8. Zuhause
Da Manu darauf bestanden hatte, erst am späten Abend wieder zurückzufahren, hatte er nicht zurück ins Internat gekonnt und stattdessen seinen Zug nach Hause buchen müssen. Zwar würde er dafür noch eine Stunde länger unterwegs sein und erst um drei in Essen ankommen, aber im Internat hätte er bereits bis um Zehn Uhr zurück sein müssen - und das war ihm definitiv zu früh gewesen. Gestern noch hatte er nur abgewunken und erklärt, die späte Uhrzeit machte ihm wirklich nichts aus, warum auch, jetzt aber sah er die Sache ganz anders. Er wollte nicht mitten in der Nacht am Bahnhof sein müsen, wollte nicht mit der S-Bahn nach Hause fahren müssen. Schon allein der Gedanke daran versetzte ihn in Panik. Also hatte er Peter geschrieben, der schließlich eingewilligt hatte, ihn abzuholen, wofür er ihm mehr als nur dankbar war.
Manu hoffte, für den Abend noch von den Bösartigkeiten seiner Brüder verschnt zu bleiben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden Sebastian und Tobi schon schlafen, wenn er nach Hause kam und Peter alleine war meistens noch am erträglichsten von den dreien. Er würde ihn aufziehen und ärgern, das bestimmt, aber zumindest ihm nicht körperlich weh tun.
Als der Zug am Bahnhof Essen hielt zitterte Manu schon wieder am ganzen Körper und musste sich mit aller Kraft dazu überreden, auszusteigen und aus dem Bahnhof raus, auf die dunkle Straße zu gehen. Immer noch war er mit der Situation, all dem, was geschehen war, viel zu überfordert und schien es auch nicht zu schaffen, das zu verarbeiten.
Peter erwartete ihn auf dem Parkplatz direkt vor dem Eingang – um diese Uhrzeit war es nicht schwierig, dort einen Platz zum Halten zu finden.
Manu hatte das Gefühl, noch nie so erleichtert gewesen zu sein, einen seiner Brüder zu sehen und ließ sich sofort von Peter zur Begrüßung umarmen, als er bei ihm ankam. Obwohl der Griff seines großen Bruders ein wenig zu fest war, eigentlich nicht mehr im bereich des Angenehmen, hätte er sich am liebsten nicht mehr von ihm gelöst und stattdessen ewig das Gefühl der Sicherheit genossen, das er ihm gab.
So gewalttätig Tobi, Peter und Sebastian auch sein konnten - im Endeffekt mochten sie ihren jüngsten Bruder doch alle drei gerne, so wie man seine Geschwister nun mal gern mochte. Und trotz allem gab Peter Manu in diesem Moment, in dieser Situation ein Gefühl der Sicherheit, so wie es früher gewesen war, als er noch klein gewesen war und Peter ihn vor den Ärgereien Tobis beschützt hatte.
»Manu? Was ist los? Was ist passiert?«
Natürlich hatte auch Peter gemerkt, dass etwas mit seinem jüngeren Bruder nicht stimmte. So fertig, wie er aussah, war das auch schwer zu übersehen. Manu schüttelte nur den Kopf, immer noch kam kein Ton über seine Lippen, es ging einfach nicht.
»Manu? Rede mit mir. Was ist passiert?«
Peters Umarmung um ihn herum löste sich auf, stattdessen sah sein großer Bruder ihn nun nur noch ernst, sogar besorgt, an. Aber Manu antwortete nicht, senkte bloß den Blick und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, trocknete seine feuchten Augen, bevor er auch noch zu heulen beginnen würde. Wieso hatte das passieren müssen?
Auch Peter schien nun einzusehen, dass Manu nich antworten zu wollen schien und änderte seine Taktik. Sanft, aber bestimmt schob er ihn auf das Auto zu, öffnete die Beifahrertür und drückte ihn auf den Sitz.
»Okay, wir fahren erst einmal heim. Wenn du darüber sprechen willst ...«
Er beendete seinen Satz nicht, sah Manu aber unmissverständlich ernst an. Dieser nickte, wusste aber, dass es dazu niemals kommen würde. Er konnte nicht darüber sprechen, selbst wenn er gewollt hätte.
Peter neben ihn schlüpfte auf den Fahrersitz, kontrollierte mit einem schnellen Blick, dass Manu angeschnallt war und schaltete seine Sitzheizung an, bevor er den Motor startete.
