht mit seinen Latten rein und kommt mit zwei Knüppeln wieder raus. Er hat sich also umentschieden. Ich dagegen kann grade gar nichts entscheiden. Max verbindet seine beiden Knüppel mit Draht zu einem Kreuz, naja, fast einem „T". Meine Bretter liegen unberührt da.
Max legt sein Kreuz weg, schaut mich kurz an, kommt zu mir und nimmt mich von hinten in die Arme.
„Was ist los, Schatz?"
Ich lehne mich gegen ihn und fange an zu weinen.
„Ich ... es sind so viele. Und ich weiß auf einmal nicht mehr, was ich gut kann. Was kann mir denn überhaupt helfen???"
„Aber ich weiß es. Zumindest einiges, was du wirklich richtig gut kannst. Frag mich! Ich werde nicht auf deine Liste schauen, du steuerst."
„Wenn ... wenn ich so schwach bin, dass mir gar nichts gegen die Lasten einfällt – wie soll ich dann dieses verdammte Denkmal umstoßen???"
Schneller fließen meine Tränen, ich sehe grade nur noch eine glatte schwarze Wand vor mir, an der niemand hoch kommen kann. Max wiegt mich hin und her und beruhigt mich so ein bisschen.
„Anni-Schatz. Ich glaube, die Reihenfolge ist verkehrt. Ich glaube, du musst nicht deine Stärken finden, um das Denkmal umwerfen zu können. Sondern du musst das Denkmal umwerfen, damit du wieder sehen kannst, wie stark du eigentlich bist."
„Aber. Aber, dann hab ich doch gar nicht die Kraft, das Denkmal umzuwerfen."
„Musst du doch auch nicht. Hol dir Hilfe für den Anfang. Ich bin mir sicher, dass du trotzdem am Ende stolz darauf sein kannst, dass du ganz viel selbst geschafft hast."
Warum ist er sich da so sicher?
„Merkst du was? Wir sind wieder beim Thema. Du versuchst schon wieder, das Problem alleine zu lösen.
Du. Musst. Nicht. Alleine!
Jenny und ich sind da. Deine Eltern sind da. Auch Lennart kann auf seine Weise für dich da sein. Lass dir helfen. Bitte."
Ich kuschele mich einfach in seine Arme und heule mich aus. Erst nach einer ganzen Weile bin ich wieder in der Lage zu reden.
"Ich versuchs. Hilfst du mir?"
„Von ganzem Herzen gern, wo immer ich kann."
Himmel, was bin ich froh, dass ich hergekommen bin!
Anni scheint die Erkenntnisse vom Dienstag bisher nur im Kopf durchgekaut zu haben. Jetzt hat sie das Gefühl dazu eingeholt. Und – zack! - hat der ich-alleine-Schutzmechanismus wieder eingesetzt. Und die Ahnung, dass das in diesem Fall leider nicht funktioniert. Sie kann den ich-muss-stärker-als-alles-andere-sein-Mechanismus nicht besiegen, indem sie versucht, alleine stärker als alles andere zu sein.
Was kann ihr denn da helfen, wie kann ich ihr helfen, die Last an dieses Kreuz zu hängen, statt sie mit sich rumzuschleppen???
Auf einmal begreife ich etwas. Ich bin ein typischer deutscher als-Säugling-getauft-, mehr-oder-weniger-religiös-erzogen-, man-macht-das-halt-so-konfirmiert-Christ. Ich weiß um die Bedeutung des Kreuz-Symbols. Aber jetzt plötzlich begreife ich, dass das nicht einfach ein Symbol ist. Sondern eine Hilfe, ein Angebot zum Anfassen. Dieser Jesus will meine, will Annis Lasten auf SICH nehmen und ans Kreuz damit gehen, damit wir den ganzen Dreck nicht mehr schleppen müssen. Dieses Kreuz ist ein einziges lautes „Du. Musst. Nicht. Alleine! Ich kenne deine Schmerzen, ich weiß um jede einzelne Last, weil ich selbst in dieser Situation war. Du. Musst. Nicht. Alleine!"
Und wir haben hier das Angebot, all das ganz praktisch und greifbar an ein Kreuz zu hängen, damit das innere Paket auf unseren Schultern leichter wird.
Wir basteln hier nicht ein Kunstwerk, das hinterher unsere Wohnung ziert. Wir bekommen nicht etwas, um es mit nach Hause zu nehmen. Wir sollen hergeben! Wir sollen machen lassen. Wir dürfen zurücklassen, was uns quält! Das ist ziemlich WOW! ... Und wie mache ich das jetzt Anni begreiflich???
Etwas hilflos geht mein Blick zu den Fenstern unseres Gruppenraums. Ich bin so verflixt ungeübt darin, religiöse Befreiung in Worte oder Gesten zu übertragen.
Das ist eine echt große Nummer hier!
