6. Besuch
»Ich will nicht bald schon wieder gehen müssen.«
Dado seufzte und rieb sich in einer erschöpften Geste über die Augen.
»Es tut mir leid, Manu. Ich weiß nicht, warum meine Eltern so vehement dagegen waren, dass du bis morgen bleibst. Ich will auch nicht ... wieder alleine sein.«
Manu schluckte bei Dados Tonfall. Sein bester Freund hatte ihm in den letzten Stunden viel erzählt, aus der Klinik und wie er sich fühlte. Und unter anderem hatte er ihm anvertraut, dass er es am schlimmsten fand, in der Klinik so isoliert zu sein. Die einzigen Leute, die dort um ihn waren, wurden dafür bezahlt, Zeit mit ihm zu verbringen. Ihm fehlte Manu, die Anwesenheit seines besten Freundes, nicht nur ihre Telefonate und seine anderen Schulfreunde. Und jetzt, wo er endlich fürs Wochenende heim gedurft hatte, hatte er nicht die Möglichkeit, Manu, der extra über drei Stunden Zugfahrt auf sich genommen hatte und dem weitere Stunden Rückfahrt bevorstanden, länger als einen halben Tag zu sehen.
»Ich glaube, ich weiß, warum sie es nicht wollen.«
Das zuzugeben fiel Manu schwer, er wollte Dado nicht verletzen, indem er ihm verriet, was seine Eltern von seinem besten Freund hielten.
»Was? Wieso?«
»Sie mögen mich nicht. Sie können mich nicht ausstehen. Sie denken, ich bin Schuld daran, dass du in der Klinik bist.«
»Was?« Ungläubig zog Maurice eine Augenbraue hoch. »Was sollst du damit zu tun haben?«
»Sie ... verstehen nicht, warum. Und nachdem dieses ganze Thema aufgekommen ist, weil ich in den Sommerferien zwei Wochen hier war ... bin ich schuld daran.« Manus Herz verkrampfte sich, als sein bester Freund für einen Moment nichts erwiderte. Seine Stimme klang unsicher, als er fortfuhr: »Dado? Ist es meine Schuld?«
Er hatte es sich nie erklären können. Es gab keinen rationalen Grund dafür, warum es seine Schuld sein könnte, genauso wie es keinen rationalen Grund dafür gab, dass Maurice überhaupt so hungerte. Und trotzdem blieb da diese winzige Möglichkeit – die Manu mit jedem Mal, dass er gesagt bekam, dass es seine Schuld gewesen wäre, dass er Maurice verändert hätte, wahrscheinlicher erschienen war.
»Was? Nein! Manu, denk das nicht! Du bist nicht Schuld daran. Keiner ist schuld. Das ist einfach ... Wenn schon, ist es meine Schuld. Und du weißt, dass das nichts mit den Sommerferien zu tun hat. Mir geht es schon lange schlecht. Du warst doch dabei!«
»Hätte ich ... etwas anders machen sollen? Hätte ich dir irgendwie ... helfen können?«
Maurice überlegte kurz, griff dann nach Manus Hand, die unglaublich kalt war.
»Nein. Nicht wirklich. Natürlich hättest du zu irgendwem gehen können, jemandem davon erzählen. Vielleicht wäre ich dann schon früher in die Klinik gekommen. Aber du hattest mir versprochen, mein Geheimnis für dich zu behalten. Hättest du es wirklich einfach so ausgeplaudert, wären wir vielleicht jetzt keine besten Freunde mehr. Also nein. Du hast alles richtig gemacht, wirklich. Du warst für mich da, die ganze Zeit und bist es immer noch. Das weiß ich und das wusste ich immer.«
»Danke.«
Manu schloss kurz die Augen, drückte Dados Hand fester.
»Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen.«
»Tust du. Du bist doch hier für mich.«
»Das meine ich nicht. Ich meine wirklich helfen. Nicht nur da sein.«
»Aber da zu sein ist das Beste, was man momentan für mich tun kann. Ich weiß, dass du mein bester Freund bist und dich trotz all dem Stress, den du gerade selber hast, um mich sorgst. Ohne jemanden, mit dem ich so ehrlich reden kann und der ganz sicher für mich da ist, hätte ich vieles jetzt schon nicht geschafft.«
*
»Ich versuche, nach den Herbstferien wieder zurück zu dürfen. Das ist nicht mehr allzu lang. Und dann sehen wir uns wieder jeden Tag.«
Manu lächelte traurig, er hoffte wirklich, dass Maurice Recht behalten würde. Dass seine Entlassung aus der Klinik noch ein weiteres Mal verschoben würde, würde er echt nicht ertragen.
»Du weißt, dass du jederzeit mit allem zu mir kommen kannst?«
Fast schon zärtlich strich Manu über Dados Haare. Obwohl er niemand war, der in der Lage war, ein Beschützer zu sein, hielt er seinen besten Freund in den Armen und gab ihm alle Mut und Kraft, die er entbehren konnte.
»Du auch. Pass bitte auf dich auf.«
»Werde ich. Versprochen.«
Kurz warf Maurice einen verstolenen Blick auf das Haus hinter sich, bevor er sich hochstreckte und Manu einen winzigen Kuss auf die Lippen drückte.