»Mama schläft schon und dein Vater auch. Sebastian war vorhin noch wach, wollte aber ins Bett gehen und Tobi ist irgendwo feiern. Du willst wahrscheinlich gleich ins Bett, oder?«
Manu nickte bloß, immer noch stumm und lehnte sich im Sitz zurück. Am liebsten hätte er sich in seiner Kapuze versteckt, in der Hoffnung, dass diese ihm zumindest ein bisschen Schutz bieten würde, aber er wollte nicht, dass Peter das als Abweisung auffassen und sich noch mehr Sorgen machen würde. Zumal er es ihm nicht erklären konnte.
Als Peter vor dem Haus hielt, warf er erneut einen dieser besorgten Blicke zu Manu, mit denen er ihn die ganze Fahrt lang bedacht hatte, bevor er ausstieg und Manu es ihm gleichtat.
Peter versuchte, leise zu sein, während er die Haustür aufsperrte und ließ schließlich sogar Manu vor ihm in das Haus treten, wo im Flur noch schwaches Licht brannte.
Es war still und kurz hatte Manu gehofft, dass wirklich schon alle schliefen, als Sebastian oben auf der Treppe auftauchte und ihn grinsend musterte.
Manu striff seine Schuhe ab und stellte sie unter die Heizung, bevor er seine Jacke achtlos über irgendeinen der Haken hängte und wortlos die Treppe hochhuschen wollte. Er woltle sich an Sebastian vorbeidrücken, der jedoch stellte sich ihm in den Weg und hielt ihn am Arm fest, so dass Manu kurz schmerzerfüllt aufzischte. Natürlich hatte sein Bruder eine der Stellen getroffen, die eh schon weh taten und wohl ein blauer Fleck werden würde. Sebastian drückte ihn mit einer Hand in den Flur in Richtung Küche, wollte ihm gerade brüderlich, aber für Manu dennoch schmerzhaft in die Seite knuffen, als Peter von unten ihn davon abhielt:
»Sebastian. Lass ihn.«
Überrascht sah der mittlere der drei Brüder auf, hob eine Augenbraue.
»Seit wann hältst du zu dem Hosenscheißer?«
Peter seufzte und kam nun auch die Treppe hoch.
»Ich halte zu gar niemanden. Meinetwegen darfst du Manu, Tobi oder sonstwen ärgern solange es dir Spaß macht, wenn du das für nötig hältst. Aber du siehst doch, wie fertig er ist.
»Wer fährt auch schon freiwillig Mitten in der Nacht Zug, nur um einen Freund zu besuchen. Sicher, dass das nur ein Freund ist, manu? Stehst du auf den?«
Manu zuckte zusammen, sah Sebastian entsetzt an.
Seine Brüder wussten noch nicht einmal, dass er schwul war. Das konnte er nicht ernst meinen. Sofort schüttelte er den Kopf.«
»Komm schon, Kleiner.«, erneut kam Sebastian ihm bedrohlich nahe, »gibst doch einfach zu. Es glaubt eh jeder, dass du eine Schwuchtel bist. Du würdest es doch eh nicht schaffen, irgendein Mädchen rumzukriegen. Da kannst du dich auch gleich von nem richtigen Typen flachlegen lassen.«
Manus Augen waren erschrocken aufgerissen, die Worte seines Bruders taten mehr weh, als sie sollten. Sie wussten nicht, dass er schwul war, sie konnten es nicht wissen. Es konnte gar nicht so offensichtlich sein! Man sah Leuten ihre Sexualität nicht an. Sebastian sah einfach nur das, was er sehen wollte.«
Ohne ein weiteres Wort riss er sich erneut los, rieb sich mit der Hand über den schmerzenden Arm und flüchtete, so schnell er konnte, die Treppen hoch in den ersten Stock, wo er sich in seinem Zimmer in Sicherheit brachte. Er konnte noch hören, wie nun Sebastian und Peter sich stritten, irgendwann fluchte einer der beiden, es war ein gedämpftes Geräusch zu hören, irgendwer hatte den Anderen wahrscheinlich geschlagen.
Manu schloss die Zimmertür und sperrte die Welt aus.
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Fragen kommen morgen erst wieder, ich hab heute keine Zeit mehr ;)
Feedback und neue Fragen trotzdem immer gerne!
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