In dem Moment schaut Sabine aus dem Fenster zu uns rüber. Ich kann ihr Gesicht nicht genau erkennen auf die Entfernung. Aber ich bewege meine eine Hand in ihre Richtung, und sie setzt sich sofort in Bewegung.
Wenige Minuten später steht sie neben uns. Ich nicke zur Bank neben mir, und sie setzt sich. Stumm schaut sie sich mein angefangenes Kreuz an, dann Annis Bretter.
„Anni? Sabine ist hier. Darf sie sich deine Notizen ansehen?"
Anni versteift sich kurz, dann lässt sie wieder los.
„Solange sie sie nicht vorliest? ... Ja."
Sabine hebt das Notizbuch vom Boden auf, wo es Anni eben runtergefallen ist. Anni greift danach und schlägt eine bestimmte Seite auf.
„Hier. Mein Gedankenchaos."
Sabine liest sich das durch.
„Wer hat denn gesagt, dass du dieses Kreuz mit nach Hause nehmen und in deine Wohnung stellen musst? Es dient nur dazu, dass du etwas los werden kannst. Was auch immer du loslassen kannst und willst. Es dient nicht dazu, die belastenden Gefühle für immer zu konservieren. Du kannst das hier lassen, ins Meer schmeißen – oder ins Osterfeuer. Du musst das Kreuz dahin nicht mal alleine tragen. Unser Herr Jesus Christus ist auf dem Weg nach Golgatha unter seinem Kreuzesbalken zusammengebrochen. Daraufhin hat es ein anderer für ihn getragen.
Wenn ich das hier richtig verstehe, weißt du nicht mal, was eigentlich auf diesem Denkmal-Sockel drauf steht. Du kämpfst gegen einen unsichtbaren Feind. Ich vermute, da steht gar kein ‚wer' – sondern ganz viele ‚was'. Erzähl uns doch mal, was es ist, das du loslassen willst."
Endlich wurschtelt sich Anni wieder aus meinen Armen und setzt sich aufrecht hin. Sabine reicht ihr Taschentücher. Und dann warten wir einfach ab. Hilflos greift Anni nach ihren beiden Brettern.
„Ich ... ich wollte schon wieder ein Denkmal bauen. Ich hatte sofort das Bild vor Augen, wie ich denn das Kreuz im Zug transportieren soll. Deshalb sind die Bretter auch so kurz. Dann habe ich mich gefragt, wo ich es hinstellen werde. Und als ich dann angefangen habe, im Geiste meine Lasten daran zu hängen, wurde das Kreuz in meinem Kopf immer größer. Es war nicht Befreiung. Es war Bedrohung. Es wurde immer wackeliger und immer schiefer durch die ganzen Lasten. Und schließlich drohte es, auf mich drauf zu fallen. Aber dann hätte ich nicht ein Denkmal vom Sockel gestoßen – sondern ich wäre davon erschlagen worden."
Oje. Das ist ja nun das Gegenteil der Erkenntnis, die ich vorhin hatte. Wenn es für Anni eine Bedrohung ist, dass sie Hilfe und Entlastung annehmen soll, dann weiß ich echt nicht mehr weiter.
Ich reagiere ganz spontan und nehme Anni wieder fester in die Arme. Sabine scheint es ähnlich zu ergehen, denn sie ringt sichtlich um Worte.
„Ich versuche zu verstehen, Antonia, warum es für dich so schwer ist, dich von deinen Lasten zu befreien. Warum ist es so wichtig, dass deine Angst dich weiter beherrscht? Was soll sie in Schach halten? In wiefern dient dir deine Angst zu etwas? Was hält dich zurück?"
Plötzlich habe ich eine Idee.
„Anni, sind es vielleicht die Trigger, die dich nicht vorwärts gehen lassen? Nach dem Motto: wenn ich das alles abgeben wollte, müsste ich es selbst erstmal hervorkramen und anschauen. Und das halte ich nicht aus. - Hast du Angst vor Bildern und anderen Erinnerungen, die dann über dir zusammen brechen würden?"
Anni versteift sich in meinen Armen, und es dauert eine ganze Weile, bis sie schließlich nickt.
„Ich ... ich glaube, das ist auch ein Teil davon, ja. Es ist so demütigend und ängstigend zu spüren, wie sehr diese Bilder und meine Reaktionen darauf mich im Griff haben. Ich will die Kontrolle über mich behalten."
Sabine nickt.
„Verstehe. Das ist schwer, meine Liebe. Dann überleg doch mal, wo du sein müsstest, wer bei dir sein müsste, damit du es schaffen kannst, die Bilder und Erinnerungen ein letztes Mal anzuschauen und dann loszulassen. Was muss passieren, dass deine Angst dich nicht mehr zwingt, immer und unbedingt die Kontrolle zu behalten?"