»Ich auch.«
Manu lächelte, drückte den kleineren Blondschopf noch ein Stückchen näher an sich. Eine ganze Weile lang schwiegen sie beide nur und genossen die so lang vermisste Nähe des Anderen, derer sie heute nicht genug kriegen konnten, bevor Dado sich irgendwann von ihm löste und leise erneut zu Sprchen begann:
»Ich hätte dich gerne zum Bahnhof begleitet.«
»Schon okay. Ich versteh schon, warum deine Eltern es nicht erlaubt haben. Es ist fast zehn und stockdunkel draußen. Es kann zu viel passieren, noch dazu hier, mitten in der Stadt.«
»Und du?«, Dado schüttelte den Kopf, »dir kann doch genauso gut passieren? Du kannst auch in der Dunkelheit von einem Auto übersehen werden. Am Abhnhof sind nachts eine Menge gruselige Leute, extrem viele Assis. Dir kann dort genauso etwas passieren wie mir.«
»Aber es sind deine Etern und nicht meine. Ich schaff das schon. Der Weg ist nicht ewig lang, ich schaf das ohne Probleme. Mir passiert schon nichts.«
Die Verabschiedung hatte sich noch in die Länge gezogen. Zum glück hatte Manu genug Zeit eingeplant, sein Zug würde erst in einer knappen Stunde gehen. Es hatte gut getan, Dado wieder zu treffen und Zeit mit ihm verbringen zu können. Er schien sogar ein bisschen zugelegt zu haben, zumindest schien er nicht mehr ganz so mager gewesen zu sein. Sein Gesicht hatte wieder etwas sanftere Züge angenommen, die kantigen, knöchernen Strukturen etwas eingebüßt. Er war immer noch sehr dünn, aber es wirkte nicht mehr ganz so auffällig kränklich.
In Gedanken war er noch bei dem vergangenen Tag, der Zeit, seitdem Dado ihn heute Vormittag am Bahnhof abgeholt hatte, und die nun viel zu schnell vergangen war, während er wie automatisch den Weg ging, den sie bei seinem Besuch in den Sommerferien regelmäßig gegangen waren. Damals aber war es um diese Uhrzeit noch taghell gewesen, die schmalesn Straßen erleuchtet und belebt und nicht annähernd so gruselig, wie jetzt.
Manu beschleunigte seine Schritte, irgendwie war es ihm hier doch nicht ganz geheuer. Zu tief verankert saßen Dados Warnungen, vorsichtig zu sein.
Die fremde Gestalt bemerkte er erst, als sie nur noch zwei Meter von ihm entfernt war. Sie wankte ein wenig und stank selbst von hier fürchterlich nach Alkohol. Manu zögerte. Er musste eigentlich an der Stelle, an der der Fremde, er schätzte einen Mann Mitte vierzig, herumlungerte vorei, dann waren es nur noch zwei Querstraßen bis zum Bahnhof. Andererseits war der Gedanke ihm dabei so nahe kommen zu müssen, schon irgendwie gruselig,
Unwillig schüttelte Manu den Kopf. Zurück zu gehen wäre Unsinn. Diese Angst gab es doch nur in seinem Kopf. Das dort war kein Mörder, der ihn gleich absrechen würde, sondern einfach nur irgendein Typ, der auf der Straße rumlungerte.
Er fasste seinen Entschluss und beschleunigte seine Schritte, geradewegs auf die Gestalt zu.
Gerade wollte er den Typ ungeachtet hinter sich lassen und mit kleinem Bogen an ihm vorbeigehen, als er sich auf einmal aus dem Schatten löste, Manu beim Arm packte und zu sich zog.
~~~~~~~~
Patrick:
Wieso warst du nach ein paar Sekunden in dem Zimmer schon wütend auf Manu oder konntest ihn nicht leiden?
»Er war vom ersten Moment an extrem merkwürdig. Er hat mehrere Stunden lang kein Wort mit mir gesprochen, bis er nicht mehr anders konnte. Außerdem sah er schon im ersten Moment ziemlich strange aus. Sollte mal wieder zum Friseur, der Gute.«
Es ist seltsam jemanden zu küssen für den man nichts fühlt ... Wolltest du ihn aus Provokation küssen?
»Meine Güte, es war nur ein Kuss. Andere Leute haben Sex mit Anderen, für die sie nichts empfinden und es juckt doch auch keinen. Aber wenn du es so sagen willst, ja, man kann es Provokation nennen. Ist doch klar, dass man ihn damit gut treffen kann, wenn es ihn ja anscheinend so anekelt.«
Was genau reizt dich so daran, Manuel gegenüber deine Kraft und körperliche Überlegenheit auszunutzen?
»Keine Ahnung? Was reizt dich daran, darüber zu lesen?«
Manu:
Kannst du dir vorstellen, dass es später mal ein Shipping über dich und Palle gibt welches den Namen "Kürbistumor" trägt?
»Was hast du genommen?«
Wieso hast du Patrick nicht deine Sexualität offenbart? Glaubst du nicht, dass er sich dann anders verhalten hätte?
»Weil es niemanden etwas angeht. Dado weiß es und sonst niemand. Und dass soll auch so bleiben. Außerdem hätte er mir eh nicht geglaubt. Ich habe ihn nur wenige Sekunden davor als Schwuchtel beschimpft. Und wenn er mir doch glauben würde, wäre das sogar noch schlimmer. Dann würde es jeder erfahren und sie hätten noch einen rund mehr, mich nicht zu mögen. Schon allein wegen Gerüchten, dass ich etwas mit Maurice gehabt hätte, wurde ich lange ziemlich fertig gemacht.«
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Ohoh ... Das klingt ungut.
Morddrohungen an mich werden nur als Papierflieger gefaltet angenommen!
Fragen an die Charaktere?
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