34. Nacht
»Ich liebe das hier. Ich war kurz nach den Sommerferien mit den Jungs voll oft hier am späten Abend. Es ist nachts hier ... keine Ahnung. So schön.«
Manu nickte, musste Palle zustimmen.
Sie hatten sich auf die Kiesel direkt am See gesetzt, wo tagsüber die Urlauber und Einheimischen um jeden Zentimeter Platz stritten, aber jetzt, zu Winterbeginn und lange nach Mitternacht, kein Mensch mehr zu sehen war.
Von der Schule war kein Mucks zu hören. Der Keller war gut isoliert und der Rest der Schüler schlief schon lange. Wie lange es her war, dass sie sich von dem Rest der Gruppe abgesetzt hatten und sich sozusagen ausgesprochen hatten, konnte Manu nicht einschätzen, aber es war ihm eigentlich auch egal.
Leicht fröstelte er in dem einfachen Hoodie, den er trug, aber es war auszuhalten. Der Winter war mal wieder schrecklich mild, von Schnee keine Spur, und der Alkohol in seinem Blut tat seinen Teil, um Manu die Kälte nicht spüren zu lassen.
Eigentlich hatte er noch eine Jacke gehabt, die er drüber gezogen hatte, aber die hatte er schon vor einiger Zeit Patrick überlassen, dem - nur in seinem dünnen Sweatshirt – um einiges kälter gewesen war. Unabhängig davon, wer Palle war und wie sie zueinander standen: Manu war niemand, der Andere frieren ließ, während er Abhilfe verschaffen konnte und hätte dieses Angebot auch jedem Anderen gemacht. Fast hatte es ihn gewundert, dass Palle sich nicht zu stolz gewesen war, die Jacke anzunehmen, aber es schien so, als hätte der Ältere genauso wenig Interesse daran, das hier zu beenden, wie Manu selbst. Und ohne Jacke, so viel stand klar, wären sie schon längst wieder drinnen im Warmen.
»Erzähl mir was.«
Palle hatte die ruhige, irgendwie nachdenkliche Stille unterbrochen und sah Manu jetzt so abwartend an, dass dieser etwas unsicher wurde.
Was denn?
»Keine Ahnung. Irgendetwas. Über dich. Worüber du halt gerne sprichst.«
Manu überlegte kurz.
Ich weiß nicht. Schlag was vor.
»Warum bist du hier? Auf dem Internat?«
Ich hatte immer viel Stress mit meinen Brüdern. Deswegen habe ich meine Eltern überredet, hier her zu dürfen.
»Brüder? Wie viele?«
Drei. Und eine Schwester.
»Ihr seid ... fünf Geschwister?«
Ja. Also teils Geschwister, teils Halbgeschwister. Alle zusammen aber fünf.
»Das stell ich mir ... Krass vor. So Zuhause. Älter oder jünger als du?«
Alle älter.
»Krass ...«
Palle schwieg eine Weile, schien diese Vorstellung auf sich einwirken zu lassen. Manu zuckte bloß mit den Schultern und ließ ihn. Er selbst konnte sich, so anstrengend es auch war, nicht vorstellen, als Einzelkind aufzuwachsen. So sehr er seinen Brüdern auch manchmal sämtliche Krankheiten an den Hals wünschte – ohne sie würde eben doch etwas ganz gewaltig fehlen.
Irgendwann beschloss Manu, dass sie genug geschwiegen hatten und stieß Palle sanft in die Seite, um ihn auf den Text aufmerksam zu machen, den er inzwischen getippt hatte.
Und bei dir so? Warum bist du hier? Wegerm Basketball?
Palle nickte.
»Ja. Die Geschichte ist nicht so spannend. Gleiche Story wie der Großteil der Mannschaft: Ich bin aufs Internat gekommen, weil ich hier besser Basketball spielen kann, die Mannschaft besser gefördert wird, und so weiter. «
Manu nickte bloß. Schade. Irgendwie hätte er gerne mehr über Patrick erfahren. Irgendetwas aus dieser Nacht mitgenommen, das vielleicht nicht jeder Andere auch wusste.
»Eigentlich ist es voll gut, dass du in der Mannschaft spielst, ohne speziell deswegen aufs Internat gekommen zu sein. Ich mein ... der Großteil der Mannschaft kam hier her, um wirklich wettbewerbsfähig spielen zu können und du ... bist einfach so dabei und kannst trotzdem mithalten. Verstehst du, was ich meine.«
Manu nickte. Ja, er verstand.
Naja, ›mithalten‹ ... Ich sitz bei Spielen ja eigentlich immer nur auf der Reservebank. Die Meisten sind doch noch ein Mal eine ganze Nummer besser als ich.