Hm. Ich fürchte, die Frage ist falsch gestellt. Sie könnte jetzt meinen, sie muss mich nennen, weil ich grade zuhöre. Aber wir beide wissen doch, dass nur Jenny ihr da durchhelfen könnte – wenn überhaupt jemand ...
„Anni, kannst du noch, oder möchtest du jetzt erstmal Pause machen? Du musst da jetzt nicht sofort eine Antwort finden. Und die Antwort muss auch nicht ‚Max' lauten. Lass dir Zeit. Ich passe so lange auf dich auf."
Mein Verdacht bestätigt sich, als Anni erleichtert seufzt und sich einfach wortlos noch fester an mich drückt.
Ich deute auf das Material von Anni und mir. Sabine versteht und sammelt alles ein. Sie holt zwei Kisten und legt alles da rein, damit wir es griffbereit haben, falls wir weiter arbeiten wollen. Dann geht sie rein, und ich bleibe einfach mit Anni sitzen. Es dauert eine ganze Weile. Immer wieder schüttelt sie plötzlich den Kopf oder murmelt „nein" und „lass mich". Ich muss das jetzt einfach aushalten, bis sie sich endlich entspannen kann. Ich denke in der Zeit weiter nach, und allmählich formuliert sich die nächste Frage in meinem Kopf.
„Sag mal – wenn du dich so hilflos fühlst und dich dann an mich drückst – ist das eine bewusste Entscheidung, jetzt die Kontrolle an mich abzugeben? Oder merkst du in dem Moment gar nicht, dass du genau das tust, wovor du dich so fürchtest?"
Anni richtet sich auf und schaut mich verblüfft an.
„Tu ich das?"
„Ich glaube, schon. Du bist ja auch bei mir angespannt, aber diese Spannung löst sich immer nach einer Weile auf. Als ob du etwas nur langsam zulassen kannst. Ich glaube, du kannst ganz bewusst und, bevor dich die Trigger überfallen, sagen: ‚Jenny, Max, könntet ihr jetzt bitte gut auf mich aufpassen? Ich brauche grade mal eine Hand, die mich hält, während ich etwas ausprobiere. Oder so."
Wäre das ganze nicht so furchtbar für sie, würde ich mich jetzt über ihr Aha-Erlebnis-Gesicht kringelig lachen.
„Lass mich grade mal sortieren, Max. Wir haben jetzt schon so viele Bilder. Also – ich habe aus meinen Ängsten und Triggern ein Denkmal gebaut, dass mich beherrscht, weil ich es zulasse. Um nicht völlig die Kontrolle zu verlieren, rühre ich nicht daran, damit nichts wieder hochkommt und irgendwas noch schlimmer wird. In Wahrheit lebe ich dadurch aber nicht selbstbestimmt sondern unter der Kontrolle all dessen, was ich krampfhaft unterm Deckel halten muss."
Anni schluckt, zwinkert Tränen weg, holt tief Luft.
Was eine Quälerei!
„Ich habe Survival trainiert, bin Berge rauf und runter gerannt und habe noch alles mögliche andere gelernt, damit ich ja nur nie wieder von jemand abhängig bin. Aber ich habe übersehen, dass ich trotzdem emotional abhängig geblieben bin, und dass ich nun mal ein soziales Wesen bin und Freunde brauche. Und liebe. Jetzt bieten mir diese Freude – oder Gott oder Jesus oder wer auch immer – an, dass sie mir helfen wollen, die alten Ängste loszulassen, das Trauma vom Sockel zu holen, es zu akzeptieren, aber ihm die Macht zu nehmen – und ich bringe es nicht fertig. Aus irgendeinem Grund scheine ich das Denkmal zu brauchen – als Mahnung wegen was auch immer. ... Und da häng ich fest. Ich kapier nicht, was da in mir vorgeht. Eigentlich müsste ich doch mit Vergnügen all den alten Schrott wegschmeißen wollen. Was hindert mich daran???"
Ihre Stimme wird immer verzweifelter – und meine Sorgen auch. Ich kann ihr diesen Schritt nicht abnehmen. Ich kann nur da sein und sie auffangen, wenn sie fällt.
„Süße, das tut mir so leid. Ich ... es ist schwer, dir hilfreiche Fragen zu stellen, solange ich ... Ach egal. Beantworte das einfach für dich. Was ist das für eine Mahnung? Was könnte passieren, wenn du diese Mahnung in den Wind schlägst? Und was wird wahrscheinlich passieren?"
Anni hält die Luft an und beißt die Zähne zusammen.
„Halt mich fest!"
„Ich bin da, Anni. Ich bin da. Für eine Woche sind das schon ziemlich viele Erkenntnisse. Lass dir Zeit. Treib dich nicht zu sehr. Ich bin da."
Und ich möchte am liebsten mitheulen, während ich sie im Arm halte.
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25.1.2021
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