69. Reaktionen
Manu atmete tief durch, kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu sammeln. Es war unangenehm früh – vor allem dafür, wie lange sie gestern Abend noch zusammen gesessen hatten. Dementsprechend tief saßen auch seine Augenringe und zu allem Überfluss stand ihm heute auch noch der längste Tag der Woche bevor – mit zehn Stunden Unterricht, Studierzeit und Basketballtraining. Sonst war das ja auch nicht wirklich ein Problem – aber sonst hatte er auch mehr als nur zwei Stunden Schlaf intus. Dazu kam die Nervosität, die ihn gerade von innen heraus auffraß. Seit gestern Abend war es offiziell, dass er schwul war und inzwischen musste es wohl die ganze Stufe wissen. Und genau der musste er sich jetzt stellen – und das alleine.
Zum ersten Mal bereute er es, nicht zum Frühstück gegangen zu sein. Zwar sparte er dadurch viel Zeit und bekam auch so nicht vor dem Mittagessen sonderlich großen Hunger, aber damit hatte er auch die Gelegenheit verpasst, sich seinen Mitschülern nicht alleine stellen zu müssen, sondern mit Palle an seiner Seite. Seinen Erfahrungen verdankte er es, dass er, auch wenn sich seitdem viel verändert hatte, immer noch Angst hatte, für seine Sexualität blöd angemacht zu werden. Dass das mit Patrick an seiner Seite weniger passieren würde, dessen war er sich sicher.
Da das ganze Rumgrübeln, Meiden und Herauszögern ja doch nichts brachte, überwand er sich irgendwann, schnappte sich seine Tasche und machte sich auf zu seinem Klassenzimmer. Dado war schon vor ein paar Minuten losgegangen, da er einen anderen Kurs hatte und noch etwas mit Klassenkameraden besprechen wollte.
Er kam mit dem Gong zu seinem Klassenzimmer und hoffte schon, dadurch jeglichen Gesprächen vor Unterrichtsbeginn entgehen zu können – zu seinem Pech war seine Lehrerin aber natürlich noch nicht da.
Also beeilte er sich, zu seinem Platz zu kommen. Anfang des Jahres hatte er noch alleine am Fenster gesessen, aber vor ein paar Wochen war er ein Mal durch den halben Raum neben Tim umgesiedelt, wo noch ein freier Platz gewesen war, nachdem der ihn darauf angesprochen hatte, warum er eigentlich alleine saß.
Gerade war er über diesen Umstand mehr als nur froh – zwar war das kein so zuverlässiger Schutz wie Patrick, von dem ja nun alle wussten, dass er zu ihm halten würde, aber als sozusagen »Leidgenosse« mit vom vielen Training auch nicht zu verachtenden Körperbau würde hoffentlich auch so niemand auf die Idee kommen, einen dummen Kommentar über Beziehungen zwischen Jungs abzugeben.
Tatsächlich schaffte er es, sich mit jeder Minute, die er sich mit Tim und Stegi unterhielt, um die Zeit, bis ihre Lehrerin kam, zu überbrücken, ein wenig zu beruhigen - was auch nötig war, denn die ließ sich ganz schön Zeit und machte ihren Schülern schon Hoffnung auf eine krankheitsbedingte Freistunde – bis sie sich nach fast vierzehn Minuten doch noch herbequemte.
Die verbliebenen siebzig Minuten Chemie-Unterricht vergingen zum Glück recht schnell und als sie in die Pause entlassen wurden, war Manu schon lange nicht mehr so auf Flucht eingestellt, wie noch zu Stundenbeginn.
Er ging mit Rafi, Tim und Stegi in Richtung Aula und unterhielt sich in sein Handy tippend mit Letzterem, bis sie zu einer Gruppe von ihren Mitschülern stießen, die in einer etwas ruhigeren Ecke der Aula beisammen standen. Manu konnte auf den ersten Blick feststellen, dass weder Dado, noch Patrick darunter waren und wollte sich gerade erkundigen, ob jemand wisse, wo einer von ihnen war – als Felix ihm zuvorkam.
»Jetzt, wo jeder weiß, dass er gerne einen lutscht, macht Manu sich sofort an Stegi ran.«
Der Kommentar war eindeutig nicht an ihn gerichtet – und trotzdem laut genug, dass Manu vermuten konnte, dass er es nicht unabsichtlich mithören hatte können. Er biss sich auf die Lippe, spürte sofort, wie die Angst ihn packte. Er wollte nicht, dass jemand so dachte!
Aber natürlich hatte nicht nur er es gehört, sondern auch Stegi. Und der reagierte nicht so ruhig wie Manu.
»Gehts noch?«
Fassungslos starrte er Felix an.
»Minderbemittelt oder so? Pack dir deine Homophobie sonst wo hin!«
Irritiert sah Tim auf, schien den Auslöser für den Ausbruch seines Freundes nicht mitbekommen zu haben. Manu war nur froh, dass er nicht auch noch auf Felix losing, auch wenn dieser es gerade vielleicht wirklich verdient hatte. Schon dass Stegi ihn quasi in Schutz nehmen musste, war ihm unangenehm. Der war aber gerade scheinbar auf Hundertachtzig und schien sich auch nicht wirklich beruhigen zu wollen. Zu Manus Überraschung sprang aber ausgerechnet Basti, als eigentlich Unbeteiligter, ihnen zu Hilfe. Er legte Felix gönnerhaft einen Arm um die Schultern und grinste ihn leicht überlegen an.
»Schätzchen, wenn du eifersüchtig bist: Wir finden bestimmt jemanden, bei dem du auch mal lutschen darfst.«
Felix murmelte irgendetwas und befreite sich von Bastis Arm, schien aber nach diesem Gegenwind auch nicht zu beabsichtigen, noch ein Mal etwas zu sagen.
Manu versuchte, seine Anspannung wegzukriegen und sich psychisch wieder etwas zu lockern. Es war alles gut – ein dummer Spruch, mehr nicht.
Er nickte Stegi dankbar zu und löste sich dann von der Gruppe, um nach seinen Freunden Ausschau zu halten. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Tim und vielleicht auch Stegi – ohne hinzustarren konnte er das nicht sicher sagen - ihm nachsah.
Patrick fand er schließlich draußen auf dem Pausenhof, wo das Wetter für diese Jahreszeit wirklich ziemlich erträglich war. Er zögerte kurz, wie er ihn begrüßen sollte – schließlich mussten sie es auch nicht jedem unter die Nase reiben, dass sie zusammen waren – das erledigte sich aber in dem Moment, als Patrick ihn entdeckte und sich kurzerhand, ohne ihm Zeit zum Reagieren zu geben, zu ihm beugte und ihm einen kurzen und sehr unintimen Kuss auf die Lippen gab.
»Hey. Dado wollte sich etwas zu trinken holen. Wo warst du?«
Manu seufzte, sah sich reflexmäßig um. Sie waren relativ alleine hier. Seine Stimme, als er antwortete, war weder sonderlich laut, noch sicher.
»Ich bin mit Tim und Stegi mit nach Chemie, euch suchen, und war bei den Anderen.«
Er würde nichts von Felix erzählen, das beschloss er in diesem Moment. Er und Patrick schienen immer gut zurecht gekommen zu sein und das wollte er ihm nicht ruinieren. Würde so etwas noch ein Mal passieren, würde er sich ja sein eigenes Bild machen können. Und wenn es bei diesem einem dummen Kommentar blieb, würde Manu hm das sogar verzeihen können – sie mussten ja keine besten Freunde werden.
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