Palle runzelte die Stirn, wie Manu im schwachen Licht der entfernten Straßenlaterne erkennen konnte.
»Quatsch. So schlecht bist du wirklich nicht. Okay, an so einen Tim oder so kommt keiner von uns ran. Aber du hattest auch schon einige verdammt gute Tage, wo du es mit den Meisten aufgenommen hättest.«
Verlegen zuckte Manu mit den Schultern. So ein Lob, ausgerechnet von Patrick, freute ihn natürlich und er spürte, wie seine Wangen warm wurden.
Für Palle schien das Thema erledigt, denn sie schwiegen wieder eine ganze Weile einfach nur. Manu legte sich irgendwann kurzerhand auf den kühlen Steinen zurück, zog seine Kapuze über den Kopf, sodass seine Haare nicht auf dem Boden liegen würden und löste sein Haargummi, das die Strähnen zusammengehalten hatte, damit der Zopf nicht drückte. Während er bloß die wenigen Sterne am Himmel beobachtete, fielen ihm die dunklen Strähnen zerzaust ins Gesicht und rahmten es irgendwie schön ein. Eigentlich hatte Manu fast erwartet, dass Palle es ihm gleich tun und sich hinlegen würde, der aber blieb sitzen, den Blick ins Leere gerichtet, irgendwie fast schon verträumt in Manus Richtung starrend. Manu grinste. Es war faszinierend, wie sehr Palle in seiner Gedankenwelt versunken zu sein schien. Probehalber tippte er federleicht gegen dessen Knie, doch der Größere rührte sich nicht.
Erst beim direkten Kontakt ihrer kalten Haut und Manus Hand, die über seine eigene strich, schien Patrick wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt zu werden und einen winzigen Augenblick lang verwirrt, bevor er irgendwie liebenswert lächelte.
»Sorry, ich war abgelenkt. Hast du was gesagt?«
Manu grinste bloß. Ein verpeilter Patrick, das gefiel ihm.
Klar. Ich dacht mir auf ein Mal: »Mensch, Sprechen wär mal ne gute Idee« und hab einfach losgeredet.
Palle las und verdrehte die Augen, bevor er erneut nachdenklich Manu musterte. Diesem wurde irgendwie unwohl unter den intensiven Blicken des Anderen.
Was ist los?
»Hmm?«
Du schaust so.
»Nichts.«
Patrick schieg und Manu glaubte ihm kein Wort.
»Ich muss sagen ... Irgendwie hab ich mich an deine Haare gewöhnt. Ich fand die ja am Anfang echt schrecklich, aber ... es hat schon irgendwie was. Dir stehts.«
Manu zögerte.
Abgesehen davon, dass Palle ein schwuler Typ war, der noch dazu um Manus eigene Sexualität wusste – sollte er das jetzt als Flirtversuch auffassen? Auf jeden Fall war es ein Kompliment.
Danke. Ich hätte sie aber auch immer noch nicht geschnitten, wenn du sie scheiße gefunden hättest.
Palle lächelte.
»Schon klar. Warum solltest du auch. Nee, aber ich kann mir dich gar nicht mit kurzen Haaren vorstellen.«
Manu zuckte mit den Schultern.
Rafael hatte früher auch längere Haare. Also so einen Undercut, wo er oben immer so einen Zopf hatte.
»Echt?« Palle schien wirklich verblüfft. »Nee, oder?«
Manu nickte bloß.
»Das kann ich mir echt gar nicht vorstellen! Rafi, im Ernst? Krass.«
Erneut nickte Manu und beobachtete, wie Palle sichtlich Mühe hatte, sich das vorzustellen.
Erst nach einer Weile kehrte wieder Ruhe ein, aber es dauerte nicht lange, bis Palle einen Entschluss fasste:
»Entweder wir gehen langsam zurück – es ist schon fast vier Uhr.« Überrascht sah Manu auf sein Handy. Tatsächlich. Kurz vor vier.
Fragend zog er die Augenbrauen hoch. Was war das ›oder‹ zu diesem ›entweder‹? Denn eigentlich hatte er keine Lust, dass diese Nacht schon endete. Gerade war doch alles perfekt.
»Oder wir machen jetzt irgendetwas spannendes.«
Manu nickte. Auf jeden Fall.
Er wollte diese kleine, perfekte nächtliche Welt genießen, so lange es sie gab.
Was schlägst du vor?
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Hayho!
Eure Fragen gibt es nächstes Kapitel - das hier kommt eh schon so spät.
Sorry für die kleine ungeplante Upload-Pause - die letzten Tage waren bei mir privat ziemlich schwierig.
Was denkt ihr, können die Beiden jetzt noch machen? VORSCHLÄGE und VERMUTUNGEN immer her!
Liebe Grüße, minnicat3
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